
Patrick Mariathasan für den SPIEGEL
Briefe
Auf Kosten der Kinder
Heft 12/2022 Das Schul-Fiasko
Um unsere Bildungsmisere zu beenden, gibt es Lösungsansätze, die aber seit Jahrzehnten verschludert werden: Alle Lehrkräfte müssen, unabhängig von der Schulart, gleich bezahlt werden; das ist eine Frage der Wertschätzung. Wenn man sich im eigenen Land gegenseitig Lehrkräfte streitig macht, ist das Egoismus auf Kosten der Kinder und ein zusätzlicher Schwachpunkt unseres unmöglichen bildungsföderalistischen Systems, welches nicht nur aus diesem Grund abgeschafft gehört. Es läuft ins Leere, regelmäßig Lehrplanrevisionen zu betreiben. Zunächst müssen wir Lernen im sinnvollen pädagogischen Rahmen überhaupt erst wieder ermöglichen.
Wolfgang Greiner, Bischofswiesen (Bayern)Es ist unfair, die Bezüge deutscher Lehrkräfte beim Berufseinstieg mit denen in Frankreich zu vergleichen. Gerade dort können Lehrkräfte durch anspruchsvolle Zusatzqualifikationen ihre Stundenzahl reduzieren und zugleich mehr verdienen. Deutschland weist mit die höchsten Stundenkontingente aus. Dann führen Sie noch den Schriftsteller und Teilzeitlehrer Ewald Arenz als Beispiel an. Dieser liegt mit seinen 16 Stunden Wochenunterricht deutlich im unteren Aktivitätsbereich. Kein Wunder, dass er nebenher mit seinen Büchern gutes Geld verdienen kann. Dies war Thema teils vehementer Einwürfe in der SPIEGEL-Leserbriefe-Rubrik in Ausgabe 9/2023. Leider kam ein weiteres Ärgernis gar nicht zur Sprache: das fachfremde Unterrichten. In manchen Bundesländern dürfen und müssen Kinder und Jugendliche in Fächern unterrichtet werden, welche die Lehrkräfte gar nicht studiert haben. Das ist einerseits ein Affront gegen die Wissenschaften an sich, andererseits würde auch ich mich als Elternteil ärgern, wenn die Englischlehrerin meines Kindes keine Anglistin, der Mathelehrer kein Mathematiker ist.
Christof Sperl, Lehrkraft, KasselDer Lehrermangel hängt auch damit zusammen, dass sehr viele Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit arbeiten. Warum fragt man sie nicht mal, weshalb sie auf einen beträchtlichen Teil ihrer Bezüge verzichten? Es wäre eine Diskussion mit Lehrerinnen und Lehrern aller Schulformen notwendig. Daraus würde sich möglicherweise eine Lösung des Problems »Lehrermangel« ergeben.
Elisabeth Müller, Stetten (Bad.-Württ.)Ein sehr gut recherchierter Artikel, der genau die Situation an unseren Schulen beschreibt. Seit einem Jahr bin ich an einer Grundschule als »Lese-Oma« in der ersten und zweiten Klasse tätig, außerdem betreue ich einen Jungen aus der Ukraine in Deutsch. Es ist jedes Mal toll, wenn ich auf den Schulhof komme, die Kinder auf mich zurennen und fragen, ob sie heute mit mir lesen können. Dabei fällt mir auf, dass Kinder, deren Eltern zugewandert sind, enorme Probleme mit der deutschen Sprache haben. Die Lehrer können dies während der Unterrichtsstunden nicht auffangen, also hängen diese Kinder immer dem Stoff hinterher und haben damit wesentlich schlechtere Chancen, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen. Also, liebe fitte Senioren: meldet euch, helft den Kindern und unterstützt die Lehrer! Die Zukunft unserer Kinder sollte uns das wert sein.
Gudrun Ludwig, Spechbach (Bad.-Württ.)An meiner Schule waren all die äußeren Bedingungen gegeben, die anscheinend eine gute Schule ausmachen. Wir haben ein neues Schulhaus, saubere Toiletten, ruhige Klassenzimmer und sind weit fortgeschritten in der Digitalisierung. Trotzdem bleiben die Probleme, die dafür sorgen, dass den Schülern die Motivation am Lernen vergeht und der Leistungsdruck immer weiter steigt. Braucht es die subjektive Benotung, die nun mal nicht objektiv sein kann, und die dann über unser späteres Leben entscheidet? Noten, die dazu führen, dass der Lehrer nicht mehr als Unterstützung angesehen wird, sondern als Urteilender. Noten, die nicht transparent sind, wo die Frage offenbleibt, ob es an Faulheit, Überforderung oder Angst lag. Noten, die dazu führen, dass die Schüler verglichen werden, sich miteinander vergleichen, und die vielleicht sogar Auslöser von Mobbing werden?
