

Nur halbtags emanzipiert – Folge eins Warum ich als Feministin meinem Mann den Einkaufszettel schreibe
Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
»Wie die Autorin das wohl selbst regelt mit der Gleichberechtigung?«, schrieb ein SPIEGEL-Leser, nachdem ich einen Text über die Doppelbelastung von arbeitenden Müttern geschrieben hatte. Diese Leserfrage verursachte in mir ein Unwohlsein, denn sobald ich meinen Alltag unter die Lupe nehme – ganz ohne Filter-App oder die übliche Schönrederei – fühlt es sich an, als würde ich ein Doppelleben führen: Vormittags schreibe ich Texte über Gleichberechtigung – nachmittags den Einkaufszettel für meinen Mann. Vormittags plädiere ich für eine bessere Arbeitsteilung in der Familie, nachmittags kümmere ich allein um die gemeinsamen Kinder. Vormittags kritisiere ich die Rentenlücke der Frauen, nachmittags lehne ich den Kindern zuliebe ein attraktives Jobangebot ab und steuere damit in die Altersarmut.
Feministin bin ich offensichtlich nur halbtags, spätestens am Nachmittag finde ich mich in der traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter wieder. »In Deutschland gehen Männer und Frauen als modernes Paar in den Kreißsaal hinein und kommen als Fünfzigerjahre-Paar wieder heraus«, sagt der Schriftsteller und Arzt Jakob Hein.
Nie hätte ich gedacht, dass das einmal auf mich zutreffen würde. Bevor ich Mutter wurde, lebte ich mit meinem Partner gleichberechtigt: Wir arbeiteten beide in Vollzeit, am Wochenende kauften wir gemeinsam ein und putzten zusammen das Allernötigste. Heute macht er Karriere, während ich halbtags einer bezahlten Arbeit nachgehe und den Rest des Tages unentgeltlich das Familienleben organisiere. Wie konnte mir das passieren? Finde ich einen Schuldigen, dem ich mein Dilemma in die Schuhe schieben kann – der Biologie, meiner Sozialisation, dem Patriarchat? Oder trage ich eine Mitschuld an meiner Lebenssituation?
Vom Mutterschutz zur Haushaltsexpertin
Ich lebe in einem Land, in der die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert ist, doch die traditionelle Rollenverteilung hat hierzulande nach wie vor Hochkonjunktur, das zeigen nicht nur die Statistiken. Für diese Erkenntnis genügt ein Blick in Vorstandsgremien (überwiegend Männer) und auf Kinderspielplätze (überwiegend Frauen). Schwer zu glauben, dass das ausschließlich freiwillig vonstattengegangen ist.
Und doch hat mich niemand gezwungen, nach der Geburt meines ersten Kindes die längere Elternzeit zu nehmen und danach in Teilzeit zu gehen. Ich sah einfach keine andere Möglichkeit, und zunächst fand ich das auch logisch: Wer das Kind austrägt, geht in den Mutterschutz, und wer sich bei einer Geburt gefühlt auf links hat drehen lassen und Tag und Nacht stillt, fühlt sich zunächst in der Elternzeit besser aufgehoben als in einem Großraumbüro. Aber damit kommt der Stein ins Rollen: Wer ständig zu Hause ist und die meiste Zeit mit dem Kind verbringt, wird automatisch zur Haushalts- und Aufzuchtexpertin.
Frauen kommen nicht zur Welt mit dem Wissen, was Stillhütchen sind oder wie lange der Kühlschrankinhalt für eine Familie vorhält, dieses Expertentum eignen sie sich im Laufe der Zeit an. Daraus entsteht eine Belastung, die durch das Organisieren von Aufgaben entsteht. Erst wenn Partner die Elternzeit und danach ihre Arbeitszeit gerecht aufteilen, werden beide Experten für all die Care-Arbeit, die Familie nun einmal mit sich bringt.
Mein Partner und ich haben dies Aufteilung nicht vorgenommen, und ich habe die Spätfolgen dieses Anfängerfehlers zunächst nicht überblickt. Ich dachte, das ganze Kümmern sei nur eine Phase und irgendwann würde sich alles fügen und mein Leben wieder sein wie früher. Aber am Ende meiner ersten Elternzeit habe ich die Care-Arbeit nicht neu aufgeteilt, ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen. Und mein Mann erst recht nicht. Bin ich daran schuld? Oder er? Nicht nur, wir sind auch beide Teil unseres verkrusteten Systems.
Gleichberechtigung ist anstrengend
Leider hatte ich meine Rechnung ohne folgende Faktoren gemacht: Meine Sozialisierung (»Ich muss eine gute Mutter sein – und gute Mütter sind für ihre Kinder da!«), meine Hormone (»Dieses Baby ist einzigartig, ich lasse es nicht aus den Augen!«), die Macht der Gewohnheit (»Lass mich den Einkaufszettel schreiben. Ich weiß, was im Kühlschrank fehlt«) und das deutsche Schulsystem (»Für den Platz in der Nachmittagsbetreuung hätten Sie sich vor zwei Jahren anmelden müssen«).
Nach der Elternzeit entschied ich mich für die nächste Falle namens Teilzeit. Karriere, Kinder, Küche – alles kein Problem, dafür gibt es doch Teilzeitjobs! Man muss sich halt gut organisieren, dachte ich.
Zwölf Jahre und eine Pandemie später weiß ich, dass das nicht stimmt. Aber wenn Frauen nicht die gleiche Wahl treffen wie Männer, heißt das nicht, dass sie nicht ehrgeizig sind, dass sie nicht gern arbeiten oder lieber neben ihren Kindern hocken. Es könnte auch schlichtweg bedeuten, dass es für sie noch nicht die richtigen Wahlmöglichkeiten gibt. Natürlich sollte ich mich manchmal freier machen im Kopf, aber es sind auch die gesellschaftlichen Strukturen, die männlich geprägte Arbeitswelt und unser Muttermythos, die dazu führen, dass Frauen mit Kindern bis heute nur schwer vom Fleck kommen und Väter es schwerer haben, Teilzeitmodelle durchzusetzen.
Geständnisse einer Teilzeitfeministin: Mein Verstand ist willig, aber der Alltag macht mich schwach
Preisabfragezeitpunkt
23.03.2023 15.04 Uhr
Keine Gewähr
Der Weg zur Gleichberechtigung ist anstrengend. Es ist nicht nur schwer, sie zu erkämpfen, manchmal ist es auch schwierig, sie zu leben. Wir schaffen das nur gemeinsam, und wir haben eine Vorbildfunktion für die nächste Generation. Heute wundern wir uns, dass unsere Väter und Großväter nicht wickeln oder die Waschmaschine anstellen konnten, dass unsere Großmütter nicht Auto gefahren sind und unsere Mütter höchstens ein »Puddingabitur« gemacht haben. Hoffen wir, dass unsere Enkelkinder sich eines Tages darüber wundern, dass ihr Opa von morgens bis abends gearbeitet hat und ihre Oma von ihrer Rente nicht leben kann.
Nächste Woche: Warum ich als Feministin in Teilzeit ging.