
Patrick Mariathasan für den SPIEGEL
Briefe
Die Kommerzialisierung kostet Leben
Heft 47/2021 Vor dem Kollaps
Ich habe gerade den Artikel zur Corona-Front in den Intensivstationen gelesen und muss mit den Tränen kämpfen. Ich empfinde höchste Anerkennung für die Arbeit und den täglichen Kampf der Intensivkrankenpfleger:innen. Zum einen gegen das Coronavirus, zum anderen der innere Kampf, auch die vielen ungeimpften Patient:innen medizinisch zu versorgen, die maßgeblich an der Wucht dieser vierten Welle beteiligt sind. Schnell wird aus Mitgefühl für die Kämpfer:innen an vorderster Front Wut auf die hohe Zahl von Impfverweigerern.
Sarah Lorenzen, Schwentinental (Schl.-Holst.)Ich arbeite in der Radiologie einer Münchner Klinik. Covid-19-Patient*innen, auch von der Intensivstation, sehe ich jeden Tag an meinem Arbeitsplatz in der Computertomografie. So langsam komme auch ich an meine Grenzen und frage mich, was noch passieren muss, um die Impfgegner zu überzeugen. Diese schreckliche Krankheit wird von vielen unterschätzt. »Dann gehe ich mit meinem Schnupfen zwei Wochen in Quarantäne und alles ist wieder gut«, denkt man so. In den Medien wird viel über Impfungen gesprochen, jedoch selten über den Krankheitsverlauf. Dass es auch Long Covid gibt und was das ist, wissen viele nicht. Hier muss mehr Aufklärung passieren. Eine Covid-19-Diagnose ist ähnlich zu bewerten, wie wenn jemandem gesagt wird: »Sie sind an Multipler Sklerose erkrankt.« Der Wucht dieser Krankheit sind sich Impfskeptiker*innen offenbar nicht bewusst.
Christian Uhlig, MünchenSeit knapp 40 Jahren bin ich als Krankenpfleger, Pflegepädagoge, -wissenschaftler und -manager in der Pflege tätig. Seit dieser Zeit wurden die Rahmenbedingungen für die beruflich Tätigen, aber auch für die von ihnen abhängigen Menschen, kontinuierlich schlechter. Mit Einführung der Pflegeversicherung wurde der »Caregedanke« als Leitmotiv der Pflege vom Profitdenken, vor allem privater Konzerne abgelöst und die Menschlichkeit in der Altenpflege der Gewinnoptimierung geopfert.
Bernd Meyer, Saarbrücken
Lese ich von den täglichen Anstrengungen der Corona-Helden in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, finde ich es im Grunde unverantwortlich, dass mit Rücksicht auf den sozialen Frieden und die vielfach abstrusen Ansichten Uneinsichtiger zu Covid-19 nicht längst die Impfpflicht für alle Impffähigen eingeführt wurde; für eine Impfung, die regelmäßig zu erneuern wäre. Durch das lange Hinauszögern einer solchen vernünftigen Maßnahme hat sich eine Hysterie hochgeschaukelt, durch die eine Impfakzeptanz nunmehr zusätzlich unnötig erschwert wird.
Waltraud Krannich, DresdenDie Kommerzialisierung des Gesundheitswesens kostet jedes Jahr Menschenleben. Die Kliniken gehören zu den grundlegenden staatlichen Daseinspflichten. Die Privatisierung muss rückgängig gemacht werden.
Dr. Jean-Arno Topp, München
Erschüttert und wütend sitze ich nach der Lektüre des Artikels zum Pflegenotstand mitten in der Pandemie. Warnende Stimmen gab es viele, und zwar seit vielen, vielen Jahren, aber immer wieder wurde weggeschaut und abgewiegelt: Schließlich gab es ja immer noch genug »Gutmenschen«, die sich für den Dienst am Menschen interessierten und bereit waren, sich dafür ausbeuten zu lassen. Die neoliberale Ideologie mit ihrem Fokus auf Shareholder-Value sowie private Vorsorge statt Fürsorge des Staates in möglichst allen Lebensbereichen – was Sie zu Recht als eine der Hauptursachen der Fehlentwicklung benennen –, hat zu »gravierenden Fehlallokationen der Ressource Human Capital im Gesundheitssektor« geführt, um es im neoliberalen Neusprech zu formulieren.
Margret Schmitz, Pulheim (NRW)Ich bete zu Gott, dass keiner in meiner Familie einen Notfall wie Herzinfarkt, Unfall et cetera erleidet und nicht in kürzester Zeit auf einer Intensivstation behandelt werden kann, weil diese durch notorische Impfverweigerer belegt ist. Es ist ein Verbrechen am Volk, dass es keine Impfpflicht gibt. Wie wäre denn die Situation, wenn es um Blattern oder Pocken ginge?
