Elektrischer Stuhl Symbol der Unmenschlichkeit

"Gelbe Mama" und "grausame Gertie": Die elektrischen Stühle tragen zum Teil bizarre Spitznamen. Dieses Modell aus dem Gefängnis von Atmore, Alabama, heißt im Volksmund "Yellow Mama" und war zwischen 1927 und 2002 in Gebrauch. "Gruesome Gertie" (Grausame Gertie) lautet der Spitzname für den elektrischen Stuhl in Lousiana. "Old Smokey" heißt er in New Jersey sowie in Pennsylvania, "Old Sparky" in zahlreichen anderen Bundesstaaten.

Todeswerkzeug: Reed Leroy Hatton, ein 20-jähriger Amerikaner aus San Francisco (l.), zeigt einem Journalisten den elektrischen Stuhl, auf dem er 1949 im Raiford Prison, Florida, hingerichtet wird. Hatton wurde damals zum Tode verurteilt, weil er einen Freund erschossen hatte. Die USA sind weltweit die einzige Nation, in der Menschen mit dem elektrischen Stuhl getötet werden. Auf den Philippinen wurde diese Hinrichtungsmethode zwischen 1924 und 1976 praktiziert.

"Philadelphia Billy": Hinrichtungsopfer William Kemmler unmittelbar vor seinem Tod (zeitgenössische Zeitungsillustration). Der Sohn zweier Alkoholiker war 1860 in Philadelphia, Pennsylvania, zur Welt gekommen. Im Rausch hatte der als "Philadelphia Billy" berüchtigte Mann seine Lebensgefährtin Tillie Ziegler mit einer Axt erschlagen.

Buntes Grauen: "Four Electric Chairs" heißt dieser 1964 kreierte Siebdruck von Andy Warhol (1930-1987). Die in grelle Modefarben getauchten Stühle sind Teil der sogenannten "Death and Desaster"-Serie des Pop-Art-Künstlers, der sich in den Sechzigerjahren mit zahlreichen Formen des Sterbens auseinandersetzte. Als Warhol sich thematisch mit der Elektrokution befasste, wurde die Todesstrafe in New York gerade sehr kontrovers diskutiert. Seit 1963 ist in dem Bundesstaat niemand mehr hingerichtet worden.

Opfer eines Fehlurteils: Filmstill aus der italienisch-französischen Produktion "Sacco und Vanzetti" von 1971 (Regie: Giuliano Montaldo). Die beiden Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti wurden am 22. August 1927 im Gefängnis von Charlestown, Massachusetts, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. In einem der unfairsten US-Strafprozesse der Geschichte wurden die zwei Einwanderer aus Italien des doppelten Raubmordes für schuldig befunden - weltweit demonstrierten die Menschen gegen die richterliche Entscheidung. 1977 wurden die beiden postum rehabilitiert.

Der Rüstungsspionage bezichtigt: Auch die Hinrichtungen von Ethel und Julius Rosenberg sorgten für nationale und internationale Proteste. Dem US-amerikanischen Ehepaar wurde vorgeworfen, Geheiminformationen über US-Atombomben an den KGB geliefert zu haben. Beide verweigerten bis zuletzt die Aussage - und wurden am 19. Juni 1953 im Staatsgefängnis Sing Sing in New York auf dem elektrischen Stuhl getötet.

"Sterbehilfe durch Elektrizität": Der elektrische Stuhl im Staatsgefängnis von Auburn, New York. Der durch Strom herbeigeführte Tod besaß Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf, besonders modern und menschlich zu sein. Von "Sterbehilfe durch Elektrizität" schwärmte die "New York Times" und pries die neue Tötungsmethode als "sicher, sanft und schmerzlos".

"Beschämend": Als weltweit erster Mensch wurde William Kemmler am 6. August 1890 auf einem elektrischen Stuhl hingerichtet. Die Exekution misslang beim ersten Versuch, der Verurteilte wand sich in Qualen und zuckte minutenlang. Als der Generator erneut angeworfen wurde, war der Stromschock viel zu lang. "Was als Demonstration des humanitären Fortschrittes und der technischen Fähigkeiten der zivilisierten Menschheit geplant gewesen war, schien beschämend geendet zu haben", schreibt Historiker Jürgen Martschukat.

