Beziehungen Was gute Freunde auszeichnet - und wie wir sie finden
Als Kind ist es noch ganz einfach: Im Sandkasten, in der Schule oder auf dem Fußballplatz - gefühlt an jeder Ecke warten potenzielle Freundinnen und Freunde auf einen. Spätestens am Ende der Schulzeit verlieren wir dann das erste Mal viele von ihnen.
Mit jeder Lebensphase, jedem Jobwechsel und Umzug verändern sich unsere Freundeskreise immer wieder. Und meist werden sie kleiner. Aber wie bauen wir überhaupt enge Bindungen auf?
"Der ethnografische Klassiker ist das Tauschen sogenannter symbolischer Lebenspfänder", erklärt Soziologe Janosch Schobin im Podcast. "Heute tauschen wir Geheimnisse. Das ist in der Moderne die Art und Weise, wie Freundschaften entstehen. Man tauscht diese privilegierten, intimen Informationen übereinander aus. Und so entsteht Vertrauen."

Soziologe Janosch Schobin: "Es ist ganz oft so, wenn Leute von ihrem besten Freund reden, dass sie von ihrem Ehepartner reden."
Foto:Uni Kassel/David Wüstehube
Natürlich spielen auch Ähnlichkeiten bei Freundschaften eine wichtige Rolle: Alter, Geschlecht, Lifestyle oder politische Interessen zum Beispiel. Und sind Menschen erst mal befreundet, verstärken sich die Gemeinsamkeiten noch. Denn mit der Zeit ähneln sich befreundete Menschen immer mehr, weil sie sich gegenseitig beeinflussen. "Leute stecken sich regelrecht mit Kindern an", nennt Schobin als Beispiel, "mit Scheidungen aber übrigens auch."
Wie verändert sich Freundschaft im Laufe des Lebens? Können Freunde die Familie ersetzen? Wie finden Erwachsene am besten neue Freundschaften? Und warum machen wir fast nie mit Freunden Schluss? Auf diese und weitere Fragen antwortet Janosch Schobin im Ideen-Podcast "Smarter leben".
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[00:00:02] Janosch Schobin Das ist auch interessant: Leute stecken sich regelrecht mit Kindern an und mit Scheidungen übrigens auch! Wenn sich Freunde im Umfeld scheiden lassen, muss man so ein bisschen vorsichtig sein, das könnte überspringen (lacht).
[00:00:13] Lenne Kaffka Ideen für ein besseres Leben haben wir alle. Aber wie setzen wir sie im Alltag um? In diesem Podcast treffen wir jede Woche Menschen, die uns verraten, wie es klappen kann. Willkommen, zu Smarter leben. Ich bin Lenne Kaffka und heute skype ich mit Janosch.
[00:00:31] Janosch Schobin Hallo, mein Name ist Janosch Schobin, ich bin Soziologe an der Universität Kassel, und mein Spezialgebiet sind Freundschaftsbeziehungen und Vereinsamung.
[00:00:40] Lenne Kaffka Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mehr, wer mein allererster Freund war. Aber bestimmt war er mir damals sehr wichtig. Allerdings erinnere ich mich noch gut an meine Abizeit, und da habe ich mir vorgenommen, den Kontakt zu allen Freunden zu halten. Von einem bin ich der Trauzeuge geworden, von anderen besitze ich nicht mal mehr die Telefonnummer. So wie wir uns im Laufe des Lebens verändern, wechseln halt auch unsere Kontakte und das, was wir uns von Freundschaft erhoffen. Auch Janosch hat viele Freunde kommen und gehen sehen und dabei vor allem eins gelernt - dass es sich immer wieder lohnt, ernsthaft über Freundschaften nachzudenken.
[00:01:12] Janosch, in Popsongs und Filmen geht es immer um Herzschmerz, es geht um erste Küsse. Steht die Freundschaft zu oft im Schatten der Liebe?
[00:01:19] Janosch Schobin Gute Frage. Historisch ist es so, dass Freundschaft häufig eigentlich dominanter ist. Die romantische Liebe ist im 19. Jahrhundert so ein Ding, das ja total explodiert, total wichtig wird, total zentral wird. Und Freundschaft rückt dann tatsächlich so ein bisschen in den Hintergrund. Da gehen so verschiedene Sachen mit einher. Eine Sache, die da zum Beispiel passiert ist, dass Freundschaften immer privater werden auch. Freunde zeigen sich weniger öffentlich. Die Praxis der Freundschaft geht immer mehr in so eine Art Innenraum, wo sie unsichtbarer wird. Dadurch nimmt sie, auch wenn man so will, an Relevanz, an öffentlicher Relevanz, an gesellschaftlicher Relevanz ab. Das verändert sich dann halt einfach sehr, sehr schnell auch. Was wir jetzt in Deutschland zum Beispiel sehen, so seit Mitte der 80er Jahre, ist, dass Freundschaft wieder an Bedeutung gewinnt. Das hat vornehmlich mit dem demografischen Wandel zu tun. Die Leute haben weniger Kinder, sind häufiger geschieden oder nicht verheiratet. Freunde werden einfach wichtiger für emotionale Unterstützung, für Beschäftigung. Also was man in seiner Freizeit macht, wie sieht ein Leben aus, das viel Spaß macht? Und Freunde gewinnen einfach an Wert wieder
[00:02:21] Lenne Kaffka Was zeichnet denn Freundschaft überhaupt aus? Wie definieren wir, wer ein Freund ist und wer nicht?
