Loks im Duell Crash der Stahlkolosse - Nummer 999 trifft 1001

Parade der Gladiatoren: In der Prärie von Texas wurde der berühmteste Eisenbahn-Crash der Geschichte inszeniert. Zehntausende Zuschauer waren am 15. September 1896. Zwei Stunden vor dem Zusammenprall standen sich die beiden 40-Tonner zum letzten Mal heil gegenüber. Je drei Kilometer von hier entfernt starteten Lokführer die Maschinen und retteten sich durch einen Sprung aus dem Führerhaus. Keine zwei Minuten später knallten die Loks zur Begeisterung der Menge ineinander.

Da war alles noch heil: Die Einweihung von Zugstrecken war im späten 19. Jahrhundert ein Großereignis und Anlass zum Feiern. Hier posieren Bürger in Utah 1869 bei der Vollendung der ersten transkontinentalen Eisenbahnstrecke, mehr als 3000 Kilometer lang. Eisenbahnunfälle waren im 19. Jahrhundert häufig. Darüber berichtete die Yellow Press so detailgetreu wie sensationslüstern.

Die Sekunde des Aufpralls: Mit jeweils etwa 90 Stundenkilometern Geschwindigkeit donnern die beiden Lokomotiven aufeinander zu und krachen zusammen. "Ein gewaltiger Krach, ein Schauer von Splittern...", schrieb eine Zeitung. Der offizielle Fotograf, der diesen von der Menge so heiß ersehnten Moment festhielt, hieß Jervis Deane.

"Todbringender Eisenhagel": Vermutlich war dies das Letzte, was Jervis Deane, Fotograf dieser Aufnahme, mit beiden Augen erblickt hat. Beim Zusammenstoß gab es eine unerwartete Kesselexplosion. Tausende Metallteile flogen wie Granatsplitter umher, töteten drei Menschen und verletzten viele Dutzend andere schwer. Jervis Deane verlor sein rechtes Auge durch einen Bolzen, der sich in seinen Kopf bohrte.

Faszination der Katastrophe: Schon wenige Minuten nach der Explosion rannten Hunderte Menschen auf die noch rauchenden Trümmerteile der beiden Lokomotiven zu. Sie wollten Souvenirs aus den Wracks holen. Erstaunlicherweise sind die letzten beiden der sechs mit Werbeplakaten beklebten Waggons so gut wie unbeschädigt.

Begeisterte Augenzeugen: Nach dem Zusammenstoß nahmen der schwer verletzte Fotograf Jervis Deane und seine Brüder weiter Bilder auf. Souvenirjäger verbrannten sich an noch glühenden Metallteilen, doch der Drang, das Erlebte auch zu "begreifen", war wohl größer. "Ein riesiger Erfolg!", schwärmte die Lokalzeitung "The Ferris Wheel" trotz der Toten und Verletzten. Es kam kaum zu den negativen Schlagzeilen, wie sie die Eisenbahngesellschaft nach der Katastrophe befürchtete.

Publicity-Kampagne: Monatelang hatte die Missouri, Kansas & Texas Railway Company den geplanten Crash beim eigens für das Event errichteten Ort Crush beworben. Das Foto zeigt eine Fahrkarte für einen der Sonderzüge. 33 Züge brachten Zehntausende Schaulustige zum Pauschalpreis von zwei Dollar nach Crush - unten rechts die aufgedruckte Unterschrift William George Crush.

Genial, aber gefährlich: William George Crush hatte die Idee zum Lokomotivenduell von Texas. Der Eisenbahnmanager versuchte in Zeiten rückläufiger Ticketeinnahmen, mit der organisierten Sensation Aufmerksamkeit für seine Firma zu erregen - und Tausende Tickets zu verkaufen. Eine Kesselexplosion wurde schon früh in der Planung als unwahrscheinlich beurteilt. Ein fataler, ein tödlicher Fehler.

