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Boxweltmeisterin Kentikian: Wie Susi zur "Killer Queen" wurde

Foto: Martin Rose/ Bongarts/Getty Images

Als ich Kind war Ich habe mich durchgeboxt

Die dreifache Boxweltmeisterin Susianna Kentikian, 22, suchte als Kind gemeinsam mit ihrer Familie in Deutschland Asyl. Durch ihre Erfolge im Boxen erkämpfte sie sich das Aufenthaltsrecht in Deutschland. In Dein SPIEGEL, dem Nachrichtenmagazin für Kinder, erzählt die Fliegengewichtlerin von ihrem schwersten Kampf.
Von Alexandra Frank

Ich habe eine schöne Wohnung, reise zu Boxkämpfen rund um die Welt und habe einen deutschen Pass. Noch vor zehn Jahren war all dies für mich unvorstellbar. Denn da lebte ich mit meiner Familie in einem Heim für Asylbewerber, und wir wussten nicht, ob wir in Deutschland würden bleiben können.

Ich stamme aus Jerewan, das ist die Hauptstadt Armeniens. Als ich klein war, herrschte dort Krieg. Wir hatten Angst, und so beschlossen meine Eltern, nach Deutschland zu fliehen. Mein Vater wollte seine Familie schützen.

Ich kann mich nicht mehr gut an die erste Zeit in Deutschland erinnern, denn damals war ich gerade einmal fünf Jahre alt. Wir wurden in einem Asylbewerberheim in Berlin untergebracht. Ich weiß nur noch, dass wir Heimweh hatten. Wir fühlten uns fremd und verstanden die deutsche Sprache nicht. Deshalb verließen wir Deutschland zunächst wieder und gingen nach Moldawien und dann nach Russland.

Leider wurde meine Mutter krank, und weil mein Vater dachte, dass Deutschland bessere Ärzte hat, zogen wir noch einmal hierher. Wir kamen nach Hamburg, da war ich sieben Jahre alt. Zunächst haben wir auf einem Flüchtlingsschiff gewohnt, das "Bibby Altona" hieß. Es lag an der Elbe und schwankte immer auf dem Wasser.

Viele Menschen auf engstem Raum

Das hört sich vielleicht romantisch an, aber es war nicht schön. Wir mussten uns zu viert ein Zimmer teilen. Es war sehr klein, mit nur einem Schrank, einem Tisch und zwei Doppelstockbetten. Ich durfte oben schlafen. Viele Sachen hatten wir nicht dabei, nur das Nötigste. Wir waren ja auf der Flucht. Ich weiß noch, dass auf dem Schiff viele verschiedene Menschen aus allen Ländern untergebracht waren: Afrikaner, Russen, Asiaten. Jeder hatte eine schlimme Geschichte hinter sich, war vor Krieg, Hunger oder Elend geflohen, deshalb war niemand richtig fröhlich.

Bevor wir uns einleben konnten, wurden wir in das nächste Heim gesteckt. Wir hatten wieder ein Zimmer zu viert, die Küche und das Bad mussten wir uns mit den anderen Bewohnern teilen. In der Küche und im Flur hat es oft furchtbar gestunken. Kein Wunder, wenn so viele Menschen auf engstem Raum zusammenleben.

Trotzdem haben wir versucht, es uns gemütlicher zu machen. Mein Vater hat uns ein rotes Sofa besorgt, und wir haben Bilder aufgehängt. Kino, essen gehen, Markenklamotten waren nicht drin, aber meine Mutter hat mich immer herausgeputzt. Und meine Eltern, mein Bruder und ich haben uns gegenseitig Halt gegeben. Wir waren froh, uns zu haben.

Richtig zu Hause waren wir aber immer noch nicht. Wir hatten noch keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Deshalb mussten wir immer mit der Angst leben, plötzlich nach Armenien abgeschoben zu werden. Als ich älter wurde, hat mich das sehr wütend gemacht. Ich war unruhig, nervös, sauer - und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Dann habe ich eines Tages, als ich zwölf Jahre alt war, meinen Bruder zum Boxtraining begleitet - und bin gleich geblieben. Der Trainer meinte, ich hätte Talent und hat mich sehr gefördert. Beim Boxen konnte ich mich richtig auspowern. Das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt.

In letzter Minute der Abschiebung entkommen

Trotzdem wäre unser Traum, in Deutschland zu bleiben, fast geplatzt. Eines Nachts klopfte plötzlich die Polizei an unsere Tür. "Aufmachen!", schrien sie. Sie wollten uns abschieben. Wir konnten gerade noch ein paar Sachen zusammenpacken, da setzten sie uns schon in ein Auto und fuhren uns zum Flughafen. Zum Glück konnte ich noch meinen Trainer anrufen. Er und ein paar andere Leute haben sich sehr für uns eingesetzt, und die Abschiebung konnte in letzter Minute verhindert werden. Nach dieser Nacht haben wir viele Wochen nicht mehr gut geschlafen und hatten Angst, dass sich das wiederholt.

Gott sei Dank ging es von da an bergauf. Mein Vater und mein Bruder fanden Arbeit. Auch ich habe als Jugendliche nach der Schule gearbeitet. Ich habe geputzt und natürlich geboxt. Ich wurde immer erfolgreicher: Hamburger Meisterin, Norddeutsche Meisterin, Deutsche Meisterin und schließlich Weltmeisterin.

Irgendwann beschlossen die Behörden, uns eine Aufenthaltsgenehmigung zu geben. Meine Eltern wohnen heute in einer schönen Wohnung, und ich habe sogar einen deutschen Pass. Für mich ist dieser Erfolg nicht selbstverständlich. Ich habe sehr dafür gekämpft.

Dieser Text ist ein Beitrag aus "Dein SPIEGEL - einfach mehr wissen", dem Nachrichtenmagazin für neugierige Kinder. Dein SPIEGEL berichtet über Politik und Kultur, über Themen aus Natur und Technik, über Sport und Spannendes aus aller Welt - immer unterhaltsam für junge Leser erzählt und erklärt. Das Inhaltsverzeichnis gibt es hier, bekommen kann man das Heft hier- und überall im Zeitschriftenhandel.

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