Erschöpft in der Kita: "Wir sind keine Einrichtung, die Kinder gesund pflegen kann"
Erschöpft in der Kita: "Wir sind keine Einrichtung, die Kinder gesund pflegen kann"
Foto: BraunS/ Getty Images

Krank in die Kita Die Eltern fürchten um ihren Job - die Erzieherinnen um ihre Gesundheit

Bei Kleinkindern ist die Schnupfennase ab Herbst quasi der Normalzustand. Hier erzählen Väter, Mütter und Betreuungskräfte, wie sie mit kranken Kindern umgehen - und wie sehr das Thema sie belastet.
Von Heike Klovert

Ein wichtiges Meeting steht an - und das Kind klagt morgens über Bauchschmerzen. Oder es hat leichten Durchfall. Oder es hustet. Diese Situationen bringen Eltern immer wieder in einen Zwiespalt. Sollen sie das Kind trotzdem in die Kita bringen? Vielleicht erholt es sich ja. Oder sollen sie mit ihm zu Hause bleiben? Und was ist mit dem Meeting?

Diese Fragen müssen sich Mütter und Väter oft stellen: Denn Kleinkinder sind pro Winterhalbjahr zwischen acht- und zehnmal erkältet. Weswegen viele Eltern - und auch Kinderärzte  - den kommenden Herbst fürchten: Dann, wenn eine zweite Corona-Welle anrollen könnte, und jede Schniefnase gleich ein Verdachtsfall ist. Zwar haben mehrere Bundesländer, etwa Niedersachsen, die Betreuung von Kindern mit einem "banalen Infekt ohne Fieber" inzwischen wieder erlaubt, aber häufig delegieren die zuständigen Ministerien die Verantwortung an die einzelnen Kitas. Das kann dazu führen, dass auch Kinder mit Neurodermitis nach Hause geschickt werden. Das ärgert und verunsichert viele Eltern.

Die Coronakrise potenziert den Stress, den Eltern vorher schon hatten: Auf der einen Seite stehen da Eltern, die sich manchmal nicht anders zu helfen wissen, als ihr Kind krank in der Krippe abzuliefern. Auf der anderen Seite stehen Erzieherinnen und Erzieher, die sich dagegen wehren.

Hier erzählen vier Mütter, zwei Erzieherinnen und ein Erzieher, was sie bisher in ihrer Krippen- und Kindergartenzeit erlebt haben und wie sie damit umgegangen sind.

Mutter mit Zwillingen, 4 Jahre, Hamburg

Als meine Kinder nach dem Lockdown gerade zwei Tage wieder in die Kita gingen, hieß es: "Corona-Verdachtsfall". Eine Erzieherin habe sich vielleicht angesteckt. Da war die Aufregung unter den Eltern groß, die Telefonleitung der Kita ständig besetzt. Inzwischen kommuniziert die Kita-Leitung vorsichtiger. Nun heißt es: "Drei Kinder müssen einen Test machen, weil sie Schnupfen haben."

Die Situation hat sich im Vergleich zu früher dramatisch geändert. Vor der Coronakrise kamen mir in der Kita Kinder entgegen, denen eine grüne Rotzfahne aus der Nase hing. Da dachte sogar ich: Das geht ja gar nicht.

Erkältetes Kind: "Schnupfen oder Husten? Ab in die Kita"

Erkältetes Kind: "Schnupfen oder Husten? Ab in die Kita" 

Foto: Halfpoint/ Getty Images/iStockphoto

Generell habe ich den Eindruck, dass Festangestellte ohne Führungsrolle eher entspannt sind, wenn ihre Kinder krank werden. Für sie ist es beruflich oft leichter, zu Hause zu bleiben. Mein Mann und ich, wir sind beide selbstständig. Wir haben unsere Kinder zwar immer zu Hause behalten, wenn sie Fieber hatten oder sehr schlapp waren. Aber Schnupfen oder Husten? Ab in die Kita. 

Ich habe das Gefühl, dass meine Auftraggeber mit dem Thema seit dem Lockdown zum Glück lockerer umgehen. Fast alle haben volles Verständnis, wenn ich ein Meeting verschieben oder eine Präsentation in meinem Schlafzimmer halten muss, während meine Kinder vor der Tür spielen. Hoffentlich bleibt das nach der Krise so.

Erzieher, 31 Jahre alt, Hamburg

Alle Eltern, die ihr Kind in unserer Kita betreuen lassen, haben eine Erklärung unterschrieben: Wenn ihr Kind eine Körpertemperatur von mehr als 38 Grad hat, müssen sie es abholen oder dürfen es gar nicht erst bei uns abgeben. Doch etwa ein Fünftel der Eltern ist in diesem Punkt nicht besonders einsichtig.

