

Foodwatch-Chef im Kinder-Interview »Es ist voll daneben, Fleisch ›klimaneutral‹ zu nennen«
Dein SPIEGEL: Was war das Überraschendste, das Foodwatch bisher in Essen gefunden hat?
Methmann: Motoröl in Schokolade.
Dein SPIEGEL: Wie haben Sie das entdeckt?
Methmann: Wir geben Lebensmittel in Labore, wo sie untersucht werden, um rauszufinden, was alles drinsteckt. Dabei wurde das Motoröl entdeckt. Es wurde natürlich nicht absichtlich reingerührt. Motoröl kann zum Beispiel von den Maschinen stammen, mit denen der Kakao für die Schokolade geerntet wird. Eklig ist es trotzdem. Wir von Foodwatch besuchen auch Produktionsorte und schauen, ob tatsächlich Kühe auf einer grünen Weide stehen, wie es auf der Käse-Packung abgebildet wird – oder die Tiere doch eher in engen Ställen zusammengepfercht sind.

Chris Methmann, 41, ist der Geschäftsführer von Foodwatch Deutschland. Zum Interview trafen ihn die Kinderreporterinnen Philippine (Mitte) und Meike (rechts) in Berlin. Die riesige Ketchup-Flasche ist ein Kostüm zum Überstreifen. So verkleidet machen die Mitarbeitenden von Foodwatch darauf aufmerksam, dass die würzige Soße viel zu süß ist – auch die Kinderversion.
Foto: Julia Steinigeweg / Dein SPIEGELDein SPIEGEL: Und was macht Foodwatch mit den Erkenntnissen?
Methmann: Wir veröffentlichen Lügen auf unserer Website. Und wir gehen zu Politikerinnen und Politikern. Wir wollen schärfere Regeln, damit nicht mehr so viel getrickst werden kann. Aber leider hören viele Leute in der Politik mehr auf Lobbyisten aus der Industrie, die gegen strengere Lebensmittelgesetze sind. Toll ist, was der Bundesernährungsminister, Cem Özdemir, vor Kurzem gesagt hat. Er will ein Verbot von Junkfood-Werbung, die sich an Kinder richtet. Junkfood ist Essen mit zu viel Fett, Zucker, Salz. Solch ein Verbot fordern wir schon lange.

Dein SPIEGEL
Es gibt Freundschaften, die so innig sind, dass sie Jahrzehnte überdauern oder sogar ein ganzes Leben lang anhalten. Normal ist das aber nicht: Laut Forschenden findet nach rund sieben Jahren jede zweite Freundschaft ihr Ende. In der Titelgeschichte von »Dein SPIEGEL«, dem Nachrichten-Magazin für Kinder, geht es darum, was wahre Freundschaft ausmacht und wie sie sich auch in schwierigen Zeiten erhalten lässt. Das Magazin gibt es am Kiosk, ausgewählte Artikel online. Erwachsene können das Heft auch hier kaufen:
Dein SPIEGEL: Wer bezahlt die Arbeit von Foodwatch?
Methmann: Leute, die uns Spenden geben. Wir nehmen kein Geld von der Regierung oder von Unternehmen. So bleiben wir unabhängig.
Dein SPIEGEL: Warum sind so viele Produkte aus dem Supermarkt ungesund?
Methmann: Die Sachen sind stark verarbeitet. Fertiggerichte muss man nur noch auftauen oder schnell in die Mikrowelle schieben, und, zack, ist das Essen fertig – mit zu viel Salz, zu viel Zucker, zu viel Fett. Das ist nicht gut für den Körper. Selbst frisch zu kochen ist viel besser.
Dein SPIEGEL: Welche Tricks benutzen Hersteller und Supermärkte?
Methmann: Oh, da gibt es so viele. Zum Beispiel werden Süßigkeiten in der Nähe der Kasse platziert, wo man in der Schlange ansteht, sich umschaut und spontan zugreift. Obst aber liegt nicht dort aus. Hersteller bewerben ihre Sachen oft mit falschen Versprechen. Auf der Bonbon-Verpackung steht, dass der Süßkram Vitamine enthalte, damit man glaubt, davon auch mal mehr essen zu können – ist ja mit Vitaminen. Natürlich bestehen Bonbons trotzdem fast nur aus Zucker. Das finde ich besonders dreist.

