Rente mit 40 Mit weniger Geld zum glücklicheren Leben
Noch neun Jahre im Job, dann will Oliver Noelting, 31, in Rente gehen - oder wie er es ausdrücken würde: finanziell unabhängig sein. Dabei hat er weder eine Riesensumme geerbt, noch verdient er als Softwareentwickler und Finanzblogger ein Topgehalt. Er lebt einfach als Frugalist. Seit sechseinhalb Jahren spart er den Großteil seines Einkommens, um es zu investieren.
Reichtum ist ihm nicht wichtig, Freiheit umso mehr. "Frugalisten schaffen es, mit relativ wenig Geld ein sehr glückliches und erfülltes Leben zu führen", erklärt Noelting im Podcast. Er will mehr vom Leben haben, als immer nur zu arbeiten, um möglichst viel konsumieren zu können.

Frugalist Oliver Noelting will mit 40 in Rente: "Der Plan kann eigentlich nicht scheitern"
Foto: Joana Schlutter/ FRUGALISTENNoeltings Plan? Mit 40 Jahren will er zwischen 300.000 und 400.000 Euro besitzen, angelegt in Wertpapieren. "Es gibt eine Faustformel in der Frugalisten-Community - das ist die Vier-Prozent-Regel. Die besagt: Wenn man das 25-fache seiner jährlichen Ausgaben angespart hat, hat man ausgesorgt. Ich kann also jedes Jahr vier Prozent meines Vermögens ausgeben, ohne dass ich pleitegehe."
Bis dahin muss er natürlich auf einiges verzichten, aber nicht auf alles. Mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Baby lebt er in einer kleinen Großstadtwohnung, auf 46 Quadratmetern. Er geht nicht shoppen, und frische Erdbeeren sind für ihn ein Luxus - aber Urlaube sind schon mal drin.
Und er vermisst nichts: "Ich habe versucht, für mich eine Balance zu finden aus dem Sparen für später und dem Leben im Hier und Jetzt." Noelting mag den Gedanken, dass Genuss nur gleichzeitig mit Verzicht existieren kann, aber noch wichtiger: Für ihn bedeutet jeder gesparte Euro ein Stückchen mehr Freiheit. "Und die ersten Euros, die man spart, sind dabei sogar am wichtigsten."
Neugierig geworden? Dann klicken Sie oben am Artikelanfang einfach auf Play und hören Sie die neue Folge unseres Ideen-Podcasts "Smarter leben".
Der ganze Podcast zum Lesen
[00:00:02] Oliver Noelting Jeder Euro, denke ich, den man spart, bedeutet ein Stück mehr Freiheit. Und die ersten Euros, die man spart, sind dabei sogar am wichtigsten.
[00:00:12] Lenne Kaffka Ideen für ein besseres Leben haben wir alle. Aber wie setzen wir sie im Alltag um? In diesem Podcast treffen wir jede Woche Menschen, die uns verraten, wie es klappen kann. Willkommen zu Smarter leben. Ich bin Lenne Kaffka und heute spreche ich mit Oliver Noelting.
[00:00:31] ANZEIGE: Die heutige Folge wird Ihnen präsentiert von unserem Partner Microsoft 365. Ihr Tag hat nur 24 Stunden, aber mit Microsoft 365 haben Sie die Möglichkeit, Ihre Zeit besser zu nutzen. Ein Abonnement mit Office Premium Apps, Cloud-Speicher und vielem mehr, mit dem Sie Ihr Privat- und Familienleben leichter organisieren können. Mehr Infos unter microsoft365.com/family.
[00:00:56] Oliver Noelting Hallo, ich bin Oliver Noelting, ich bin 31 Jahre alt, wohne zusammen mit meiner Freundin und meiner kleinen Tochter in Hannover, arbeite als Softwareentwickler. Und ich binFrugalist und habe das Ziel, mit 40 in Rente zu gehen.
[00:01:09] Lenne Kaffka Finanziell frei und unabhängig zu sein - diesen Traum will sich Oliver noch in diesem Jahrzehnt erfüllen. Seit sechseinhalb Jahren spart er einen Großteil seines Einkommens und versucht, sich ein Vermögen aufzubauen. Er lebt in einer kleinen Wohnung, hinterfragt seine täglichen Ausgaben und verzichtet auf teure Klamotten. Was dann am Monatsende übrig bleibt, investiert er. Aber natürlich ist das noch nicht alles. Wie sein Lebensplan aufgehen soll, erklärt Oliver auf seinem Blog und heute hier im Podcast.
[00:01:37] Oliver, du bist 31 und willst in neun Jahren in Rente gehen. Warum? Was treibt dich an?
[00:01:44] Oliver Noelting Ich habe früher, als ich Student war, mal gedacht: Was kommt denn eigentlich so nach der Zeit, nach dem Studium? Ich geh arbeiten, Vollzeit, immer von 9 bis 17 Uhr im gleichen Büro. Am Wochenende mähe ich meinen Rasen, bringr das Auto in die Waschanlage. Und so sieht mein Leben aus, bis ich 67 bin. Und die Vorstellung hat mir überhaupt nicht gefallen. Denn ich möchte eigentlich mehr in meinem Leben machen, als es immer nur zu arbeiten und dann das Geld am Wochenende wieder auszugeben, was ich verdient habe. Ich habe viele Hobbys: Ich fahre gern Skateboard, programmiere gerne, ich verbringe gerne Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden.
[00:02:15] Lenne Kaffka Man hört Sie auch im Hintergrund ein bisschen.
