Umfrage zur Gamescom 2016 Zehn Blicke auf die Gamesbranche

In Köln läuft die Spielemesse Gamescom, mit Hunderttausenden Besuchern. Doch wie steht es in Deutschland ums Gaming und die Spielebranche? Zehn Ansichten, von der Professorin bis zum YouTube-Star.
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1. Thomas Schütt, 48, Verwaltungsfachangestellter
Lieblingsspiele: "World of Warcraft", "Crysis"-Reihe

"Minecraft ist überhaupt nicht mein Ding"

Mein Sohn Vincent ist jetzt 10, er spielt gern "Minecraft" und nimmt dabei sogar Videos auf. Ich selbst habe da keine Verbindung zu, obwohl ich dem Spielen positiv gegenüber stehe. "Minecraft" ist aber überhaupt nicht mein Ding. Daher spielen wir das nicht zusammen. Vor einigen Jahren habe ich noch bis morgens um 2, morgens um 3 "World of Warcraft" gespielt, das geht jetzt nicht mehr, mit Kindern.

Als ich jung war, war es noch etwas Besonderes, wenn man zuhause Computerspiele hatte. Heute dagegen ist das gang und gäbe, auf jedem Handy hat man Spiele. Die Entwicklung ist rasant. Manche neue Spiele finde ich grenzwertig, was die Brutalität angeht, da denke ich dann: Das muss jetzt nicht sein.

Wenn Schule ist, darf Vincent in der Woche eigentlich gar nicht spielen, sondern nur am Wochenende und dann maximal eine Dreiviertelstunde bis eine Stunde. Jetzt in den Ferien darf er öfter. Wir achten aber darauf, dass er auch körperlich aktiv ist.

Ein wenig problematisch für ihn ist, dass wir nur einen Mac haben. Dabei läuft manches Spiel nur auf einem PC. Vincent will daher einen eigenen Computer, den bekommt er aber erst mit 12.

Foto: SPIEGEL ONLINE
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2. Sofia Kats, 27 Jahre, Moderatorin und Redakteurin beim Internetsender "Rocket Beans TV"
Lieblingsspiele: "Bioshock", "Uncharted", "Sonic - The Hedgehog"

"Das Wort Gamerin sollte verschwinden"

Ich bin vor fast vier Jahren zum Team der Rocket Beans gekommen. Wir sind nicht die Pro-Gamer, können aber sehr kreativ mit Spielen umgehen. Wenn wir zum Beispiel die reale Welt in Einspielern mit den Games verbinden. Das macht das Themenfeld meiner Meinung nach auch für Nichtspieler interessant. In letzter Zeit moderiere ich öfter "Game+ Daily", unsere tägliche Sendung über Videospiele.

Als Mädchen ist es manchmal aber anstrengend, dass erst oft darauf geschaut wird, wie ich an dem Tag aussehe, bevor jemand merkt, worüber ich spreche. Wir sind ungefähr 60 Leute, und das Verhältnis von Männern und Frauen ist sehr ausgewogen. Das finde ich toll, denn es zeichnet ja die Gesellschaft gut ab, in der auch immer mehr Frauen spielen.

Das Wort Gamerin sollte meiner Meinung nach verschwinden. Das finde ich fürchterlich. Mädchen, die spielen, sollten eine Normalität sein. Keine Ausnahme. Jungs sitzen immer auf dem Schulhof und unterhalten sich über "GTA", unter Mädchen ist es schwierig zu sagen: "Gestern 'nen geilen Raid gemacht?"

Foto: SPIEGEL ONLINE
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3. Benedikt Saltzer, 24, professioneller "Fifa"-Spieler und als "Salz0r" beim Fußballverein VfL Wolfsburg unter Vertrag
Lieblingsspiele: "Fifa" und "League of Legends"

"Alles wie bei anderen Sportarten auch"

Viele meiner Freunde haben mich am Anfang meiner Karriere aufgezogen. Die fanden das irgendwie surreal, dass ich professionell spiele. Sie dachten, ich gehe das Spielen an wie sie in ihrer Freizeit, und wäre auch nicht viel besser. Dabei trainiere ich jeden Tag zwei oder drei Stunden: Ecken zum Beispiel, oder ich analysiere meine Gegner im Video.

