Die Berlinale-Highlights Unsere Berlinale-Favoriten

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In Hong Sangsoos "Bamui haebyun-eoseo honja" ("On the Beach at Night Alone", Wettbewerb) kommen die Küsse, die Witze und der Entführer aus dem Nichts: So freundlich wie der Koreaner überrumpelt einfach keiner im Weltkino. Immer nah am Selbstzitat knüpft er hier direkt an sein kleines Meisterwerk "Right Now, Wrong Then" an und erzählt, wie die Affäre zwischen dem prätentiösen Regisseur und der Schauspielerin Younghee (Kim Minhee, Mitte) ausgegangen ist, nämlich überaus schlecht. Ein feiner Film über Liebeskummer, Reue und Selbstfindung. -Hannah Pilarczyk

Foto: Berlinale/ Jeonwonsa Film Co.
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Erst haut der eine dem anderen ins Gesicht, dann andersherum, dann hat man sich kennen und schätzen gelernt. In Aki Kaurismäkis großartigem "The Other Side of Hope" (Wettbewerb) strandet ein syrischer Geflüchteter versehentlich in Helsinki – und kurz darauf auch in dieser sonderbar einträchtigen Prügelei. In diesem Film wird keine Weltgemeinschaft läuternd aus den Wehen des Culter-Clashs geboren; hier ist sie immer schon vorausgesetzt; nicht als albernes Sozialidyll, sondern als wunderlicher, eigensinniger Raum, in dem jeder sofort weiß, was gemeint ist, wenn man sich zur Begrüßung auf die Schnauze haut. -Lukas Stern

Foto: Malla Hukkanen/ Sputnik Oy/ Berlinale
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In "Werewolf" (Forum) gibt es kaum Totalen: Den Alltag eines Junkie-Paares in der kanadischen Provinz fängt Ashley McKenzie in radikal reduzierten Bild- und Erzählfragmenten ein. Umso erstaunlicher ist, wie präzise und wertfrei sie gleichzeitig das Mechanische im Leben einfängt, die Gedankenlosigkeit hinter so vielen Handgriffen. So bekommt das Abfüllen von Methadon plötzlich verblüffende Ähnlichkeit mit dem Abzapfen eines Softeises. Aussichten auf ein freudvolleres Leben sollte man mit keinem von beiden verbinden. -Hannah Pilarczyk

Foto: Steve Wadden/ Berlinale
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Mavie (Isabelle Hupperts Tochter Lolita Chammah) ist 27, Neuankünftlerin in Paris, und eigentlich geschieht in Elise Girard Film gar nichts: Mavie trinkt Kaffee, versucht sich an der Literatur, geht spazieren. Und dann bahnt sich doch das Fantastische seinen Weg: Möwen stürzen vom Himmel und mit ihnen auch die Liebe zum fünfzig Jahre älteren Georges (Jean Sorel), einem Buchhändler, der aber noch vielmehr zu sein scheint. "Drôles d'oiseaux" (Forum) ist leise, delikat, süß, aber auch ganz schön herb. Nach siebzig Minuten merkt man, dass doch eine ganze Menge vor sich gegangen ist, im Film und auch in einem selbst, und man fühlt sich dennoch nicht manipuliert. -Carolin Weidner

Foto: Berlinale
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Long (Chen Chang) ist einer der besten Profikiller Taiwans. Blöd nur, dass er nach seinem letzten Auftrag in Japan strandet. Obdachlos und verletzt, wird er von einem kleinen Jungen versorgt; der revanchiert sich bei ihm und seiner alleinerziehenden, drogensüchtigen Mutter mit seinen Hobbykochkünsten. Bald begeistert "Mr. Long" (Wettbewerb) eine schrullige Kabuki-Theatergruppe, unterhält eine florierende Nudelsuppengarküche und denkt über ein Familienleben nach. Gar nicht so blöd also. Aber natürlich ist alles nicht so einfach. Der japanische Regisseur Sabu inszeniert seine kulinarische Killerballade mit gewagten dramaturgischen Sprüngen und mischt Sozialdrama mit Martial-Arts-Action. Ein Genuss. -Andreas Borcholte

Foto: Live Max Film/ LDH Pictures/ Berlinale
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In einem ungarischen Dorf, ein halbes Jahr nach der Befreiung von Auschwitz: Während der Vorbereitungen einer Hochzeitsfeier kehren zwei jüdische Überlebende ins Dorf zurück. Viele der Einwohner tragen eine Mitschuld an der Deportation, profitierten sogar von ihr. Als eine Erzählung über den Holocaust ist Ferenc Töröks "1945" (Panorama) deshalb so bemerkenswert, weil er die Monstrosität des Genozids in ihrer Abwesenheit thematisiert. Mit der Bewegung der jüdischen Überlebenden durch das Dorf steigt die Nervosität bei den Bewohnern. "1945" moduliert aus der Hektik der Hochzeitsplanung eine immer entsetzlicher werdende Unruhe – bis hin zur Ohnmacht des letzten Bildes. -Lukas Stern

