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Alleinerziehende in der Coronakrise "Ich arbeite jetzt nachts, damit ich mich tagsüber um meine Kinder kümmern kann"

In Deutschland ist jeder Fünfte mit Kindern alleinerziehend. Wie erleben diese Familien den Lockdown? Drei Mütter und ein Vater berichten, wie sie täglich an ihre Grenzen gehen.
Von Heike Klovert und Nike Laurenz

Kitas haben zu, Schulen auch, der Babysitter darf nicht kommen, die Großeltern wohnen in der Nähe und sind doch unerreichbar. Für Alleinerziehende ist diese Situation besonders belastend: Sie sind von morgens bis abends zuständig - für ihre Kinder, für ihren Job, für den Haushalt. Mehr als einen Monat dauert dieser Corona-Lockdown jetzt schon.

Wie halten sie diesen Druck aus? Was tun sie, um alles irgendwie zu vereinbaren? Wie geht es ihren Kindern? Hier erzählen drei Mütter und ein Vater, wie es ihnen in den vergangenen Wochen ergangen ist.

Maren Kirchheim*, 42, zwei Söhne, zehn und 13 Jahre, Duisburg 

Ich habe vor Corona schon im Homeoffice gearbeitet, als Prozessmanagerin in der Reisebranche. Ich habe zu Hause zwei Bildschirme und einen höhenverstellbaren Schreibtisch, bin also sehr gut ausgestattet. Trotzdem waren die drei Wochen vor den Osterferien furchtbar. 

An dem Tag, an dem die Schulschließungen verkündet wurden, brach der Alltag zusammen, den ich uns aufgebaut hatte. Ich sagte meinem Chef, dass ich nur noch höchstens sechs Stunden arbeiten könne. Ich müsse auch nach den Kindern gucken, sie können nicht den ganzen Tag daddeln. 

Er akzeptierte das, aber ich steckte in einem Projekt, das dermaßen in Fahrt war - ich konnte nicht einfach den Stift fallen lassen. Also arbeitete ich abends weiter, insgesamt acht bis zehn Stunden am Tag. Nebenbei versuchte ich, das Homeschooling für die Jungs zu organisieren.  

Sie bekamen Aufgaben von der Schule, aber das lief sehr chaotisch: Die Arbeitsblätter kamen per E-Mail, aber ein Zehnjähriger kann noch nicht so einfach ein Dokument downloaden und abspeichern und den Laptop mit dem Drucker verbinden. Ich dachte, es gibt Lernplattformen und die Lehrkräfte könnten digital mit ihren Schülern kommunizieren. Doch die Infrastruktur dafür war gar nicht vorhanden!  

Die nächste Schwierigkeit: Die Kinder dazu zu bringen, ihre Aufgaben zu erledigen. Also pendelte ich ständig zwischen Telefonkonferenzen und den Jungs hin und her. Wir hätten uns an einen Tisch setzen und die Aufgaben zusammen machen müssen. Doch wie hätte ich das nebenbei noch schaffen sollen?   

"Nach anderthalb Wochen merkte ich: Wir kriegen das nicht hin"

Nach anderthalb Wochen merkte ich: Wir kriegen das nicht hin. Ich schrieb allen Lehrern meines jüngeren Sohnes eine Mail, in der ich um Verständnis dafür bat, dass wir sämtliche Fristen verpassen. Daraufhin rief mich die Klassenlehrerin an: Ich solle mir keine Sorgen machen. Es sei nicht schlimm, dass das nicht so funktioniere.  

Aber andere Eltern schaffen das mit dem Homeschooling anscheinend. Ich mache mir Sorgen, dass sich schulische Ungleichheiten zwischen Kindern in diesen Wochen verstärken. Ungleichheiten, die sich nicht an der Intelligenz festmachen, sondern daran: Wie viel Zeit haben die Eltern übrig, um einzuspringen? Wer hat die Hardware zu Hause und die technischen Kompetenzen?  

Ich hatte gerade einige Tage frei. Jetzt arbeite ich wieder mit der Hälfte meiner Stunden. Anders kann ich unseren Alltag nicht stemmen. Ich mache mir Sorgen, wie es finanziell weitergeht. Die Coronakrise trifft die Reisebranche hart. 

Trotzdem habe ich Geld für ein neues Tablet ausgegeben, damit beide Jungs die Möglichkeit haben, ihre Arbeitsblätter direkt am Rechner auszufüllen und Apps für die Schule herunterzuladen. Und ich habe festgestellt: Wenn ich die Kinder bis mittags schlafen lasse, kann ich morgens vier Stunden in Ruhe arbeiten.  