Erst, als ich dann mal gegen sie gespielt habe, haben diese Freunde gemerkt, dass da ein spielerischer Unterschied zwischen uns ist. Mittlerweile wird meine Leistung als Spieler stärker anerkannt. E-Sport ist eben genau das: ein Sport. Ich muss schnell reagieren, taktisch denken, trainieren - alles wie bei anderen Sportarten auch.

In der Gaming-Szene herrscht gerade ein großer Aufschwung, der E-Sport wächst. Jeder profitiert derzeit letztlich von Erfolgen des anderen, weil durch sie das Thema E-Sport bekannter wird.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in fünf Jahren parallel zur Bundesligasaison der Fußballer auf dem echten Rasen auch eine Liga haben, in der wir E-Sportler aus den verschiedenen Fußballvereinen gegeneinander spielen.

Foto: VfL Wolfsburg
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4. Lisa-Marie Kretschmer, 29, Project Manager Audio beim Spielehersteller Crytek ("The Climb")
Lieblingsspiele: "Overwatch", "Skyrim", "Super Mario"

"Viel mehr Frauen als früher aktiv"

Ich nehme die Gamesbranche nicht so wahr, als wäre sie von Männern dominiert. Es sind heute viel mehr Frauen als früher aktiv, auch durch all die Indie-Games. Ob ein Spielcharakter ein Mann oder eine Frau ist, macht mir nichts aus. Ich freue mich aber natürlich, wenn die Hauptfigur auch mal weiblich ist.

Ich spiele gern Jump'n'Runs wie "Little Big Planet" - in dem Bereich gab es schon stärkere Jahre. Dafür gibt es viel Neues, sogar neue Genres. Spannend finde ich Virtual-Reality-Spiele, da gibt es oft einen himmelweiten Unterschied zu Spielen für den Monitor. Bis VR aber bei allen zuhause ankommt, dauert es noch.

Mein Eindruck ist, dass es heutzutage viel mehr Gamer gibt, als noch vor zehn Jahren. Es gibt Magazine, Blogs und so weiter, Spiele waren wohl noch nie präsenter. Und gerade durch Mobile-Games werden Spiele für immer mehr Leute interessant. Vor ein paar Monaten war auch einmal mein Vater zu Besuch und hat sich die beiden "Back to Dinosaur Island"-VR-Titel angeschaut. Der war total fasziniert.

Für die nächsten Jahre wünschen würde ich mir, dass es mehr große Spielefirmen in Deutschland gibt.

Foto: Crytek
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5. Fabian Mario Doehla, 38 Jahre, selbständiger PR-Manager/CD Projekt Red
Lieblingsspiele: "Super Mario Kart", "Lunar the Silver Star", "Castle of Illusion"

"Der Ingenieur bei Siemens wird immer wichtiger sein"

Ich habe direkt nach dem Abitur angefangen, in der Games-Branche zu arbeiten. Für meine Eltern war das ein Problem. Die haben sich Sorgen gemacht, dass ich mir was verbaue. Meine Mutter hat mir damals immer gesagt: "Geh doch mal ein bisschen an die frische Luft". Die Ironie ist, jetzt rennt man mit "Pokémon Go" die ganze Zeit draußen rum. Und sogar meine Mutter wollte sehen, wie das funktioniert.

Wir haben das Glück, dass mit "Pokémon Go" das erste globale Gaming-Ereignis stattfindet. Diese ganzen Klischees, die von der Wii angestoßen wurden - Senioren, die spielen, die Mitte der Gesellschaft - das passiert wirklich. Spiele sind jetzt so weit etabliert, dass unsere Industrie nicht mehr verschwinden wird.

Es gibt Firmen, die das PR-Geschäft extrem professionell angehen, etwa Rockstar. Ansonsten habe ich in dieser Branche oft das Gefühl, dass du als Einäugiger weit kommst. Spaß zu professionalisieren ist irre schwierig.

Private Unterhaltungen über meinen Job sind oft ein Problem. Wenn du Leuten erzählst, dass du heute zu einem YouTuber fährst und mit dem im Keller was spielst, kommt da nur Unverständnis. In Deutschland wird der Ingenieur bei Siemens immer wichtiger sein, als der PR-Mensch bei Goodgame. Wenigstens wissen meine Eltern mittlerweile, dass Mario von Nintendo kommt.