[00:02:25] Janosch Schobin Auch das ist sehr unterschiedlich. Wenn man historisch guckt, sind die Ideale der Freundschaft sehr variabel. Was Freunde tun sollen, was die üblichen Verpflichtungen sind, das ist auch kulturell sehr variabel. Es gibt aber, wenn man so will, so ein Grundmuster, das sich in allen Formen der Freundschaft, das sich auch historisch ausgemalt oder ausbuchstabiert, wiederholt. Ich nenne das, das Schema der doppelten Geiselgabe. Also was in Freundschaften typisch ist, ist, dass man Informationen über einander hat, Dinge miteinander teilt, die einen füreinander angreifbar machen, die einen füreinander verletzbar machen. Der, wenn man so will, ethnographische Klassiker dazu ist das Tauschen sogenannter symbolischer Lebenspfänder. Ein Lebenspfand ist ein Zeichen, dass mit der Person ganz eng verbunden ist. In der Freundschaftserzählung ist das klassischerweise Blut. Man tauscht und teilt das Blut, man vermischt es in einem Kelch, beide nehmen es ineinander auf. Damit entsteht ein Bund, der ist unzerbrüchlich, weil wenn man den zerbricht, dann ist die soziale Ehre für immer dahin. Das ist so der ethnographische Klassiker, und was wir heute machen, das ist ganz ähnlich. Wir tauschen heute Geheimnisse. Das ist so in der Moderne die Weise, wie Freundschaften entstehen. Man tauscht diese privilegierten, besonderen Informationen übereinander aus. Das zeichnet, glaube ich, auch Freundschaften heute bei uns aus.
[0003:34] Janosch Schobin Also ist das Vertrauen?
[00:03:35] Janosch Schobin Genau, so entsteht Vertrauen. Vertrauen ist ja, wenn man so will, ein Effekt von Freundschaften, vielleicht auch eine Bedingung für Freundschaft. Man muss ein gewisses Grundvertrauen haben, wenn man sowas überhaupt eingeht. Aber dieser Prozess, dieser stetige Prozess, in dem man kommunikativ Sachen über sich preisgibt und die miteinander verarbeitet, das ist, was heute, würde ich sagen, eine Kernpraxis der Freundschaft ist und durch die halt Vertrauen genährt wird, aber auch Vertrauen ständig reproduziert wird in Freundschaften.
[00:04:00] Lenne Kaffka Meine Frau hat mich einmal gefragt, ob sie für mich auch eine Freundin ist. Glaubst du, dass wir auch mit unseren Partnern befreundet sein können?
[00:04:06] Janosch Schobin Wir wissen, dass es ganz häufig so ist. Es gibt Studien aus den 80er-Jahren, aus den USA, da waren in etwa ein Drittel aller Ehepartner auch enge Freunde. Ich kenne das aus Interview- Studien aus Deutschland. Es ist ganz oft so, dass Leute, wenn sie von ihrem besten und engsten Freunden sprechen, von ihrem Ehepartner reden. Ich habe zum Beispiel mal im Interview gefragt, was war etwas ganz Wichtiges, was man mit einem engen Freund oder einer engen Freundin erlebt hat. Und da haben teilweise Leute wie aus der Pistole geschossen von Sachen erzählt, die sie mit ihrem Ehepartner, Liebhaber. Ich glaube, man muss davon ausgehen, dass bei uns der Ehepartner ganz häufig der engste Freund ist. Familienangehörige sind sehr häufig enge Freunde. Das hat ein bisschen in der Moderne abgenommen. Das ist ein langer Trend in der Freundschaft. Freunde sind historisch gesehen fast immer Verwandte. Das ist eigentlich so der historische Normalfall. Heute ist es so, dass von den engsten und besten Freunden bei uns selbst in Deutschland immer noch so ungefähr zehn Prozent aus der Familie kommen oder aus der näheren Verwandtschaft kommen. Es ist aber halt selten geworden.
[00:05:02] Lenne Kaffka Wie ist es bei dir? Bist du mit deiner Frau befreundet, mit Verwandten?
[00:05:06] Janosch Schobin Wenn ich mit meiner Frau nicht befreundet wäre, wären wir nicht mehr zusammen (lacht). Mit Verwandten auch, mit einem Cousin. Ich habe aber auch sehr wenig Familie. Bei mir ist es so und das ist ja bei vielen Deutschen so: Durch den Krieg ist einfach wahnsinnig viel verschwunden, und es ist nur noch ganz wenig übriggeblieben. Und das hat sich dann auch in der Nachkriegszeit nicht so richtig voll erholt. Bei meiner Frau, aus Lateinamerika, ist es komplett anders. Daran merkt man auch, wie solche historischen Dynamiken zustande kommen. Bei meiner Frau ist es so, die hat 40 Cousins und Cousinen. Ich kann sie nicht mal zählen. Und natürlich sind in solchen Kontexten Verwandtschaft und Familie viel primärere Zirkel, in denen man sich bewegt. Und die Freundschaftswahl findet deswegen auch viel stärker innerhalb dieser Kreise statt.
[00:05:51] Lenne Kaffka Wie ist das denn eigentlich bei dir? Man sucht sich ein Thema ja nicht ohne Grund aus. Warum beschäftigst du dich so intensiv mit Freundschaften?
[00:05:58] Janosch Schobin Für mich ist es zum Teil einfach ein Lebensthema, durch das viele umziehen. Das ist, glaube ich, in unserer Zeit nicht untypisch. Ich bin ein Kind von Entwicklungshelfern und in der Entwicklungshilfe hat man so einen Vierjahrestournus – vier Jahre im Ausland, vier Jahre in Deutschland. Und das bedeutet einfach alle vier Jahre einen neuen Freundeskreis, eine neue Schule, eine neue Nachbarschaft. Und deswegen war das für mich ziemlich früh ein ganz zentrales Thema einfach.
[00:06:22] Lenne Kaffka Du musstest dir also alle vier Jahre neue Freundeskreise aufbauen. Wonach suchen wir denn unsere Freunde aus?
