Selbstverbrennung gegen Atompolitik Das Fanal eines Fanatikers

Es war sein radikalstes Statement: Aus Protest gegen die Atompolitik von Bundeskanzler Helmut Schmidt zündete sich der Tübinger Umweltaktivist Hartmut Gründler 1977 selbst an und starb. Das Echo blieb aus.
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Gegen die Fesseln einer verseuchten Sprache: Hartmut Gründler 1975 in der Stuttgarter Stiftskirche. Die Protestformen des Tübinger Umweltaktivisten wurden mit den Jahren immer radikaler - 1977 verbrannte er sich in Hamburg selbst.

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Wilfried Hüfler

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"Unbefristetes Besinnungsfasten" nannte Gründler seinen Hungerstreik gegen die "atomaren Lügen der Bundesregierung", wie er es zu einer bevorstehenden Regierungserklärung von Kanzler Helmut Schmidt formulierte. Bereits im Juli 1975 hatte Gründler auf dem von Bürgerinitiativen besetzten Bauplatz des AKW Whyl-Weisweil diese Protestform gewählt und erst nach drei Wochen beendet. Forschungsminister Hans Matthöfer ließ dem Atomkraftgegner über sein Büro ausrichten, er werde einen "Bürgerdialog Kernenergie" ins Leben rufen. Eine Farce, wie Gründler kurz darauf enttäuscht feststellte.

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Im Hungerstreik: In Kassel erhielt Gründler Unterstützung von anderen Aktivisten, darunter der Philosophieprofessor Johannes "Joe" Seiffert (mit Gitarre). Am zwölften Tag des Hungerstreiks erreichte Gründler eine Nachricht aus dem Kanzleramt: Die Parlamentarische Staatssekretärin Marie Schlei kündigte an, dass neue AKW in Zukunft nur dann genehmigt werden sollten, wenn die Endlagerung des radioaktiven Abfalls geklärt und gesichert sei. Gründler brach sein "Besinnungsfasten" ab. Wenig später erklärte er, die Regierung habe ihn erneut "getäuscht und enttäuscht".

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Per Flugblatt hatte Gründler bereits die "Selbstverbrennung eines Lebensschützers" angekündigt und machte Ernst: Am 16. November 1977 übergoss er sich an der Hamburger Petri-Kirche mit Benzin und zündete sich selbst an. Am 21. November erlag er seinen schweren Brandverletzungen. Tags darauf versammelten sich Unterstützer von Gründler, darunter junge Pastoren und Pastorinnen aus der Anti-AKW-Bewegung (hier angeführt von Pastor Ulfrid Kleinert), vor der Petri-Kirche und enthüllten eine Gedenktafel, die kurz darauf wieder entfernt wurde.

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Zur Trauerfeier am 26. November waren Kleinert und seine Mitstreiter nicht eingeladen; die Predigt hielt Hauptpastor Carl Malsch. In einem Artikel für das "Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" schrieb Malsch: "Ist das Problem der atomaren Energie durch ein Fanal menschlicher Selbstzerstörung zu bewältigen?"

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Letzter Gruß: Am 30. November 1977 wurde Gründler auf dem Tübinger Bergfriedhof beigesetzt. Nicht entsprochen wurde seinem testamentarischen Wunsch, man möge seine sterblichen Überreste via Gorleben, