30 Jahre Übergang Unterwegs im wilden Osten

Der Leipziger Fotograf Bernd Cramer zeigt den Osten, wie man ihn selten sieht - lustig, skurril, berührend. Drei Jahrzehnte hat er seine Landsleute beobachtet. Nur der wichtigste Moment fehlt auf seinen Bildern.
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Spaß im Osten: Bernd Cramer fotografierte viele skurrile Momente. Nichts ahnend fuhr er im November 2015 durch das sächsische Dorf Trossin und sah dort Minion-Figuren tanzen. Durchs Autofenster fiel sein Blick auf...

Foto: Bernd Cramer
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...diese seltsame Szene: Ein Mann lag mit einem Laubbläser unter einem Holzbalken und pustete der Frau unters Kleid. Die Situation warf Fragen auf - zunächst aber machte Cramer das Bild. Dann erfuhr er von den Dreharbeiten des örtlichen Karnevalsvereins, der eine berühmte Filmszene mit Marilyn Monroe nachstellte.

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Junge vor Lenin-Plakat: Die reine Lehre des Kommunismus hatte sich in der DDR schon lange überlebt, als Bernd Cramer 1985 dieses Foto schoss. Die Wirkung dieser Aufnahme fiel ihm selbst erst beim Entwickeln des Films auf. "Große politische Statements abzuliefern", das sei gar nicht seine Absicht gewesen, sagt der Leipziger Fotograf heute. 30 Jahre lang beobachtete er seine Landsleute und zeigt Szenen aus Ostdeutschland, wie man sie selten sieht.

Foto: Bernd Cramer
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Gesenkte Köpfe: Nicht immer ist die Situation so, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Die Frauen, die Cramer 1989 am Feldrand bei Delitzsch fotografierte, seien bestens gelaunt gewesen, als er mit ihnen plauderte, erinnert sich der Fotograf. Erst als er die Kamera ansetzte, "schwupp, guckten sie nach unten".

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"Alles für den Frieden" - die Losung hatte sich erledigt. Cramer entdeckte die an einem Leipziger Gerichtsgebäude abgestellten Schubkarren im Juli 1991. Der Schriftzug erinnerte noch an den ersten Fünfjahresplan der DDR von 1951.

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Der Westen kommt: Promotiontour im offenen Daimler 1990 durch Leipzig. Wofür die Mädels damals warben, hat der Fotograf inzwischen vergessen. Verlockende Angebote gab es zuhauf.

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Das Westgeld kommt: Zur Währungsumstellung bildeten sich am 1. Juli 1990 lange Schlangen vor der Sparkasse in Leipzig. Die Mark der DDR wurde in D-Mark getauscht. Der Aufbruch in eine neue Zeit machte sich auch im Straßenbild bemerkbar.

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Neu und unbeschrieben: Haltestellenschilder in einem Berliner Straßenbahndepot, fotografiert von Bernd Cramer im Oktober 1994

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Mutter im Büro: "Meine Mutter hat eigentlich immer nur gearbeitet", erinnert sich Bernd Cramer. Beim Meliorationsbau Leipzig sei sie in leitender Funktion tätig gewesen, auch nach der Privatisierung. "Das Bild von 1992 zeigt für mich alles", sagt der Fotograf. Der leer geräumte Schreibtisch nimmt den Ausgang der Geschichte vorweg: Wegen unerfüllbarer Auflagen der Treuhand ging das Unternehmen einige Jahre später in die Insolvenz.

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Entwertet: Die inflationäre Vergabe von Orden, Abzeichen, Medaillen und Urkunden in der DDR relativierte jede Anerkennung. Für viele Ostdeutsche waren sie indes das wenige, das ihnen als Bestätigung ihrer beruflichen Leistung blieb. Diese Urkunde für das "Beste Kollektiv" entdeckte Cramer 1994 im ehemaligen Großschlachthof Leipzig.

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Frischer Kopf: 1994 porträtierte Bernd Cramer seine Eltern beim Haareschneiden in der Küche - und fing sie ein, wie er sie sah: "immer positiv, sehr kämpferisch und sehr stark". Die Wende sei für beide kein Problem gewesen, sagt der Sohn. Mit über 50 hätten sie ein neues Leben begonnen, "und das war fantastisch. Sie haben es ausgekostet".

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Neuanfang hinter brüchiger Fassade: Der Kontrast war für die Leipziger so augenfällig damals nicht. Immer mal wieder öffnete irgendwo ein Laden, "oft nur für ein paar Monate oder ein, zwei Jahre", beobachtete Fotograf Cramer. "Die Leute haben in kurzer Zeit gemerkt, dass sie irgendwas machen müssen, um wirtschaftlich voranzukommen - und da war es erst mal nicht wichtig, wie die Fassade aussah."