[00:06:27] Janosch Schobin Das ist ziemlich spannend. Da gibt es ziemlich viele Untersuchungen zu. Manche Sachen sind offensichtlich – nach Geschlecht zum Beispiel. Freundschaften sind ganz stark geschlechtshomogen. Männer sind eher mit Männern befreundet, Frauen eher mit Frauen. Auch Alter – Leute sind relativ alterssensibel, wenn sie Freundschaften wählen. Das sind allerdings alles solche Sachen, die auch stark kontextbedingt sind. In den Schulen ist man stark nach Geschlecht sortiert und man ist auch stark in altershomogenen Gruppen unterwegs. Aber das geht sehr ins Detail auch. Wir haben Studien, die zeigen, dass in der Freundschaftswahl sehr weiche Faktoren eine Rolle spielen. Also raucht der andere, trinkt der andere, was für Musikgeschmack hat der oder die andere? All solche Sachen spielen eine Rolle. Allerdings ist es auch alles ziemlich kompliziert, weil, klar, Geschlecht zum Beispiel – da wissen wir, das liegt vor allen Dingen an Selektion. Leute ändern in der Regel nicht ihr Geschlecht, weil die Freunde ein anderes Geschlecht haben. Aber bei Rauchen und Trinken und all diesen weichen Faktoren, die die Freundschaftswahl auch beeinflussen, ist es so, dass dort auch ganz viel Beeinflussung stattfindet.
[00:07:24] Lenne Kaffka Aber, geht es nicht bei Freundschaften auch immer darum, sich an anderen zu reiben? Eine neue Perspektive zu bekommen und vielleicht den anderen auch so stehen lassen zu können, wie er oder sie ist?
[00:07:34] Janosch Schobin Das spielt auch eine ganz große Rolle. Freunde sind ganz wichtiger Ratgeber. Wenn wir gucken, was Freunde so an fürsorglichen Aufgaben voneinander übernehmen, steht Rat häufig an einer ganz hohen Stelle. Das ist, wenn man so will, auch eine ethische Verpflichtung in Freundschaften. Man ist irgendwie dazu verpflichtet, über den Freund Informationen zu sammeln, die der aus seiner eigenen Position gar nicht sammeln könnte, weil man einfach solche blinden Flecken hat, die man nicht sieht. Und Freunde spielen häufig diese Rolle eines Korrektivs, an dem man sich abarbeitet. Und das ist auch ganz typisch. Das sagen auch viele Leute über ihre Freundschaften, dass das eine der ganz zentralen Sachen ist. Einfach, wenn man in diesen schwierigen Lebenslagen steckt, dass man da jemand hat, dem man vertrauen kann, dass der einem reinen Wein einschenkt, dass der einem die Wahrheit sagt. Man ist auf Leute angewiesen, die präzise über einen informieren können und präzise Informationen über einen haben. Und das heißt, das sind Leute, die Energie da reingesteckt haben, einen genau zu kennen.
[00:08:24] Lenne Kaffka Immer häufiger gelten ja Freunde auch als die neuen Familien oder als Familie, die wir uns selber ausgesucht haben. Können Freundschaften denn überhaupt die Familie ersetzen oder ausgleichen? Haben die nicht eine viel größere Unverbindlichkeit als familiäre Verbindungen?
[00:08:39] Janosch Schobin Bestimmte Sachen stellen, denke ich, auf jeden Fall bestehende Freundschaften vor besondere Probleme. Eine Sache, wo ich das sehe, ist Pflege. In dem Maße, wie unsere Gesellschaft demografisch altert, wird natürlich die Frage, mit wem verbringt man die letzten Jahre, wichtig. Und da spielen Verpflichtungen am Lebensende eine riesen Rolle. Wer würde mich pflegen, ist so eine Geschichte, und da gibt's schon ein paar Probleme. Was wir auf jeden Fall in den Statistiken sehen, ist, dass Freunde sehr selten alleine die Pflege überrnehmen, besonders wenn die Pflege leibesbezogen ist – also, wenn es um Waschen geht, Hintern abputzen, den anderen anziehen, füttern. Solche Geschichten machen Freunde ziemlich selten. Freunde machen in der Pflege ganz schön viel, aber das machen sie eigentlich in der Regel nicht. Und ich vermute, dass es da schon so Schwierigkeiten gibt, die wirklich mit der Sache zu tun haben. Was ich jetzt aus der Pflege-Forschung kenne, ist, dass gepflegt werden auch ziemlich belastend ist. Die Beziehung zwischen Pflegern und Gepflegten tendieren dazu, relativ konfliktbelastet zu sein aus so ganz inhärenten Gründen. Wenn mir jemand den Hintern abputzt, dann ist das ja so eine Sache, weil ich das nicht selber mache, kann das nicht richtig sein. Das greift so tief in so elementare Selbstständigkeitsfiktionen ein, dass ich immer dadurch belastet bin, dass das jemand für mich tut. Ich glaube, das ist so ein Grund, warum Freundschaften dann in Schwierigkeiten kommen. Das andere ist, dass es dafür nicht so richtig Intimitätsmodelle gibt. Das ändert sich vielleicht auch so langsam. Aber ich will sagen, das typische Intimitätsmodell der Freundschaft ist kommunikativ. Es geht um kommunikative Intimität, aber es geht weniger um leibliche Intimität. Man hat zwar diese Form der sexualisierten Freundschaft, die gerade auch ziemlich en vogue sind. Aber aufs Ganze gesehen, würde ich sagen, sind Freundschaften sehr kommunikativ intim.
[00:10:12] Lenne Kaffka Jetzt hast du auch schon die Sexualität angesprochen, und gerade in unserer Singlekultur dienen Freunde ja auch echt immer häufiger als Partnerersatz. Ich kenne das auch aus meinem Bekanntenkreis: Friends with benefits, Sex Buddy, Fuck Buddy. Es gibt da echt viele Begriffe. Kann es denn funktionieren, wenn sich Freundschaft und Sexualität so vermischen, oder ist das dann keine echte Freundschaft mehr?