Im vergangenen Sommer riefen wir einen Vater an, weil sein zweijähriges Kind 38,6 Grad Fieber hatte. Als er es abholen kam, fragte er uns, mit welchem Thermometer wir denn gemessen hätten. Wir benutzen das Ohrenthermometer eines bekannten Herstellers.

Der Vater sagte, dem Gerät vertraue er nicht, wir sollten lieber ein Rektalthermometer nehmen. Eine Kollegin antwortete, dass wir die Temperatur der Kinder nicht im Po messen dürfen und wollen und dass das Kind auf jeden Fall ins Bett gehöre. Da nahm der Vater es - wie mir schien - widerwillig mit.

Das ist ein Extremfall. Öfter passiert es, dass Eltern morgens sagen, ihr Kind sei nicht gut drauf. Wir fragen dann, ob etwas vorgefallen sei, ob es zum Beispiel zahnt. Nein, nein, es fühle sich bloß nicht so gut. Im Nachhinein kommt heraus, dass die Eltern ihm ein Zäpfchen gegeben haben. Das erzählen uns dann zum Beispiel ältere Geschwister. Das Fieber geht vormittags wieder hoch und das Kind muss abgeholt werden.

"Viele Eltern wissen gar nicht, wie gut wir ihre Kinder kennen."

Viele Eltern wissen gar nicht, wie gut wir ihre Kinder kennen. Manche sagen, das Kind habe Fieber, weil es zahne. Aber ich weiß, wer gerade zahnt und wer schon alle Zähne hat. Wenn die Kinder schreien oder etwas im Mund haben, was dort nicht hineingehört, lerne ich ihr Gebiss ganz gut kennen.

Einmal im Jahr führen wir Entwicklungsgespräche mit den Eltern. Wenn wir das Thema dort ansprechen, sind sie meist kooperativer als im Alltag. Wir sagen dann, dass das Wohl des Kindes für uns an erster Stelle stehe und dass wir keine hausärztliche Einrichtung seien, die Kinder gesund pflegen kann.

Ich bekomme mit, dass viele Eltern beruflichen Druck spüren. Sie können oder wollen keine Minusstunden machen. Manche fürchten um ihren Job, wenn sie es trotzdem tun. Wir versuchen, diese Eltern zu unterstützen, wenn wir das können. Ich rate ihnen auch, dass sie ihrem Kind erlauben, sich zu Hause einmal richtig auszukurieren, damit es nicht gleich wieder krank wird. Es kann auch helfen, ihm zwischendurch präventiv einen Ruhe- und Bummeltag zu gönnen, wenn sich das einrichten lässt.

Christine Brunsch, drei Kinder, 4 bis 9 Jahre, Kassel

Foto: privat

Wir hatten Würmer in der Kita. Die loszuwerden, ist so schwierig, dagegen sind Läuse ein Klacks. Meine Tochter bekommt von ihnen Bauchschmerzen, andere Kinder stören sie gar nicht. Es hat mich geärgert, dass viele Eltern das Thema nicht ernst nahmen. Sie schickten ihre Kinder einfach trotzdem in die Kita.

Ich verstehe ja, dass viele von ihnen sich vielleicht um ihren Arbeitsplatz sorgen und niemanden haben, der auf ihre Kinder aufpassen kann. Ich bin Lehrerin, und als meine Tochter chronisches Asthma bekam, musste ich meinen Job aufgeben. Ich hätte ihr und der Arbeit nicht gleichzeitig gerecht werden können.

Ein Elternteil muss zurückstecken, das ist einfach so. Wir haben als Mütter und Väter auch eine Verantwortung für andere Familien, nicht nur für unsere eigene. Wenn Kinder krank in die Kita gehen, vergrößert sich das Problem. Am Ende hatten fast alle Kinder in der Gruppe meiner Tochter Würmer. Erst seit dem Lockdown sind wir sie los.

Mütter bekommen für Kindererziehung und Hausarbeit wenig soziale Anerkennung. Das muss sich ändern. Wenn ich sage, dass ich mit drei Kindern zu Hause bin, höre ich oft: "Ach, du arbeitest nicht." Doch, ich arbeite den ganzen Tag!

Berufstätige Eltern haben das Recht, jeweils nur zehn Arbeitstage freigestellt zu werden, um ihr krankes Kind zu pflegen. Wenn sie länger zu Hause bleiben müssen, sollte der Staat in dieser Zeit für ihr Gehalt aufkommen. Das würde Arbeitgeber entlasten und es Eltern erleichtern, sich für eine Weile aus ihrem Beruf zu lösen.

