Kind an Weihnachten: Geschenke, die die Trennung doch nicht wiedergutmachen können
Kind an Weihnachten: Geschenke, die die Trennung doch nicht wiedergutmachen können
Foto: Marija Kovac / Marija Kovac / Stocksy United

Weihnachten in Trennungsfamilien »Ich sehne mich immer noch danach, dass wir alle zusammen feiern«

Auch ohne Corona kommt an Weihnachten nicht unbedingt die ganze Familie zusammen – etwa wenn Eltern getrennt leben. Hier erzählen Mütter, Väter, Großeltern und ein Kind, wie sie die Festtage erleben.
Von Heike Klovert

Die Familie glücklich vereint unter den Christbaumkugeln. Dieses Weihnachtsmärchen nähren in diesen Tagen nicht nur Werbung und Fernsehfilme, sondern auch die Politik: Wenigstens der »engste Familienkreis« soll zusammen feiern können, so der fromme Wunsch. 

Dieses Ideal schließt Menschen aus, die Weihnachten lieber mit engen Freunden gefeiert hätten, die aus mehr als zwei Haushalten kommen. Und es führt Kindern, Eltern und Großeltern aus Trennungsfamilien – wie jedes Jahr wieder – vor Augen: Die Realität hat mit dem tradierten Familienbild nicht immer viel gemeinsam. Und Weihnachten kann wie ein Brennglas wirken, das den Schmerz darüber vergrößert.

Eltern, denen es an Heiligabend nicht gelingt zu verbergen, wie gekränkt sie sich fühlen. Kinder, die von all den Geschenken überfordert sind, die die Trennung doch nicht wiedergutmachen können. Mütter und Väter, die sich verausgaben, um wenigstens das Weihnachtsfest besonders schön zu gestalten. Und am Ende? Noch mehr Traurigkeit, noch mehr Enttäuschung.

So kann Weihnachten in Trennungsfamilien ablaufen – muss es aber nicht.

Sozialpädagogin Justina Glab berät Familien für den Verband alleinerziehender Mütter und Väter in Nordrhein-Westfalen. Sie sagt: »Eltern sollten versuchen, ihre Erwartungen an Weihnachten herunterzuschrauben.« Dieses Jahr sei es aufgrund der Corona-Auflagen noch schwieriger, die vielen Bedürfnisse in Trennungs- und Patchworkfamilien zu vereinbaren.

»Wenn es bisher nicht möglich war, dass sich Eltern an einen Tisch setzen und solche Dinge aushandeln, ist es nicht unbedingt ratsam, das an Weihnachten voneinander zu erwarten«, sagt Glab. »Nehmen Sie sich das lieber als langfristiges Projekt vor. Holen Sie sich Hilfe bei einer Beratungsstelle, wenn es nicht funktioniert. Und in der Weihnachtszeit hilft: Sprechen Sie mit Ihren Kindern, wie es ihnen geht und was sie sich wünschen. Fragen Sie sie: Wie wollen wir unsere gemeinsamen Tage gestalten? Wie können wir sie uns schön machen?«

Wie das dann aussieht, ein schönes Weihnachten jenseits von Wunschklischees, ist von Familie zu Familie, von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Hier erzählen zwei Mütter, zwei Väter, eine Tochter und eine Großmutter, wie sie persönlich auf ihr Weihnachtsfest schauen. Wie sie das Fest gestalten, was sie daran traurig macht und was sie freut.

Jennifer H., 32, Altenpflegerin, Kleve in Nordrhein-Westfalen

Jennifer H.: »Meine Tochter, unsere zwei Hunde und ich – wir sind eine eigene kleine Familie«

Jennifer H.: »Meine Tochter, unsere zwei Hunde und ich – wir sind eine eigene kleine Familie«

Foto: privat

An Weihnachten tut es mir noch mehr weh als sonst, dass wir keine heile Familie sind. Auch für meine Tochter war das in den vergangenen Tagen wieder ein Thema. Sie ist jetzt viereinhalb, wir haben einen Film geguckt, in dem ein Papa vorkam.

Sie fragte mich danach: »Was macht mein Papa denn? Hat er mich nicht so lieb?« Ich habe ihr aufgezählt, wer sie alles sehr, sehr lieb hat. Was er fühlt und macht, das weiß ich nicht. Er wohnt wohl in der Nähe, und ich habe ständig das Gefühl, dass ich ihn meiner Tochter zuliebe kontaktieren müsste.