[00:02:17] Oliver Noelting Ja, genau. Meine Tochter, die ist gerade ein bisschen am Ausrasten. Und ich möchte einfach nicht nur mein Leben mit der Arbeit verbringen, sondern auch Zeit für andere Dinge haben. Und da bin ich über die Bewegung der Frugalisten gestoßen oder die FIRE-Bewegungen, wie sie im englischsprachigen Raum genannt wird. Und die hat eine Alternative vorgeschlagen zu diesem "9 to 5 till 65", also den Vollzeit-Job bis man 67 ist – nämlich, dass man einfach weniger Geld ausgeben kann, Geld sparen und anlegen, dann schon Jahrzehnte vor der gesetzlichen Rente ausgesorgt habenund dann ja tun und lassen kann, was man will, ohne dass man noch darauf angewiesen ist, Geld zu verdienen. Und ja, seit ich das entdeckt habe, dieses Prinzip, diese Lebensphilosophie, folge ich dem und habe mir den Plan gemacht, mit 40 ungefähr finanziell ausgesorgt zu haben.
[00:03:08] Lenne Kaffka Genau, dein Plan ist keine fixe Schnapsidee. Du betreibst viel Aufwand, durchdenkst alles. Dahinter steckt schon eine richtige Lebensphilosophie, Frugalismus, du hast sie eben schon genannt. Was bedeutet der Begriff? Woher kommt er?
[00:03:20] Oliver Noelting Frugalismus leitet sich ab vom englischen Wort "frugal", das heißt eigentlich nur sparsam oder genügsam. Indem man einfach mit seinem Geld sparsamer umgeht und seine Ausgaben optimiert und versucht, effizienter zu gestalten, schaffen es Frugalisten für relativ wenig Geld, ein sehr glückliches und erfülltes Leben zu führen. Das ist auch immer wichtig. Es geht nicht darum, einfach nur Geld zu sparen, um des Sparens willen oder um dann unbedingt so früh wie möglich in Rente zu gehen, sondern es geht darum, sein bestmögliches Leben zu gestalten, ein möglichst erfülltes Leben zu führen. Und gleichzeitig es aber zu schaffen, das für wenig Geld zu erreichen oder verhältnismäßig wenig Geld zu erreichen. Das Geld, was man dadurch spart, das setzt man ein, um sich ja letzten Endes mehr Freiheit und mehr Zeit zu erkaufen.
[00:04:01] Lenne Kaffka Wie geht das konkret? Wie baut man sich innerhalb von wenigen Jahren ein Vermögen auf, das bis zum Lebensende reicht?
[00:04:07] Oliver Noelting Ich arbeite als Softwareentwickler. Ich bin einerseits angestellt mit einer 60 Prozent-Stelle, und nebenbei arbeite ich noch ein bisschen als Selbstständiger, also unterm Strich in der Woche vielleicht 30 Stunden. Und dabei verdiene ich so zwischen 2.000 und 2.500 Euro netto im Monat. Meine Ausgaben betragen aber nur 800 bis 900 Euro im Monat. Nicht, weil ich mich irgendwie ganz stark einschränke und lebe wie ein Mönch im Kloster, sondern einfach, weil ich nicht mehr zum Leben benötige. Weil das eigentlich schon mein Genugpunkt ist, wo ich sage, ich lebe zufrieden, ich habe alles, was ich brauche, mehr muss ich eigentlich gar nicht ausgeben. Das liegt auch mit daran, dass ich meinen Lebensstil sehr stark optimiert habe. Und dadurch habe ich jeden Monat 1.000 oder 1.500 Euro übrig, die ich sparend anlegen kann. Das habe ich jetzt schon ein paar Jahre gemacht. Mittlerweile habe ich 120.000 Euro angespart, und das möchte ich jetzt auch noch ein paar Jahre sofortführen. Mit 40 habe ich dann ungefähr zwischen 300.000 und 400.000 Euro angelegt in Wertpapiere und die Renditen dieser Wertpapiere, die Kapitalerträge, die ich daraus generiere, sind dann mit 40 genug, um meine Ausgaben zu decken. Und dann muss ich nicht mehr für Geld arbeiten gehen, weil das Kapitalvermögen schon meine Ausgaben deckt, und kann dann arbeiten, was und wie viel ich möchte, woran ich möchte und ob ich dabei Geld verdiene oder nicht, ist eben zweitrangig.
[00:05:25] Lenne Kaffka Also ich wüsste jetzt gar nicht, wie viel Geld ich brauche, damit ich bis an mein Lebensende damit klarkomme. Wie hoch ist denn die Summe, die du dann brauchst mit 40 und wie errechnest du die?
[00:05:34] Oliver Noelting Man muss erst mal sagen: Es ist immer eine sehr, sehr individuelle Rechnung. Aber es gibt eine Faustformel in der Frugalisten-Community, und das ist die vier Prozent-Regel. Und die besagt, dass, wenn man das 25-fache seiner jährlichen Ausgaben angespart hat. Dann hat man ausgesorgt. Wenn ich also, sagen wir, 10.000 Euro im Jahr an Ausgaben habe, dann muss ich 250.000 Euro ansparen und anlegen. Und dann kann von diesem Kapital und dessen Kapitalerträgen leben. Die vier Prozent-Regel heißt deswegen so, weil ich kann sozusagen jedes Jahr vier Prozent, 1/25, meines Kapitalvermögens ausgeben, ohne dass ich auf absehbare Zeit innerhalb einiger Jahrzehnte pleite gehe. Und im Regelfall oder wenn man das geschickt macht, dann reicht das Geld dann auch bis ans Lebensende.
[00:06:18] Lenne Kaffka Was bedeutet die 4 Prozent-Regel für dich?
[00:06:20] Oliver Noelting Ich persönlich rechne aktuell mit 400.000 Euro Vermögen. Daraus kann ich mir dann jeden Monat etwa 1.300 oder 1.400 Euro auszahlen. Das ist immer noch 500 Euro mehr, als ich aktuell zum Leben benötige. Aber unsere Tochter ist eben auch noch sehr klein. Wir gehen davon aus, dass wir eventuell mehr Kinder haben wollen.
[00:06:42] Lenne Kaffka Besteht nicht ein bisschen die Gefahr, zu sehr in die Zukunft zu denken und vielleicht auch manchmal die Gegenwart zu verpassen?
