
Eskimo-Dorf Kivalina: Das Meer rückt näher
Die Welt verstehen Hilfe! Wir versinken im Meer!
Wenn Sam Pech hat, dann fällt in diesem Herbst die Schule aus. Und im Winter auch.
Eigentlich klingt das toll: monatelang schulfrei. Aber für Sam, seinen Freund Jared und für alle anderen Kinder aus dem Dorf wäre das eine schlechte Nachricht: Denn wenn die Schule erst mal dichtmacht, wird es auch den Rest vom Dorf nicht mehr lange geben.
Sam ist ein Eskimojunge, elf Jahre alt, er lebt im kleinen Dorf Kivalina im Nordwesten von Alaska im arktischen Eis. Sam besitzt ein eigenes Schneemobil, das ist so eine Mischung aus Motorrad und Schlitten. Im Winter jagen Sam und Jared damit durchs Dorf, der Winter dauert hier neun Monate. In den drei Sommermonaten fahren sie auf einer Geländemaschine herum, nach einem Führerschein fragt keiner. Es gibt keine Polizei im Dorf.
Manchmal begleitet Sam seinen Vater auf die Jagd, die meisten Familien besorgen sich ihr Essen selbst. Ihnen schmeckt glibberiges Walfleisch besser als Pommes. Die Eskimos von Kivalina leben beinahe noch genau so, wie ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern gelebt haben: Sie jagen Robben, fangen Fische oder schießen Rentiere.
Jedes Jahr rückt das Meer näher
Doch in den letzten Jahren hat sich in Kivalina etwas verändert: Das ganze Dorf könnte ins Meer gespült werden, denn jedes Jahr im Herbst kommen Stürme über das Meer, die Wellen schlagen gegen den Strand und spülen den Sand fort. Der Strand wird immer schmaler: Schon jetzt sind es nur noch gute zehn Meter von der Turnhalle bis zum Wasser. Und jedes Jahr rückt das Meer näher. Schon bald wird die Schule einfach ins Wasser rutschen.
Das Dorf Kivalina liegt auf einer sehr schmalen Insel im Polarmeer. Im Winter tragen die Kinder dicke Pelzkragen und Schuhe aus warmem Robbenfell. Das Meer rings um die Insel ist dann fest zugefroren. Man könnte darauf spazieren gehen. Weil in der Gegend aber hin und wieder Eisbären nach Beute suchen, lässt man das besser.
Im Sommer wird es selten wärmer als zehn Grad, dann laufen die Kinder bereits im T-Shirt draußen herum. Sie finden zehn Grad echt warm. Im Herbst friert die See normalerweise wieder zu. Seit ein paar Jahren aber kommt das Eis später, die Sommer dauern länger. Das liegt an der Erderwärmung. Wegen der Umweltverschmutzung steigt überall auf der Erde die Temperatur ein bisschen, um fast ein Grad in den letzten Jahren. Am Nord- und am Südpol sogar noch mehr, fast zwei Grad im Durchschnitt.
Das klingt nach nicht sehr viel, aber Sam kann die Folgen schon direkt spüren: Weil das Meer erst später zufriert, können die Stürme im Herbst das Wasser richtig aufpeitschen. Die Wellen klatschen dann an den Strand und spülen den Sand ins Meer. Bei einem zugefrorenen Meer könnte das nicht passieren: Der Wind würde einfach darüber hinwegfegen.
Wie lange hält der neue Deich noch?
Vor drei Jahren haben sich die Einwohner von Kivalina einen Deich aus großen Sandsäcken gebaut. Aber schon der erste Sturm warf die Säcke einfach um. Im letzten Sommer versuchten sie es mit großen Felsbrocken. Wie lange der neue Deich hält, weiß noch keiner.
Im vergangenen Jahr schickte das Dorf eine Klage an ein Gericht in Kalifornien. In dem amerikanischen Bundesstaat haben viele Firmen, die irgendwie mit schuld sind an der Erderwärmung, ein Büro. Ölfirmen und große Stromhersteller beispielsweise.
Die Eskimos werfen ihnen vor, jahrelang die Umwelt verschmutzt zu haben - obwohl sie wussten, dass ihre Abgase schädlich für das Klima sind. Jetzt wollen die Eskimos erreichen, dass die Ölfirmen ihnen ein neues Dorf bauen - an einer Stelle, an der es nicht so gefährlich ist.
Die Ölfirmen wollen das natürlich überhaupt nicht. Denn wenn die Eskimos von Kivalina den Prozess gewinnen, dann werden noch eine Menge anderer Leute gegen die Ölfirmen klagen: ein Skiort etwa, in dem die Touristen wegbleiben, weil im Winter zu wenig Schnee liegt. Die Ölfirmen wollen den Prozess auf jeden Fall verhindern. Sie sagen nun, das Gericht sei gar nicht zuständig. Sie sagen, Kivalina habe gar kein Recht zu klagen.
Das Gericht sah das genauso: Es hat die Klage nicht angenommen und erklärte, dass die Vorwürfe der Eskimos von Politikern geklärt werden müssten und nicht von Richtern. Das Dorf überlegt jetzt, ob sie gegen das Gericht klagen sollen.
Vielleicht hält der neue Deich ja so lange. Vielleicht haben Sam und Jared Glück, und ihre Schule bleibt noch stehen.