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Auf der Wohnzimmercouch: "Eine tolle Frau", sagt Cramer über die alleinerziehende Mutter, die er im Juni 1995 für ein Familienfoto besuchte. Wie die Stimmung in diesem Bild zustande kam, kann er heute nur mutmaßen: "Vielleicht lag's an diesen Kissen. Als Jugendlicher hätte ich auch keine Lust gehabt, mich auf so eine spießige Couch zu setzen."

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Der Fortschritt schien unaufhaltsam, nur die Richtung war nicht immer ganz klar. Dieser Schnappschuss gelang Cramer 1994. "Ich selbst saß gerade im Wartburg", erinnert er sich. Im Vorbeifahren hatte er Glück, den richtigen Moment zu erwischen. Die Jahre bis Mitte der Neunzigerjahre sieht der Fotograf als "ambivalenten Übergang", in dieser Zeit war "nicht greifbar, in welche Richtung es geht".

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Aussortiert oder neu hervorgeholt? Auf einem Leipziger Flohmarkt begegneten dem Fotografen 2014 die DDR-Staatschefs Honecker und Ulbricht.

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Verhörkeller in Bad Schmiedeberg: Die Aufnahme ist nicht historisch, sondern eine Nachstellung. Cramer machte das Bild 2014 als Standfotograf beim Dreh des Dokudramas "Zug in die Freiheit". Für ihn ist es dennoch ein Schlüsselbild: "Weil ich leider genau in dieser heißen Phase damals im Spätherbst 1989 als Bausoldat eingezogen wurde." Kaserniert und wegen Dienstverweigerung zeitweise im Knast, konnte er nicht dabei sein, als die Mauer fiel und sich Bürger Zugang zu den Stasi-Zentralen verschafften.

Foto: Bernd Cramer
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"Ihre OP": Vollständig heißt der Schriftzug am Gebäude "Ihre Oper Leipzig". Die Verkürzung durch die 2015 davor errichtete Skulptur ließ Cramer an Vergänglichkeit und das fragwürdige Streben nach Schönheit denken. Das Motiv illustriert aber auch den Umbau der Gesellschaft.

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Nackt, gesichtslos, anonym: Puppen im Warenlager des Asia-Marktes in Leipzig, fotografiert 2014

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Fata Morgana: Das Gerüst ist klar als Haus erkennbar - und bietet doch nichts, was ein Haus ausmacht, weder schützende Wände noch ein Dach. Cramer entdeckte es 2014 an der A38 bei Leipzig und denkt dabei an "die Sehnsucht, die viele haben, nach einem eigenen Heim. Dabei ist es doch nur eine Fata Morgana, eine Luftblase".

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"Mut zur Wahrheit": Vielleicht sind es Vater und Sohn, die hier die "Mutti" hochhalten. 1989 hatte Cramer die Montagsdemonstrationen fotografiert, 2015 dann die Legida-Aufmärsche und ebenso...

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... No-Legida-Protestanten. Bei solchen Gelegenheiten trifft er die Leipziger, ansonsten finde das Leben "nicht mehr wie früher auf der Straße statt". Um Menschen kennenzulernen, müsse man inzwischen offensiv auf sie zugehen oder an den Häusern klingeln, hat der Fotograf beobachtet. Einfach nur durch Städte zu laufen, um ein aussagekräftiges Bild zu bekommen, das sei schwer geworden.

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Staatsratsvorsitzender Honecker, umgeben von Gefolge 1985 auf der Leipziger Messe: Ein bemerkenswertes Foto für einen 15-Jährigen, der dort gar nicht hätte sein dürfen. Seine Schwester habe damals auf der Messe gearbeitet und ihn eingeschleust, erzählt Cramer. Einen ganzen Tag konnte er unbehelligt mit seiner Kamera über das Gelände laufen, bis er sich plötzlich in einem Pulk von Fotografen wiederfand - und mit seiner Exa 1b tat, was alle taten: draufhalten.

Foto: Bernd Cramer
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Geschäftsmänner, einzeln, mit Handys auf der Neuen Messe Leipzig: 30 Jahre später, 2016, hat sich das Bild gewandelt. Mit über 850-jähriger Tradition ist Leipzig aber immer noch einer der ältesten Messestandorte der Welt.

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Familienfoto 2018: Das Baby starrt fasziniert aufs Tablet, der Blick der Eltern geht ins Leere. Die Beobachtung machte Cramer in einem Leipziger Café.

Foto: Bernd Cramer
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