[00:06:47] Oliver Noelting Ja, das kann schon passieren. Aber die Grundidee beim Frugalismus ist ja, ein möglichst erfülltes Leben zu führen. Und zwar nicht erst mit 40, nicht erst in der Zukunft, sondern auch schon im Hier und Jetzt. Mit 20, 30 gehen natürlich ganz andere Dinge, als man mit 40 machen kann. Wie gesagt, ich fahre gerne Skateboard, das ist mein liebstes Hobby. Und man wird nicht jünger. Und mit 40, 50 ist das sicherlich schwieriger zu bewerkstelligen, da noch große Tricks zu lernen als mit 20, 30. Ja, ich habe für mich so ein bisschen auch versucht, eine Balance zu finden aus dem Sparen fürs Später und aus dem Genießen des Lebens im Hier und Jetzt.
[00:07:22] Lenne Kaffka Du hast jetzt schon mehrfach gesagt: Es geht ja nicht nur ums Geld oder nur ums Sparen. Hast du durch diese Lebensphilosophie auch irgendwas übers Leben gelernt? Hast du vielleicht auch ein paar ganz praktische neue Dinge gelernt? Weil, ich denke, wenn man Geld sparen will und sparen muss, musst du wahrscheinlich auch vieles einfach selber machen, oder?
[00:07:38] Oliver Noelting Absolut. Und das ist auch ein Kerngedanke des Frugalismus. Der Trend geht ja sehr stark zum Outsourcen, dass man selber in seiner Arbeit, seiner Tätigkeit nachgeht und Geld verdient und dann alles andere auslagert. Was dann passiert, ist, dass man zum Spezialisten wird. Man ist dann in seiner eigenen Arbeit gut, aber hat dann zum Beispiel keinerlei handwerkliche Fähigkeiten, kann nicht kochen, weil man immer nur essen geht. Man kann nichts mehr reparieren. Man versteht die Dinge, die einen umgeben, nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wie mein Laptop funktioniert. Und Frugalismus versucht, diesen Trend umzukehren, dass ich sage, ich versuche, mich mit den Dingen, die mich umgeben, auch wieder zu beschäftigen. Ich versuche, alles als Herausforderung zu sehen und Neues zu lernen. Wenn etwas kaputt geht, dann rufe ich nicht sofort den Servicetechniker an, sondern versuche, erst mal selber etwas zu reparieren. Nicht unbedingt, um Geld zu sparen, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass mich das glücklicher macht. Ich bin da immer das Wort "Ich habe Feuer gemacht-Effekt". Wenn du die Szene aus "Cast Away" mit Tom Hanks kennst, wo er am Strand es schafft, Feuer zu machen und dann völlig in Ekstase um dieses Feuer herumtanzt und sich auf die Brust trommelt, weil er es selber geschafft hat, mit seinen eigenen Händen Feuer zu machen – das ist so ein bisschen dieser Effekt, den man hat, wenn man es geschafft hat, selber was zu reparieren oder selber was Neues zu lernen, selber etwas herzustellen. Und das macht einfach glücklich. Das ist ein wichtiger Bestandteil für ein erfülltes, glückliches Leben. Und das Geld Sparen ist eigentlich nur ein positiver Nebeneffekt.
[00:08:58] Lenne Kaffka Aber solche Glücksgefühle kommen nicht von selbst. Auch Oliver musste sich einen Plan erstellen und gewohnte Verhaltensweisen ändern, als er sich entschlossen hat, als Frugalist zu leben. Wie hat er damals angefangen? Was waren seine ersten Schritte?
[00:09:12] Oliver Noelting Als ich Frugalismus oder die FIRE-Bewegung, wie sie in den USA genannt wird, kennengelernt habe, war ich eigentlich so ein bisschen anders gepolt. Ich war damals Student, und ich dachte, klasse, wenn ich meinen Bachelor in der Tasche habe, kann ich mir endlich alle schönen Dinge leisten: Eine große Wohnung, ich habe überlegt, welches Auto ich mir dann als erstes kaufe oder lease. Und ich wurde dann so ein bisschen umgekrempelt, als ich festgestellt habe, dass das nicht unbedingt der Weg ist, um ein glückliches, erfülltes Leben zu führen. Die ersten Sachen, die ich dann gemacht habe, waren zum einen ein Haushaltsbuch zu führen, und das würde ich auch jedem raten, der sich mit diesem Thema beschäftigen will. Jemand hat mal gesagt, ein Haushaltsbuch zu führen ist eine Achtsamkeitsübung für mein Geld. Es geht darum, ein Bewusstsein zu schaffen dafür, wo das Geld eigentlich hingeht, und gar nicht so sehr, sich selber zu kontrollieren oder einzuschränken. Und dann kann ich gucken, stehen diese Ausgaben im Einklang mit meinem Lebensziel, mit meinen Vorstellungen von einem glücklichen Leben? Als ich angefangen habe zu arbeiten, wusste ich das ja schon, und ich kannte diese Lifestyle-Inflation. Dieser Effekt, dass sich die Ausgaben immer an die Einnahmen anpassen und konnte das verhindern. Ich habe dann im ersten Job genauso gelebt wie als Student. Ich habe mit meiner Freundin in einer WG gewohnt. Ich habe mir ein altes Fahrrad gekauft für 40 Euro und bin damit zur Arbeit gefahren. Klar, man hat ein bisschen teurere Urlaube gemacht und ich gehe jetzt auch öfter essen, als ich das noch als Student gemacht habe. Einfach weil mein Umfeld ja mittlerweile auch aus arbeitender Bevölkerung besteht, aus Leuten, die dann auch mal essen gehen – das war das erste. Und das zweite war, dass ich mich mal mit dem Thema Investieren beschäftigt habe. Viele Leute haben ja irgendwie von Investieren nur so ein Halbwissen: die Börse das ist irgendwie böse, da kann man nur Geld verdienen, und da muss man sich auskennen. Und so habe ich eben auch gedacht und hab mich dann mal schlau gelesen und mich ein bisschen mit dem Thema beschäftigt und festgestellt: Es ist eigentlich ganz anders als ich gedacht habe. Und es kommt gar nicht darauf an, dass man sich irgendwie mit der Börse besonders gut auskennen muss. Ich vergleiche es mal ein bisschen mit Fahrradfahren, das muss man einmal lernen. Am Anfang ist es ein bisschen ungewohnt, oder man muss sich erst mal ein bisschen an die Schwankungen gewöhnen, sowohl am Aktienmarkt als auch beim Fahrrad - aber wenn man es dann erst mal draufhat, dann geht es eigentlich relativ von selbst und ist auch total wenig Arbeit und total unaufwendig. Der dritte Punkt war dann: Wir versuchen uns immer ein möglichst bequemes Leben zu machen. Und eine Komponente der Frugalisten-Philosophie ist, dass man das auch umdreht und mit Absicht Herausforderungen sucht, mit Absicht aus der Komfortzone ausbricht.