Hinrichtung als Medien-Event: Im Staatsgefängnis von Auburn, New York (Aufnahme von 1929), kam der elektrische Stuhl weltweit erstmals zum Einsatz. Schon zwei Stunden vor der Elektrokution am Morgen des 6. August 1890 drängten sich Hunderte von Menschen vor den Toren der Haftanstalt. Die Hinrichtung errege mindestens so viel Aufmerksamkeit wie eine Präsidentschaftswahl, schrieb der "Saturday Globe" damals.

Wunschvorstellung vom zivilisierten Tod: Französische Illustration eines elektrischen Stuhls von 1925. Die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Hinrichtungspraxis galt im Vergleich etwa zum Tod durch den Strick als besonders zivilisiert und fortschrittlich.

Erste Frau auf dem elektrischen Stuhl: Hinrichtung der US-Amerikanerin Martha M. Place am 20. März 1899 auf dem elektrischen Stuhl im Gefängnis Sing Sing in Ossining, New York (kolorierter Druck von 1899). Place war beschuldigt worden, ihre Stieftochter Ida ermordet zu haben - und war die erste Frau, die auf einem elektrischen Stuhl getötet wurde.

Gefährlicher Zirkuselefant: Bevor der erste Mensch 1890 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde, mussten zunächst zahlreiche Versuchstiere, vor allem Hunde, Kälber und Pferde, per Elektroschock sterben. Dieser weibliche Zirkuselefant namens Topsy wurde am 4. Januar 1903 im Luna Park von Coney Island unter Strom gesetzt. Topsy hatte drei Männer umgebracht und galt daher als gefährlich. Der Elefant bekam zunächst mit Blausäure versetzte Mohrrüben und wurde dann mit einem Stromschlag getötet.

"Todesstrafe ist Mord": Menschenrechtsaktivisten demonstrieren 2001 vor dem Nato-Hauptquartier in Brüssel gegen den US-Präsidenten George W. Bush und dessen Befürwortung von Exekutionen. Einer Umfrage des TV-Senders NBC von 2014 zufolge unterstützt noch immer die Mehrheit der US-Bürger die Todesstrafe: 59 Prozent der Befragten sind dafür, 35 Prozent wollen sie abschaffen.

Tüftler und Marketinggenie: Der Amerikaner Thomas Alva Edison (1847-1931), Inhaber von mehr als 2300 Patenten, gilt als einer der bedeutendsten Erfinder der Moderne. Obwohl Elektropionier Edison sich ursprünglich gegen die Todesstrafe ausgesprochen hatte, favorisierte er ab 1888 die Exekution per Wechselstrom - um seinem Konkurrenten George Westinghouse zu schaden.

Verkabeltes Todeszimmer: Elektrischer Stuhl im Gefängnis von Columbus, der Hauptstadt des US-Bundestaates Ohio (Aufnahme von 1910). Seit Wiederaufnahme der Hinrichtungen im Jahr 1977 wurden in den USA 158 Menschen per Strom getötet.

Öffentliches Spektakel: In Anwesenheit eines gaffenden Mobs wurde der 19-jährige Afroamerikaner W.C. Williams am 15. Oktober 1938 in Ruston, Louisiana, gehängt. Zwischen 1877 und 1950 wurden laut der Menschenrechtsorganisation Equal Justice Initiative 3959 Personen gelyncht, die meisten Opfer waren Afroamerikaner in den Südstaaten. Von der Lynchjustiz grenzten sich die Nordstaaten im Laufe des 19. Jahrhunderts bewusst ab, verlegten die Hinrichtungen hinter die Gefängnismauern - und entwickelten den elektrischen Stuhl als vermeintlich humane, fortschrittliche Tötungsmethode.