Wir haben auch begonnen, uns besser zu organisieren: Der Große wäscht seine Wäsche selbst. Gekocht wird abwechselnd - und wenn es nur Spiegeleier gibt, ist das egal. Ich erkläre ihnen, was Steuern sind und warum es wichtig ist, dass ich eine Steuererklärung mache. Ich hoffe, dass sie aus alldem lernen, wie das Leben funktioniert. Wenn sie schon nicht all ihre Schulaufgaben machen.  

Thomas K., 44, Sohn, vier Jahre, Tochter, 20 Monate, Münster

Meine Tage sind total durchstrukturiert: Ich stehe um fünf Uhr auf und arbeite bis sieben. Dann werden meine Kinder wach. Wir spielen, malen und basteln zusammen, dann koche ich Mittagessen. Die Kleine hält gegen halb eins Mittagsschlaf. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Sohn mit dem Tablet aufs Sofa zu setzen, damit ich noch einmal für zwei Stunden arbeiten kann.

Wenn meine Tochter aufwacht, spazieren wir im Park oder fahren in den Wald oder zur Baustelle. Meine Frau starb vor zehn Monaten plötzlich an einem Hirnaneurysma. Sie hatte sich einen Garten gewünscht für die Kinder. Wir hatten gemeinsam ein Haus ausgesucht. Ich habe lange überlegt, ob ich es allein kaufen soll. Nun bauen es Handwerker für uns um.

Um 18 Uhr mache ich Abendessen, gegen 19.30 Uhr bringe ich die Kinder ins Bett. Wenn sie schlafen, erledige ich den Haushalt und habe Telefonkonferenzen. Ich bin Mitinhaber einer IT- und Designagentur und meine Kollegen gehen auf meine besondere Situation ein.

Wenn der Tag gut läuft, arbeite ich sechs bis sieben Stunden. Ich frage mich nicht, wie es mir geht. Ich funktioniere. Das tue ich seit zehn Monaten und jetzt, in der Coronakrise, noch mehr. Ich vermisse meine Frau wahnsinnig. Aber es hilft mir nicht, wenn ich mich beschwere. Es gibt keinen Plan B. Sie wird nie wieder da sein.

Meinen Kindern verdanke ich mein Leben. Sie waren in den vergangenen Monaten der Grund, warum ich morgens aufgestanden bin. Ich bin für die beiden verantwortlich. Was jedoch wirklich schwer ist: Gerade werde ich fast rund um die Uhr beansprucht. Bevor die Kita schloss, konnte ich ins Büro gehen und etwas Distanz zur Wohnung und zur Familie bekommen. Das geht jetzt nicht.

Ich würde meine Kinder nie anschreien. Aber ich werde jetzt öfter etwas lauter und bestimmender als sonst, das passiert mir schon. Mein Sohn guckt dann ganz erschrocken, das kannte er vorher gar nicht. Ich entschuldige mich danach bei ihm.

"Vor der Tür habe ich erst mal eine Runde geheult"

Ich gehe mit dem Fahrradanhänger und beiden Kindern joggen, um mir den Frust von der Seele zu laufen. Trotzdem könnte ich manchmal, wenn ich allein bin, richtig laut schreien. Neulich waren wir im Supermarkt, die Kinder saßen im Anhänger. Da hat mich eine Frau beschimpft, ob es in diesen Zeiten nötig sei, dass ich mit zwei Kindern einkaufen gehe? 

Vor der Tür habe ich erst mal eine Runde geheult. Ich habe auch beim Jugendamt angerufen und meine Situation geschildert. Dort sagte man mir, ich sei nicht allein mit diesen Problemen. Und wenn alle Stricke reißen, hätte ich ja Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.

Nun wird es hoffentlich besser: Meine Familie sowie die Tante und der Onkel meiner Frau haben es so eingerichtet, dass sie mich stärker unterstützen können, soweit das möglich ist in diesen Zeiten. Außerdem soll die Notbetreuung in nordrhein-westfälischen Kitas ausgeweitet werden auf Alleinerziehende. Ich hoffe, dass wir die härteste Zeit hinter uns haben.