Die letzte Nachricht habe ich ihm an Ostern geschrieben. Darin stand, dass unsere Tochter einen Papa verdient hat und dass ich ihn niemals ersetzen kann. Ich habe ihn gefragt, ob er sie wirklich gar nicht vermisst. Es kam keinerlei Reaktion. Nun ist mein Stolz zu groß, um noch einmal zu schreiben oder bei ihm vorbeizufahren.

»Meine Tochter, unsere Hunde und ich – wir sind eine eigene kleine Familie«

Wir sind seit Sommer 2018 getrennt. Wir hätten seitdem Heiligabend mit meinen Eltern feiern können, aber ich wollte nicht. Meine Tochter, unsere zwei Hunde und ich – wir sind eine eigene kleine Familie.

Wir haben einen Christbaum und hören Weihnachtsmusik, sie darf Geschenke auspacken, es gibt Schnitzel und Nudelsalat. Ich glaube nicht, dass ihr etwas fehlt. Sie hat noch nie gefragt, warum wir nicht zu meinen Eltern fahren. Die besuchen wir dann am ersten Weihnachtsfeiertag.

Dieses Jahr muss ich am 24. Dezember bis 16 Uhr arbeiten. Wir sind in unserem Seniorenheim so knapp besetzt, und die Menschen müssen versorgt werden. Zum Glück ist meine Pflegedienstleitung sehr verständnisvoll. Sie kann mir nicht erlauben, früher zu gehen. Aber sie ist einverstanden, dass ich meine Tochter mit zur Arbeit bringe.

Jennifer H. arbeitet in Kleve, Nordrhein-Westfalen, in einem Seniorenheim.

Sophia Rosa Bollinger, 18, Schülerin, München

Sophia Bollinger mit ihrem Vater Daniel: »Ich sehne mich immer noch danach, dass wir alle zusammen Weihnachten feiern«

Sophia Bollinger mit ihrem Vater Daniel: »Ich sehne mich immer noch danach, dass wir alle zusammen Weihnachten feiern«

Foto: privat

Mit sechs Jahren zog ich mit meiner Mutter zu ihrem neuen Partner in sein Heimatland Italien, wo dann mein Halbbruder auf die Welt kam. Ich bewundere meinen Papa sehr dafür, dass er auch in den kommenden vier Jahren immer versucht hat, mich an Weihnachten zu sehen.

Und ich bin meinen Eltern so dankbar, dass sie sich in den ersten Jahren nach ihrer Trennung mir zuliebe bemüht haben, Weihnachten zusammen zu feiern. Und dafür, dass sie mir danach selbst überlassen haben, mit wem ich die Tage verbringen möchte – ohne dass ich ein schlechtes Gewissen haben musste.

Ich erinnere mich, wie ich in der Trennungsphase weinend an einem Fenster saß, ein Bild von meinem Papa angeschaut habe und dachte: »Ich werde erwachsen. Jetzt habe ich zum ersten Mal ein Problem, das eigentlich nur Erwachsene haben sollten. Vielleicht verliere ich meinen Vater.« Ich war damals fünf Jahre alt.

Ich habe dann relativ schnell gemerkt, dass meine Eltern trotzdem noch irgendwie befreundet sind. Weihnachten war dafür ganz wichtig. Das ist einfach die schönste Familienzeit. Ich sehne mich immer noch danach, dass wir alle zusammen Weihnachten feiern.

»Ich wünsche mir insgeheim, dass wir noch öfter nur zu zweit Plätzchen backen«

Seit meine Eltern sich getrennt haben, hatte mein Papa mehrere Beziehungen. Er hat immer versucht, mich in seine neue Familie einzubinden. Das war für mich oft schwierig, und das höre ich auch von anderen Scheidungskindern: Obwohl man die Freundin des Vaters sehr mag, wünscht man sich doch, auch mal Zeit nur mit seinem Papa zu verbringen.

Auch dieses Jahr ist es so. Wir sehen uns, sooft es geht. Und trotzdem wünsche ich mir insgeheim, dass wir noch öfter nur zu zweit Plätzchen backen und Spiele spielen – so wie früher, vor der Trennung.