[00:10:31] Janosch Schobin Das gibt es. Es gibt da alle möglichen Formen. Der einige Klassiker sind Leute, die lange Freunde sind und dann irgendwann eine Beziehung daraus wird.
[00:10:37] Lenne Kaffka Aber dann wird ja aus Freundschaft Liebe, oder nicht?
[00:10:39] Janosch Schobin Ja, beziehungsweise dann kommt halt Liebe dazu. Ich meine, die Freundschaft war ja vorher da und in der Regel würde ich vermuten, dass diese Beziehung relativ langlebig sind, weil die einfach eine unterliegende relativ gute Beziehungsqualität haben und dementsprechend dann sehr lange halten. Eine andere Sache, die man in Interviews häufig findet, ist, wie gesagt, diese Form der Ehe-Freundschaft. Die Leute werden in der Ehe Freunde, und dann ist das irgendwann auch mehr oder weniger der Grund für die Ehe. Es gibt auch Beziehungen, die daran zerbrechen. Das gibt es auch. Es gibt häufig das Gefühl, dass einer sich täuscht. Oder es gibt eine Inkongruenz zwischen dem, was der eine will und was der andere will, was dann häufig ein Konflikt ist. Aber es gibt, wenn man so will, das ganze Portfolio dieser Geschichten. Ich würde schon sagen, dass Sex zumindest ein Risiko für Freundschaftssbeziehungen darstellt, weil das zu Freundschaftsabbrüchen führen kann. Allerdings führen relativ viele Sachen implizit zur Freundschaftsabbrüchen. Wenn jemand umzieht, ist das ein Risiko für Freundschaften. Und Sexualität würde ich da jetzt nicht größer aufhängen wollen als sowas. Es ist halt eine von den vielen Sachen, die irgendwie Beziehungen belasten können, aber nicht müssen.
[00:11:34] Lenne Kaffka Kann es eigentlich sein, dass uns Freunde dann am wichtigsten sind, wenn wir gerade nichts Besseres, nichts anderes haben? Keine Familie, keine Beziehung, keine Kinder, vielleicht auch keinen Job?
[00:11:43] Janosch Schobin Es gibt zumindest so eine gewisse Dynamik, dass Freunde eine Kompensationsfunktion auch haben. Das ist schwierig, also empirisch schwierig. Wir haben da keine wirklich guten Studien zu. Und es gibt da auch immer Gedankenexperimente zu, wo sich das umdreht. Was wir schon relativ klar sagen können, ist, dass, wenn jetzt zum Beispiel die Beziehung in die Lütten geht, was dann passiert ist, dass die Frequenz und die Anzahl der Freunde hochgeht, da blüht das Freundschaftsleben wieder auf, weil da eine Lücke ist. Da ist natürlich mehr Zeitbudget auf einmal da, und das passiert. Aber sagen wir so, es gibt natürlich Leute, die weitaus mehr Zeit in Phasen ohne Beziehung verbringen als Phasen in Beziehung. Bei denen stellt sich natürlich die Frage, ob die Beziehung nicht vielleicht eher, wenn man so will, der Lückenfüller ist, wenn die Freundschaften erschöpft sind, wenn er gerade mal wieder die Nase voll hat, wenn man so will. Es ist auf jeden Fall so, dass Freunde natürlich, wenn Beziehungen zerbrechen auch eine Unterstützungsfunktion haben, die, die dann ausfüllen. Wenn Leute sich psychisch belastet fühlen, wenn es nicht gut geht, sind Freunde ganz, ganz elementare und primäre Adressaten von Unterstützungsanfragen. Und dann kommen die halt auch, weil das halt funktioniert.
[00:12:43] Lenne Kaffka Wie ist das eigentlich? Wie verändern sich Freundschaften? Bei mir war das so: Als Kind war mir vor allen Dingen wichtig, dass die ähnliche Hobbys hatten – die sollten Fußballspielen und vielleicht die gleiche Musik hören. Heute ist es eigentlich so, mir sind die Leute am nächsten, bei denen ich den Rat schätze, die Meinung, die vielleicht mehrere Lebensphasen mit mir durchlebt haben. Ist das typisch so?
[00:13:02] Janosch Schobin Ja, genau, das ist ganz typisch. Freundschaften werden zum Beispiel nach ihrer Dauer ganz stark bewertet. Das ist ganz interessant. Je länger Sie halten, umso höher sind sie bewertet. Wenn man so will, ist Freundschaftstreue ein hoher Wert. Der Prozess ist aber tatsächlich so, dass Freundschaften in der Regel sich an so Lebensumbrüchen erneuern oder zerbrechen bzw. was bei uns typischer ist, die werden auf Eis gelegt. Und dann können sie halt wieder aufwachen in einer anderen Lebensphase oder halt auch nicht. Da gibt es dann ganz irre Sachen, wo Leute halt in ihrer Jugend miteinander zu tun haben, sich sechzig Jahre nicht sehen und das dann wieder aufflammt. Die Regel ist halt, dass es durch diese Umbrüche immer wieder zu einer Umschichtung des Freundeskreises kommt. Und man dann so ein Substrat von Leuten hat, die schon mehrere dieser Lebensumbrüche überlebt haben und die dadurch dann einen ganz besonderen Status irgendwann bekommen.
[00:13:49] Lenne Kaffka Wie kann man es denn schaffen, dass bei solchen Umbrüchen nicht zu viele Freunde verloren gehen? Wie viel Kontakt braucht es? Wie viel Pflege?