[00:11:29] Lenne Kaffka Ich fasse mal nochmal kurz zusammen. Erster Schritt: auf jeden Fall Haushaltsbuch führen, ein bisschen die eigenen Ausgaben überprüfen, überhaupt mal kennenlernen, wie man sein Geld gerade ausgibt. Dann: sich ein bisschen über den Aktienmarkt schlau machen, schauen, wie kann man investieren, wie funktioniert das? Und drittens, sich auch aus der eigenen Komfortzone rauswagen?
[00:11:47] Oliver Noelting Genau.
[00:11:48] Lenne Kaffka Du hast das ja als Student angefangen. Aber ich kenne das ja auch noch von meiner Uni-Zeit. Wenn man studiert, dann lernt man ganz viele Sachen neu, und dann will man die total gut im Beruf anwenden. Ich kann mir vorstellen, dass du, als du dann angefangen hast, als du dann angefangen hast, mehr Geld zu verdienen, auch dieses Frugalismus-Prinzip total gut anwenden wolltest. Hast du da vielleicht auch manchmal ein bisschen übertrieben am Anfang?
[00:12:08] Oliver Noelting Absolut. Du hast es schon ganz gut beschrieben. Man kennt das auch von Leuten, die irgendwas Neues kennenlernen – sei es Veganismus oder Yoga. Dass sie sich dann eben gleich sofort reinstürzen und vielleicht ein bisschen übertreiben. So war es bei mir tatsächlich auch. Da könnte dir meine Freundin noch ein bisschen mehr drüber erzählen. Die Anfangsphase war so ein bisschen davon geprägt, dass ich nichts mehr kaufen wollte. So, weil für mich sozusagen alles Geld, was ich ausgebe, ist dann weg und kann ich dann nicht mehr für meine Freiheit ausgeben. So hat sich das für mich angefühlt. Und dann habe ich eben erst einmal konsequent wirklich alle Ausgaben gestrichen, hab nichts mehr gekauft und konnte es mir auch nicht mehr ansehen, wie andere Leute was gekauft haben. Also meine Freundin mag zum Beispiel gerne Nagellack und hat sich einen neuen Nagellack gekauft, für 2,50 Euro. Ist jetzt nicht die Welt. Aber ich habe dann zu ihr gesagt: "Überlege mal, der Nagellack. Und wenn du dir jetzt jeden Monat Nagellack kaufst, wie viel da zusammenkommt, dann musst du dafür arbeiten gehen, später und so". Ich konnte eigentlich mir nicht mehr angucken, wenn irgendwo Geld ausgegeben wird. Das hat sich dann relativ schnell gelegt, weil – wie du auch schon sagst – es ist meistens die Anfangsphase, wo man dann von etwas begeistert ist und sich so reinstürzt. Und mit der Zeit wird man dann ein bisschen ausgeglichener, denkt wieder etwas differenzierter über die Dinge nach. Mir hat tatsächlich auch das Haushaltsbuch dabei geholfen, wieder so ein bisschen klareren Blick auf die Dinge zu bekommen. Weil, wenn man mal so seine Jahresausgaben sieht und guckt sich dann an: Wie fällt denn jetzt der Nagellack ins Gewicht? Oder vielleicht mal der Döner, den man sich geholt hat das geht unter im Grundrauschen. 2,50 Euro oder drei Euro, das macht keinen Unterschied. Der Unterschied macht es erst dann, wenn man sich jeden Tag Nagellack kauft. Oder wenn man sich jeden Tag Döner holst, weil dann multiplizieren sich die 3,50 Euro mit 365, und dann fällt es eben doch ins Gewicht.
[00:13:50] Lenne Kaffka Aber, ich glaube, du hast gesagt von 900 Euro lebst du im Monat.
[00:13:53] Oliver Noelting Also, 800 bis 900 Euro etwa.
[00:13:55] Lenne Kaffka Das ist jetzt aber in einer Großstadt auch nicht besonders viel. Das heißt, an irgendwelchen Ecken musst du ja deutlich Geld einsparen. Was sind denn die Posten, an denen du jetzt gerade am meisten Geld sparen?
[00:14:05] Oliver Noelting Unsere Wohnung ist sicherlich sehr günstig. Die ist 46 Quadratmeter groß – zwei Zimmer, ein sehr geräumiges Wohnzimmer, in dem ich gerade sitze. Wir haben auch noch einen schönen Balkon, der nach hinten rausgeht in den Innenhof. Wir zahlen mit allen Nebenkosten pro Person etwa 300 Euro Miete. Das heißt, von meinen 800 Euro Ausgaben sind 300 fürs Wohnen. Dann gebe ich etwa 150 Euro im Monat für Lebensmittel aus. Vielleicht nochmal 40, 50 Euro für auswärts essen gehen. Dann ist tatsächlich noch ein großer Ausgabenposten Reisen und Urlaube. Wir verreisen auch gerne. Ich bin im Regelfall drei bis viermal im Jahr im Urlaub. Natürlich dann keine Fünf-Sterne-Luxusresort. Das mag ich sowieso nicht gerne. Wir machen dann lieber Campingurlaub in der Natur. Oder ich war jetzt im Februar mit ein paar Freunden in Dänemark, da haben wir ein großes Ferienhaus gemietet mit zehn Männern, und haben richtig schönen Männer-Urlaub gemacht, so mit ordentlich viel Bier und Playstations und schön draußen im Whirlpool sitzen und Bier trinken. Und ich muss nicht super weit weg reisen und super teure Urlaube machen, um schönen Urlaub genießen zu können. Das war's dann eigentlich auch fast schon. Ich kaufe selten neue Klamotten oder neue Dinge. Ich gehe nie shoppen, weil mir das auch keinen Spaß macht, weil ich weiß, dass mir ständige Neuanschaffungen eigentlich nichts zu meinem Leben positiv beitragen. 300 Euro Miete, 200 Euro Lebensmittel und Essen. Und dann bleiben noch etwa 300 Euro für Urlaube und Freizeit.