Foto: Berlinale
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Ein bis heute ungeklärter Fall: 1996 wurde die sechsjährige JonBenét Ramsey ermordet in ihrem Elternhaus aufgefunden. Kitty Greens Film "Casting JonBenet" (Panorama) faltet den Fall nun anhand von Castinggesprächen für eine Spielfilmadaption neu aus. Mehrere Darstellerinnen und Darsteller werden vorstellig: Ziel ist es, sich über persönliche Bezüge für die verschiedenen Rollen zu qualifizieren. Und genau in dieser schauerlichen Spannung wird Greens Reenactment-Projekt interessant. Nicht der Mordfall und seine Hintergründe stehen zur Disposition, sondern das Schauspiel selbst. Die physische und psychologische Aneignung des fremden Lebens ist hier arglose Methode und ungeheuerlicher Skandal zugleich. -Lukas Stern

Foto: Michael Latham/ Netflix/ Berlinale
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Wenn David Moufang alias Move D zu philosophieren beginnt, kann es in wenigen Atemzügen vom Geräusch des Luftzugs unter der Tür über den Sound sich vermehrender Bakterien bis zu explodierenden Sternen gehen. Romuald Karmakar beobachtet in seinem Dokumentarfilm "Denk ich an Deutschland in der Nacht" (Panorama) Menschen beim Räsonnieren, Aufnehmen und Auflegen, die man DJs nennen kann. Elektronische Musiker ist aber wohl der passendere Begriff. Immerhin ist Musik von Roman Flügel, Ricardo Villalobos oder Ata in Karmakars Film auch keine Partybeschallung, sondern eine spirituell aufgeladene Seinserfahrung. -Oliver Kaever

Foto: Arden Film/ Berlinale
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Meistens sind die Fenster provisorisch mit Tüchern verhangen. Ob es Tag oder Nacht ist, lässt sich in Adrian Goigingers äußerst bemerkenswertem Debüt "Die beste aller Welten" (Perspektive deutsches Kino) sehr oft nicht einschätzen. Drinnen wohnt der siebenjährige Adrian mit seiner heroinabhängigen Mutter; nicht selten auch mit einer ganzen Menge anderer Menschen, die sich gleichermaßen die Nadel in die Vene schieben. Dieses autobiografische Drama gießt sein Kinderschicksal nicht einfach in melodramatische Gussformen, sondern versteht es als eine Art zeitliche Unordnung, als eine Reibung an der Metrik des Alltags, als ein Jenseits von Tages- und Nachtgrenzen. Anders als viele seiner Alterskollegen ist Goiginger nicht auf Eskalationen aus – bei ihm sind die Intensitäten nuanciert und stark genug, um darauf auch nicht aus sein zu müssen. -Lukas Stern

Foto: RitzlFilm/ Berlinale
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Nur wenige Bilder dringen vom Krieg in Syrien zu uns. Der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw stellt sie in seinem Kammerspiel "Insyriated" (Panorama) über eine in ihrer Wohnung eingeschlossene Familie auch nicht nach. Er holt die Kriegshandlungen als Soundkulisse ganz nah heran: detonierende Bomben erschüttern das Trommelfell, Maschinengewehrfeuer zerschneidet die Luft. Das Grauen des Kriegs-Alltags als unsichtbare Bedrohung. Bis die Gewalt durch die Tür eindringt und jede menschliche Regung zunichte macht. Ein bestürzend intensiver Film, der dem Zuschauer kein Entkommen gestattet. -Oliver Kaever

Foto: Altitude 100/ Virginie Surdej/ Berlinale
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Es muss an dieser Stelle doch noch darauf hingewiesen werden, dass es auch in diesem Jahr wieder sehr kalt ist auf der Berlinale. Und manchmal, so nach dem vierten, fünften Film in Folge, wird man auch müde. Dann empfiehlt es sich dringend, gleich wieder ins Kino zu gehen und die thailändische Doku "Mon rot fai" ("Railway Sleepers") (Forum) anzusehen. Mutet zunächst an die wie die Thai-Version von "Deutschlands beliebteste Bahnstrecken". Aber der Film von Sompot Chidgasornpongse über Menschen in Zügen entwickelt einen meditativen Sog. Man lauscht Gesprächen, schaut aus dem Fenster und glaubt bald, selbst sanft im Sitz über die Schienen zu schaukeln. Und zwischendurch darf man sogar kurz mal einnicken. -Oliver Kaever

Foto: Phim Umari/ Berlinale
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Es heißt, Nicolas Wackerbarths („Halbschatten“) neuer Film "Casting", der im Forum zu sehen ist, wäre auf Basis von Improvisationen entstanden. Das ist umso komischer (im positiven Sinn), bedenkt man, welchem Film im Film sich "Casting" widmet: "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" von Rainer Werner Fassbinder, ein Werk, das viel gibt auf Exaktheit. Wackerbarth beobachtet das hysterische und unschuldig-intrigante Casting zum Remake von Regisseurin Vera (Judith Engel), die sich eine Menge Petras (Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki, Marie-Lou Sellem) ansehen muss, aber nur eine Karin, bzw. Gerwin (Andreas Lust). Nervenaufreibend und sehr, sehr lustig. -Carolin Weidner