[00:13:54] Janosch Schobin Das ist schwierig zu sagen, ist auch schwer zu sagen, woran das im Einzelnen liegt. Man muss sich vorstellen, wie komplex das Koordinationsproblem in Freundschaften ist. Ein Phänomen, an dem man sich das klar machen kann, ist, man weiß schon relativ wenig über die Freunde von den eigenen Freunden. Man ist da ziemlich schlecht drüber informiert, mit wem die eigentlich alles befreundet sind. Und über die engsten Freunde von Freunden weiß man vielleicht noch halbwegs Bescheid. Aber sobald es so ein bisschen entferntere Freunde von Freunden sind, weiß man schon ganz wenig über die – häufig nicht einmal den Beruf. Wenn es gut läuft, den Namen. Man muss sich halt klar machen, in diesen Lebensumbrüchen, das sind ja häufig Sachen, die gleichzeitig bei mehreren Leuten passieren, und das muss ja alles irgendwie koordiniert werden. Mein Leben bricht um, ich ziehe vielleicht 20 Kilometer in die Richtung. Dann habe ich da vielleicht zwei oder drei neue Kontakte, die interessant sein könnten. Und jetzt passiert bei anderen Freunden ähnliches, und jetzt muss man sich irgendwie koordinieren in diesem wirklich vollkommen unübersichtlichen Ding, wo niemand Informationen über die Zeitbudgets, Beziehungsanfragen und tatsächlich existierenden Beziehungen der anderen hat. Und irgendwie tariert sich das aus. Aber es ist sehr schwer zu sagen, woran das im Einzelnen liegt dann.
[00:15:00] Lenne Kaffka Gerade wenn man umzieht, dann hat man ja auch oft das Problem, dass man neue Freunde finden will, neue Freunde finden muss. Und als Kind ist es total einfach. Als ich Kind war, hat mal ein Junge auf mich gezeigt, meinte: "Sind wir Freunde?", da habe ich "ja" gesagt. Wir waren zehn Jahre befreundet, ging irgendwie gut, wahrscheinlich hatten wir ähnliche Interessen. So funktioniert das ja nicht mehr. Wie schaffe ich es denn in einer neuen Stadt vielleicht auch mehr als nur lose Kontakte zu finden, sondern Menschen, zu denen ich irgendwie Vertrauen aufbauen kann, die mir wirklich auch nahestehen dann?
[00:15:28] Janosch Schobin Das sind natürlich immer die organisationellen Kontexte, in denen man sich bewegt. Bei Kindern und so geht das relativ einfach, weil die in homogenen Gruppen zusammengepfercht werden. Später ist man im Berufsleben, dann ist es schon ein bisschen anders. Da trifft man noch weniger Leute, die in das Schema passen für einen als Freunde. Gerade wenn man extrem berufsmobil ist oder prekär beschäftigt ist und das ständig wechselt, habe ich diese Schwierigkeiten. Dann ist die Frage, wo gibt's eigentlich noch diese stabilen Kontexte, in denen Beziehungen geschlossen werden können. Das andere, wo typischerweise Freundschaften geschlossen werden, ist über Freundschaften. Das ist die andere Primärstruktur neben der organisationellen Struktur in unserer Gesellschaft sind die Freundschaften selber. Das dritte wäre die Verwandtschaft, die Familie. Das ist aber, wie gesagt, bei uns etwas dünn geworden. Man findet häufig über die Freunde weitere Freunde. Die kennen dann schon jemand dort und vermitteln den Kontakt und dann lernst du jemand kennen. Und was in den letzten Jahren vermehrt aufkommt, ist, dass man auch digitale Beziehungsmärkte hat. Es gibt jetzt in Deutschland zum Beispiel die ersten Apps, die halbwegs erfolgreich sind, solche online Matching Märkte für Freunde. Da kann man halt Beziehungen online knüpfen, so wie Partnerschaften.
[00:16:30] Lenne Kaffka Im Studium ist es ja so, oder auch in der Ausbildung, in der Schule, dass wir uns alle relativ ähnlich sind, was das Geld angeht. Niemand kann sich wirklich etwas leisten, und dann kommen wir irgendwie in die ersten Jobs. Manche entscheiden sich für Kinder, andere für Karriere. Und dann geht halt die Schere ziemlich weit auseinander. Wie viel Unterschied vertragen denn Freundschaften?
[00:16:49] Janosch Schobin Im Prinzip vertragen Freundschaften das häufig komplett. Im Mittel ist es so, dass all diese Sachen gewisse Risiken für Freundschaften bergen. Wenn man die durchschnittliche Anzahl der Freunde abzeichnet, dann ist das halt von Anfang 20 bis Mitte 30 so eine Rutsche. Die haben meine Studierenden die Baby-Rutsche genannt, weil, was da vornehmlich reinhaut ist das erste Kind. Da verlieren die Leute einfach wahnsinnig viele Freunde. Ganz klar, die Belastung sind einfach so massiv, dass da das Zeitbudget schwindet. Und dann passieren halt diese Ganzen Einschlafprozesse, Freundschaften werden auf Eis gelegt, weil man keine Zeit hat die zu pflegen. Und ganz häufig ist es dann halt so, dass die Freundschaften am privilegiertesten sind, wo die Leute ungefähr zum gleichen Zeitpunkt Kinder bekommen. Das ist auch interessant. Leute stecken sich regelrecht mit Kindern an. Mit Scheidungen übrigens auch. Wenn sich Freunde im Umfeld scheiden lassen, muss man so ein bisschen vorsichtig sein. Das könnte überspringen (lacht). Das sorgt natürlich dafür, dass Leute, die zum gleichen Zeitpunkt Kinder bekommen, eine bessere Chance haben, einfach diese Lebensphase gemeinsam zu gestalten, weil man dann die gleichen Probleme hat. Und man hat Verständnis für diese Situation, dass Gespräche nicht zustande kommen und so, dass man ein paar Jahre warten muss, bis man wieder ein Gespräch geführt hat. Und das geht einfacher mit Leuten, die da drinstecken. Das führt aber dazu, dass solche, wenn man so will, ähnlichen Lebensverlaufsmuster einen gewissen Vorteil dafür darstellen, dass man dann auch zusammenbleibt als Freunde.
