
Patrick Mariathasan für den SPIEGEL
Briefe
Systemimmanente Dummheit
Heft 49/2022 Titel – Das Virus der Freiheit
Der Diktatfrieden, den die chinesische Führung ihrem Volk bislang aufgezwungen hat, lautet: Sicherheit und Wohlstand gegen kritiklose Akzeptanz des Machtanspruchs und Gefolgschaft. Sollte die chinesische Führung im Bereich ihrer Covidpolitik weiterhin derart übertrieben und letztlich gegen wissenschaftliche Erkenntnisse regieren, könnte es zu erheblichen Verwerfungen in China kommen.
Stephan Erven, Merzenich (NRW)Nicht in erster Linie Xi Jinpings Null-Covid-Politik ist die Ursache für das erneute Aufflammen der Pandemie in China. Hauptproblem bleibt die offenbar mangelnde Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe. Konsequentes Impfen mit westlichen mRNA-Vakzinen könnte jetzt auch in China das Blatt wenden. Auf weitere Lockdowns kann man dabei wohl nicht verzichten – wegen der bisher nicht ausreichenden Immunisierung der Bevölkerung.
Dr. Hans Christian Hummel, HannoverDie Null-Covid-Sackgasse, in die sich die chinesische Führung hineinmanövriert hat, ist ein schönes Beispiel für die systemimmanente Dummheit von Autokratien. Für Biontech war im Frühjahr 2020 klar, dass Covid eine globale Lösung erfordert. Man suchte deshalb starke Verbündete, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in China. Neben der Kooperation mit Pfizer kündigte Biontech am 16. März 2020 eine »strategische Allianz« mit dem Shanghaier Konzern Fosun an, in deren Rahmen Fosun bis zu 135 Millionen Dollar für das Recht auf die Vermarktung des Impfstoffs in China, Hongkong, Taiwan und Macau zahlen würde. Wäre dieser Weg nicht aus nationalistischer Hybris gestoppt worden, hätte China jetzt wie viele andere Staaten die Pandemie schon hinter sich.
Dr. Norbert Schupp, AschaffenburgAls SPIEGEL-Abonnent seit 45 Jahren wundere ich mich nicht zum ersten Mal über die Unausgewogenheit der Berichterstattung über China. Es ist die Rede von einer »Coronadiktatur«, einer »rabiaten Null-Covid-Politik« und von »brutalen Lockdowns«. Geht es auch ohne derart diffamierende Adjektive? Und wo bleiben die unbestreitbar positiven Leistungen der Regierung eines 1,4-Milliarden-Volkes? Beschämend, dass der SPIEGEL sich in das Fahrwasser der aggressiven Meinungsmache der USA in Bezug auf China begibt.
Wilfried König, Hirschberg (Bad.-Württ.)
In welcher Welt leben sie?
Heft 49/2022 Leitartikel: Beim Thema Einbürgerung sind Teile der Union von gestern
Dieser Artikel ist eine Unverschämtheit. Die Autorin ist offenbar ein glühender Fan der geplanten Reform der Einbürgerung. Das darf sie sein. Aber die Union, die zu Recht und stellvertretend für viele Bürger in Deutschland Kritik und Skepsis an diesen Plänen äußert, dermaßen zu verspotten und ihr sogar rassistische Untertöne vorzuwerfen, das geht entschieden zu weit. Der politische Gegner wird richtiggehend verunglimpft. Dass der SPIEGEL so etwas in seinem Leitartikel zulässt, ist kein gutes Zeichen.
Dr. Hubert Hofmann, Immenstaad (Bad.-Württ.)Schon die Überschrift »Gehört die Union noch zu Deutschland?« ist ein Weckruf für die Ewiggestrigen in der CDU. Ihre Mitglieder sollten sich zu einjährigen Praktika in unseren Schulen verpflichten. Dort wird glücklicherweise wirkliche Integration gelebt – besonders von den Schülern untereinander. Das verändert die Sicht auf die Einbürgerung von Menschen aus anderen Kulturkreisen. Lassen wir andere an unserem Wohlstand teilhaben und seien wir froh, in einem Land leben zu dürfen, in dem Hunger, Kälte und Krieg uns nicht zur Flucht zwingen.
Jan Struthoff, Oldenburg (Nieders.)Ich fürchte, dass Ihre Prämisse falsch ist. Leider geht es der CDU/CSU nicht um moderne Politik. Die Herren Merz, Söder, Dobrindt wollen Öffentlichkeit erzeugen. Das geht natürlich nicht mit Friede-Freude-Eierkuchen-Themen. Da muss die Keule der Fremdenfeindlichkeit oder der Bedrohung durch Ökoterroristen ausgepackt werden. Die Wähler der AfD sind der Maßstab – nicht der zukunftsgerichtete Konsens. Solange die Union nicht massiv bei Wahlen abgestraft wird, wird sich daran nichts ändern.