Vor ein paar Wochen habe ich meine Mama gefragt, ob wir die Feiertage nicht mal wieder alle bei meinen Großeltern väterlicherseits auf dem Land verbringen wollen. Sie haben ein großes Holzhaus mit Kamin, dort habe ich als Kind oft Weihnachten gefeiert, das war so gemütlich. Überall brennen Kerzen, manchmal liegt Schnee, und meine Oma kocht so richtig lecker.

Meine Mama fand die Idee gut, sie ist selbst gern dort. Doch dann stiegen die Infektionszahlen wieder an. Deshalb feiere ich Weihnachten dieses Jahr nur mit meiner Mama und meinem Bruder in München, wo wir leben, seit wir aus Italien zurück sind. Das wird bestimmt auch schön.

Daniel Bollinger, 41, Musiker, Karlsruhe

Kurz vor Weihnachten vor zwölf Jahren sagte Sophias Mutter mir, dass die beiden nach Italien ziehen wollen. Das war nicht leicht für mich. Wir waren damals gerade ein Jahr getrennt. Im ersten Moment war ich so wütend, dass ich das Fest absagen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir meine Tochter wegnehmen will.

Doch dann beschloss ich: Wir kriegen das hin. Sophia sollte spüren, dass wir trotzdem noch eine Gemeinschaft sind, eine Familie. Ich weiß nicht mehr genau, wie dieses Weihnachten war, aber ich erinnere mich, dass wir Sophia danach immer freigestellt haben, wo sie Weihnachten verbringen will.

Ich finde es wichtig, Kinder bei dieser Frage einzubinden. Ich kenne Eltern, die nicht möchten, dass ihr Kind Weihnachten beim Ex-Partner feiert. Dann denke ich oft: »Reißt euch doch mal zusammen für das Kind. Es braucht euch beide.«

»Ich kann extrem schnell Dinge vergeben, das hilft«

Auch ich hatte früher destruktive Gefühle, ich war verletzt und wütend. Aber wenn man über seinen Schatten springt, können trotzdem schöne Orte der Begegnung entstehen. Ich flog alle vier bis sechs Wochen nach Italien, um Sophia zu sehen. Ich bin ihrer Mutter sehr dankbar, dass ich bei ihnen so entspannt übernachten durfte. Ihr damaliger Freund holte mich oft vom Flughafen ab.

Damals habe ich gelernt, loszulassen und mich über die Tage zu freuen, die ich mit Sophia verbringen kann. Wir telefonieren regelmäßig und ich bin häufig in München. Ich frage sie dann immer, ob wir uns sehen wollen. Vielleicht wünscht sie sich, dass wir mehr Zeit miteinander haben. Aber sie steht kurz vor dem Abitur, sie hat ihre Freunde, ihren Alltag und selbst viel zu tun.

Ich glaube, an Weihnachten kommt bei ihr diese kindliche Sehnsucht auf, dass die Urfamilie wieder vereint ist. Vielleicht nehmen wir das auf und feiern Weihnachten irgendwann noch mal so. Für mich wäre das in Ordnung, ihre Mutter gehört auch zu meiner Familie. Ich schätze sie als Mensch und bin gern im Austausch mit ihr. Wir haben beide ein Bedürfnis nach guter Kommunikation. Und ich kann extrem schnell Dinge vergeben, das hilft.

Eva, 49, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bochum

Felix' Vater und ich sind kein Paar mehr, seit unser Sohn ein Jahr alt ist. Trotzdem haben wir Weihnachten nach der Trennung noch dreimal zu dritt gefeiert, Felix zuliebe. Sein Vater wohnte weiter weg und übernachtete an den Feiertagen bei uns.

Harmonisch war das nicht. An Weihnachten potenziert sich schnell der Alltagsfrust, den man das ganze Jahr mit sich herumträgt: Wir waren beide angespannt und unausgeglichen. Felix spürte das vielleicht, aber ich glaube, dass er Weihnachten trotzdem genießen konnte.

Felix ist jetzt acht, seit vier Jahren feiern wir von seinem Vater getrennt, und das klappt viel besser. Es kommt mir zugute, dass Felix' Papa kein Weihnachtstyp ist. Er wohnt inzwischen in der Nähe und es ist okay für ihn, wenn er Felix am ersten Feiertag abholen und Silvester mit ihm verbringen kann.

