Frühe Skandal-Reklame Hetzen, bis das Hühnerauge platzt!

Worte, ätzend wie Säure: Mit Lügen und Gaga-Slogans radikalisierte Johannes Iversen in den zwanziger Jahren die deutsche Werbung. Er erschuf Figuren wie "Dr. Unblutig", entfesselte einen schrillen Feldzug gegen Mitbewerber - und machte Hühneraugenpflaster zur militärischen Geheimwaffe.
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In "Dr. Unblutigs" Sprechstunde: Er sieht so aus, als könne ihn kein Wässerchen trüben - doch "Dr. Unblutig" warb nicht nur für das Hühneraugenpflaster Kukirol, sondern überzog die Konkurrenz mit Häme und schlug schrille, nationalistische Töne an. Innerhalb von wenigen Jahren avancierte der gnomenhafte Arzt, erfunden vom deutschen Werbetexter Johannes Iversen, zur bekanntesten Werbefigur - hier ein Reklameblatt von Januar 1924.

Foto: Dirk Schindelbeck
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"Kukolini und Mussirol": Diese Karikatur von 1925 aus der renommierten Satirezeitschrift "Simplicissimus" zeigt, wie bekannt die heute nahezu vergessene Werbefigur "Dr. Unblutig" in der Weimarer Republik war. Auf der Abbildung trifft der gnomenhafte "Dr. Unblutig" auf einen furchterregenden "Dr. Blutig" - den Diktator Benito Mussolini. Dazu der verdrehte Titel: "Kukulini und Mussirol."

Foto: Dirk Schindelbeck/Simplicissimus
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Umkämpfter Markt: Auszug aus einem "Lebewohl"-Werbebilderbuch aus den dreißiger Jahren. Seit 1905 gab es dieses heute noch erhältliche Hühneraugenpflaster; erstes Produkt auf diesem Markt war allerdings "Alma", das schon seit Ende des 19. Jahrhunderts im Kaiserreich erhältlich war. Erst in den zwanziger Jahren kam mit "Kukirol" ein lärmender Konkurrent hinzu.

Foto: Dirk Schindelbeck
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Biedere Konkurrenz: Im Vergleich zu den spektakulären Kampagnen von Kukirol war die Werbung des Marktführers "Lebewohl" ziemlich brav, hier eine Anzeige von 1926.

Und Kukirol griff den Konkurrenten mit einer in der deutschen Werbung bisher beispiellosen Aggressivität an. Das "Lebewohl-Pflaster" verursache "rasende Schmerzen", behauptete Kukirol kurzerhand und lästerte: "Der einzige Vorzug des Konkurrenz-Präparates ist die sechseckige Form des Pflasters. Wenigstens für diejenigen, die sechseckige Hühneraugen haben..."

Foto: Dirk Schindelbeck
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Kulturnation Deutschland: Johannes Iversen entwarf Dutzende phantasievolle Charaktere, die auf den absonderlichsten Umwegen das Hühneraugenmittel Kukirol anpriesen. In dieser Anzeige von 1925 lässt er Tschin-Sin-Lün, ein "Mandarin vierter Klasse", die Weltpolitik erklären - nicht ohne nationalistische Untertöne:

"Seit Jahrzehnten zerbrechen sich unsere uneigennützigen Freunde, die Engländer, unsere edlen Wohltäter, die Amerikaner, die ritterlichen Franzosen und unsere lieben Nachbarn, die Russen, die Köpfe darüber, was zu unserem Wohle noch geschehen könnte. Deutschland, zurzeit machtloseste Großmacht, hat uns kein Ultimatum und keinen Panzerkreuzer geschickt, sondern nur die freundliche Aufforderung: Kukirolen Sie! Von allen Errungenschaften der westlichen Kultur schätzen wir nur das Kukirol..."

Foto: Dirk Schindelbeck
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"Elefant mit Hühnerauge": Selbst der Zirkuselefant Löcky sei ein "begeisterter Anhänger" der Firma Kukirol, behauptete diese Anzeige von 1926. Für die Beseitigung seines gigantischen Hühnerauges habe das Unternehmen "ein extra starkes und großes Hühneraugen-Pflaster" hergestellt. Nicht gerade unbescheiden behauptet der Werbetext weiter, dass das "vielmillionenfach bewährte" Kukirol-Pflaster "nach wie vor unübertroffen" sei.

Foto: Dirk Schindelbeck
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PR-Tour: Mit dieser "Weltreisevilla" fuhr der reale "Dr. Unblutig", der mit bürgerlichem Name Paul Wasciewitz hieß, für die Firma Kukirol bis nach Ostpreußen. Im Bus gab es ein Behandlungszimmer und ein Bad.

Foto: Dirk Schindelbeck
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Gelungene Zusammenarbeit: Der Drogist Kurt Krisp gründete im Mai 1919 in Magdeburg die Firma Kukirol und verlegte den Firmensitz 1922 nach Groß-Salze wenige Kilometer außerhalb der Stadt. Kurz danach lernte er den Werbefachmann Johannes Iversen kennen, der den Firmennamen und deren Hauptprodukte mit phantasievollen Werbefiguren wie "Monsieur Piedecubiste" (Herr Kubikfuß), "Frau Schnatterich" oder eben dem hier abgebildeten "Dr. Unblutig" bekannt machte.