Michael Hoffmann, KölnWider besseres Wissen und Gewissen schwadronieren die Spitzen von CDU und CSU gegen die geplante Reform des Staatsbürgerrechts. In welcher Welt leben sie eigentlich? Sehen sie nicht, dass die hiesige Volkswirtschaft ohne die Zuwanderung und die ausländischen Arbeitskräfte nicht nur durch die demografische Entwicklung längst zusammengeschrumpft wäre? Aus diesem Grund ist ein Einbürgerungsrecht, das sich an der Lebensrealität orientiert, mehr als überfällig.
Dieter Obst, WiesbadenWenn nun ein Neubürger, der Sprache ganz gut mächtig und mit guten Kenntnissen über Deutschland, also fähig, hier zu leben und zu arbeiten, gerne Musik aus seinem Ursprungsland hört und privat lebt, wie es ihm beliebt – ist er dann nicht integriert und eine Gefahr für Deutschland? Wenn es jemanden von der CSU nach Berlin verschlägt, muss er dann etwa dem Trachtenjanker abschwören, Schweinshaxen verschmähen und sich das rollende R abtrainieren? Besser wäre es doch, mal darüber zu sprechen, wie viel geistigen Reichtum es beschert, in zwei Kulturen zu Hause zu sein, sich in zwei Sprachen sehr gut auszudrücken, alles von zwei Seiten sehen zu können statt nur aus der Perspektive des heimischen Misthaufens.
Heide Itasse, Ettlingen
Unaufgeregt und verständlich
Heft 48/2022 SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fordert im SPIEGEL-Gespräch Diplomatie mit Russland
Herrn Mützenichs toxische Naivität angesichts möglicher Dialoge mit Putin ist gefährlich. Hier wird der Eindruck erweckt, man müsse nur intensiv auf Verhandlungen von wem auch immer und mit wem auch immer drängen, um vielleicht eine Feuerpause oder sogar mehr zu erreichen, während die gnadenlose Raketenoffensive der Russen immer mehr Opfer fordert und ein Ende nicht in Sicht ist. Politische Initiativen helfen da schon lange nicht mehr, die Lokalisierung und Ausschaltung der Abschussbasen umso mehr.
Herbert Beschmann, Rödermark (Hessen)Der Fraktionsvorsitzende der SPD fordert in diesem SPIEGEL-Gespräch mit Recht rasche diplomatische Friedensbemühungen und den verstärkten Einsatz von internationalen Hilfsorganisationen, um die sinnlosen menschlichen Opfer im mörderischen Ukrainekrieg wenigstens zu begrenzen. Nicht durch Kampfpanzer, sondern durch Verhandlungen über Feuerpausen und neutrale Zonen kann die Zivilbevölkerung besser geschützt werden. Es gehört zur Existenzberechtigung der SPD, sich stets für Friedenssicherung einzusetzen.
Jost Meyen, Neuenburg (Bad.-Württ.)Ich habe mich darüber gefreut, dass Rolf Mützenich beim Krieg in der Ukraine nicht nur die »Wir-liefern-mehr-Waffen«-Linie vertritt. Angesichts eines harten Winters sollten alle Verhandlungsoptionen genutzt werden und zumindest zu einem Waffenstillstand führen.
Brigitte Schellnhuber, IngolstadtDer Politiker und promovierte Politikwissenschaftler Rolf Mützenich überzeugt mich immer wieder dadurch, dass er seine faktenbasierten, rationalen Überlegungen zur Weltpolitik in erster Linie im Parlament und nicht im Rahmen quotenheischender Talkshows darlegt. Auch im Gespräch mit Ihren Redakteuren argumentiert er faktenbasiert, unaufgeregt und verständlich. Sehr irritierend aber finde ich die in den Fragen und der Bebilderung deutlich werdende Voreingenommenheit des SPIEGEL gegenüber diesem Mann. Wie kann man im Kontext der Anklageliste des staatlichen ukrainischen Zentrums für die Bekämpfung von Desinformation, die unter dem Hashtag »Infoterror« große Verbreitung im Internet gefunden hat, von »Aufbauschen« sprechen und den Interviewpartner im Stile eines Oberlehrers fragen, was es sollte, auf diesen gefährlichen Vorgang öffentlich hinzuweisen? Haben wir nicht oft genug erlebt, dass aus pauschalen Anschuldigungen im Netz handfeste Bedrohungen entstehen können? Ich glaube nicht, dass die Herren Fischer und Medick schlecht recherchiert haben. Ich vermute eher, dass die differenzierte und gut begründete Haltung von Herrn Mützenichs nicht in ihr Weltbild passt.