[00:15:34] Lenne Kaffka In den 200 Euro für Essen, waren jetzt, glaube ich, auch deine Restaurantkosten schon mit drin, ne? Du hast gesagt, zirka 50 Euro Restaurant.
[00:15:40] Oliver Noelting Genau.
[00:15:41] Lenne Kaffka Da bleiben ja noch 150 Euro für Frühstück, Mittag, Abendbrot zu Hause. Das ist ja jetzt auch nicht viel Geld. Ich habe gelesen, dass du dich ausgewogen und gesund ernähren willst. Funktioniert das wirklich?
[00:15:53] Oliver Noelting Ja, das funktioniert eigentlich ganz gut. Worauf ich achte, ist halt nicht so viele industriell verarbeitete Lebensmittel zu kaufen – also die klassischen Sachen, die im Supermarkt in einem bunten Pappkarton kommen, und wenn man hinten drauf guckt, ist da eigentlich nur Salz, Zucker und Fett drin, und es kostet dann 4,99 Euro. Wir kaufen eben frische, unverarbeitete Lebensmittel, also Brot und Eier und Gemüse und Obst und Reis und Nudeln und Linsen. Und versuchen dann eben frisch zu kochen, eher so Gerichte aus Grundzutaten. Mit dem Prinzip kann man eigentlich schon relativ viel einsparen.
[00:16:28] ANZEIGE Die heutige Folge wird Ihnen präsentiert von unserem Partner Microsoft 365. Ihr Tag hat nur 24 Stunden, aber mit Microsoft 365 haben Sie die Möglichkeit, Ihre Zeit besser zu nutzen. Das Abonnement, das den Alltag erleichtert und Ihnen Zeit gibt für Dinge, die wirklich wichtig sind. Mit vertrauten Office Premium Apps und erweiterten Features, außerdem Cloud-Speicher, dank dem Sie alles Wichtige überall griffbereit haben. Mit Microsoft 365 wird Ihr Privat- und Familienleben einfach übersichtlicher. Mehr Infos zum Abonnement unter microsoft365.com/family.
[00:17:03] Lenne Kaffka Wie ist das denn eigentlich, wenn du andere beobachtest, die jetzt noch komplett aus dem Vollen schöpfen. Wirst du dann manchmal auch neidisch?
[00:17:09] Oliver Noelting Neidisch bin ich nicht, weil ich bin ja mit meinem Leben, so wie es jetzt ist, zufrieden. Und wenn ich das Gefühl hätte, mir würde etwas fehlen oder ich würde gerne mehr Geld ausgeben, dann tue ich das auch. Weil für mich ist ja nicht das Geld sparen im Vordergrund, sondern ein möglichst zufriedenes Leben. Und deswegen habe ich auch nicht das Gefühl, auf irgendwas zu verzichten.
[00:17:27] Lenne Kaffka Fühlst es sich dann auch nicht so an, als ob du dich selbst disziplinieren musst?
[00:17:30] Oliver Noelting Ja, ich glaube, es ist gar nicht so eine Disziplinfrage, sondern eher so eine Einstellungsfrage. Ich bin einfach von innen heraus überzeugt, und deswegen brauche ich eigentlich gar keine Disziplin. Ich muss mich gar nicht anstrengen, um so viel zu sparen, weil es so aus mir, aus mir selber heraus kommt, aus dieser inneren Überzeugung. Ich würde mir nur manchmal wünschen, weil ich glaube, dass die Welt dann besser wird oder dass alle glücklicher werden können, dass alle ihr Geld ein bisschen bewusster ausgeben.
[00:17:53] Lenne Kaffka Was ist denn für dich der größte Luxus, den du dir gönnst?
[00:17:56] Oliver Noelting Ich gönne mir immer mal wieder Luxus. Sei es so im Kleinen, dass ich mir mal im Supermarkt eine für mich relativ teure Packungen Erdbeeren kaufe, zum Beispiel. Oder auch mal ein größerer Luxus, dass ich mal einen teureren Urlaub mache. Letztes Jahr waren wir zum Beispiel Segeln. Und das hat mich 1.000 Euro gekostet. Das war der teuerste Urlaub, den ich je gemacht habe. Aber es war ein super Abenteuer, und das hat sich auch echt gelohnt. Ich würde es auch jederzeit wieder tun. Ich versuche darauf zu achten, dass Luxus auch Luxus bleibt und ich mir den jetzt nicht jeden Tag gönne, dass ich mir nicht jeden Tag die teuren Erdbeeren hole im Supermarkt oder jede Woche. Ich weiß nicht, ob du das Buch kennst von Alexander von Schönburg, "Die Kunst des stilvollen Verarmens". Da schreibt er, dass Genuss nur gleichzeitig mit Verzicht existieren kann. Und diesen Gedanken finde ich ganz interessant, weil, wenn man auf nichts verzichtet und alles permanent da hat, dann kann man es nicht mehr genießen, weil man sich dran gewöhnt an diesen Zustand.
[00:18:48] Lenne Kaffka Du und deine Freundin, ihr habt, wie wir schon mehrfach erwähnt haben, mittlerweile auch eine kleine Tochter. Kinder sind ja tatsächlich ein recht großer Kostenfaktor. Wie lässt sich das Frugalisten-Leben eigentlich mit dem Familienleben vereinbaren? Hattest du das immer schon mit eingeplant?
