Raus hier! Abschiebung aus Deutschland

Vor sieben Jahren zog Samir, 13, in die Bundesrepublik. Hier ist jetzt sein Zuhause. Doch weil seine Mutter sich nicht an das Gesetz gehalten hat, soll er Deutschland verlassen.
Von Boris Breyer

Samir schnappt sich einen Ball, kickt ihn in die Luft, lässt ihn auf den Kopf springen, auf die Schultern, nie fällt der Ball auf den Boden: "Das habe ich auf dem Bolzplatz gelernt", sagt er stolz, "bei 128-mal liegt mein Rekord."

Samir stammt aus Aserbaidschan, einem kleinen Land zwischen Russland und Iran. Und er kann so gut Fußball spielen, dass die Talentscouts vom FC St. Pauli ihn entdeckten. Jetzt hat er sogar die Chance, Profi zu werden.

Doch das wird vielleicht nie passieren.

Der Grund dafür liegt auf dem Tisch in seinem Zimmer: ein Brief von der Ausländerbehörde Hamburg. Darin steht, dass Samir und seine Familie Deutschland verlassen müssen. Deutschland schmeißt Samir raus. Der Mann von der Behörde habe es so gesagt: "Das Training kannst du dir sparen, in Deutschland hast du so oder so keine Zukunft!"

Samir und seine Mutter kamen als Flüchtlinge hierher. Es gibt sehr, sehr viele Länder, aus denen Menschen fliehen. Und es gibt sehr viele Gründe für die Flucht: weil sie der Armut entkommen wollen, weil Krieg herrscht oder weil man seine Meinung nicht sagen darf. Jedes Jahr fliehen Hunderttausende Menschen aus ihrer Heimat. Und viele versuchen, irgendwie in die reichen Länder zu kommen, zum Beispiel nach Deutschland.

Die deutsche Regierung hat Angst, dass zu viele Flüchtlinge in Deutschland wohnen und arbeiten wollen. Deshalb hat sie strenge Regeln aufgestellt.

Die Mutter bezahlte einen Schmuggler

Wer hier auf Dauer bleiben will, muss eine Aufenthaltsgenehmigung haben, und die ist schwer zu bekommen. Oder er muss direkt nach der Einreise einen Antrag auf Asyl stellen. Der wird dann monatelang geprüft. Der Flüchtling muss beweisen, dass er in seiner Heimat verfolgt würde, ins Gefängnis käme oder sogar getötet würde. Wenn die deutschen Behörden ihm das glauben, darf er hierbleiben.

Das ist schwer zu beweisen. Im Jahr 2009 stellten 27.649 Menschen einen Antrag. Nur 452 Flüchtlingen wurde Asyl gewährt.

Samir und seine Mutter kamen vor sieben Jahren ohne Einreiseerlaubnis nach Deutschland. Samirs Vater war gewalttätig, die beiden wollten weg von ihm. Aber der Vater war von Beruf Polizist - deshalb konnten die beiden nicht einfach zur Polizei gehen. Irgendwann kratzte die Mutter ihr letztes Geld zusammen und bezahlte einen Schmuggler. Der brachte sie erst in die Türkei, dann nach Deutschland.

Bei der Ankunft auf dem Flughafen hatte die Mutter keine Ausweise im Gepäck. Das ist in Deutschland verboten, die Polizei nahm die Mutter fest.

Aber man kann Flüchtlinge ohne Pass nicht einfach zurückschicken: Erst muss geklärt sein, aus welchem Land sie kommen und ob das Land sie überhaupt aufnimmt. Das kann Monate, sogar Jahre dauern. Bis dahin werden die Flüchtlinge von der deutschen Regierung geduldet - müssen dafür aber alle paar Monate einen neuen Antrag stellen. Das betrifft etwa 10.000 Menschen in Deutschland.

Samir kann sich an seinen Geburtsort kaum noch erinnern

Samir nutzte die Zeit. Er hat die Sprache gelernt, geht zur Schule, spielt im Fußballverein. "Deutschland ist jetzt meine Heimat", sagt Samir. Er kennt niemanden mehr in Aserbaidschan. Samir ist jetzt ein Hamburger aus Aserbaidschan. Seine Freunde sind deutsch, er geht in die 7. Klasse eines Gymnasiums und hat einen Notendurchschnitt von 2,0.

An seinen Geburtsort kann er sich kaum noch erinnern: "Was ich nicht vergessen werde, sind die kaputten Autos, die Schlaglöcher und dass überall Müll rumlag."

Fälle wie Samir gibt es Tausende - Kinder, die hier leben, 10, 15, manchmal 20 Jahre lang. Die gut in der Schule sind und einen nützlichen Beruf lernen wollen. Und die doch ständig vor der Frage stehen: Darf ich bleiben - oder muss ich gehen?

"Ich will Profi werden, mit Fußball Geld verdienen, damit meine Familie in Deutschland leben kann", sagt Samir trotzig. Die Behörde macht es ihm nicht leicht.

Weil Samir nur "geduldet" ist, darf er Hamburg nicht verlassen. Bei Auswärtsspielen braucht er eine Extra-Genehmigung.

Wenn die Duldung endgültig abläuft, muss Samir innerhalb von wenigen Tagen in ein Flugzeug Richtung Aserbaidschan steigen. Davor hat er Angst. Er muss sich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Samir kann nicht verstehen, wieso nur Papiere zählen. Er will einfach nur das tun, was er am besten kann: Fußball spielen. Wie Ronaldo, Rooney oder Özil. Die spielen in Spanien oder England - Länder, von denen Samir nur träumen kann. Seine nächste große Reise könnte die Abschiebung sein - in ein fremdes Land, das Aserbaidschan heißt.

"Wir sollen raus!" - Wie Samir sollen auch Angelika, 13, und Marija, 14, Deutschland verlassen. Dem Nachrichtenmagazin für Kinder "Dein SPIEGEL" erzählten sie von ihrer Angst vor der Abschiebung:

Dieser Text ist ein Beitrag aus "Dein SPIEGEL - einfach mehr wissen", dem Nachrichtenmagazin für neugierige Kinder. Dein SPIEGEL berichtet über Politik und Kultur, über Themen aus Natur und Technik, über Sport und Spannendes aus aller Welt - immer unterhaltsam für junge Leser erzählt und erklärt. Das Inhaltsverzeichnisgibt es hier , bekommen kann man das Heft im SPIEGEL-Shop - und überall im Zeitschriftenhandel.

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