Kirchentag in Berlin "Für mich ist Glauben logisch"

Muslimische Pfadfinderinnen, enttäuschte Mennoniten, kampflustige Methodisten: Auf dem Kirchentag in Berlin geht es um mehr als den Glauben. Es geht um Politik, um Demokratie - und Toleranz. SPIEGEL ONLINE hat sich unter Gläubigen umgehört.
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Vanessa Reiland und Veronika Gergert sind aus Frankenthal bei Mannheim nach Berlin gekommen, wo sie zum Eröffnungsgottesdienst am Brandenburger Tor Schals und Info-Material verteilen. Ehrensache, denn die beiden 17-Jährigen sind Pfadfinderinnen. Nein, in die Kirche gingen sie nicht oft, "so zwei-, dreimal im Jahr". Aber: "An Gott glauben wir trotzdem." Haben sie nach dem Lkw-Anschlag am Berliner Breitscheidplatz und dem jüngsten Terrorakt in Manchester Angst um ihre Sicherheit auf dem Kirchentag? Beide verneinen. "Das kann überall passieren. Wir lassen uns nicht einschüchtern."

Foto: Marco Urban
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Diese freundlichen Herren mit Hut kommen aus dem englischen Luton, das mit dem Bezirk Spandau eine Partnerschaft pflegt. Sie sind Methodisten. Pfarrer T. J. Wesley (links) findet die zahlreichen geplanten Auftritte von Politikern auf dem Kirchentag mehr als fragwürdig: "Sie korrumpieren die Kirche, sie benutzen die Kirche und tun so, als seien sie gläubig." Ein Unding, findet der Reverend. Der Wahlkampf solle doch bitte draußen bleiben. Der Kirchentag sei ein großartiger Ort für die Begegnung vieler Religionen: "Die Kirchenzugehörigkeit ist nicht wichtig. Gott schaut in dein Herz."

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John Enejo kommt ursprünglich aus Nigeria, lebt seit 20 Jahren in Luton. "Ich bin sehr beeindruckt von dem Gefühl der Verbundenheit, das hier herrscht", sagt er. Wie unterschiedlich die Positionen afrikanischstämmiger Baptisten und deutscher Lutheraner sein können, zeigt seine Haltung zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Am Samstag werden in der Berliner Marienkirche im Rahmen des Kirchentags lesbische und schwule Paare getraut - Enejo findet das bedenklich: "Nur Frauen und Männer sollen getraut werden, so steht es in der Bibel. Sie können sich lieben, aber nicht heiraten." Tatsächlich ginge es nur um eines, sagt er, und hebt den Finger: "Wir müssen Seelen retten."

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Familie Bendixen ist aus Kiel nach Berlin gereist. Seit 2003 waren sie auf jedem Kirchentag, haben die Schals aus den verschiedenen Jahren zu einem Teppich vernäht und es sich darauf bequem gemacht. Das Ehepaar legt Wert darauf, ihre Kinder zu Offenheit gegenüber anderen Religionen zu erziehen. "Sie sollen alle Glaubensarten respektieren", sagt Judith Bendixen. Gehört der Islam zu Deutschland? Ja, sagt das Ehepaar, "aber nicht alles, was in seinem Namen geschieht, ist gut".

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Leo Glad ist 63 und aus dem finnischen Helsinki zum Kirchentag gekommen. Er ist selbst evangelischer Pastor und interessiert sich für die deutsche Schwesterkirche. "Ich sehe hier viel mehr junge Leute auf dem Kirchentag als bei uns, das ist positiv", sagt er. Die finnische Kirche habe sich selbst durch zu starres Festhalten am Dogma ins gesellschaftliche Abseits gedrängt. Es mangele an Nachwuchs. Glad befürwortet, dass von Barack Obama bis Martin Schulz auch zahlreiche Politiker in Berlin auftreten. "Religion hat immer mit Politik zu tun. Der Glaube ist eine persönliche Sache."