Felix und ich machen es uns an Heiligabend mit meiner Mutter gemütlich. Felix liebt Weihnachten und glaubt immer noch an den Weihnachtsmann. In den vergangenen Jahren hat mein Nachbar die Geschenke unter den Baum gelegt, während wir im Gottesdienst waren.

»Felix soll später gern an Weihnachten zurückdenken«

Den lassen wir dieses Jahr ausfallen. Meine Mutter ist 82 Jahre alt, die Ansteckungsgefahr ist uns zu hoch. Felix und ich holen sie stattdessen am Nachmittag gemeinsam ab, das ist eine Stunde Fahrt – genug Zeit für meinen Nachbarn.

Felix' Gesicht, wenn er die Geschenke unter dem Baum entdeckt, ist unbeschreiblich. Er freut sich auch jetzt schon auf den Kartoffelsalat und die Würstchen, die essen wir jedes Jahr. Und er spielt dann die halbe Nacht mit seinen Geschenken.

Felix soll später gern an Weihnachten zurückdenken, und die Erinnerung daran soll ihn stärken. Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn Eltern zusammen feiern, die ihren Groll aufeinander nicht im Griff haben. Dann lieber getrennt und entspannt.

Eva und ihr Sohn heißen eigentlich anders. Eva hat darum gebeten, anonym bleiben zu dürfen. Ihre echten Namen sind der Redaktion bekannt.

Christian R., 41, Bauingenieur aus Süddeutschland

Weihnachten ist dieses Jahr für mich kein Weihnachten, denn die Hauptperson, die alles fröhlich macht, ist nicht dabei. Meine Tochter ist zweieinhalb Jahre alt, und ich hatte gehofft, dass ich sie über die Feiertage sehen darf.

Ich habe ihrer Mutter Anfang Dezember einen Brief geschrieben und sie darum gebeten, dass wir uns an Weihnachten aufeinander zubewegen, für Maya (Name geändert), und dass ich sie für fünf Stunden zu meinen Eltern mitnehmen darf. Auch sie macht es glücklich, wenn die Kleine in der Nähe ist.

Doch ihre Mutter hat das kategorisch abgelehnt. Sie wirft mir vor, unsere Tochter nicht gut zu behandeln. Das Wort Missbrauch steht im Raum, den ihre Mutter, soweit ich weiß, an etwas Sand in der Windel festmacht. Seit Monaten läuft eine sogenannte Vermutungsabklärung. Bis diese abgeschlossen und der Vorwurf vom Tisch ist, darf ich mit Maya nur einmal wöchentlich eine Stunde begleiteten Umgang haben.

Der nächste Termin ist am 28. Dezember, in den Räumlichkeiten des Jugendamts. Meine Bitte, dass ich meine Eltern mitbringen und Maya eine halbe Stunde länger sehen darf, hat ihre Mutter ausgeschlagen. Das hat mir das Jugendamt mitgeteilt. Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, wenigstens wieder direkt miteinander zu kommunizieren.

Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke, wie wir vergangenes Jahr Weihnachten gefeiert haben. Damals waren wir gerade frisch getrennt und ich konnte erreichen, dass Maya am ersten Weihnachtsfeiertag für ein paar Stunden zu mir und meinen Eltern durfte. Hinterher habe ich mir die Bilder angeschaut, die wir gemacht haben: Die Kleine war fröhlich und fidel und hat gelacht.

»Wenn Maya wieder weg ist, fühle ich ein Stechen in der Brust«

Meine Mutter hat dieses Jahr eine Mütze und einen Schal für Maya gestrickt, mein Vater würde ihr gern eine Spielküche bauen. Aber diese Ideen sind nutzlos, wenn wir nicht wissen, ob die Geschenke bei ihr ankommen und ob sie damit spielen darf.

Am 28. ist die Zeit viel zu kurz, um in Ruhe Geschenke auszupacken. Ich möchte dann lieber mit ihr malen und spielen. Ich habe bei ihrer Kita angerufen, um zu fragen, welche Weihnachtslieder sie dort gerade singen, damit ich mitsingen kann, falls Maya eines anstimmt.

Ich genieße jede Minute mit ihr. Jede Woche hat sie so viele Neues gelernt. Ich komme inzwischen damit zurecht, dass ich nicht mit ihr allein sein kann. Ich kann auch ganz gut überspielen, wenn ich traurig werde. Erst hinterher, wenn Maya wieder weg ist, fühle ich ein Stechen in der Brust, und ich bekomme schlecht Luft. Ich brauche dann eine Weile, um wieder runterzukommen.