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Schweinelotterie: Werbefachmann Johannes Iversen versuchte mit damals noch ungewöhnlichen Methoden, die neue Marke "Kukirol" bekannt zu machen. Wer alle Zeitungsanzeigen der Firma sammelte, konnte an einem Preisausschreiben teilnehmen und etwa ein Schwein gewinnen - in Zeiten der Inflation durchaus ein attraktives Angebot. Quelle: Werbarium der 20er-Jahre.

Foto: Dirk Schindelbeck/Werbarium
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Kultfigur: Foto aus den Niederlanden mit Kukirols kleinwüchsigem Arzt "Dr. Unblutig"; das genaue Datum und der Ort der Aufnahme sind unbekannt.

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Heulendes Weltall: Seine Gegner nannten "Dr. Unblutigs" Erlebnisse eine "Sünde wider den guten Geschmack" und bezeichneten es als "Seuche", dass der marktschreierische Stil der Anzeigen von anderen Firmen kopiert wurde. Besonders geschmacklos empfanden sie diese Werbung aus dem Mai 1927:

"Wenn die vielen, vielen Millionen Hühneraugen auf einen Lagerplatz zusammengetragen würden, die infolge meiner guten Ratschläge durch das vielmillionenfach bewährte, noch nie übertroffene Kukirol-Hühneraugen-Pflaster schmerzlos in wenigen Tagen beseitigt worden sind, so könnte man zu ihrer industriellen Verwertung eine große Fabrik daneben bauen. Und wenn alle Schmerzen, die durch das Kukirol schon gestillt worden sind, zu einem großen Schmerze zusammengefasst werden würden, so würde das Weltall aufheulen: Kukirolen Sie!"

Foto: Dirk Schindelbeck
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Schmerzfrei marschieren: Ein spezielles Wanderlied als PR-Gag für das Fußpflegeprodukt Kukirol. Die Firma aus Groß-Salze bei Magdeburg hatte sich seit Anfang der zwanziger Jahre auf die Herstellung von Pflaster gegen Hühneraugen und Bäder gegen Fußschweiß spezialisiert.

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Kukirol-Werbung: Launige Verse über potentielle Hühneraugenträger - etwa in der Gastronomie:

Herr Ober? Sieh da! Wir kennen uns wohl!
Mein Rumpsteak war neulich sehr zäh.
Präparieren Sie den Fuß mit Kukirol,
Ihre Rumpsteaks gleichfalls. Ade!

Die Illustrationen in der Bildergalerie wurden von Dirk Schindelbeck zur Verfügung gestellt.

Foto: Dirk Schindelbeck
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Johannes Iversen: Der Werbetexter beschäftigte sich als eine der ersten in Deutschland systematisch mit Reklamestrategien und verfasste in den zwanziger Jahren den "Deutschen Werbe-Unterricht", einen zwölfteiligen Fernlerngang. Gerne lobte er in seinen Heften auch in höchsten Tönen genau jene Kampagnen, die er selbst zu verantworten hatte. Das Foto zeigt ihn 1928 im Alter von 63 Jahren.

Foto: Dirk Schindelbeck
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Trotzige Rückkehr: Mitte der zwanziger Jahre geriet die Firma Kukirol in wirtschaftliche Schwierigkeiten. In Werbezeitschriften wurde mit Häme bereits das Ende des einst so erfolgreichen "Dr. Unblutig" vorhergesagt.

Doch Texter Johannes Iversen rächte sich auf seine Weise und ließ den kleinwüchsigen Arzt in dieser Anzeige von 1926 wieder auferstehen. Ihn habe, so legte er dem Mediziner in den Mund, tatsächlich zwischenzeitlich "die mörderische Wirtschaftsgrippe" erfasst. Kukirol werde es aber immer geben - und das habe schließlich auch der Sensemann einsehen müssen.

Foto: Dirk Schindelbeck
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Gescheitertes Comeback: "Dr. Unblutig" im Stil der in den fünfziger Jahren beliebten Comicserie Nick Knatterton. Die Zeichnung von 1950 stammt von Olaf Iversen, dem Sohn des Werbepioniers Johannes Iversen.

Doch der Versuch, die berühmte Werbefigur nach zwei Jahrzehnten Abstinenz wiederzubeleben, scheiterte. Kaum noch jemand kannte den kleinen Arzt und längst setzte die Firma verstärkt auf ein anderes Produkt: die Haftcreme Kukident für die dritten Zähne. Und so verschwand Mitte der fünfziger Jahre "Dr. Unblutig" für immer aus den Werbeanzeigen.

Foto: Dirk Schindelbeck/Olaf Iversen
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Kampf der Werbepioniere: Gerne suggerierte Johannes Iversen, er sei 1919/1920 der Erste gewesen, der systematisch Anleitungen für die Ausbildung zum Werbefachmann herausgegeben habe. Doch in Wahrheit gab es schon elf Jahre zuvor ähnliche Ratgeber - etwa die schon seit 1908 erscheinenden "Monatshefte für den Kaufmann" von Johannes Weidenmüller (hier eine Ausgabe von Oktober 1911).

Foto: Dirk Schindelbeck/Hans Weidenmüller
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