Beleidigt, bedroht, bekämpft Attacken und Hass gegen Lokalpolitiker

Markus Nierth (parteilos), Bürgermeister von Tröglitz, Sachsen-Anhalt: Die Flüchtlingskrise ist noch nicht Thema in allen Zeitungen und Talkshows, als Nierth sich 2014 für Schutzsuchende einsetzt. Im kleinen Tröglitz sollen 40 Asylbewerber untergebracht werden, er unterstützt das Vorhaben. Daraufhin kündigt die rechtsextreme NPD Anfang 2015 eine Kundgebung an, die direkt vor Nierths Haus enden soll. Der Lokalpolitiker bangt um die Sicherheit seiner Familie, im März tritt er zurück, vier Wochen später brennt das geplante Flüchtlingsheim. Im Herbst 2016 zieht er in einem Buch Bilanz: "Man kann nicht, wie es sich viele im Ort vielleicht wünschen, einfach schweigen und alles so lassen", schreibt er. "Damit es richtig heil werden kann, damit kein fauler, sondern echter Friede entsteht im Ort."

Erich Pipa (SPD), Landrat im Main-Kinzig-Kreis, Hessen: "Das Boot ist nicht voll", sagt Pipa im Juli 2015, als er die geplante Erweiterung eines Flüchtlingswohnheims vorstellt. Wenig später erhält der Landrat Hass- und Drohmails, im Herbst landet dann ein neunzeiliger Brief auf seinem Schreibtisch: Jemand könne den 67-Jährigen "aus dem Weg räumen", heißt es darin - die Gelegenheit sei am kommenden Sonntag "günstig", wenn der Lokalpolitiker die Breitensportveranstaltung "Kinzig total" eröffne. "Ich werde mein Verhalten nicht ändern und weiter unters Volk gehen", kündigt Pipa an. Doch die Flut der Drohbriefe ebbt nicht ab. Im Juni 2016 erklärt er schließlich, bei der Landratswahl im Jahr 2017 nicht mehr anzutreten: "Ich mach den Zirkus nicht mehr mit."

Karen Larisch (Die Linke), Abgeordnete aus Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern: Monatelang erträgt sie 2015 und 2016 die Attacken von Rechten im mecklenburgischen Güstrow. Den Buttersäure-Anschlag auf ihre Wohnung, die Hakenkreuze an der Wand, die Hassbotschaften im Internet. Mal schreiben Unbekannte, es sei angebracht, dass die Sozialarbeiterin von einer Gruppe "Testosteron geladener Neger beglückt" werde. Mal erhält Larisch die Aufforderung, sich "einen Kanister Sprit und ein Einwegfeuerzeug" zu besorgen - und "gut isses". Die Politikerin lässt sich nicht einschüchtern, macht weiter. Seit Oktober 2016 sitzt sie im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

Joachim Kebschull (Oersdorfer Wählervereinigung), Bürgermeister von Oersdorf, Schleswig-Holstein: Als Kebschull angegriffen wird, ist er gerade auf dem Weg zur Sitzung des Bauausschusses. Auf der Tagesordnung steht ein umstrittenes Projekt: Die Gemeinde will ein Gebäude im Dorfzentrum sanieren und Wohnungen darin einrichten - für Senioren oder Familien, vielleicht auch für Flüchtlinge. Das begrüßt auch Bürgermeister Kebschull, und deshalb wird er an diesem Septembertag 2016 wohl auch mit einem Kantholz niedergeschlagen. Zuvor hatte Kebschull wiederholt Drohbriefe erhalten: "Wer nicht hören will, muss fühlen" soll darin gestanden haben. Kebschull verbringt einige Tage im Krankenhaus und entscheidet sich dann, trotzdem Bürgermeister zu bleiben. Im September 2017 tritt er aus gesundheitlichen Gründen zurück.

Michael Richter (Die Linke), Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Freital, Sachsen: Seit Wochen machen die Proteste gegen ein Flüchtlingsheim in Freital bei Dresden Schlagzeilen, als Richter zur Zielscheibe wird. Ende Juli 2015 werfen Unbekannte illegale Pyrotechnik in das Auto des sächsischen Linken-Politikers - glücklicherweise sitzt niemand im Wagen, als der Böller detoniert. Richter engagiert sich daraufhin weiterhin für Flüchtlinge, obwohl auch die Schaufensterscheibe des Büros seiner Partei mehrfach eingeworfen wird. Inzwischen sitzen die mutmaßlichen Täter in Haft, sie sollen sich wegen Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung vor Gericht verantworten. Und Michael Richter sitzt noch immer im Stadtrat in Freital.

Klaus-Peter Hanke (parteilos), Oberbürgermeister in Pirna, Sachsen: Ende März 2015 ging es los. An einem Mittwochabend sperrten mutmaßliche Rechtsextremisten in Pirna das Hoftor am Privatgrundstück von Hanke ab. Zugleich beleidigten anonyme Anrufer den Oberbürgermeister der sächsischen Kreisstadt und seine Familie als "Schweine". Hanke erklärte, die Aktionen seien "der eindeutige Versuch der Einschüchterung" gewesen, die Täter hätten mit dem Eindringen in seine Privatsphäre "eine klare Grenze überschritten". Hintergrund der Anfeindungen soll Hankes politisches Engagement für Asylbewerber sein. Wenige Tage nach Bekanntwerden des Falls teilte der parteilose Politiker mit, er wolle auch weiterhin Flüchtlinge in seiner Stadt unterbringen und lasse sich nicht einschüchtern. Hanke ist nach wie vor Oberbürgermeister von Pirna.

Peter Nebelo (SPD), Bürgermeister von Bocholt, Nordrhein-Westfalen: Im Herbst 2015 trudeln die ersten Hassmails auf den Servern seiner Stadtverwaltung ein, am 10. Dezember 2015 meldet sich Nebelo erstmals bei der Polizei deswegen. Unbekannte beschimpfen den SPD-Politiker in Dutzenden Mails als "Judengesicht", "Hurensohn", "Pisser" - und schwadronieren darüber, die gesamte Stadtverwaltung müsse "vergast werden". Nebelo entscheidet sich schließlich, standhaft zu bleiben - und zu den Hassmails nicht mehr Stellung zu nehmen. Das, so lässt er seinen Sprecher ausrichten, könnte die Ermittlungen der Polizei behindern.

Thomas Purwin (SPD), Standesbeamter und Ortsparteichef in Bocholt, Nordrhein-Westfalen: Auch Purwin erhält im Herbst 2015 die ersten Hassmails. Der Standesbeamte reagiert anders als Bürgermeister Nebelo - und geht an die Öffentlichkeit. Er spricht mit Fernsehsendern, Zeitungen, Nachrichtenagenturen - doch die Menge der Hassmails nimmt nicht ab. Anfang Oktober sagt der SPD-Ortschef aus Angst vor Übergriffen den Parteitag in Bocholt ab, im Dezember hält er es auch persönlich nicht mehr aus: Erstmals erhält er Drohungen gegen seine Frau und die kleine Tochter, Purwin tritt sofort vom Amt des Vorsitzenden der Bocholter Sozialdemokraten zurück.