[00:19:01] Oliver Noelting Da muss man, glaube ich, ein bisschen trennen. Einmal die finanzielle Seite und sozusagen die Lebensstil-Seite. Was den Lebensstil angeht, bin ich der Überzeugung, dass Frugalismus als Lebensphilosophie für Familien extrem gut passt und eigentlich viel mehr Familien in Deutschland frugalistisch Leben sollten, aus dem Grund, dass genau das, was Familien eigentlich brauchen – mehr Zeit für ihre Kinder, mehr Flexibilität, mehr Freiheit, um Dinge entscheiden zu können, auch mehr finanzielle Freiheit – eigentlich die Dinge sind, die Frugalismus liefert. Als Beispiel: Wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten und ein großes Haus haben und hohe Ausgaben haben, dann haben sie es viel schwieriger zum Beispiel, wenn Kinder kommen, dass einer auf Teilzeit reduziert, weil dann das Geld knapp wird. Und bei uns ist zum Beispiel so, dass wir eine relativ hohe Sparquote haben. Wir brauchen nur einen Teil unseres Einkommens zum Leben. Dadurch konnten wir auch sagen, meine Freundin geht eben zwei Jahre in Elternzeit und schon mein Gehalt aus meinem Teilzeitjob reicht eben aus, um alle Ausgaben zu decken. Und deswegen können wir total entspannt sein. Wir haben viel Zeit für unsere Tochter. Dann kommt, finde ich, noch dazu, dass Frugalismus sehr viele Werte vertritt, die ich auch meinen Kindern beibringen möchte. Ich möchte meinen Kindern ja auch einen vernünftigen Umgang mit Geld beibringen. Ich möchte meinen Kindern beibringen, dass sie Entscheidungen, sei es finanzielle Entscheidungen oder andere Entscheidungen, bewusst treffen, sich Gedanken machen. Wenn ich jetzt irgendwie etwas Neues ausprobiere, zum Beispiel im Garten eigene Tomaten anzubauen oder ich repariere unsere Waschmaschine, dann sind das auch mal wieder Gelegenheiten, den Kindern etwas beizubringen. Davon trennen muss man jetzt ein bisschen die finanzielle Seite. Klar ist, dass man ohne Kinder schneller in Rente gehen kann. Das merken auch wir jetzt. Nicht unbedingt, weil unsere Tochter jetzt so viel mehr Ausgaben erzeugt, sondern einfach, weil wir weniger arbeiten gehen können. Bei mir ist es jetzt so, dass in meinem Plan, mit 40 weitgehend ausgesorgt zu haben, Kinder auch schon mit eingeplant sind. Deswegen habe ich auch mit höheren Ausgaben in der Zukunft kalkuliert. Da muss man sich nichts schönrechnen, da muss man sich nichts vormachen. Kinder kosten einfach Einkommen.
[00:21:03] Lenne Kaffka Das Familienleben hat Oliver also von Beginn an in seine Finanzplanung mit eingerechnet. Deshalb hat er auch mit steigenden Kosten kalkuliert. Die Coronakrise hat ihn jedoch genauso unerwartet getroffen wie uns alle. Was bedeutet die aktuelle Situation für sein Vorhaben, mit 40 in Rente zu gehen?
[00:21:20] Oliver Noelting Also ich bin da in einer sehr glücklichen Situation. Das heißt, wir sind nicht von Kurzarbeit oder sogar Arbeitslosigkeit betroffen. Auf der Einnahmenseite habe ich eigentlich keine Einbußen durch Corona, auf der Ausgabenseite ist es sogar positiv zu bemerken. Wir haben zum Beispiel in Urlaub gebucht im April am Gardasee, den mussten wir dann stornieren. Dadurch sind meine Ausgaben eher gesunken. Was viele Leute glauben: Corona hat ja auch einen kleinen Crash am Aktienmarkt hervorgerufen. Die Aktienkurse sind gesunken. Dadurch, dass ja meinen Plan, mit 40 in Rente zu gehen, dann von meinen Kapitalerträgen zu leben, auch auf Aktien-Investitionen basiert, denken eben viele, dass dieser Crash jetzt meinem Plan nach hinten geschoben hat. Aber eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Man muss ja unterscheiden: Befinde ich mich gerade in der Ansparphase – ich spare ja gerade noch für den frühen Ruhestand –, und ich möchte jeden Monat oder mehrmals im Jahr Aktien, Fondsanteile dazukaufen. Und da profitiere ich ja von niedrigen Preisen. Also eigentlich wünsche ich mir einen Aktiencrash und niedrige Aktienkurse. Anders sieht die Sache aus, wenn ich nachher in Rente gehe und dann kommt so ein Crash. Dann möchte ich ja Aktien verkaufen, um dann von den Erträgen zu leben. Und wenn ich verkaufe, möchte ich natürlich möglichst hohe Kurse. Aber aktuell, in der Ansparphase ist so ein Crash, sind niedrige Kurse, eigentlich sogar sehr günstig für mich.
[00:22:41] Lenne Kaffka Das heißt, du würdest ja sogar wünschen, dass die Situation noch anhält?
[00:22:44] Oliver Noelting Ja, absolut. Das Beste, was mir jetzt passieren könnte, zumindest aus rein mathematischer Sicht, wäre, sei es eine Wirtschaftskrise oder irgendwas, was dafür sorgt, dass die Kurse die nächsten acht, neun Jahre niedrig bleiben. Und dann, wenn ich in Rente gehe, dann gehen sie eben nach oben.
[00:22:59] Lenne Kaffka Muss man dann auch ein Stück weit Egoist sein?