[00:18:09] Lenne Kaffka Aber das würde dann wahrscheinlich bedeuten, wenn sich die finanzielle Schere zu weit auseinander bewegt, dass man eventuell sich dann doch auch auseinander lebt.
[00:18:17] Janosch Schobin In Deutschland ist das eher untypisch, dass es tatsächlich am Einkommen liegt, weil Deutschland keine richtige Klassengesellschaft ist. Wir sind eine Gesellschaft, in der man tendenziell Leute nicht für minderwertig hält, weil sie weniger oder mehr verdienen. Wenn man beispielsweise in Lateinamerika in eine echte Klassengesellschaft kommt, gibt es harte Grenzen. Die gibt's bei uns so einfach wirklich nicht. Das wäre eine Übertreibung. Wir haben in Deutschland soziale Differenzen, aber dass man jemanden wirklich nicht mehr als einen echten Menschen wahrnimmt, weil er nicht in der gleichen sozialen Klasse ist, gibt es bei uns, so würde ich behaupten, nicht. Und das macht es ein bisschen einfacher bei uns. Das ist in Lateinamerika dann tatsächlich ein Problem, weil wenn du dich aus deiner sozialen Klasse rausbegibst, anderen Leute, wenn man so will, wirklich für dich jenseits dessen sind, mit denen du Kontakt haben kannst, ohne in deinem sozialen Umfeld geächtet zu werden.
[00:19:08] Lenne Kaffka Wenn wir jetzt schon über Geld sprechen, wie ist das überhaupt? Wie siehst du das? Sollte man Freunden Geld leihen?
[00:19:13] Janosch Schobin Ja, würde ich schon sagen. Sollte man schon. Also, ich würde auch sagen, dass das bei uns immer noch zu den Freundschaftspflichten gehört. Aber tendenziell passiert das auch irgendwie, wenn man so Lebensverlaufsforschung macht und sich anguckt, tun die Leute das. Es ist selten geworden. Leute machen das – wir sprechen von größeren Summen – über den Lebensverlauf ab und an mal. Es ist auch relativ unbeliebt geworden. Viele Leute wollen das nicht mehr machen. Aber wenn man jetzt international vergleicht, weiß man, dass das eigentlich eine ganz übliche Freundschaftspflicht ist, Geld zu verleihen bzw. in ökonomischen Situationen sich zur Seite zu stehen. Empirisch ist es auch so, dass Leute, die das tun, auf lange Sicht mehr Freunde haben.
[00:19:52] Lenne Kaffka Aber weniger Geld, vielleicht.
[00:19:53] Janosch Schobin Vielleicht weniger Geld. Ja, ich glaube, der Protest, den man sich klarmachen muss, ist, dass das Verleihen großer Geldsummen häufig auch so eine Art Freundschaftsprüfung ist. Beziehungen, die diese Prüfung überstehen, sind gehärtete Beziehungen. Das heißt, die dauern dann auch länger. Und der Effekt ist dann in the long run einfach, dass Beziehungen, in denen so etwas funktioniert, eine sehr, sehr hohe Dauer entwickeln und dadurch dazu führen, dass Leute ein stabileres und langfristiges Freundschaftsnetzwerk haben. So kommt das aus meiner Sicht zustande, dass Leute, die Freunden Geld leihen, am Ende mit mehr Freunden dastehen.
[00:20:23] Lenne Kaffka Und viele Menschen haben ja auch wirklich echt lange Freundschaften. Meine längste hält bislang 28 Jahre. Das ist länger als die meisten Liebesbeziehungen. Wieso fällt uns das eigentlich so viel leichter lange befreundet zu sein? Weil, ich meine, da läuft doch auch nicht immer alles super.
[00:20:36] Janosch Schobin Eine Differenz zu Liebesbeziehungen, ist, dass Freundschaft bei uns keinen Exklusivitätsanspruch mehr hat. Und das ist, glaube ich, eine Sache, die bei Beziehungen einfach durch den extrem hohen Anspruch, der gestellt wird, schwieriger ist.
[00:20:47] Lenne Kaffka Ich weiß nicht, wie es dir geht. Ich habe schon mit vielen Freunden über das Ende von Beziehung geredet, aber eigentlich fast noch nie darüber, wie eine Freundschaft aktiv beendet wurde. Warum fällt uns das so schwer, mit Freunden Schluss zu machen?
[00:21:00] Janosch Schobin Die Gründe für Freundschaftsabbrüche sind, wie gesagt, diese Lebensumbrüche. Es gibt aber auch Freundschaften, die richtig zerbrechen durch Verrat oder etwas, was vor allem als Verrat erlebt wird, von irgendeiner Seite. Das sind ganz unterschiedliche Sachen. Wenn man Interviews mit Leuten aus der 68er-Generation führt, sind das häufig solche politischen Sachen. Was auch vorkommt, ist, dass Leute beispielsweise durch Liebesbeziehungen zu sowas kommt. Der eine verliebt sich in den Partner des anderen. Solche Sachen passieren. Ich würde mal sagen, es gibt in jeder in jeder Freundschaftsbiografie diese Erfahrung mit Leuten, von man das Gefühl hat, die haben mir die Freundschaft vorgetäuscht und die werden dann beendet. Da wird dann häufig nicht drüber geredet, sondern man bricht den Kontakt einfach ab. Der Normalfall ist aber dieses Auseinanderdriften, dieses langsame Einschlafen lassen. Das wird gar nicht aktiv gemacht. Und das ist ja auch klar, dass man so etwas nicht beendet, weil einmal ist es ja nicht sinnvoll, weil unter Umständen will man die Beziehung ja irgendwie wieder aufleben lassen. Das andere ist natürlich, dass es, auch wenn man psychisch und emotional ernorme Kosten hätte, so eine Beziehung zu beenden und dafür einen Grund zu haben.
[00:21:58] Lenne Kaffka Wieviel Freunde können wir denn eigentlich wirklich gleichzeitig haben? Also unsere Zeit ist doch begrenzt.