Kollision als Inspiration: Es wird vermutet, dass der berühmte Ragtime-Komponist Scott Joplin als Zuschauer in Crush die Explosion der Lokomotiven miterlebt hat. Jedenfalls komponierte er kurz darauf den "Great Crush Collision March" - komplett mit Spielanweisungen für die Musiker, wie das Geräusch des Zusammenstoßes zu imitieren sei.

Schienen-Klassiker: Die Missouri, Kansas & Texas Railway Company wurde 1865 gegründet. Ihr Spitzname: "Katy". Sie betrieb ein umfangreiches Eisenbahnnetz in Texas, Oklahoma, Kansas und Missouri. Als Folge der Finanzkrise 1893 gingen die Ticketeinnahmen drastisch zurück. Mit Events wie dem "Crash von Crush" wollte die Katy auf sich aufmerksam machen und neue Fahrgäste werben. Übrigens: Die Bahnlinie ist auch in dem Blues-Klassiker "She Caught the Katy" verewigt.

Vorher, nachher: Zwei Ausschnitte aus den "Dallas Morning News" kurz vor und nach der Kollision. Die Zeitung berichtete über 30.000 Zuschauer, anderen Schätzungen zufolge lag die Zahl deutlich höher, bei 40.000 oder gar 50.000 Schaulustigen.

Adrenalin-Dauerbrenner: Sowohl vor als auch nach der berühmtesten Kollision von 1896 veranstalteten Zuglinien mit ausgemusterten Lokomotiven Show-Zusammenstöße. Dieser Crash datiert aus dem Jahr 1913: Bei der großen Jahresausstellung des Bundesstaates Kalifornien prallen zwei Lokomotiven in Sacramento aufeinander.

Mustergültiger Aufprall: Fast immer, wenn zwei der stählernen Monster zusammenstießen, stellten sich die Loks auf (wie hier beim California State Fair 1913). Dagegen bohrten sich die Kolosse beim fatalen Crash von Crush unerwarteterweise ineinander und verkeilten sich, was die todbringende Explosion beider Kessel verursachte.

Frontalzusammenstoß von 1932 bei der Iowa State Fair. Die Züge waren nach Franklin D. Roosevelt und Herbert Hoover benannt worden, den Kandidaten der Präsidentschaftswahlen von 1932. Beim Zug-Zusammenstoß ließ sich stets schwer ein klarer Gewinner ausmachen, bei den Wahlen war das einfacher: Demokrat Roosevelt besiegte deutlich den Republikaner und Amtsinhaber Hoover.

Populäres Spektakel: Im US-Bundesstaat Ohio gab es 1895 und 1896 mehrere inszenierte Zug-Zusammenstöße. Sie werden generell als Inspiration für William Crushs Idee vom "Monster-Crash" betrachtet.

Verschrottet: Anders als in Texas, wo die beiden Loks "999" und "1001" hießen, tauften die Vorläufer in Ohio die Lokomotiven einmal nach den Bossen rivalisierender Zuggesellschaften, nannten sie ein anderes Mal "Free Trade" und "Protection". Klar, dass beim Zusammenstoß dann sowohl der "Freihandel" als auch der "Protektionismus" auf der Strecke blieben (Aufnahme aus dem Buckeye Park in Lancaster, Ohio, 1896).

Hollywood-Ersatz: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hielt das Interesse an Lokomotivzusammenstößen an. Zumindest in den ersten Jahrzehnten waren die Kollisionen für die meisten Menschen das Ungewöhnlichste, was sie in ihren Leben sehen würden. Mit der zunehmenden Verbreitung von Filmen und Actionszenen verloren die Heavy-Metal-Events wie dieser Zusammenstoß im Jahr 1933 in Minnesota an Attraktivität.

Crash-Profi: Der Amerikaner Joe Connolly (Spitzname "Head-on Joe", übersetzt etwa "Frontal-Joe) rühmte sich, im Laufe seiner Karriere bei 73 Kollisionen die doppelte Anzahl an Lokomotiven geschrottet zu haben. Das machte er 36 Jahre lang, von 1896 bis 1932 - der wohl einzige hauptberufliche Lokomotiv-Crash-Veranstalter der Geschichte.