Ulrich Schmitz, KölnDer Titel beschreibt sehr deutlich die Lage in den Krankenhäusern. Aber es ist nicht nur das Pflegepersonal, das ausgeblutet wird und bis über die Leistungsgrenzen seit Jahrzehnten arbeiten muss. In allen anderen Bereichen, die mit Patienten arbeiten, passiert dasselbe. Im Bereich der MTAs oder auch bei den Reinigungskräften wird seit Jahren nur noch gespart und »optimiert«, etwa durch Poolbildung. Die Reinigungsbereiche und auch die Küchen werden outgesourct, um Geld zu sparen. MTA-Stellen, sowohl in der Radiologie wie auch in den Laboren, werden, wenn überhaupt, erst mit langer Verzögerung wiederbesetzt. Aber der Betrieb muss 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr laufen.
Moiken Wolf, Hannover
Migrationspolitik nicht zynischen Autokraten überlassen
Heft 46/2021 Leitartikel: Ohne Zaun
Wer einseitige Wirtschaftsverträge zum Beispiel mit afrikanischen Staaten schließt, wer Ressourcen von Schwellen- und Entwicklungsländern ausbeutet, deren Erträge den Bevölkerungen nur zum geringen Teil zur Verfügung stehen, wer seinen Wohlstand ohne Rücksicht auf Klimaveränderungen bis heute unvermindert zu mehren sucht und mit Waffen gute Geschäfte macht, darf sich nicht über daraus resultierende Migration wundern. Ob vor Terror oder Verfolgung Asyl Suchende, ob Wirtschafts- oder Klimaflüchtlinge, allen ist gemeinsam, dass sie für sich das Leben suchen, das wir ihnen in breiter Kommunikation zumindest medial tagtäglich zeigen.
Deodat von Eickstedt, Garbsen (Nieders.)
Danke für diese ungeschminkte Einschätzung. Es hilft alles nichts: Wenn die Länder der EU ihre Migrationspolitik nicht Schlepperbanden und zynischen Autokraten überlassen wollen, muss Europa wohl oder übel eingezäunt werden. Die moralisierenden Deutschen, deren Land oft das eigentliche Ziel von Migration ist, können insgeheim froh sein, wenn Länder mit EU-Außengrenzen ihnen die unangenehme Arbeit abnehmen. Auf dieser Basis könnte dann eine pragmatische und humanitäre Migrationspolitik à la Kanada aufgesetzt werden.
Dr. Norbert Schupp, Aschaffenburg
Wo ist die Streitkultur geblieben?
Heft 46/2021 Bis an die Schmerzgrenze
Am Tag der Nichtnominierung Robert Habecks zum Kanzlerkandidaten war die Wahl für die Grünen schon verloren. Mit Habeck und einem viel offensiveren Wahlkampfgeist mit der Aussage, dass Veränderungen auch Spaß machen und sich gut anfühlen können, wären garantiert die Grünen die stärkste Partei geworden. Sie hätten nicht nur den Kanzler gestellt, sondern auch die Gesellschaft dort abgeholt, wo große Teile beziehungsweise eine demokratische Mehrheit – und auch große Teile der Wirtschaft – längst sind und doch nur darauf warten, dass Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Energie- und Verkehrswende endlich in Angriff genommen und umgesetzt werden. Wieder vier Jahre verloren! Habeck ist ein politisches Ausnahmetalent.
Thomas Tietz, BielefeldKleine Anleihe vom 20. 11. 2017: »Es ist besser, nicht zu regieren, als mit der FDP falsch zu regieren.«
Dr. Wolfgang Zängl, MünchenDie Kanzlerkandidatin und Co-Vorsitzende der Grünen hat es tatsächlich geschafft, die sensationellen Umfragewerte von
26 auf knapp 15 Prozent runterzuziehen – Respekt! Wo ist die Streitkultur der Grünen geblieben? Eine offene und kritische Auseinandersetzung findet öffentlich nicht statt. Hat die Gier nach Macht die Grünen sprachlos und kritikunfähig gemacht? Willkommen im Opportunismus.
Robert Falkiewicz, Hameln (Nieders.)
Nö, Herr Joop
Heft 46/2021 »Wenn einer sich schlampig anzieht, denkt er auch schlampig«
Wenn ein Arbeitgeber Zimmerschlüssel weitergibt an reiche Männer, weil die Mitarbeiterin nicht genug Geld einbringt, nennt man das keine Sünde. Jetzt noch so salopp über diese fürchterliche kriminelle Vorgehensweise der Agenturen zu sprechen beweist einen moralischen Tiefstand.
Pauline Delsing, Bergheim (NRW)In Zeiten, in denen die normale Routine bedeutet, morgens erst einmal die Coronalage zu checken, feiere ich verbale Ablenkung jeder Art. Danke, Wolfgang Joop, für diese treffenden Sätze zum Kleidungsstil Angela Merkels, über Blazer, die Stabilität signalisieren, einen nicht wirklich vorteilhaften Jackenschnitt in 117 Farben und eine dabei letztlich unangreifbare Outfitstrategie. Pointiert, präzise und herrlich.