Ich finde auch, dass sich die Väter stärker in die Betreuung einbringen sollten. Mein Mann hilft im Notfall schon mal aus, aber feste Aufgaben möchte er nicht haben. Außerdem hat er so viele berufliche Termine, dass es oft schwierig für ihn ist, spontan einzuspringen. Wir streiten uns alle paar Monate, weil ich mich überfordert fühle. Oft beschäftigen wir eine externe Betreuung. Wir haben Glück, dass wir uns das leisten können.

Barbara Schmieder, 43, Leiterin einer Kita in Friedrichshafen

Die Eltern sollen die Temperatur ihrer Kinder messen, bevor sie sie bei uns abgeben. Kinder mit mehr als 37,5 Grad dürfen aktuell nicht in unsere Kinderhäuser. Fiebernde Kinder mussten natürlich auch vor der Coronakrise zu Hause bleiben, aber da lag die Grenze bei 38,5 Grad. Wir schauen auch selbst nach weiteren Indikatoren, wenn die Eltern die Kinder bringen: Wie anhänglich ist das Kind? Hat es geschwollene Augen? Ist es sehr schlapp? 

Die meisten Eltern sind generell sehr verantwortungsvoll. Doch es gibt immer auch jene, die fiebersenkende Mittel geben und ihr Kind schon am nächsten Tag wieder abgeben wollen. Wir achten dann darauf, dass die Bezugspädagogin mit den Eltern spricht: Wie war die Nacht? Wie geht es dem Rest der Familie? Zusätzlich weisen wir darauf hin, dass das Kind sich auskurieren sollte.

"Wir müssen selbst aufpassen, dass wir uns nicht anstecken."

In diesem Gespräch wird schnell ersichtlich, ob das Kind sich an die Mutter oder den Vater klammert oder ob es wieder weitgehend fit ist. Wenn wir den Eindruck haben, dass das Kind noch krank ist, können wir eine Bestätigung vom Arzt verlangen, die im besten Fall das Gegenteil belegt. Unsere Erfahrung zeigt, dass dieses Attest nicht jeder Arzt gern ausstellt. Aber wir empfehlen den Eltern, hartnäckig zu bleiben und ihr Kind wenigstens anschauen zu lassen.

Wir müssen natürlich selbst auch aufpassen, dass wir uns nicht anstecken. Abstand zu halten zu den Kindern, ist in einer Kita schwierig bis unmöglich. Aber es gibt auch noch andere Wege, um sich zu schützen: Wenn wir zum Beispiel einem Kind die Nase putzen, waschen wir uns gleich danach die Hände. Wir desinfizieren den Wickelbereich nach jedem Wickeln. Wir tun, was wir können. Natürlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, aber vielleicht können wir eine Ansteckung mit dem Coronavirus und anderen Krankheiten so wenigstens hinauszögern.

Mutter, drei Kinder, 9 bis 15 Jahre, Essen

Zum Glück sind meine Kinder nicht mehr im Kita-Alter. Morgens war es besonders hart: Ich musste drei Kinder fertig machen, um 8 Uhr auf der Arbeit sein - und ich hatte eine Stunde Fahrtweg.

Ich bin alleinerziehend, mein Ex-Mann unterstützt mich nicht und wenn ein Kind krank wurde und ich deshalb ausfiel, fehlte es im Betrieb an allen Ecken und Enden. Mein damaliger Chef hatte selbst fünf Kinder und war sehr verständnisvoll. Aber wenn ich wiederkam, sagten meine Kolleginnen und Kollegen Sätze wie: "Na ja, es war halt viel zu tun. Es ist viel Arbeit liegen geblieben."

Meine Älteste litt früher oft an Mittelohrentzündungen. Einmal musste ich zwei Wochen lang bei ihr zu Hause bleiben, weil sie einen Infekt nach dem anderen hatte. Nach einem halben Jahr erledigte sich das Problem sozusagen von selbst: Ich bekam einen Burn-out und wurde krankgeschrieben.

Ich weiß nicht, wie es in meinem Job weitergegangen wäre mit ständig kranken Kindern. Ich arbeitete als Zahnarzthelferin und stellte fest: Der Job war nicht familienfreundlich. Deshalb ließ ich mich 2014 zur Tagesmutter umschulen.

"Manchmal höre ich von Eltern: 'Ja, dann wickelst du halt einmal öfter.'"

Nun habe ich selbst eine Gruppe mit vier Kindern und bitte die Eltern, ihre Kinder zu Hause zu pflegen, wenn sie krank sind. Ich verstehe ja die Nöte, die gerade Alleinerziehende haben. Sie müssten staatlich besser abgesichert werden, also mehr Zuschüsse und mehr Kinderkrankentage bekommen, damit sie ihr Kind flexibler zu Hause versorgen können.

