
Missglückter Laschet-Auftritt Stellen Kinderreporter wirklich die besseren Fragen?


Laschet im Kinderinterview bei »Late Night Berlin« (hier geht’s zur Sendung)
Vor Kurzem begleitete ich ein Kinderinterview mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. In der Redaktion hatten wir uns schon in etwa überlegt, in welche Richtung das Gespräch gehen könnte. Wir hatten Herrn Schuster angefragt, weil die Zahl antisemitischer Angriffe in Deutschland steigt. Unsere Kinderreporter Johann, 11, und Alma, 13, sollten sich also einige Fragen zum Thema Antisemitismus ausdenken. Wie immer sagten wir auch dazu, dass sie alles fragen können, was sie interessiert.
Alma stellte Herrn Schuster eine Frage, die ihn ins Grübeln brachte: Wann hat Ihnen Ihr Amt zum letzten Mal Freude bereitet? Herr Schuster musste lange überlegen. Diese Frage hatte er offensichtlich noch nie gehört. Alma war etwas gelungen, woran viele erfahrene Journalistinnen und Journalisten scheitern: Sie hat nicht das Klein-Klein der tagesaktuellen Berichterstattung bedient, sondern eine grundsätzlichere Frage gestellt.
Ähnliche Momente konnte man in den letzten Tagen mehrfach beobachten. Annalena Baerbock musste gegenüber einer Schulklasse ihr Wahlprogramm in einem Satz zusammenfassen. Tino Chrupalla offenbarte mangelhafte Deutsch-Kenntnisse . Und Armin Laschet kam im Gespräch mit zwei Elfjährigen noch mehr ins Straucheln als vor ein paar Monaten bei Markus Lanz .
Schon lustig: Diejenigen, die bei der anstehenden Bundestagswahl nicht mitentscheiden dürfen, retten gerade die Wahlberichterstattung. Kinder schaffen es, Politikerinnen und Politiker auf eine Art und Weise herauszufordern, wie es den Moderierenden der bisherigen TV-Duelle bisher kaum gelungen ist.

Die Neuen kommen!
Die kommende Bundestagswahl ist auch für Kinder ein spannendes Ereignis. In der aktuellen Titelgeschichte des Kinder-Nachrichtenmagazins »Dein SPIEGEL« dreht sich alles um die anstehende Wahl. Die jungen Leserinnen und Leser lernen, warum die Stimmen von Oma und Opa dabei besonderes Gewicht haben. Sie erfahren, welche Aufgaben die Politiker und Politikerinnen nach der Wahl anpacken müssen. Und mit einem Test können Kinder spielerisch erkunden, welche Partei wofür steht. Eltern können das Heft auch online bestellen.
Es scheint, als seien Kinder die besseren Journalistinnen und Journalisten. Doch so einfach ist es nicht – das kann ich nach der Begleitung vieler Kinderinterviews sagen. Es stimmt zwar: Kinder stellen Fragen, die sich kein Erwachsener traut zu fragen, weil erfahrene Journalisten zu eitel sind, das Nichtwissen einzugestehen.
Wer fragt da jetzt, das Kind oder die Redaktion?
Kinder schauen zudem mit einem anderen Blick auf die Welt. Während viele Erwachsene sich anscheinend daran gewöhnt haben, dass flüchtende Menschen vor Europas Küsten ertrinken, weil die Einreiseregeln nun mal so streng sind, wie sie sind, sehen Kinder den einzelnen Menschen, der Hilfe braucht. Als Olaf Scholz im Gespräch mit zwei Kinderreportern der ProSieben-Show »Late Night Berlin« versuchte, seine realpolitische Sicht auf die Migrationspolitik zu vermitteln, blickte er in ungläubige Kinderaugen.
»Late Night Berlin« hat aber auch gezeigt: Kinderinterviews sind nur so gut wie die Vorbereitung durch die begleitende Redaktion. Und die Redakteurinnen und Redakteure von »Late Night Berlin« meinten es bei den Interviews mit Laschet und Scholz offenbar besonders gut.
Klar, Laschets Rolle bei der Räumung des Hambacher Forstes gehört hart hinterfragt. Und was Hans-Georg Maaßen noch in der CDU verloren hat, ist genauso diskutabel. Aber dass ein Elfjähriger Herrn Maaßen überhaupt kennt und dazu noch nach der genauen Definition fragt, ob dieser nun ein Nazi oder ein Rechter ist, macht mich stutzig: Wer fragt da jetzt – der Kinderreporter oder die Redaktion durch den Kinderreporter?
Ja, auch ich greife als Redakteur von »Dein SPIEGEL« in Interviewsituationen ein. Zum Beispiel wenn unsere Kinderreporterinnen die Antwort eines Gesprächspartners zwar verstanden haben, ich aber das Gefühl habe, dass jüngere Leserinnen und Leser Schwierigkeiten damit haben könnten. Dann frage ich: Können Sie das noch mal einfacher erklären?
Wie viel Vorbereitung ist zu viel Vorbereitung?
Manchmal sind unsere Kinderreporter auch zu schüchtern, um noch mal nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Das passiert öfter. Denn nicht alle Kinderreporter haben so viel Kameraerfahrung wie Pauline und Romeo von »Late Night Berlin« oder Alexander von »logo!« . Wenn ein Kind kaum ein Wort herausbekommt, vielleicht weil es gerade seinem Lieblingsfußballspieler gegenübersitzt, greife ich also auch ein, um die Situation aufzulockern. Und am Ende bin ich es, der das Interview zusammenschreibt.
Es ist also nicht so, als würden Kinder ungefiltert drauflosfragen. Das Format des Kinderinterviews durchläuft einen redaktionellen Prozess. Deswegen kennzeichnen wir unsere Interviews mit dem Hinweis, dass eine Redakteurin oder ein Redakteur an der Entstehung beteiligt war.
Als Kindermagazin haben wir eine große Verantwortung gegenüber den Kinderreportern sowie unseren Leserinnen und Lesern. Dabei wägen wir ab: Die Kinderreporter sollen beim Interview eine gute Zeit haben. Aber wenn die Kinderreporter zu spezielle oder zu banale Fragen stellen, müssen wir als Redaktion das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenken, damit es auch für andere Kinder spannend und verständlich bleibt.
Wir haben aber auch eine Verantwortung gegenüber der interviewten Person. Denn diese begibt sich in eine Situation, in der sie mehr oder weniger wehrlos ist. Kinderfragen kann man nicht einfach so mit einem »Kein Kommentar« wegbügeln, ohne das Gesicht zu verlieren. Das ist toll, weil überraschende Momente entstehen können wie im Fall von Chrupalla. Die Sache liegt aber anders, wenn Kinder vorgeschoben werden, um fremde Botschaften zu übermitteln.
Wir von »Dein SPIEGEL» geben unseren Kinderreportern immer mit auf den Weg, Fragen aus ihrem Alltag heraus zu entwickeln. Mich hätte beim »Late Night Berlin«-Gespräch mit Laschet zum Beispiel mehr interessiert, ob Pauline und Romeo einen Luftfilter in ihrer Klasse haben und was Herr Laschet dazu gesagt hätte.

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