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Ytis-Karys und ihr Ehemann Théodore Ntamack Ntamack leben im Schweizer Kanton Vaud, wo der geborene Kameruner bis vor Kurzem als Pfarrer der reformierten evangelischen Kirche gearbeitet hat. Im März wurde er ohne Angabe konkreter Gründe und unter dem Protest seiner Gemeinde nach einem Jahr aus dem Amt entlassen. "Es gibt sehr gute Menschen dort, sie sind in die Kirche gekommen, aber ich bin ein Fremder geblieben", sagt der 51-Jährige. "Es ist schwer, in Europa als Schwarzer Geistlicher zu sein." Seiner Tochter wolle er hier in Berlin vor dem Brandenburger Tor zeigen, dass die Spaltung der Welt überwunden werden könne. Allerdings habe Afrika in diesem Jahr nur wenig Platz auf dem Kirchentag. "Das ist traurig", sagt der Pfarrer.

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Enno Röhrig und Luise Schröder sind klassische Kirchentag-Flaneure: "Theoretisch haben wir einen Plan, der aber in der Regel verworfen wird", sagt der 22-Jährige. Zu schön seien die zufälligen, spannenden Begegnungen. Gerade hat der Bremer für zwei Wochen Besuch von einer christlichen Gastgruppe aus Ghana. Röhrig interessiert sich in Berlin vor allem für Gender-Themen. Am Donnerstag um 15 Uhr wird er einer Segnung transidenter Menschen in Friedrichshain beiwohnen. Die Gruppe Queer in Kirche und Theologie (QuiKT) hat den Gottesdienst für Transgender - den ersten seiner Art - organisiert. "Es ist ein kirchliches Ritual, das den Abschluss eines langen Prozesses bildet. Es zeigt, dass die Menschen angenommen werden." Röhrig studiert Künstliche Intelligenz und Roboting. Ein Widerspruch zur Religion? "Nicht die Spur", sagt er. "Für mich ist Glauben logisch."

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Jakob Seidel aus Chemnitz (Mitte) studiert in Dresden Textilmaschinenbau. Er ist Katholik und findet, man solle die Kirche im Ehrenamt unterstützen. Dass die AfD in Berlin auf einer Podiumsdiskussion dabei ist, findet er akzeptabel - auch wenn sich seine Kirche auf dem letzten Katholikentag bewusst dagegen entschieden hat. "Wir sollten uns nicht mit den Populisten auf eine Stufe stellen, indem wir sie nicht zu Wort kommen lassen", so der 23-Jährige. "Wir sollten lieber ihre Argumente in der Luft zerfetzen." Was ihn an seiner eigenen Generation stört? "Die Smartphone-Zombies. Aber das geht vorüber, man lernt mit der Zeit wieder, das analog auch Spaß machen kann."

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Nils Singer, 27, ist lässig gestylt und St.-Pauli-Fan. Er könnte ein zufällig vorbeischlendernder Atheist auf dem Kirchentag sein. Ist er aber nicht. Er studiert Missionswissenschaft und Internationale Diakonie und ist "ein Vollstreber", wie seine Bekannte Julia Kastl lachend erklärt. Die 26-jährige Musikpädagogin beherbergt ihren Freund in Berlin. Sie ist Mennonitin und hat gerade Schwierigkeiten, in Berlin eine passende Gemeinde für sich zu finden. Fragt man Nils Singer, was er so für den Weltfrieden tut, zögert er. "Ich bete, weil ich glaube, dass es anderen hilft. Ich bin politisch engagiert und SPD-Parteimitglied. Ich arbeite für ein Friedensprojekt in Bethlehem." Julia Kastl sagt: "Alles, was ich für den Weltfrieden tue, ist, mit Nils befreundet zu sein."

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Tanja Siemon lässt es sich gut gehen. Umringt von ihren Freunden genießt die 21-Jährige aus Duisburg den ersten Abend des Kirchentags. Seit 2009 arbeitet sie ehrenamtlich in ihrer Gemeinde. In Berlin will sie Spaß haben - Konzerte und den Markt der Möglichkeiten besuchen, Poetry Slam lauschen und natürlich Barack Obama und Angela Merkel am Donnerstag ab 11 Uhr live erleben. Sie hat Lollis und ein Ladegerät für ihr Handy dabei, außerdem ihren Kumpel Marco Tortoioli ("wie Ravioli"), der aus Assisi stammt wie der Heilige Franziskus. Der italienische Vater, klar, der sei katholisch. "Aber meine Mutter hat mich auf die helle Seite des Glaubens gebracht", witzelt er. "Viva la mamma!"