Denn wenn sich ein Kind bis unter die Achselhöhlen mit Durchfall einscheißt, kann ich es als Tagesmutter nicht weiterbetreuen. Manchmal höre ich von Eltern: "Ja, dann wickelst du halt einmal öfter, es bleibt doch eh in der Windel." Aber Magen-Darm-Infekte sind hoch ansteckend und wenn ich ausfalle, hat die ganze Gruppe keine Betreuung.

Seit dem Lockdown darf ich gar keine Kinder mit Symptomen mehr annehmen. Eine Mutter hat für ihren Sohn ein Attest vom Arzt besorgt. Der hat ihm einmal in die Nase geguckt und bescheinigt: Das ist kein Corona.

Damit bin ich rechtlich abgesichert, aber gesundheitlich hilft es mir nicht, falls sich der Arzt irrt. Mein Sohn hat Asthma, und mein Partner ist über 50 und hat Bluthochdruck. Die Unsicherheit, ob sie sich irgendwo anstecken können, ist immer da. Ich muss sie akzeptieren.

Erzieherin, 59, Magdeburg

Manche Eltern bringen morgens ihr Kind zu uns und sagen: "Heute Nacht ging es ihm nicht so gut, bitte behaltet es im Blick." Das finde ich ehrlich und hilfreich, weil ich weiß, dass ich auf dieses Kind besonders achten muss.

Doch es gibt auch Eltern, die gar nichts sagen. Bei jüngeren Kindern sehen wir am Stuhlgang, dass es ein Zäpfchen bekommen hat. Die Großen erzählen das manchmal auch. Wenn ich die Eltern dann darauf anspreche und sie leugnen es, fühle ich mich besonders betrogen.

In einer Gruppe mit fast 30 Kindern ist es schwer, eine Kollegin dafür abzustellen, sich um das kranke Kind zu kümmern. Wenn wir Glück haben, kommen die Eltern schnell. Doch manchmal funktionieren die Telefonnummern auch nicht.

Es ist schon passiert, dass die Eltern ein krankes Kind erst abends abgeholt haben. Dann muss ich mich beherrschen, um freundlich zu bleiben.

Manche Eltern bringen ihr Kind dann schon am nächsten Tag wieder und sagen: "Es hatte nichts mehr." Das geht dann drei Tage hintereinander so, und erst dann können wir sagen: "Jetzt wollen wir eine Bescheinigung vom Arzt, dass das Kind kitatauglich ist." Doch dann haben sich meist schon andere Kinder angesteckt.

Mutter, eine Tochter, zwei Jahre, Dortmund

Im Februar habe ich einen neuen Job begonnen. Ich arbeite nun endlich wieder in dem Bereich, in den ich jahrelang zurück wollte. Im Vorstellungsgespräch hatte ich gesagt: Ich sei genauso flexibel einsetzbar wie jemand ohne Kind.

Doch inzwischen habe ich festgestellt: Das stimmt nicht. Nach zwei Wochen im neuen Job erbrach sich meine Tochter in der Kita. Der Arzt schrieb sie fünf Tage krank. Klar wäre es besser gewesen, ich hätte sie zu Hause gepflegt. Aber ich wollte nicht gleich ausfallen auf der Arbeit.

Mein Mann ist selbstständig, und wenn unsere Tochter vorzeitig abgeholt werden muss, macht er das meistens. Doch er hatte gerade schon zwei Wochen frei gehabt, damit ich flexibel eingearbeitet werden konnte. Weitere fünf Tage wären finanziell für uns schwierig geworden. Schweren Herzens brachte ich unsere Tochter also zu ihren Großeltern, die 70 Kilometer entfernt wohnen.

"Meine Kolleginnen machen mir keinen Druck, das tue ich selbst."

Ich habe auch schon mal darüber nachgedacht, ihr ein Fieberzäpfchen oder andere Medikamente zu geben, die ihre Symptome unterdrücken. Ich habe es nicht gemacht und würde es auch nicht tun, aber der Gedanke ist trotzdem verlockend.

Meine Chefin und meine beiden Kolleginnen sind sehr nett. Sie machen mir keinen Druck, das tue ich selbst. Ich möchte einen professionellen Job machen und das ist nicht leicht, wenn ich im Homeoffice Beratungen abhalte und mit einem Auge hinter den Laptop gucken muss, wo sich meine Tochter gerade ihre Windel auszieht.

Eine meiner Kolleginnen hat noch keine Kinder, sie muss es ausbaden, wenn wir anderen ausfallen. Ich hoffe, dass sie auch irgendwann schwanger wird. Wenn ihr Kind noch klein und meine Tochter schon größer ist, will ich ihr alles zurückgeben, was sie gerade für mich tut.

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