[00:22:03] Janosch Schobin Ich würde vermuten, dass die meisten Leute enge Freundschaften im niedrigen, einstelligen oder zweistelligen Bereich haben. Und das Einfachste ist die Zeitbeschränkung. Die Zeitbeschränkungen sind das Härteste. Es gibt auch Studien über kognitive Beschränkungen. Es gibt diese berühmte "Dunbar's number", die Idee, dass wir einfach nicht dazu in der Lage sind, kognitiv mehr als eine beschränkte Anzahl von individualisierten, auf die ganze Person zugeschnittenen Beziehungen zu führen. Ich meine, dass es eine kognitive Grenze gibt, ist klar, weil unser Gehirn, wenn man so will, eine kleine Sache ist. Diese Studien auf jeden Fall sagen Das liegt irgendwo im niedrigen dreistelligen Bereich.
[00:22:41] Lenne Kaffka Ich habe aktuell 711 Facebook-Freunde, was nicht besonders viel ist. Halten wir nicht durch soziale Netzwerke auch Freundschaften einfach künstlich aufrecht?
[00:22:50] Janosch Schobin Ich interpretiere soziale Netzwerke einmal natürlich so, wie du sagst: Wir managen eine Beziehungs-Reserve dadurch. Das ist ja auch irgendwie ganz praktisch, weil man durch die sozialen Netzwerke suggerieren kann, dass man eine individualisierte Beziehung mit jemandem führt, mit dem man eigentlich eine Beziehung qua sozialer Klasse führt, weil er zu einer bestimmten Gruppierung gehört. Sagen wir mal, das sind Leute, die kannte ich vor zehn Jahren, die gehören zu dieser Gruppierung, und ich kann durch die sozialen Netzwerke natürlich suggerieren, dass das immer noch eine 1:1-Beziehung ist. Ich glaube, das ist ein Aspekt. Aber ich glaube, ein anderer Aspekt, so wie ich das sehe, ist, was mit den sozialen Netzwerken passiert ist, dass sie auch eine Bühne für Freundschaften sind. Die 700 Leute, die man da hat, von denen würde ich mal sagen – böse ausgedrückt – sind 650 Leute Publikum.
[00:23:34] Lenne Kaffka Als die sozialen Netzwerke, ich glaube, es war so, vor 15 Jahren circa, aufkamen, da gab es ja auch häufig den Vorwurf, dass der Freundschaftsgegriff jetzt total entwertet wird. Siehst du das ähnlich?
[00:23:43] Janosch Schobin Da sehen wir wenig. Es gibt aber auch wenig systematische Forschung dazu. Es wäre vermutlich auch zu spät, das noch zu testen. Auch Studien nach 2006, die sich mit der Relevanz von Freundschaftsbeziehungen beschäftigen – es ist immer noch so, dass Freundschaften als besonders wichtig eingeschätzt werden, eigentlich über fast alle Lebensbereiche. Wenn es zu so einer Verwässerung gekommen ist, ist die wahrscheinlich relativ marginal. Mir hat das aber auch nie eingeleuchtet, weil es eigentlich immer schon solche Wortbedeutung von Freundschaft gab, die diesen Charakter hatten. In Lateinamerika ist die im Alltag noch üblich. Das ist, wenn man so will, die Semantik der friedlichen Begegnung. Wenn einen jemand auf der Straße anspricht, den man nicht kennt, und er will suggerieren, dass er harmlos ist, dann sagt der "Amigo". Das ist so eine Weise einem mitzuteilen, ich will dir nichts Böses. Freundschaft ist häufig ein Begriff, wo man probiert zu sagen, was wir haben ist eine Beziehung, die ist nicht feindselig. Und diese Semantik, die gibt es, die gab es, die hält sich historisch durch. Und ich würde sagen, auf Facebook ist das ganz stark. Das war gar nichts Neues. In den USA war das auch lange typisch. Wenn jemand in den USA "friend" gesagt hat, dann waren das häufig Leute, die man seit fünf Minuten kannte.
[00:24:53] Lenne Kaffka Und so lose neue Kontakte findet man ja auch ziemlich leicht online. Da können wir uns quasi mit jedem vernetzen, nicht nur in Social Networks, sondern in Gaming Portalen, über Chats, über Blogs. Es gibt viele Möglichkeiten. Erfüllen denn virtuelle Freundschaften auch Kriterien von echten Freundschaften?
[00:25:08] Janosch Schobin Virtuelle Freundschaften gibt's ja auch nicht seit heute. [Es gab ja auch schon früher Brieffreundschaften, die ja auch sozusagen virtuell waren]. Zentral ist ja, wie gesagt, für Freundschaften dieses modernen-kommunikativen Typs das Austauschen privilegierter Informationen übereinander. Das kann natürlich komplett stattfinden, ohne dass man sich sieht. Freundschaften online entstehen vor allen Dingen, so wie ich das sehe, im Kontext von Spielen, weil da natürlich vieles zusammenkommt, was typisch für Freundschaftsgenese ist. Es gibt eine Situation, in der Freundschaften sich bewähren können. Es gibt also ein gemeinsames Problem, dass man irgendwie bewältigt, wo man auf Vertrauen angewiesen ist und Vertrauen entwickeln kann. Und es entsteht diese kommunikative Ebene. Also ganz viel, was an Spielen ja geschätzt wird, sind diese Teams Chats, man redet miteinander. Und man hat diese gemeinsame Aufgabe, wo man sie auf den anderen verlassen können muss. Zugegeben ist das in Interviews bei mir selten vorgekommen, dass Leute das gesagt haben, dass sie enge Freundschaften online geschlossen haben. Aber es kommt vor und ist eigentlich immer im Kontext von Spielen, weil man da diesen engen Draht zueinander entwickelt hat und dieses Spiel häufig auch relativ zentraler Lebensinhalt war und über längere Zeiträume zusammen bewältigt wurde. Und das wurde teilweise wirklich ein Team. Die Leute sprachen dann regelmäßig miteinander, riefen sich an. Irgendwann sprach man über die Familie und über alles andere. Das Spiel war, wenn man so will, die Gelegenheistruktur, in der das passierte.