Mara List*, 46, zwei Töchter, vier und sechs Jahre, Haar bei München  

Ich bin Sachbearbeiterin in einer Kanzlei für Patentrecht und muss jeden Tag sechs Stunden verfügbar sein, einen Großteil davon am Stück in der Kernarbeitszeit. Dann sind die Kinder sich selbst überlassen. In den ersten drei Wochen waren sie extrem tapfer und haben mich selten gestört. Sie haben viel gespielt und sich nur manchmal gestritten.  

Jetzt fordern sie stärker ein, dass ich Zeit mit ihnen verbringe. Die Schaukel ist langweilig geworden und Playmobil auch. Ich arbeite im Schlafzimmer, aber ich mache die Tür nicht zu, das wäre mir zu gefährlich. Deshalb bekomme ich alles mit und alle Viertelstunde kommt eins der Kinder, weil es etwas braucht. Ich habe nun etabliert, dass sie täglich zwei Stunden in unserem Gemeinschaftsgarten sind - nach Absprache mit den Nachbarn. Wenigstens dann kann ich halbwegs ungestört arbeiten.  

Ich bin hin- und hergerissen zwischen meiner Arbeit und dem Verständnis für meine Kinder. Sie können ja nichts dafür, dass sie jeden Tag für eine so lange Zeit niemanden haben, der sie fördert und sich mit ihnen beschäftigt. Andere Mütter überbieten sich mit Bastelideen, doch ich bin da raus, wenn ich arbeiten muss.  

Alle Artikel zum Coronavirus

Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

Ich setze meine Kinder zu oft vor das Tablet oder den Fernseher, das stört mich enorm. Klar sind alle Programme soft und Kleinkind-gerecht. Aber zwei Stunden am Tag finde ich nicht in Ordnung. Doch ich muss mich in meinem Job wirklich konzentrieren, und das kann ich nicht, wenn ich immer wieder gestört werde. 

Meine Chefs haben uns per E-Mail sehr herzlich gedankt, dass wir uns so dafür einsetzen, dass das Unternehmen genauso effektiv wie vorher funktionieren und weiterlaufen kann. Ich fand die E-Mails wirklich nett und motivierend. Doch die Angst, dass ich in Kurzarbeit geschickt werden könnte, sitzt mir schon im Nacken.  

"Ich gehe täglich an meine Grenzen" 

67 Prozent meines Gehalts würden nicht reichen, um meine fixen Kosten zu decken. Dann müsste ich beim Arbeitsamt eine Aufstockung beantragen. Ich bin auf ein volles Gehalt angewiesen, deshalb muss ich das jetzt auch durchziehen und weiterkämpfen.  

Ich merke, dass meine Nerven blank liegen, wenn die Kleine einen völlig normalen Trotzanfall bekommt. Gestern wollte sie sich nicht anziehen und probierte Ausdrücke wie "blöde Mama" aus. Das hat mich in dem Moment viel mehr getroffen als sonst, weil ich alles gebe und täglich an meine Grenzen gehe. 

Ich habe ihr ganz tief in die Augen geschaut und eindringlich gesagt: "Merkst du nicht, dass ich nicht mehr kann?" Sie hat angefangen zu weinen. Es war nicht fair, ihr den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wir haben uns schnell wieder vertragen. Doch ich kann mir vorstellen, dass es in weniger stabilen Familien wegen solcher Konflikte auch zu Übergriffen kommt.  

Meine Eltern treffen wir nicht. Normalerweise habe ich auch eine Leihoma und eine Babysitterin, die mich unterstützen. Doch auch sie kommen wegen der Ansteckungsgefahr gerade nicht. Heute habe ich erfahren, dass sie uns die Kitagebühren bis Ende Juli erlassen. Das heißt wohl, dass die Kitas noch drei weitere Monate geschlossen bleiben sollen.  

Es wurde zuletzt darüber diskutiert, ob die Notbetreuung auf erwerbstätige Alleinerziehende ausgeweitet werden soll. Nun steht zum Glück fest, dass das auch für die gelten soll, die im Homeoffice arbeiten. Darüber bin ich sehr erleichtert. Kinder zu Hause zu betreuen und gleichzeitig zu arbeiten, ist auf Dauer eine wahnsinnige Belastung. 

Joana Almeida, 32, zwei Kinder, vier und acht Jahre, Pflegekraft, Hagen

Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, meine Kleinen in die Notfallbetreuung zu geben, obwohl sie aufgrund meines Berufes einen Anspruch darauf hätten. Ich bin wohl, was man systemrelevant nennt: Ich arbeite als stellvertretende Wohnbereichsleiterin in einer Einrichtung für außerklinische Beatmung.