[00:23:03] Oliver Noelting Ich glaube, man muss es nicht unbedingt. Frugalismus heißt ja vor allem, sich erst mal darüber im Klaren zu werden, was für ein erfülltes Leben wichtig ist. Es gibt viele wissenschaftliche Studien, die immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass der wichtigste Punkt für ein erfülltes Leben soziale Beziehungen sind. Wenn ich alleine durchs Leben gehe, dann ist es wahrscheinlich nie so interessant, wie wenn ich das mit Freunden und Familie mache. Wenn jetzt Egoismus dazu führt, dass ich meine sozialen Beziehungen verschlechtere, dann ist das nicht frugalistisch. Dann ist das mit Frugalismus nicht vereinbar. Vielleicht kann, und das ist ja unabhängig vom Frugalismus, kann ein bisschen Egoismus an einigen Stellen auch gesund sein. Aber grundsätzlich würde ich sagen: Jetzt eine ganz egoistische Verhaltensweise, wenn man nur auf sich achtet und versucht, auf Kosten anderer zu leben – das ist nicht Frugalismus und das widerspricht auch dem Grundgedanken eines zufriedenen Lebens, weil es auch, denke ich, mich selber nicht glücklich macht. Also wenn ich das Gefühl habe, ich lebe immer auf Kosten anderer oder versuche, mich selber zu bereichern zum Nachteil anderer Menschen, dann macht mich das ja selber auch unglücklich. Und dann habe ich unterm Strich auch nichts gewonnen und auch kein zufriedenes Leben.
[00:24:05] Lenne Kaffka Jetzt ist es ja so, dass du erst seit sechs Jahren diesen Lebensstil lebst. Das heißt ja auch, dass du bisher eigentlich keine Wirtschaftskrise mitbekommen hast, keinen Aktiencrash. Hatte ich das wirklich gar nicht beunruhigt? Bist du wirklich so cool geblieben, wie du jetzt gerade wirkst?
[00:24:19] Oliver Noelting Das ist ein guter Punkt. Das ist richtig. Ich hatte bisher eigentlich fast nur steigende Kurse an der Börse mitgemacht, und es war wirklich mal ein interessanter Zeitpunkt zu sehen, wie reagiert man eigentlich darauf, wenn man im Aktiendepot plötzlich große Zahlen hat, minus 20.000 Euro, minus 25 000 Euro. Ich hatte ja schon gesagt, aus finanzmathematischer Sicht ist so ein Crash eigentlich gut. Aber es gibt natürlich auch noch die psychologische Komponente. Wie gut kann man noch schlafen, wenn man weiß, dass die Kurse im Keller stehen? Ist man dann noch so ruhig, wie man sich das vielleicht gedacht hat, als man angefangen hat zu investieren? Und es gibt sicher Leute, die haben festgestellt, dass sie mit den Schwankungen am Aktienmarkt, mit den Kurseinbrüchen doch nicht so gut umgehen können und jetzt ihre Risikotoleranz überschätzt haben und vielleicht ein bisschen weniger in Aktien investieren sollten künftig. Ich habe aber festgestellt, dass ich da eigentlich recht gut mit umgehen kann, auch weil ich weiß, dass ich auf lange Sicht anlege, dass ich das Geld nicht morgen brauche, sondern frühestens in acht, neun Jahren und dann auch nur einen kleinen Teil und dass ein großer Teil dieses angelegten Geldes für die nächsten 20, 30, 40 Jahre gedacht ist und noch länger. In 40 Jahren, wird man, so bin ich überzeugt, zurückgucken auf das Jahr 2020 und sagen: Ja, da da war die Coronakrise, schlimm, rote Zahlen im Depot – aber jetzt sieht die Sache ganz anders aus und ist vergessen.
[00:25:38] Lenne Kaffka Es scheint so, als ob das Leben als Frugalist auch aus Gedankenspielen besteht. Wie wird das Leben in ein paar Jahren aussehen? Und wie viel Geld braucht man dann wirklich, um über die Runden zu kommen? Die wichtigste Frage bleibt aber: Was macht man denn eigentlich mit seiner Zeit, wenn man mit 40 Jahren schon finanziell ausgesorgt hat?
[0025:56] Oliver Noelting Also ich glaube gar nicht, dass ich so grundsätzlich anders leben würde als jetzt. Aber ich habe dann eben noch etwas mehr Zeit als jetzt und noch mehr Optionen und noch mehr Möglichkeiten. Und ich persönlich habe jetzt gar nicht so den großen Traum, dass ich sage: Ich möchte mit 40 auf Weltreise gehen oder etwas komplett anderes machen. Aber ich finde es schön und attraktiv, dass ich dann die Wahlmöglichkeiten habe. Also zum einen: Ich mag meinen Job als Softwareentwickler jetzt auch sehr gerne. Ich arbeite gern, ich lerne auch viel Neues und es ist interessant. Aber ich weiß eben nicht, ob das mit vierzig immer noch so ist. Wenn man dann 15 Jahre den gleichen Job gemacht hat, ob man dann nicht sagt: Mir steht jetzt der Sinn eigentlich mal nach etwas anderem? Wenn ich dann finanziell frei bin, also die Möglichkeit habe, total unabhängig vom Einkommen zu entscheiden, welcher Tätigkeit ich nachgehe, dann habe ich ja viel mehr Wahlmöglichkeiten. Das ist eigentlich das, was ich mir offenhalten möchte.
[00:26:42] Lenne Kaffka Und gehen wir mal vom Gegenteil aus. Was wäre jetzt, wenn dein Plan nicht aufgeht? Das Leben nimmt ja unerwartete Wendungen, wir merken das alle. Wie wäre das für dich? Was würde das wirklich bedeuten? Hättest du das Gefühl, du hast irgendwas verpasst?