[00:26:26] Lenne Kaffka Das Internet hat ja aber auch die Art, wie wir mit langjährigen Freunden kommunizieren, verändert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal telefoniert habe wirklich. Ich schreibe viel mehr. Haben sich unsere Freundschaften auch wirklich durchs Internet verändert?
[00:26:39] Janosch Schobin Was sich verändert hat, ist, dass man die Freundschaften wieder zeigt. Das war halt echt unüblich. Und ich würde sagen, das ist wirklich eine substanzielle Veränderung. Diese Darstellungspflicht der Freundschaft ist stärker geworden. Und es ist auch als etwas erlebt worden, was einfach wichtig ist, so dass man das macht. Ob da ein ganz eigenes Ideal entstanden ist der Online-Freundschaft – da wäre ich skeptisch. Das Problem an diesen Geschichten ist, dass es nicht neu ist, sondern sehr spezifisch für ganz bestimmte soziale Formationen gewesen ist. Und was einfach passiert ist, dass es sich popularisiert und demokratisiert. Also in sozialen Eliten war dieses Zeigen natürlich nie ganz weg. In politischen Freundschaften war es auch nie unüblich. Jetzt ist es auf einmal in der Alltagsfreundschaft plötzlich wieder da.
[00:27:21] Lenne Kaffka Und wir brauchen das Internet in diesem Jahr ja auch einfach, um Freundschaften auf Distanz zu führen – per Videocall, per Chat oder ähnlichem. Aber lassen sich denn analoge Freundschaften wirklich so einfach virtuell weiter pflegen? Ich meine, es brechen dann ja auch Rituale weg: der wöchentliche Kneipenabend, die gemeinsame Laufrunde.
[00:27:37] Janosch Schobin Mediatisierung ist ein langer Prozess. Vor dem Internet war es haöt hat das Telefon. Wir haben davor einfach schon ganz stark diese Verschiebung, dass die Leute mehr medial kommunizieren. Die fängt ja nicht mit dem Internet an, die fängt im Prinzip mit den Briefen schon an. In dem Moment, wo die Leute Schreiben und Lesen lernen in größerem Maße, fängt das an. Sodass auch da dieses Umstellen einer Freundschaft vom täglichem Sehen auf Medium auch nichts Neues ist. Und die Frage, ob es durch das Internet jetzt noch mal viel schlimmer geworden ist, ist ganz schwer zu beantworten, ehrlich gesagt.
[00:28:07] Lenne Kaffka Kann es denn auch sein, dass es eine Chance für Freundschaften ist, wenn der Fokus weggeht von gemeinsamen Aktivitäten hin zu mehr Austausch? Ich habe durchaus auch Freunde, mit denen ich eigentlich immer unterwegs war. Jetzt war die einzige Möglichkeit, die wir hatten, spazieren zu gehen, zu reden, zu chatten.
[00:28:22] Janosch Schobin Das kann einmal eine Sache sein. Aber das ist natürlich auch immer etwas, was eine Selektion auslöst. Gruppenfreundschaften haben ja, wenn man so will, einen Vorteil und der ist der, dass man die pflegen kann, ohne für jeden Einzelnen viel Zeit aufwenden zu müssen. Kommunikativ-intimisierte Freundschaften haben sozusagen inhärent ein höheres Zeitbudget. Man kann die sozusagen nicht serialisieren. Gruppenfreundschaften haben noch ein paar ganz interessante Eigenschaften, nämlich, dass man natürlich mit profitiert von der Enge der Beziehungen, die andere Freunde zu denen haben. Das heißt, wenn ich in der Gruppe mit einem gut befreundet bin und der ist noch mit einem anderen gut befreundet, und so weiter, dann ist ja der Gesamtgruppenzusammenhalt durch diese wenigen engen Beziehungen stark gehalten. Das heißt, ich profitiere von der Beziehungsarbeit der anderen mit. Ich glaube, es ist sehr schwierig, diesen Profit der Gruppensituation in 1:1-Situation mitzunehmen. Das wird, glaube ich, nicht klappen.
[00:29:11] Lenne Kaffka Sag mir jetzt zum Schluss gerne nochmal: Was glaubst du denn, wodurch jede Freundschaft einfach besser wird?
[00:29:17] Janosch Schobin Das ist ganz unterschiedlich. Ich glaube, was meine Freundschaften besser gemacht hat, ist immer, wenn ich mal die Zeit mir genommen habe, über die nachzudenken. Das hat, glaube ich, in der Regel was gebracht. Da muss man ja irgendwie auch grausam zu sich selber sein. Und man muss ein hohes Maß, wenn man so will, Energie dareinstecken, die Situation des anderen auch wirklich sehen zu wollen. Und das ist schwierig. Aber ich glaube, dadurch sind meine Freundschaften besser geworden, dass ich diese Zeit mir genommen habe, da mal wirklich Gehirnschmalz reinzustecken, darüber nachzudenken.
[00:29:48] Lenne Kaffka Und das war es mal wieder mit Smarter leben. Noch mehr Infos zur Arbeit von Janosch Schobin stehen in den Shownotes zu dieser Episode. Die nächste Folge gibt es dann ab kommendem Samstag auf spiegel.de und überall, wo es Podcasts gibt – zum Beispiel bei Spotify oder Apple Podcasts. Bei Anregung oder Themenvorschlägen einfach eine Mail schreiben an smarterleben@spiegel.de. Diesmal wurde ich unterstützt von Philipp Fackler, Christina Pohl und Yasemin Yüksel. Unsere Musik kommt von audioBOUTIQUE. Tschüss, bis zum nächsten Mal.
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