Anton Rütten, KölnEndlich mal ein Politiker, der sich nicht für vergangene vernünftige Politik entschuldigt. Unaufgeregt, uneitel, sachlich, nicht um mediale Präsenz oder Umfragewerte buhlend, fernab jeder Ideologie wie manche Minister. Möge er durchhalten und nicht durch die oft zersetzende öffentliche Meinung mundtot gemacht werden.
Janni Zoll, Hamburg
Sollen sie doch Kuchen essen
Heft 48/2022 Neue Rätsel um Jens Spahns Luxusvilla
Das Geheimnis der Geldbeschaffung werden wir wohl nie erfahren. Ein Politiker, der nicht nur im Bundestag sitzt, sondern auch »oben« in der Partei was zu sagen hat, sollte nicht in einer Luxusimmobilie mit 285 Quadratmetern wohnen. Das ist Protz! Schämen sollte er sich.
Hartmut Neumann, AachenFassen wir zusammen: Maskenaffären in der CDU zuhauf. Ein CDU-Vorsitzender, der sich als Teil der Mittelschicht begreift, aber im Privatflugzeug anreist. Ein bayerischer Ministerpräsident, der sich gegen das Bürgergeld ausspricht, aber groteske Fotos von sich bei der Tafel unters Volk bringt. Ein Finanzminister, der seine schrecklich kitschige Albtraumhochzeit auf Sylt feiert und mit dem Porsche davonbraust. Ein Altbundeskanzler in Putins Diensten bei Gazprom. Ein ehemaliger Außenminister, der durch vielfältige und vor allem sehr fragwürdiges Engagement von sich reden macht. Und jetzt mal wieder Herr Spahn, der mit einer zumindest Fragen aufwerfenden Finanzierung seiner vier Millionen Euro teuren Villa dem Ganzen die Krone aufsetzt. Die Herren haben allesamt völlig den Bezug zur Realität verloren. Frei nach dem Motto: Sollen sie doch Kuchen essen.
Jonathan Beer, Nürnberg
Negatives Sahnehäubchen
Heft 48/2022 René Benkos riskante Wette auf den Elbtower
Die Skepsis gegenüber dem Elbtower führt noch nicht weit genug. Schließlich handelt es sich hierbei nicht nur um eine immobilientechnisch riskante Wette, sondern vor allem um ein Projekt, das am Ende sowohl in ökologischer als auch sozialer Hinsicht nicht dem Gemeinwohl dient. In vielen anderen Metropolen wie etwa New York dürfen schon aus Klimaschutzgründen derartige Gebäude mit einer riesigen Glasfassade gar nicht mehr errichtet werden. Zudem spaltet es ebenfalls die Gesellschaft, einen Hochglanztempel für ein vornehmlich sehr reiches Publikum zu errichten, aus dem dieses dann mit einer starken negativen Symbolik für den Zusammenhalt auf den benachbarten ärmeren Kiez Veddel regelrecht herabblicken darf. Deshalb sollte das politische Erbstück von Olaf Scholz in jedem Fall noch einmal überdacht werden, zumal es als »negatives Sahnehäubchen« auch noch den Zugverkehr beeinträchtigt.
Rasmus Helt, HamburgIrre, dass in der Bürgerschaft von Hamburg gewettet wird, ob ein Prestigeprojekt eines Nutznießers staatlicher Unterstützung zustande kommen wird. Die Beteiligten, die um vier Kisten Wein wetten, verbindet ihr schlechter Geschmack. Prost, Zukunft und Gemeinwohl!
Isabella von Löbbecke, Groß Denkte (Nieders.)
Heuchel-Weltmeister
Heft 48/2022 Kolumne: Der gesunde Menschenverstand
Es ist an Erbärmlichkeit nicht zu überbieten, dass es die Spieler sein müssen, die Haltung zeigen sollen. Es hätte Zeit genug für die europäischen Fußballfunktionäre gegeben, zusammen etwas gegen die Ausrichtung der WM in Katar zu unternehmen. Die Sportfunktionäre werden aber in Zukunft noch genug Gelegenheit haben, Haltung zu zeigen. Oder mitzuheucheln.
Peter Wolter, Leonberg
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