Bei uns leben Menschen mit chronischen Krankheiten, die ständige Beatmung, aber keine Krankenhausbetreuung benötigen. Einen Corona-Fall haben wir bislang nicht.  

Als Pflegekraft weiß ich auch etwas über Virologie: Wenn ich meinen Sohn morgens in die Kita bringen würde und meine Tochter in die Grundschule, dann haben sie den ganzen Tag Kontakt zu verschiedenen Menschen. Während alle anderen gerade versuchen, Kontakte möglichst stark zu reduzieren.

"Ich habe mich bewusst gegen die Notfallbetreuung entschieden"

Allein in der Kita wechselt das Personal alle paar Tage, damit alle Erzieherinnen und Erzieher auf ihre Stunden kommen. Ich will nicht, dass meine Kinder in diesen Zeiten ständig mit anderen zusammen sind, ich habe Sorge, dass sie sich anstecken könnten. 

Deswegen bleiben sie zu Hause. Und ich arbeite jetzt nachts statt tagsüber, damit ich mich um sie kümmern kann, wenn sie wach sind. Ich habe das große Glück, dass meine Eltern im selben Haus wohnen. Vor Corona haben sie und ich tagsüber gearbeitet, meine Eltern sind beide berufstätig. Jetzt ist es so: Ich mache Nachtschichten, die Kindern schlafen bei meinen Eltern, und wenn ich morgens von der Schicht nach Hause komme, starte ich mit ihnen in den Tag.  

Ich spiele mit den Kindern, mache Schulaufgaben mit meiner Tochter. Ich koche und gehe einkaufen. Nun zahle ich 250 Euro für einen Wocheneinkauf, während die Kinder vorher für 110 Euro pro Monat in der Kita oder Schule Mahlzeiten bekommen haben, das geht ganz schön ins Geld. Abends mache ich die beiden bettfertig. Um 20.30 Uhr gehe ich arbeiten. Ich schlafe meist nur ein paar Stunden. 

Eigentlich wären wir jetzt gerade auf Kur, die beiden Kinder und ich. Drei Wochen Amrum. Daran ist gerade nicht zu denken, und an Urlaub auch nicht, da einige Kolleginnen und Kollegen krank geworden sind und ich in der Einrichtung gebraucht werde. 

"Ich schlafe meist nur ein paar Stunden"

Ich bin ziemlich überrascht, wie gut die Kinder mitmachen. Wir haben praktisch keine Sozialkontakte mehr, der Kleine ist in einer absoluten Trotzphase, ich muss an jedem Spielplatz, an dem wir vorbeikommen, verneinen. Aber sie verstehen viel mehr, als ich dachte, sie nennen das Virus das Corona-Monster.  

Mit meinem Ex-Mann stehen wir alle in einem guten Verhältnis. Vor Corona waren die Kinder alle zwei Wochen für ein paar Tage bei ihm, nun haben wir gemeinsam beschlossen, dass das gerade nicht geht. Er hat ein kleines Baby zu Hause, will Kontakte auch gering halten. Deswegen kommt er nun regelmäßig vorbei und geht mit den Kindern in den Wald. Die beiden lieben das.  

Ob ich erschöpft bin, auch mal Zeit für mich habe? Ich kann über diese Frage nur müde lächeln. Ich bin seit drei Jahren alleinerziehend, da bleibt kaum Zeit für mich. Ich habe ein paar Freundinnen, die ich mal auf einen Kaffee treffen kann, und sorgende Eltern, für die ich dankbar bin. Aber ich habe keinen Vermieter, der sagt: Okay, weil du allein bist, zahlst du auch nur die halbe Miete. Und wir haben auch keine Politiker, die sagen: Okay, weil du allein bist, stellen wir dich in Corona-Zeiten selbstverständlich von der Arbeit frei und zahlen deinen Lohn weiter.  

Ich habe mich an dieses Leben gewöhnt, es bleibt ja auch nichts anderes übrig. Ich habe mehrere Freundinnen, die alleinerziehend sind, die gar nicht mehr arbeiten können, weil sie keine helfenden Eltern haben: Die müssen sich gerade viel mehr Sorgen machen, weil sie bald an ihre Rücklagen gehen müssen. Ich schlafe nicht viel, ich arbeite viel, das alles zerrt an meinen Nerven, aber ich bin eine sehr starke Person. Ich muss jetzt einfach machen. 

*Namen von der Redaktion geändert.

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