Mia Gloria Semmlack, Kiel
Anstoß zum Nachdenken
Heft 11/2022 Krieg und Frieden: Deutschland auf dem Weg in den Militarismus?
Endlich hat sich der SPIEGEL durchgerungen, auch jenen eine Stimme zu verleihen, die bisher kaum zu Wort kamen: den Anti-Bellizisten in der Diskussion um die Bedrohung durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Endlich besinnt sich das »Sturmgeschütz der Demokratie« auf Ausgewogenheit im Ringen um einen Weg aus dem Dilemma. Die klare Analyse von Frau Supp geißelt zu Recht die weit vorherrschende Militärlogik in Politik und Medien. Sie ist eine wichtige Stimme, die bisher – im SPIEGEL zumal – fehlte. Den steinigen Weg zu einem dauerhaften Frieden zu gehen, ist schwieriger, als immer mehr Waffen zu liefern; aber dieser Essay könnte ein Baustein auf dem Weg sein. Ein Anstoß zum Nachdenken ist er allemal.
Wunibald Heigl, MünchenMit ihrem Artikel haben Sie mir aus der Seele gesprochen, Barbara Supp.
Monika Tusche-Blatt, Höhr-Grenzhausen (Rhld.-Pf.)Der Text krankt daran, dass nicht gefragt wird, warum gerade jetzt diese Entwicklung weg von der »Kultur der militärischen Zurückhaltung« früherer Jahre hin zu einer neuen Wehrhaftigkeit geschieht. Zwar erwähnt die Autorin den Ukrainekrieg; doch das wesentlich breitere sicherheitspolitische Panorama mit der Zerstörung der europäischen Friedensordnung durch Russland und seinen globalen Weiterungen kommt bei ihr nicht vor. Als ob die jetzige Regierung das alles aus Jux und Tollerei täte. Und dass sich mal einer der »Militaristen« im Ton vergreift: geschenkt. Man betrachte nur, mit welchen Invektiven das Lager der »Friedensfreunde« Andersdenkende überzieht.
Dr. Stephan Wohanka, BerlinNiemand will den Weg in den Militarismus mitgehen! Nicht nur Frau Supp nicht. Ihre Ausführungen können ihre verallgemeinernde These nicht stützen. Die zitierten Aussagen haben mit Militarismus nichts zu tun. Im Gegenteil, sie sind alle gegen den größten Kriegsverbrecher seit Hitler gerichtet – bekanntlich hat Putin die Ukraine überfallen. Schlimmer noch: Auf geradezu perfide Weise macht die Autorin im Prinzip keinen Unterschied zwischen der jetzigen wehrhaften deutschen Demokratie und dem Militarismus, von dem Deutschland in der Zeit zwischen 1870 und 1945 geprägt war und der wesentlich zum Ausbruch von zwei Weltkriegen beitrug. Sie ignoriert den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine und welche Implikationen dieses epochale Ereignis für Deutschland und Europa und auch weltweit hat. Damit betreibt sie, gewollt oder ungewollt, das Geschäft von Putin.
Winfried Boczki, Bonn
Opfer in der Beweispflicht
Heft 11/2022 Psychische Gewalt: Therapeuten reden Patienten ein, dass sie in satanistischen Kulten missbraucht und gequält wurden
Es ist bedrückend, wie leicht man in die Fänge solcher Therapeuten gelangen kann und wie diese falsche Erinnerungen erzeugen. Noch gefährlicher finde ich aber, wie Gerichte und Gutachter dies für bare Münze halten, ohne den Wahrheitsgehalt geprüft zu haben. So entsteht unendliches Leid, sowohl bei Betroffenen als auch bei Beschuldigten. Ich kann nur hoffen, dass solche Artikel alle Beteiligten für dieses Thema sensibilisieren.
Bernd Hoffmann, ErfurtWährend sich die Psychotherapeutenkammer als zuständige Aufsichtsbehörde gegenüber der betroffenen Patientin in Schweigen hüllt, schildert der Artikel die katastrophalen Folgen ihrer Fehlbehandlung und auch die bedenkliche Ausbreitung der Verschwörungserzählung von »ritueller Gewalt«. In der Schweiz hat die Politik Maßnahmen gegen hiernach behandelnde Kliniken und Therapeuten ergriffen, nachdem Journalisten – und eben nicht die Aufsichtsbehörden – die schädigenden Auswirkungen dieser Therapie aufgezeigt hatten. Es liegt nun in der Verantwortung der zuständigen Fachgesellschaften und der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, sich hierzu eindeutig zu positionieren. Denn zum Opferschutz gehört es auch, Patient:innen vor solchen Fehlbehandlungen zu schützen.
