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Amos ist Rollstuhl-Skater »Ich habe einen Action-Drang«

Im Rollstuhl über Rampen fliegen oder ein paar Treppenstufen runterspringen? Für Amos, 11, ist das kein Problem. Hier erzählt er von seinem Sport: dem Wheelchair Motocross.
Von Pia Saunders

Wenn Amos mit seinem Rollstuhl über eine der Rampen in der Skate-Halle rast, ist er so schnell, dass der Rollstuhl sogar ein bisschen abhebt. »Hast du das gesehen?«, ruft er seinem Vater zu. »Ich mach das noch mal.« Und zack, nimmt er Schwung und fährt die Rampe wieder hoch. Auf den letzten Metern schiebt ihn sein Vater an, damit er nach ganz oben kommt. Oft schafft es Amos aber auch allein: Er nutzt den Schwung einer Abfahrt, um auf die gegenüberliegende Rampe zu kommen.

Heute hat Amos viel Platz, um neue Tricks auszuprobieren: Einmal im Monat haben die WCMX-Fahrer die Skate-Halle im Heizhaus Leipzig für sich. WCMX, das steht für Wheelchair Motocross. So heißt die Sportart, die Amos als einer von sehr wenigen in Deutschland macht. Sie wird auch Rollstuhl-Skating genannt. Dabei zeigen Menschen, die im Rollstuhl sitzen, coole Tricks: Sie springen Treppen runter oder rasen über Rampen.

Dein SPIEGEL: Ideen für eine bessere Schulzeit

Lehrermangel, schlechte Ausstattung, ein veraltetes Noten-System – von vielen deutschen Schulen ist mehr Negatives als Positives zu berichten. Dabei könnte es fairer und zeitgemäßer laufen: In der Titelgeschichte des Kinder-Nachrichtenmagazins »Dein SPIEGEL« geht es um Schulen, die gute Beispiele abgeben. Außerdem: Bundesminister Cem Özdemir spricht mit Kinderreporterinnen über Ernährung. Das Magazin gibt es am Kiosk. Eltern können das Heft auch online kaufen:

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Einige Rollstuhl-Skaterinnen und -Skater können sogar einen Handplant, eine Art Handstand, bei dem sie sich mit einer Hand vom Boden abstützen. Andere machen Backflips oder Frontflips. Das sind Rückwärts- oder Vorwärtsrollen in der Luft – mit dem Rollstuhl! Solche krassen Tricks hat der elfjährige Amos noch nicht ausprobiert. Aber er ist schon auf den Geschmack gekommen: »Mir gefällt es, dass ich beim WCMX Dinge machen kann, die man normalerweise im Rollstuhl nicht macht«, sagt er.

Im Gleichgewicht: Amos macht einen Wheelie. Dafür kippelt er auf den Hinterrädern seines Rollstuhls. Mit den Händen am Greifreifen hat er alles unter Kontrolle.

Im Gleichgewicht: Amos macht einen Wheelie. Dafür kippelt er auf den Hinterrädern seines Rollstuhls. Mit den Händen am Greifreifen hat er alles unter Kontrolle.

Foto: Charlotte Sattler / Dein SPIEGEL

Wegen einer Krankheit ist Amos seit seiner Geburt vom Bauchnabel abwärts gelähmt. Das heißt, dass er seine Beine nicht bewegen kann. Deswegen sitzt er im Rollstuhl. »Aber ich habe einen Action-Drang und wollte mich einfach schon immer viel bewegen«, erzählt Amos. Das merkt man, wenn er redet. Dann fährt er mit seinen Händen durch die Luft. Oder er macht einen Wheelie, indem er nur auf den Hinterrädern seines Rollstuhls balanciert.

Im Flug: Wenn Amos mit seinem Rollstuhl von einer Rampe aus über eine andere fährt, ist er so schnell, dass er sogar ein bisschen abhebt.

Im Flug: Wenn Amos mit seinem Rollstuhl von einer Rampe aus über eine andere fährt, ist er so schnell, dass er sogar ein bisschen abhebt.

Foto: Charlotte Sattler / Dein SPIEGEL
In Sicherheit: Beim WCMX braucht man nicht nur Mut. Amos überlegt lange, ob er diese steile Rampe hinunterfahren soll. Eine gute Selbsteinschätzung schützt vor Verletzungen.

In Sicherheit: Beim WCMX braucht man nicht nur Mut. Amos überlegt lange, ob er diese steile Rampe hinunterfahren soll. Eine gute Selbsteinschätzung schützt vor Verletzungen.

Foto: Charlotte Sattler / Dein SPIEGEL

Mit fünf Jahren entdeckt Amos das Rollstuhl-Skating bei einem Workshop. Der Sport gefällt ihm sofort – und der Trainer auch. David Lebuser leitet die Workshops. David ist selbst Rollstuhl-Skater und hat den Sport vor knapp zehn Jahren aus den USA nach Deutschland gebracht. Er schätzt, dass inzwischen rund 50 Menschen in Deutschland regelmäßig mit ihrem Rollstuhl skaten gehen. Es gibt in mehreren deutschen Städten WCMX-Treffen, bei denen die Rollstuhl-Skaterinnen und -Skater die Hallen für sich haben. Auch Wettbewerbe werden organisiert.