Foto: Berlinale
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"Somniloquies" von Verena Paravel und Lucien Castaing-Taylor (Forum) schickt uns in den Schlaf. Ganz vorsätzlich. Aufgezeichnete Traumtexte eines historischen Schlafredners (dem US-amerikanischen Songwriter Dion McGregor) verstricken uns in ihre eigene Logik, die die exakte Zahl von Zwergenwohnungen kennt, Angst vor Organentnahme schürt und weiß, wo sich das Land der Zukunft befindet. Dazu schweben am Rande der Sichtbarkeit nackte menschliche Körperformen wie in Formaldehyd durch das Schwarz der Bilder, gleichzeitig intim und obszön, auch sie versetzen uns in einen anderen Wahrnehmungszustand, der nicht zielgerichtet ist. Ein schönes, exzentrisches Einlullen, wenn man es zulässt. -Jan Künemund

Foto: Berlinale
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Im ersten Bild von "In einem Jahr der Nichtereignisse" das Fell einer Katze, vom Atmen bewegt. Der 8mm-Film ist überfordert von der Textur, alles franst aus, die Konturen verschwimmen. Ähnliches passiert mit dem Hof, den ein über 90-Jähriger allein bewohnt und den die Filmemacher Ann Carolin Renninger und René Frölke ein Jahr lang besuchen: auch hier Ausfransen, Zuwachsen, Überwuchern, die Tiere und Pflanzen und Gegenstände haben längst die Herrschaft übernommen. Das alte 8mm- und 16mm-Material ist so kostbar wie die eingefangenen Augenblicke: mal passiert noch was im Ton, wenn die Rolle schon durch ist, dann sehen wir schwarz. Mal sehen wir stumm das schöne Ausfransen, ohne den hellen, norddeutschen Singsang des Hausherrn und das Quietschen seines Rollators. -Jan Künemund

Foto: joon film/ Berlinale
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"Small Talk": Dieser Dokumentarfilm beginnt in einer gewöhnlichen taiwanesischen Wohnung des Heute, um in seinem Verlauf auf eine andere Wohnung zu stoßen, deren Existenz in der Vergangenheit liegt und in der Grausames geschah. In beiden Wohnungen lebten und leben Filmemacherin Hui-chen Huang und Anu, ihre Mutter. Mehr nebeneinander als miteinander bewältigen sie ihren Alltag, streift Hui-chen Huang die Liebhaberinnen Anus, in deren Leben sie sich kaum auskennt. Nun kommt es zum Gespräch, das natürlich alles andere ist "Small Talk". Kein einfacher Film in der Sektion Panorama, der einem aber noch eine ganze Weile im Kopf herumgeistert. -Carolin Weidner

Foto: Small Talk Productions/ Berlinale
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Die amaXhosa machen mit Jungen, die zu Männern werden sollen, kurzen Prozess. Das Beschneidungsritual, in den südafrikanischen Großstädten längst unpopulär, bildet den Rahmen für das Aufeinandertreffen dreier Männer, die nach ländlichen Vorstellungen keine richtigen Männer sind. John Trengoves Spielfilm "The Wound" (Panorama) bleibt etwas zu sehr in der feinen Psychologie seiner Figuren stecken, mag weder zeigen, wo es ums Eingemachte geht, noch wildere Bilder für die Symbolik der Handlungen suchen. Aber er findet sein filmisches Potenzial im Clash von Tradition und Moderne: Techno im Gebirge, schwule Küsse unter dem Wasserfall, geschminkte Initianten in grellbunten Sneakers. -Jan Künemund

Foto: Urucu Media/ Berlinale
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Können Menschen synchron träumen? In dem ungewöhnlichen und sehr mitreißenden Liebesfilm "Teströl és lélekröl" (Wettbewerb) der ungarischen Regie-Ikone Ildiko Enyedi nähern sich eine zwanghaft verschlossene Qualitätsprüferin (Alexandra Borbely) und ihr verkrüppelter, daher gehemmter Chef (Geza Morcsanyi) an, indem sie sich im Schlaf als zaghaft balzende Wildtiere in einem winterlichen Wald begegnen. Kontrastiert werden die poetischen Traumbilder mit den tristen und blutig-realen Alltagsszenen aus dem Budapester Schlachthof, in dem die beiden Versehrten - eine seelisch, einer körperlich - arbeiten. Ein sensibel und fantasievoll erzählter Film über die Mühsal, sich anderen Menschen zu öffnen und die Schönheit, wenn es gelingt. -Andreas Borcholte

Foto: Berlinale
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