Rita Weiland, NürnbergNö, Herr Joop. Maßlosigkeit gehört nicht zur genetischen Ausstattung des Menschen. Und gierig wird man nur, wenn man einfach nicht genug kriegen kann. Das »Biest Mensch« ist nicht zu ändern? Zu diesem Schluss kann man sicher kommen – sofern man unter Biestern lebt. Da hat sich ein selbstverliebter Modedesigner wohl selbst enthüllt.
Rita Specht, Mechterstädt (Thür.)Man muss nun wirklich kein Verfechter von Political Correctness und #MeToo sein, um solche Schwärmereien über die guten alten Zeiten, in denen die komplette Modebranche einschließlich der Models käuflich waren, als peinlich zu empfinden.
Gerhard Leverkinck, Ochtendung (Rhld.-Pf.)Auch wenn es leider wohl »üblich« war (ist?), Models an reiche Männer zu »verkaufen«: Ich hätte von Herrn Joop Empathie für die Betroffenen sowie deutliche Kritik an diesem widerlichen Umgang erwartet. Stattdessen trauert er den »geilen« Zeiten nach.
Martina Mangels, Hamburg
Heft 46/2021 Querdenken mit AOK
Die Globuli-Homöopathie ist mir schon immer suspekt. Sie bietet jedoch psychologische Krankenbehandlung, für die sich der Kassenarzt im bestehenden Honorarsystem wohl keine Zeit nehmen kann. Also: statt Geld für Globuli mehr Zeit für den Hausarzt!
Bernhard Saß, Mücka (Sachsen)
Heft 46/2021 Wie der Menschenschmuggel des belarussischen Diktators Lukaschenko an die EU-Grenzen funktioniert
Die Bundesregierung könnte Polen bitten, seine Ostgrenze für einen Korridor zu öffnen, durch den die Flüchtlinge nach Deutschland gebracht werden. Mit einer solchen humanitären Maßnahme wären auf einen Schlag deren Elend ebenso wie die akute internationale Spannung behoben.
Prof. Dr. Helmut Dahmer, Wien
Heft 46/2021 Besuch im Dorf der Impfrebellen
Es sind die kleinen, konservativ geprägten Kantone, die gegen alles, was nach Obrigkeit und Bevormundung schmeckt, opponieren, wenn es nicht gerade Unterstützung für Landwirtschaft, Armee oder Folklore bedeutet, im Sinne eines pervertierten Freiheitskampfes à la Wilhelm Tell.
Dr. med. Andreas Abplanalp, Meiringen (Schweiz)
Ein klassischer Narzisst
Heft 46/2021 »Niemand soll erleben, was ich erlebt habe«
Auch Kinder aus unserer Grundschule waren bei Dr. Winterhoff in Behandlung. Allein schon aufgrund seines Buchs und des daraus hervorgehenden Menschenbildes habe ich den Eltern dringend von einem Besuch abgeraten. Leider waren viele völlig verblendet von diesem Halbgott in Weiß, der sich in Talkshows zu inszenieren verstand und ein Bild der heutigen Kinder- und Elterngeneration entwarf, dem anscheinend viele zustimmen.
Janina Kreutz, Brodenbach (Rhld.-Pf.)Leider können wir einen Großteil der Erfahrungen der genannten Jugendlichen und die Analyse und Beurteilung von Herrn Renz-Polster als betroffene Eltern einer psychisch kranken Tochter nur bestätigen. Ein unterfinanziertes, inkompetentes System, in gegenseitiger Abhängigkeit verbunden. Unsere Hoffnung ist, dass dieser unsägliche Mensch (Winterhoff) nicht als erschreckender Einzelfall behandelt wird, sondern wirklich einmal das System angeschaut und geändert wird.
Simone Dress, WormsMultiprofessionell, fachlich breit aufgestellte Heime mit Trägern, die sich an den individuellen Lebensgeschichten und Bedarfen der Kinder orientieren, gibt es viel zu wenig. Als Sozialarbeiter in einem Jugendamt gehe ich unter in Bürokratie und Vorschriften. Meine Fachlichkeit wird zunehmend irrelevant, Kontakte zu Jugendlichen und Heimen werden geradezu zwangsläufig vernachlässigt. Also werden Träger belegt, die sich – und sei es mit zweifelhaften Methoden – auf die individuellen und herausfordernden Bedarfe einlassen.
Jochen Schulz, HamburgIch habe mehrere Bücher von Herrn Winterhoff gelesen. Davon abgesehen, dass er immer denselben Brei verkauft, schreibt er so geringschätzig über Kinder, dass ich ihm keines anvertrauen würde. Wenn man ihn dann noch bei YouTube betrachtet, sieht man einen klassischen Narzissten. Leider sind diese in der Psychobranche keine Seltenheit.
Julia Kull, Berlin
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