Foto: SPIEGEL ONLINE
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6. Manuel, Markus und Chris, 22/20/22, Gamescom-Besucher aus Augsburg
Lieblingsspiele: Strategiespiele/"Overwatch"/"Super Mario 64"

"Manche Spiele werden auch totgepatchet"

Wir sind für die Gamescom vier Stunden hergefahren, bleiben bis Montag. Uns nerven Spiele, die unfertig auf den Markt kommen: Da muss man dann erst einmal einen Day-One-Patch, ein großes Update, herunterladen. Und manche Spiele werden auch totgepatchet, "The Divsion" zum Beispiel.

Ärgerlich ist es auch, wenn Spiele ohne bestimmte Funktionen auf den Markt kommen, die die Entwickler vorher versprochen haben, etwa im Fall von "No Man' Sky". Vorbildlich war dagegen zum Beispiel der "Overwatch"-Release: ohne Bugs, ohne Serverprobleme.

Gut finden wir, dass die Medien nicht mehr so sehr wie früher auf dem Thema Shooter rumreiten. Ein Verbot der Spiele fordern heute nur noch einzelne Politiker, die schnell wieder verstummen. Seltsam ist, dass noch immer diskutiert wird, ob Videospiele Kunst sind. Mit Spielen kann man schließlich sehr gut Storys rüberbringen, weil der Spieler sie selbst erlebt.

Im Vergleich zu früher haben die Spiele heute bessere Grafik, auch die Physik-Engines sind besser geworden. Und viele Spiele, etwa Open-World-Titel, bieten dem Spieler mehr Möglichkeiten. Ob man in Spielen Männer- oder Frauenfiguren steuert, ist uns eigentlich egal. Man ist ja selbst der Spieler. Es muss halt zur Story passen.

Foto: SPIEGEL ONLINE
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7. Linda Breitlauch, 50, Professorin für Game-Design
Lieblingsspiele: "Half-Life", "Diablo 2", "Stronghold"

"Betrachten Spiele noch immer zu sehr von außen"

Nirgendwo wird so intensiv Wirkungsforschung betrieben wie in Deutschland. Die Frage 'Wie wirken Spiele?' ist hier die dominierende, wir betrachten Spiele noch immer zu sehr von außen.

Ich finde den Fokus auf die Wirkung problematisch, etwa, wenn man es mit dem Film vergleicht: Da wird immer erst von der kulturästhetischen Debatte ausgegangen. Und wirkliche Debatten zur Medienwirkung finden im Bereich Film kaum noch statt - auch weil, die Debatten sehr bedingt aussagekräftig sind. In aller Regel gibt es keine monokausalen Wirkungsketten, daran krankt die Wirkungsforschung ein wenig.

Spiele-Design wird bei uns noch viel zu wenig als Leistung begriffen, dabei lässt sich viel von Entwicklern lernen: Wenn die richtigen Leute am Konzept arbeiten, macht es in ein paar Jahren vielleicht Spaß seine Steuererklärung zu machen?

Im Vergleich zu vor zehn Jahren kommen Spiele zumindest häufiger in den Feuilletons vor. Meistens äußern sich aber Kulturwissenschaftler, mit einem kritischen Blick von außen, nach dem Motto 'Da müsst ihr aber noch ganz viel machen, bis ihr mal Kultur seid'. Ich würde mir wünschen, dass öfter Menschen zu Wort kommen, die sich von der ludologischen Seite her mit Games auseinandersetzen.

Foto: Simon Bierwald/ INDEED
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8. Sturmwaffel, 24, hauptberuflicher YouTuber aus der "Let's Play"-Szene, sein Kanal hat über 900.000 Abonnenten
Lieblingsspiel: "Minecraft"

"Jeder kann zum Gamer werden"

Auf meinem YouTube-Kanal spiele ich hauptsächlich 'Minecraft'. Ansonsten befasse mich total gern auch mit schlechten Spielen, das hat einen super Unterhaltungswert für meine Zuschauer. Meine Fans wissen, dass ich häufiger Sachen spiele, die ein bisschen trashiger sind.

Die letzten Wochen war ich total im "Pokémon Go"-Fieber und bin durch die Stadt gejagt, wie viele andere auch. Freunde in der Bank wurden zum Beispiel von ihrem Chef in der Mittagspause gefragt, welche Pokémon sie gefangen haben. Da sieht man: Jeder kann zum Gamer werden.