Marketing-Leute nennen diesen Supermarktbereich, in dem besonders viele Süßigkeiten angeboten werden, die »Quengelzone«.
Foto: Martin Wagner / IMAGODein SPIEGEL: Wie wird bei Essen für Kinder getrickst?
Methmann: Die Verpackungen sind farbenfroh, oft sind Maskottchen in der Werbung oder Comic-Figuren auf der Packung. Außerdem gibt es Sticker, Sammelbildchen oder Codes, mit denen man sich Handy-Spiele freischalten kann.
Dein SPIEGEL: Warum sind Sachen für Kinder so sehr betroffen?
Methmann: Weil Kinder stark mitbestimmen, was gekauft wird. Eltern haben manchmal keine Lust auf Diskussionen: Wenn die Kinder quengeln, dass sie Chips haben wollen, dann werden die eben gekauft, und es ist Ruhe. Wenn Hersteller sich gezielt an Kinder wenden, können sie also die Ernährung der ganzen Familie beeinflussen. Es gibt Studien, die belegen, dass unser Essverhalten davon geprägt ist, was wir als Kinder gelernt haben. Wenn dazu gehört, dass man »nachmittags was nascht«, hat man dieses Bedürfnis ein Leben lang.
Dein SPIEGEL: Kennen Sie solche Prägungen selbst?
Methmann: Ja. Ich habe als Kind stark gezuckerte Cerealien gegessen, das süße Frühstück. Diese Gewohnheit habe ich schon vor Jahren abgelegt, aber noch immer denke ich ab und an morgens, dass mir was fehlt: Zucker.
Dein SPIEGEL: Wenn Sie Herstellern sagen, dass die was ändern sollen – hören die auf Sie?
Methmann: Es schadet dem Ansehen der Hersteller sehr, wenn Foodwatch aufdeckt, dass ihr Essen nicht nur zu viel Zucker und Salz enthält, sondern auch zum Beispiel Motoröl. Dann verkaufen sie weniger von ihren schlechten Produkten. Und keiner will den Preis »Der Goldene Windbeutel« bekommen.

Ausgezeichnete Lügen: Über diesen Preis – den »Goldenen Windbeutel« – freut sich kein Lebensmittelhersteller.
Foto: brennweiteffm / IMAGODein SPIEGEL: Was ist das für ein Preis?
Methmann: Damit küren wir jährlich die dreisteste Werbe-Lüge. Zuletzt ging der Preis an die Supermarktkette Rewe. Die Firma hatte behauptet, dass sich die Herstellung ihrer Hähnchen-Filets nicht schädlich auf das Klima auswirke, weil sie zum Ausgleich Bäume in Peru pflanzen würde. Das war gelogen.
Dein SPIEGEL: Warum macht Sie diese Lüge besonders wütend?
Methmann: Es ist voll daneben, Fleisch »klimaneutral« zu nennen. Drei Viertel aller Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft kommen aus der Tierhaltung. Es ist ein Fakt, dass Massentierhaltung eine der Ursachen für die Klimakrise ist. Da darf man nicht lügen. Rewe hat auf uns gehört. Die Werbung gibt es nicht mehr.
Dein SPIEGEL: Worauf kann man beim Einkaufen achten? Würde es reichen, wenn alle nur noch Bio kaufen und viel weniger Fleisch essen?
Methmann: Nein, das reicht nicht. Zum einen sind auch Bio-Produkte nicht immer gesund. Ein Beispiel sind die völlig überzuckerten Knuspermüslis, die es auch in jedem Bio-Markt zu kaufen gibt. Zum anderen ist das keine Lösung, weil Bio-Produkte oft viel teurer sind. Die kann sich nicht jede Familie leisten.

Die Kinderreporterinnen Meike, 12, und Philippine, 13, haben sich vor sechs Jahren in der Nachbarschaft kennengelernt und angefreundet. Meike spielt Tennis und besucht die 6. Klasse der Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule. Philippines Hobbys sind Fußball und Cello. Sie geht in die Klasse 8 des Arndt-Gymnasiums in Dahlem. Die Freundinnen naschen am liebsten Schokolade. Meike mag Nugat, Philippine findet Minz-Geschmack am besten. Zu viel Süßkram sei es aber nicht, sagen die beiden. Ärger beim Zahnarzt hatten sie bisher noch keinen.
Foto: Julia Steinigeweg / Dein SPIEGELDein SPIEGEL: Wie kann man denn dafür sorgen, dass auch Leute mit wenig Geld sich gutes Essen leisten können? Die Produktion und bessere Inhaltsstoffe kosten die Hersteller ja mehr Geld, also sind ihre Sachen dann teurer ...
Methmann: Da muss die Politik ran. Wir zahlen Steuern. Mit Steuergeld wird auch die Landwirtschaft unterstützt. Ich bin der Meinung, dass viel Geld da falsch verteilt wird. Jedes Jahr werden Milliarden an Bauern und Bäuerinnen gegeben, die keine gute Landwirtschaft machen. Die Bio-Landwirtschaft bekommt wenig Geld. Wenn man das Geld anders verteilen würde, müssten Bio-Produkte nicht so teuer sein.
Dein SPIEGEL: Und welche Veränderung könnte man im Supermarkt leicht umsetzen?
Methmann: Viele Hersteller benutzen den Nutriscore nicht, drucken stattdessen winzig klein, kaum lesbar auf der Rückseite der Produkte drauf, was drin ist. Das ist unpraktisch. Ich möchte, dass der Nutriscore, die Farbampel auf Lebensmitteln, für alle Hersteller verpflichtend ist. So kann man im Supermarkt wirklich entscheiden, was man da kauft.
Dieses Interview erschien in »Dein SPIEGEL« 5/2023.

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