Wunderwaffe Strom: Anders als im Süden sollte im Norden Amerikas fortschrittlich getötet werden - und zwar mit der Wunderwaffe Strom. Vielfach als übernatürliche Schönheit personifiziert (der Holzstich von Theodor Knesing stammt von 1884), wurde die Elektrizität von den industrialisierten Staaten als Wegbereiterin der Moderne gefeiert.

Es werde Licht! Die Elektrizität revolutionierte das Leben der Menschen Ende des 19. Jahrhunderts grundlegend - besonders die Einführung des elektrischen Lichts sorgte für Euphorie. Die Illustration zeigt den von Tausenden von Glühbirnen illuminierten Palais de l'électricité der Pariser Weltausstellung von 1900.

Allheilmittel Elektrizität: Von einem schnauzbärtigen Experten bewacht, liegt eine Frau in einem sogenannten elektrischen Bad, einer Art Vorläufer der modernen Sonnenbank (Aufnahme von 1900). Elektrizität galt im ausgehenden 19. Jahrhundert als Allheilmittel im Kampf gegen zahlreiche Leiden - so mancher Landwirt leitete gar Strom auf die Felder, um den Ertrag zu steigern und zu verbessern.

Statt Giftspritze: Der elektrische Stuhl der Riverbend Maximum Security Institution in Nashville, Tennessee (Aufnahme von 1994). 2014 führte der Bundesstaat Tennessee die Elektrokution wieder als Standardmethode ein - sofern das Gift für die tödliche Injektion nicht verfügbar ist. 32 der insgesamt 50 US-Bundesstaatenen sehen die Todesstrafe in ihren Strafgesetzen vor. Knapp 1400 Menschen sind in den USA hingerichtet worden, seit 1977 nach fast zehnjähriger Pause die Exekutionen wieder aufgenommen wurden.

Varianten des Tötens: Gaskammern (das Foto von 1959 zeigt jene des San Quentin Gefängnisses in San Francisco) existieren laut der Nichtregierungsorganisation Death Penalty Information Center derzeit noch in Arizona, Kalifornien und Missouri. Der Tod durch den Strang wird in Delaware, New Hampshire und Washington praktiziert.

Exekution überlebt: Die Geschichte des elektrischen Stuhls in den USA ist geprägt von Skandalen und Pannen. Am 3. Mai 1946 etwa sollte der erst 17-jährige Willie Francis (Foto) auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden. Er hatte zuvor den Mord an seinem Chef, dem Apothekenbesitzer Andrew Thomas, gestanden, der Francis sexuell missbraucht haben soll. Der zum Tode Verurteilte überlebte die Exekution auf dem elektrischen Stuhl - der Strom reichte nicht aus, um den jungen Mann zu töten. Ein Jahr später, am 9. Mai 1947 wurde die Hinrichtung wiederholt, diesmal starb Francis.

Unschuldig gestorben? Übersicht über das sogenannte "death house" in Trenton, New Jersey. Dort wurde am 3. April 1936 Bruno Richard Hauptmann auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Der aus dem sächsischen Kamenz stammende Immigrant war für schuldig befunden worden, den Sohn von Charles Lindbergh entführt und ermordet zu haben. Bis zum Schluss hatte Hauptmann seine Unschuld beteuert - bis heute steht nicht zweifelsfrei fest, ob er tatsächlich verantwortlich für das Verbrechen war oder nicht. Seit 1973 mussten laut einem aktuellen Bericht von Amnesty International 26 US-Bundesstaaten 152 Menschen wegen erwiesener Unschuld oder erheblicher Zweifel an ihrer Schuld aus den Todestrakten entlassen.

Der Jüngste: Der afroamerikanische Jugendliche George Junius Stinney Junior war erst 14 Jahre alt, als er am 16. Juni 1944 in Columbia, South Carolina, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde. Er wurde wegen Mordes an zwei weißen Mädchen verurteilt. Erst 70 Jahre später, im Dezember 2014, hob eine Richterin in den USA das Urteil auf. Dem Jungen sei kein fairer Prozess gewährt, das Geständnis vermutlich erzwungen worden.