Prof. Dr. med. Christopher Beynon, Oberarzt Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum HeidelbergIch kenne Jutta Stegemanns therapeutisches Vorgehen und habe es zu keinem Zeitpunkt als dominant wahrgenommen, vielmehr als neugierig fragend und wissenschaftlich fundiert. Michaela Huber ist eine anerkannte Traumatherapeutin, deren Expertise von zahlreichen anerkannten Organisationen geschätzt wird. Dass diese beiden Expertinnen in einen Topf mit Heilpraktikern und Verschwörungstheoretikern geworfen werden, hinterlässt mich fassungslos. Und führt zu der Frage: Wer soll hier eigentlich geschützt werden? Für die Opfer von Missbrauch jeglicher Form und deren Therapeut:innen ist dieser Artikel eine Vollkatastrophe. Die Opfer bleiben in der Beweispflicht und werden als unglaubwürdig abgestempelt.
Anna Zenker, Drensteinfurt (NRW)Ich bin entsetzt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist ja schön und natürlich auch sehr wichtig. Aber es ist eine Unverschämtheit, die Diagnose nach ICD (internationale statistische Klassifikation der Krankheiten der WHO) anzuzweifeln und Betroffenen damit jegliche Krankheit beziehungsweise Störung abzusprechen. Eine sehr schlechte Recherche zu einem so gravierenden Thema wie der Dissoziativen Identitätsstörung. Eventuell wäre es sinnvoll, auch mit anderen betroffenen Patienten zu reden statt nur mit einer einzigen Person.
Julius Schurig, Ditzingen (Bad.-Württ.)
Traurig, grotesk, absurd
Heft 11/2022 Erbschaften: Die Wut der Auschwitz-Überlebenden Eva Umlauf
Wie recht Eva Umlauf doch hat: Bezüglich des Holocaust gibt es nichts zu verzeihen! Und genau deshalb sollten deutsche Politiker:innen endlich aufhören, die wenigen noch lebenden Opfer und Zeitzeugen dieses Verbrechens immer wieder mit irgendwelchen Schönreden und Auszeichnungen dazu bewegen zu wollen. Angemessene und zeitnahe Entschädigungen wären hier selbstverständliches Handeln gewesen. Darüber hinaus sei den politisch Verantwortlichen dringend empfohlen, ihr Hauptaugenmerk und ihr Tun statt auf das herbeigesehnte rückwirkende Verzeihen auf das dringend erforderliche vorausschauende Verhindern von Rechtsradikalismus, Demokratiefeindlichkeit und Faschismus auszurichten.
Uwe Wagner, Bruchköbel (Hessen)Ich bin erschüttert über die Behandlung von Überlebenden des Holocaust durch deutsche Behörden. Es zeigt sich darin genau die Mentalität, die zum Holocaust geführt hat. Das sture Beharren und die Befolgung und buchstabengetreue Ausführung von Vorschriften. Der englische Historiker Alan J. P. Taylor schrieb 1945 in seinem Buch über die Deutschen: »Es hat vierhundert Jahre gedauert, die Deutschen in ihren aktuellen Geisteszustand zu versetzen. Es wird weitere vierhundert Jahre benötigen, sie daraus zu befreien!«
Reinhard Kück, KölnSelten ist wohl der Amtsschimmel derart empathielos geritten worden wie in diesem Fall: Einer Holocaustüberlebenden wird »schuldhaftes Zögern« im Rahmen des Entschädigungsverfahrens vorgeworfen. Offenbar kann die Betroffene von Glück reden, dass dieses ungebührliche Verhalten nicht mit der Verhängung eines Ordnungsgeldes sanktioniert worden ist.
Christian Friedrich Reineck, BerlinIch habe gerade viel um die Ohren und dachte schon kurz darüber nach, mein Abo zu pausieren. Dann las ich »Die perfekte Zeugin« und habe nur noch geheult, mich fremdgeschämt und Wutanfälle bekommen. Vielen Dank.
Marcel Peters, Frankfurt am Main
Interview mit Zoo-Arzt
Nr. 11/2023 Wie geht es den Fischen aus dem geplatzten Aquarium?
Es mutet etwas pervers an, wenn Herr Schüle sagt, dass es den Fischen aus dem Aquadom bei ihm im Zoo besser gehe als im Ozean. Die meisten Korallenfische pflanzen sich in Gefangenschaft nicht fort, sondern müssen immer wieder aus den ohnehin schon bedrohten Korallenriffen geholt werden.
Dr. Monica Biondo, Biologin, Bern (Schweiz)
Verbotsexzesse in der Pandemie
Nr. 11/2023 Die Gegendarstellung: Wir Corona-Versager
Ich stimme Ihnen zu. Dennoch bin ich froh, dass unsere Demokratie so wehrhaft war und auch zu diktatorischen Methoden gegriffen hat. Wichtig ist, dass sie zeitlich begrenzt sind. Sie dürfen nicht missbraucht werden, um langfristige Systemveränderungen vorzunehmen.
Thomas Salewski, Leinfelden- Echterdingen (Bad.-Württ.)
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