

Seniorin über das Leben in der Pandemie »Gegen Impfgegner hilft nur Sarkasmus«
Als der SPIEGEL Annegret Ptach im vergangenen März fragte, was passieren würde, wenn ihr Seniorentreff nicht bald wieder öffnen könne, sagte sie: »Das wäre für alle ganz furchtbar.« Sie sagte, dass sie nicht wisse, wie die Seniorinnen und Senioren die Beziehungen untereinander aufrechterhalten sollten, das soziale Leben, wenn man monatelang nur noch telefonieren könne. »Es wäre ein riesiges Dilemma«, sagte Annegret Ptach.
Annegret Ptachs Seniorentreff, der sich aus einem Kreis von bis zu 100 Leuten rekrutiert, musste seitdem immer wieder zumachen. Wenn er geöffnet war, dann meist nicht richtig: Es gab seit dem Frühjahr keinen großen Kaffeeplausch mehr, keine vollen Räume, kein Spiel und kein Gelächter, es gab allerhöchstens einige wenige kleine Zusammenkünfte mit Abstand und Maske. Nicht vergleichbar, sagt die Leiterin.
Mittlerweile ist Annegret Ptach ein Jahr älter, 72. Seit unserem ersten Gespräch über ihren Treff der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Hamburger Stadtteil Stellingen sind in Deutschland mehr als 50.000 Menschen an oder mit dem Corona-Virus gestorben. Nach dem Shutdown im Frühjahr kam der zweite, härtere, in dem sich das Land jetzt gerade befindet. Seit einigen Wochen besteht das öffentliche Leben aus nicht viel mehr als den geöffneten Supermärkten. Aber es gibt auch Hoffnung – der Impfstoff. Wer über 80 ist, hat ihn vielleicht schon erhalten oder kann bald damit rechnen.
Wie haben Annegret Ptachs Seniorinnen und Senioren dieses Coronajahr überstanden?
SPIEGEL: Frau Ptach, können Sie sich noch an unser erstes Gespräch erinnern?
Annegret Ptach: Da war ich, obwohl das Leben längst nicht mehr normal war, noch ganz gut drauf. Mittlerweile habe ich auch so meine Phasen. Ich habe ein sehr sonniges Gemüt, aber jetzt bin selbst ich genervt. Hier ist überhaupt nichts mehr los. Diese ganze gedrückte Stimmung, der Lockdown, die Unsicherheiten, das darf gerne bald vorbei sein.
SPIEGEL: Was machen Sie tagsüber?
Ptach: Obwohl unser Seniorentreff seit Wochen komplett zu hat, gehe ich trotzdem hin. Dreimal die Woche für zwei bis drei Stunden. Ich treffe dort höchstens eine andere Person, eine weitere Awo-Mitarbeiterin. Wir räumen auf, unterhalten uns auch mal, aber telefonieren vor allem viel.
SPIEGEL: Wen rufen Sie an?
Ptach: Im Moment bieten wir unseren Seniorinnen und Senioren an, ihnen zu helfen, wenn sie sich impfen lassen wollen. Ich habe dann eine Liste vor mir mit allen über 80, und die telefoniere ich ab. Ich frage bei allen nach: Wie geht es dir, kommst du zurecht, willst du dich impfen lassen? Viele kommen bei der bundesweiten Corona-Hotline nicht durch, da ist ständig besetzt. Die Awo in Hamburg hat deswegen eine eigene Hotline eingerichtet, über die Impftermine vermittelt werden, wenn welche da sind – und an diese Stelle vermitteln wir wiederum diejenigen aus unserem Treff. Wenn jemand einen Termin hat, bieten wir an, mitzukommen, da will man ja womöglich nicht unbedingt alleine hin.
SPIEGEL: Wie viele haben sich schon impfen lassen?
Ptach: Ich würde sagen: zwei bis drei von den etwa 100 Menschen, die hier normalerweise ein- und ausgehen.
SPIEGEL: Nur zwei bis drei Leute?
Ptach: Na ja, es gibt ja in Hamburg gerade auch keine Termine mehr, erst Mitte Februar wieder. Außerdem konnten wir bisher lediglich die Risikogruppe abtelefonieren, also die über 80-Jährigen. Die anderen sind ja noch gar nicht an der Reihe. Ich habe erst 15 bis 20 Gespräche geführt.
SPIEGEL: Stehen die Seniorinnen und Senioren der Impfung in diesen Gesprächen positiv gegenüber?