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Elias, Stefan und David Uhlig aus Wilhelmsdorf in Franken sind zum Musikmachen nach Berlin gekommen. Beim Eröffnungsgottesdienst spielen sie auf. Zu Hause geht Sohn David zum Konfirmandenunterricht, Kirche findet er eigentlich ziemlich langweilig. "Der Gottesdienst wäre besser ohne Predigt", sagt er lakonisch. Vater Stefan kann mit der Kirchentagslosung "Du siehst mich" durchaus etwas anfangen. "Es wäre schön, wenn das Sich-Wahrnehmen und die Gemeinschaft auch nach dem Kirchentag anhielten", sagt er.

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Mandy ist 34, Berlinerin und freut sich extrem auf die Hauptvorträge des Kirchentags. "Ich liebe Obama", sagt sie. "Er steht für alles, was Trump gerade kaputt macht." Auch für Innenminister de Maizière, der am Freitag über religiöse Toleranz diskutiert, hat sie nur Lob übrig. Authentisch sei der, zu Höherem berufen, "schön, dass es ihn gibt". Die AfD solle ruhig mitdebattieren auf dem Kirchentag, allerdings - so der Rat von Mandy - "lieber einen anderen Ton anschlagen, wenn sie etwas erreichen wollen".

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Tanzen und lachen am Brandenburger Tor: Janin Bassal, 23, Naima Hartot, 30, und Vanessa Faizi, 22, sind muslimische Pfadfinderinnen und kommen aus Frankfurt am Main. Sie haben die Kollekte beim Eröffnungsgottesdienst eingesammelt und helfen, wo sie können. "Klar gehört der Islam zu Deutschland - genau wie wir", sagen sie. Mit ihren Pfadfindern unternehmen sie dieselben Dinge wie christliche Pfadfinder. "Nur spirituell ist es natürlich anders." Sie versuchen, die Kinder behutsam an den muslimischen Glauben heranzuführen und verstehen sich als Alternative zu den Koranschulen, an denen überwiegend im Ausland ausgebildete Imame in Frontalunterricht Suren auswendig lernen lassen. "In Deutschland sollte jemand Islam unterrichten, der Deutsch spricht", sagen die jungen Frauen. "Der Fokus sollte darauf liegen, den Kindern muslimische Barmherzigkeit zu vermitteln und den Islam im Alltag zu leben."

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Jonas Dubke, 24, aus Unterheimbach nahe Heilbronn organisiert für das Evangelische Jugendwerk im Sommer Zeltlager. Sonntags geht er eher selten in die Kirche, sondern lieber Fußball spielen. Dafür hat er mitgemacht beim Projekt "Baustelle Leben", bei dem junge Menschen eine Woche lang in einer WG zusammenleben und sich über Gott und die Welt austauschen - "eine spannende religiöse Erfahrung". Der Kirchentag reaktiviert für ihn den Glauben, der im Alltag manchmal zum kurz kommt. Aber auch Politik sei wichtig: Dubke wird die Veranstaltung mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann besuchen.

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Thomas Voigt, 25, aus Bad Sobernheim in der Nähe von Mainz ist Kirchentagsfan. Der 25-Jährige spielt Gitarre und Schlagzeug, liebt Rock und Metal und freut sich auf die Konzerte.

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Sebastian J. ist mit einem Plakat nach Berlin gekommen. Er protestiert dagegen, dass seine Frau aus Sri Lanka, die er im Januar geheiratet hat, trotz seiner Bemühungen kein Besuchervisum für den Kirchentag bekommen hat. Sein Vorwurf: Die Ausländerbehörde habe die Bearbeitung des Antrags verschleppt. "Jetzt bin ich allein hier und sehr bedrückt", sagt der 25-Jährige. "Ich fühle mich verarscht."

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"Christzilla" heißt das Musical, das das „Ensemble Estragon“ in Neubuckow aufführt. "Wir sind Teil der Kirchengemeinde, aber bei uns gibt es auch Atheisten oder Buddhisten. Wir sind kein verstaubter Kirchenchor", sagt eine Sängerin. Sie selbst sei gläubig, habe aber auch Probleme damit, dass der Gottesdienst an ihrer Lebenswelt vorbeigehe. "Ich kann auch in der Natur oder beim Gebet bei Gott sein."

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