An Heiligabend werde ich bei meinen Eltern sein. Wir werden Raclette essen, wie jedes Jahr, die Fenster werden mit Weihnachtssternen geschmückt sein. Ich möchte versuchen, mich auf das Positive zu besinnen, zum Beispiel darauf, dass wir alle gesund sind. Und ich habe die Hoffnung, dass Maya vielleicht nächstes Jahr mit uns feiern kann.

Marianne Kopp, 67, pensionierte Pastorin, Illerriedem bei Ulm

Marianne und ihr Mann Reinhard Kopp: »Es ist für alle leichter, die Höhepunkte übers ganze Jahr zu verteilen«

Marianne und ihr Mann Reinhard Kopp: »Es ist für alle leichter, die Höhepunkte übers ganze Jahr zu verteilen«

Foto: privat

Wir sind Großeltern von Scheidungsenkeln, und wir wissen schon seit Ostern, dass unsere beiden Enkel dieses Jahr bei den anderen Großeltern sind. Das hat nichts mit Corona zu tun, sondern das ist normale, vernünftige Planung.

Mein Mann und ich verbringen Weihnachten also für uns, was uns aber nicht kränkt, denn es gilt gleiches Recht für alle. Wir haben vier Kinder und natürlich ist es schön, an Weihnachten alle unter einem Dach zu haben. Aber es ist für alle leichter, die Höhepunkte übers ganze Jahr zu verteilen. Im Sommer treffen wir uns normalerweise zu einem großen Grillfest. Jemand aus der Familie lädt auch traditionell im November zu Thanksgiving ein. Wir haben nicht das Gefühl, dass wir als Großeltern zu kurz kommen.

Trotzdem ist es etwas merkwürdig, dass wir dieses Jahr wegen der Coronakrise zum ersten Mal so ganz auf uns gestellt sind. Wir wollen das Beste draus machen. Wir kochen sehr gern, der Keller steht voller Gläser mit eingewecktem Rotkraut, Sauerkraut und selbst gemachten Essigsorten. Für den 23. Dezember haben wir uns vorgenommen, Nudeln selbst zu machen.

»Wir leiden nicht unter Langeweile oder einem Verlassenheitsgefühl«

Außerdem möchte ich das Punch Needling perfektionieren, bei dem man das Garn von oben in den Stoff sticht. Meine Tochter hat mir gezeigt, wie das geht. Wenn die Sonne scheint, laufen wir mit unseren Walking-Stöcken durch den Wald. Oder wir setzen uns mit Anoraks und einer Tasse Tee auf den Balkon und lesen uns gegenseitig vor. Gerade lesen wir die »Atemschaukel« von Herta Müller.

Wir leiden nicht unter Langeweile oder einem Verlassenheitsgefühl. Unsere Kinder wissen das und ich denke, sie sind froh darüber, dass sie sich nicht für uns verantwortlich fühlen müssen. Als wir unseren Enkeln neulich ihre Nikolausgeschenke vorbeigebracht haben, hat mir meine zehnjährige Enkeltochter ein Bild gezeigt, das über ihrem Bett hängt: Darauf sind wir beide zu sehen, wie wir uns im ersten Shutdown mit Maske umarmen, weil wir es beide einfach nicht mehr ausgehalten haben, dass wir uns nicht nah sein durften.

Wir wissen alle: Wenn wir uns gegenseitig wirklich brauchen, sind wir füreinander da. Ansonsten plädieren mein Mann und ich sehr dafür, dass Großeltern ihr Leben eigenständig organisieren und ihre Zufriedenheit nicht von ihren Kindern und Enkeln abhängig machen.

Marianne und ihr Mann Reinhard Kopp haben die Großelternakademie  gegründet, eine private Initiative, die über die Rolle der Großeltern in Familien aufklären soll. Seit Anfang Dezember halten sie kostenlose Onlinevorträge zu dem Thema.

Anmerkung der Redaktion: Die Protokolle beruhen allein auf den subjektiven Erfahrungen und Eindrücken der Interviewten. Biografische Eckdaten haben wir, wo möglich, verifiziert.

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