An einigen dieser Wettbewerbe hat Amos schon teilgenommen. Erst vor Kurzem hat er gezeigt, was er im Rollstuhl alles kann: Beim »Wheelchair Skills Day« in Köln holte Amos den ersten Platz. In nur 43 Sekunden jagte er mit seinem Rollstuhl durch einen Parcours: im Slalom um kleine Pfosten, eine Rampe hoch und wieder runter, über einen Kiesweg und ein dickes Seil, das wie eine Schlange am Boden lag. Damit war Amos der schnellste Teilnehmer – und das, obwohl er nicht in der Gruppe der Kinder, sondern sogar bei den Erwachsenen angetreten ist. Auch sein Vorbild David Lebuser hat Amos geschlagen, der wurde Zweiter. »Aber das war eigentlich kein richtiges Rollstuhl-Skating. Der Parcours hat mehr an Alltagssituationen erinnert«, sagt Amos.

Auch darum gehe es beim WCMX, erklärt David Lebuser: »Die Kids lernen durch das Skaten ihren Rollstuhl besser kennen und werden dadurch sicherer. Das kann im Alltag helfen.« Zum Beispiel wenn man einen Kiesweg überqueren muss.

Voll schräg: Amos rollt hier durch einen Skatepark in Leipzig. Meistens skatet er aber in der Halle. Einmal pro Monat sind die Rollstuhl-Skater dort unter sich.

Voll schräg: Amos rollt hier durch einen Skatepark in Leipzig. Meistens skatet er aber in der Halle. Einmal pro Monat sind die Rollstuhl-Skater dort unter sich.

Foto: Charlotte Sattler / Dein SPIEGEL

Trotzdem sieht es manchmal fast ein bisschen gefährlich aus, wie Amos da durch die Halle fegt. Ob er auch mal Angst beim Rollstuhl-Skaten hat? »Kommt drauf an«, sagt er, »je nachdem, was für einen Trick ich mache.« Beim Rollstuhl-Skating sollte man immer Schutzausrüstung tragen. Amos' türkisfarbener Helm ist relativ neu. »Das war der erste Preis bei einem Skate-Video-Contest, den ich gewonnen habe«, erzählt er stolz. »Da wurde ich beim Skaten gefilmt, und mein Video hat gewonnen.« Einige der anderen Kinder und Jugendlichen tragen auch Knie- oder Ellenbogen-Schoner.

Amos möchte lernen, noch besser auf der Seite zu kippeln.

Amos möchte lernen, noch besser auf der Seite zu kippeln.

Foto: Charlotte Sattler / Dein SPIEGEL

Die meisten kennen sich untereinander, weil die Szene nicht so groß ist. »Viele meiner Freunde sitzen im Rollstuhl«, erzählt Amos. »Ich versuche immer, sie zum WCMX zu motivieren. Beziehungsweise eigentlich zwinge ich sie. Jeder sollte das mal ausprobieren.« Amos lacht, dann fährt er wieder los, eine neue Rampe hoch. Bei dieser einen ist er sich aber noch nicht sicher, ob er sie heute runterfahren wird. »So eine steile Rampe bin ich noch nie gefahren«, sagt er.

Bei vielen Kinder-Rollstühlen sind die Räder etwas nach innen geneigt, das ist sicherer.

Bei vielen Kinder-Rollstühlen sind die Räder etwas nach innen geneigt, das ist sicherer.

Foto: Charlotte Sattler / Dein SPIEGEL

Immer wieder fährt er in seinem Rollstuhl an der Kante vor und zurück, beugt sich hinüber, guckt nach unten. Soll er es wirklich wagen? Amos zögert. »Es wäre einfacher, wenn mich nicht alle angucken würden«, sagt er. Tatsächlich sehen alle in der Skatehalle zu Amos rüber. Einige der Rollstuhl-Skaterinnen und -Skater haben Freunde oder Familienmitglieder dabei. Sie filmen sich gegenseitig, geben sich Tipps und feuern sich an. Als Amos zögert, die steile Rampe runterzufahren, ruft sein Freund Matze zu ihm rüber: »Amos, wenn du es dir nicht zutraust, dann lass es.«

Amos gibt nach. »Ich probiere gerne neue Dinge aus«, sagt er. »Aber jetzt habe ich da irgendwie zu lange drüber nachgedacht. Es ist besser, wenn man einfach fährt.« Stattdessen rollt er eine andere Rampe runter und übt dann, seitlich auf einem der Rollstuhl-Räder zu fahren: »Das will ich auch noch lernen», sagt er, »das sieht einfach cool aus.«

Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 01/2021.

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