[00:26:54] Oliver Noelting Ich glaube, was man unterscheiden muss, dass es kein Schwarz oder Weiß bei dem Plan gibt. Also angenommen, ich bin dann 40, und ich stelle fest, das Geld reicht nicht, weil ich doch weniger sparen konnte oder weil meine Ausgaben höher sind oder weil gerade eine schwere Wirtschaftskrise wütet oder so. Dann habe ich ja trotzdem ein sehr großes Vermögen angespart, was mir im Hier und Jetzt schon Freiheit gibt. Vielleicht bräuchte ich 400.000 Euro, um komplett nicht mehr arbeiten gehen zu müssen. Und wenn ich nur 300.000 Euro habe, dann reicht mir vielleicht drei Stunden die Woche zu arbeiten oder einen halben Tag die Woche zu arbeiten. Mit jedem Euro, den man zusätzlich Vermögen aufbaut, wird man freier und freier. Deswegen kann eigentlich der Plan gar nicht wirklich scheitern. Was noch dazukommt: Ich habe ja in der Zeit, wo ich gespart habe, nichts verpasst. Es ist ja nicht so, dass ich jetzt auf Lebensqualität verzichte oder auf Dinge, die ich gerne machen würde; dass ich mir die verkneife.
[00:27:44] Lenne Kaffka Ich bin jetzt Mitte dreißig, habe noch nicht angefangen, mit 40 werde ich also nicht in Rente gehen können. Aber wenn ich dir jetzt zuhöre, klingt es ja so, als ob ich trotzdem, auch wenn ich jetzt erst später anfangen würde, zumindest in zehn Jahren ein großes Maß an finanzieller Freiheit mir erarbeiten könnte noch. Richtig?
[00:28:01] Oliver Noelting Absolut, genau. Also jeder Euro, denke ich, den man spart bedeutet ein Stück mehr Freiheit. Und die ersten Euros, die man spart, sind dabei sogar am wichtigsten. Wenn ich mir vorstelle, ich habe null Euro Vermögen, dann bin ich ja auf das nächste Gehalt angewiesen. Das heißt, ein Monat Arbeitslosigkeit würde mich schon ins Schwitzen bringen. Wenn ich tausend Euro auf dem Konto habe, die ersten tausend Euro, dann hab ich schon mal viel mehr Ruhe. Ich kann auch ein, zwei Monate vielleicht mal überbrücken, ohne Einkommen oder mit einem reduzierten Einkommen wie beim Arbeitslosengeld. Die letzten tausend Euro, die ich anspare, also von 499. 000 auf 500.000, meinetwegen, die fallen gar nicht mehr groß ins Gewicht. Das heißt, eigentlich ist es sogar so, dass das Erste, was man erspart, eigentlich am wichtigsten ist und am meisten voranbringt.
[00:28:43] Lenne Kaffka Eine Sache müssen vielleicht noch erwähnen. Bei all dem, was wir hier besprechen. Du hast jetzt ja kein schlechtes Gehalt. Glaubst du, dass auch Geringverdiener die Möglichkeit haben, sich ein gewisses Maß an finanzieller Freiheit zu erarbeiten? Weil: Nicht jeder Geringverdiener kann 50, 70 Prozent des Einkommens zur Seite legen?
[00:29:00] Oliver Noelting Genau, hier würde ich wieder unterscheiden zwischen Frugalismus als Lebensphilosophie, die dazu dient, glücklicher, bewusster, erfüllter zu leben und dem Thema mit 40 in Rente gehen. Klar ist, dass mit 40 in Rente gehen viel einfacher wird, wenn man ein gutes Einkommen hat. Diese Ziele muss ja jeder für sich selber stecken. Das Ziel, mit 40 in Rente zu gehen, ist auch nur mein individuelles Ziel. Auf der anderen Seite steht dann aber wieder Frugalismus als Lebensphilosophie, als Leitgedanke. Da finde ich auch wieder, dass Frugalismus gerade für Geringverdiener eigentlich wichtig ist. Denn, wenn man wenig Geld zur Verfügung hat, ist es ja noch viel wichtiger aus diesem wenigen Geld das Maximum herauszuholen. Das heißt auch, wenn bei einem Geringverdiener die Sparquote vielleicht nicht ausreicht, um mit 40 in Rente zu gehen, kann man trotzdem im Hier und Jetzt mehr Lebensqualität dadurch gewinnen, indem man effizienter mit seinem Geld umgeht und vielleicht 100, 200, 300 Euro im Monat sparen kann.
[00:29:53] Lenne Kaffka Bringen wir doch mal zum Abschluss nochmal kurz und knapp auf den Punkt:Warum fühlt es sich für dich einfach besser an, als Frugalist zu leben?
[00:30:00] Oliver Noelting Für mich fühlt es sich besser oder richtig an, als Frugalist zu leben, weil ich lebe nur einmal. Das ist eigentlich der Kerngedanke. Und ich möchte, wenn ich später alt bin, mal auf mein Leben zurück gucken und denken: Wow, du hast echt ein gutes Leben gehabt, es hat Spaß gemacht. Du hast viel erlebt, du hast viel gelernt, du hast dich immer weiterentwickelt. Und als Frugalist bietet sich eben die Möglichkeit, viele Dinge im Leben ausprobieren zu können, immer Neues lernen zu können und ein spannendes, aufregendes, erfülltes Leben zu führen, auf das ich als alter Mann im Schaukelstuhl hoffentlich glücklich zurückschauen kann.
[00:30:33] Lenne Kaffka Weitere Tipps zum Thema gibt Oliver Noelting auf seinem Blog frugalisten.de. Die nächste Folge von Smarter leben gibt's ab kommendem Samstag auf spiegel.de und überall, wo es Podcasts gibt – zum Beispiel bei Spotify oder Apple Podcasts. Für Anregungen oder Themenvorschlägen einfach eine Mail schreiben an smarterleben@spiegel.de. Diesmal wurde ich unterstützt von Philipp Fackler, Sebastian Spallek und Matthias Kirsch. Unsere Musik kommt von audioBOUTIQUE. Tschüss, bis zum nächsten Mal.
Sie können »Smarter leben« in allen Podcast-Apps kostenlos hören und abonnieren. Klicken Sie dafür einfach auf den Link zu ihrer Lieblings-App:
Und abonnieren Sie dann den Podcast, um keine Folge zu verpassen. Wenn Sie lieber eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie dort einfach nach »Smarter leben«. Den Link zum RSS-Feed finden Sie hier .