Spiele sind von Jahr zu Jahr stärker akzeptiert. Bei Leuten, die so alt sind wie ich oder jünger, ist das gar keine Frage mehr. Veranstaltungen wie die Gamescom zeigen auch, dass die Branche vielfältiger geworden ist, es gibt eben nicht nur "Ballerspiele".

Der Virtual-Reality-Trend wird die Branche auch nochmal total verändern. Wer weiß, vielleicht drehe ich in drei Jahren alle Videos mit einer VR-Brille auf dem Kopf. Wenn mir bald ein Ganzkörperanzug taktiles Feedback geben könnte, etwa wenn ich im Spiel angeschossen wurde, dann wäre das toll.

Foto: Studio 71
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9. Martina Hannak-Meinke, 47, Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)
Lieblingsspiele: Spiele zu "Star Wars"

"Ein kleiner Ausschnitt des Spielemarkts"

Bei der BPjM beschäftigen wir uns in der Regel mit Videospielen mit sehr expliziter Gewaltdarstellung - ein kleiner Ausschnitt des Spielemarkts. Anhand von Spielen, die indiziert werden, sollte man keine Rückschlüsse und schon gar kein pauschales Urteil über 'die Computerspiele' oder gar die Wertigkeit der Branche fällen. Bei der Indizierung geht es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Im ersten Halbjahr 2016 wurde ein Online-Spiel indiziert, außerdem ist bislang eine Spiele-App auf dem Index gelandet. Die Zahlen sind immer im Zusammenhang damit zu sehen, dass Spiele, die ein Alterskennzeichen erhalten haben, nicht indiziert werden können. Die Bundesprüfstelle wird auch nicht von Amts wegen tätig, sondern nur auf Antrag beziehungsweise Anregung von hierzu berechtigten Stellen.

Der Trend vom Trägermedium hin zur Online-Version ist eine Herausforderung, auch Kinder und Jugendliche haben heute von allerlei Geräten aus Zugriff auf Spiele. Außerdem haben sich Online-Verkaufsplattformen aus dem Ausland etabliert, etwa Steam. Bei solchen Firmen ist es schwerer, die Rechtsfolgen einer Indizierung durchzusetzen. Aber Indizierungen sind möglich und wichtig, wie im Fall von "Hatred". Gesetzlich sind wir in Deutschland gut aufgestellt, was jugendgefährdende Videospiele angeht. Ich sehe daher keine Notwendigkeit, die Gesetze zu verschärfen.

Foto: Schafgans DGPh
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10. Dorothee Bär, 38, CSU-Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Vorsitzende der Jury des Computerspielpreises
Lieblingsspiele: Handy-Spiele - aber nicht "Pokémon Go"

"Noch immer nicht als Kulturgut anerkannt"

Die Stimmen, die früher gegen Computerspiele Stimmung gemacht haben, sind leiser geworden, auch in der Politik. Wie weit wir gekommen sind, sieht man zum Beispiel, wenn man sich die Reaktionen auf die jüngsten Amok-Taten in Deutschland ansieht. Da gab es teilweise Täter, die Computerspiele spielten. Trotzdem hat die "Killerspiel"-Debatte nicht wirklich an Fahrt aufgenommen, ein Glück.

Wer sich als Gamer identifiziert, steht in Deutschland immer noch schnell unter Verdacht, zu viel Zeit zu haben. Spiele sind immer noch nicht als Kulturgut anerkannt, dabei sind sie das. Jeder schlechte Film hat in der Gesellschaft ein besseres Ansehen als ein gutes Spiel, das ist schade. Dabei werden viele Innovationen künftig von den Spielentwicklern kommen, die Branche hat riesiges Potenzial.

Auch die Games-Branche hat gelernt, dass es ohne die Politik nicht geht. Die Akteure verstehen, wer es in der Politik ernst mit ihnen meint und wer auf sie herabblickt. Es macht einfach viel kaputt, wenn Politiker auf Spiele-Veranstaltungen eine Laudatio halten und sagen "Eigentlich spiele ich nicht", als wäre das etwas Gutes.

Foto: Peter Kneffel/ picture alliance / dpa
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