Ptach: Die meisten schon. Erst eine Dame hatte Skepsis. Sie meinte, sie will sich lieber nicht impfen lassen. Da meinte ich: »Brauchst du auch nicht, du stirbst eh morgen.« Das irritiert Sie jetzt vielleicht, aber ich habe festgestellt: Gegen Impfgegner hilft nur Sarkasmus. Wenn ich frage, woran es denn liegt, ob derjenige es sich nicht noch mal in Ruhe überlegen will, dann komme ich nicht weiter. Das ist zu viel Gerede, und meine Seniorinnen und Senioren mögen es auch eigentlich, dass ich immer sehr klare Worte finde. Manche brauchen zwei Minütchen, dann kommt zurück: »Du hast ja recht...« So war es auch bei besagter Dame. Sie ist inzwischen geimpft.
SPIEGEL: Werden auch Sie sich impfen lassen?
Ptach: Natürlich, selbstverständlich, sobald ich dran bin. Als Kind hatte ich Tuberkulose, später bekam ich eine Raucherlunge. Mein Lungenarzt hat mir knallhart geraten: »Rufen Sie Ihre Krankenkasse an, vielleicht werden Sie als Risikopatientin beim Impfen vorgezogen.«
SPIEGEL: Sind Sie mit der Corona-Politik der Bundesregierung zufrieden?
Ptach: Sie spielen darauf an, dass es nicht sein kann, dass es nicht gleich genug Impfstoff für alle gibt? Dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nicht ausreichen? Das alles geht mir gegen den Strich, aber ich denke auch: Es ist für uns alle das erste Mal. Die erste Pandemie. Ich habe noch Geduld, und ich sage Miesepetern: »Der ganze Mist wird vorbeigehen, und wir werden es höchstwahrscheinlich auch noch erleben.«
SPIEGEL: Wie hat sich das Leben von Ihnen und den anderen in den vergangenen Monaten verändert?
Ptach: Es ist die ganz große Langeweile eingekehrt. Ich rufe viele einmal pro Woche an, um zu fragen, wie es so aussieht. Einige sitzen nun schon morgens vorm Fernseher. Ab 10 Uhr schon, obwohl die Kiste sonst immer erst abends eingeschaltet wurde. Andere gehen jeden Tag einkaufen, um rauszukommen, gehen nach dem Einkauf dann aber auch gleich wieder nach Hause. Manche machen Sport, auch vorm Fernseher. Allerdings sagen viele, dass die dortigen Übungen eigentlich für jüngere Menschen sind. Wer keine Kinder hat und kein Smartphone, der hat gerade äußerst wenig zu tun.
SPIEGEL: Sie könnten miteinander spazieren gehen – eine Person dürften Sie doch treffen.
Ptach: Ja, das raten auch diverse Experten. 6000 Schritte am Tag, die sollen auch ältere Menschen gehen. Aber wissen Sie: Wenn Restaurants, Cafés und andere kleine Läden geschlossen haben, dann gibt es nirgends ein Klo. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber ich muss öfter mal. Wenn ich das unterwegs nicht erledigen kann, kann ich auch keine längeren Gänge tun.
SPIEGEL: Was vermissen Sie am meisten?
Ptach: Den Loki Schmidt Garten in Hamburg, den wir oft gemeinsam besucht haben. Dort fängt bald alles an zu blühen, wahrscheinlich ohne uns. Oder den Tierpark Hagenbeck. Wir haben uns da oft getroffen, nicht unbedingt wegen der Tiere, sondern zum Kartenspielen. Ich vermisse aber auch unser volles Haus, die Computerkurse, die Englischkurse. Ich vermisse es, andere zu bewirten. Vielleicht ab März wieder?
SPIEGEL: Hat sich jemand von Ihnen mit dem Virus infiziert?
Ptach: Nein, aber es gab ein paar Verdachtsfälle. Die Leute mussten dann in Quarantäne.
SPIEGEL: Im vergangenen Jahr haben Sie gesagt, dass das Virus Ihnen keine Angst macht. Wie ist es jetzt?
Ptach: Noch immer genauso. Ich trage außerhalb meiner Wohnung fast immer meine Maske, damit fühle ich mich sicher. Ich fahre auch noch Bus und Bahn, ich habe ja kein Auto. Dort achte ich auf besonders großen Abstand zu anderen – vor allem zu den meist männlichen Spezialisten, die ihre Mund-Nase-Bedeckung so tragen, dass die Nase rausschaut...
SPIEGEL: Haben Sie in den vergangenen Monaten etwas Neues gelernt?
Ptach: Ich habe zumindest eine spannende Beobachtung gemacht: Viele Menschen haben ihren Egoismus abgelegt, und das finde ich ganz toll. Es ist weniger Ich, Ich, Ich, meine Reise nach Mallorca, mein Auto, mein Haus, mehr: Wir. Ich höre die Frage »Wie geht es dir?« viel häufiger als früher. Aus einigen Einzelkämpfern sind Menschen geworden, die sich um andere sorgen. Neulich habe ich von einer Seniorin erfahren, dass die nun einen Kontakt zu ihrer Nachbarin geknüpft hat. Vor Corona kannte sie niemanden in ihrem Haus.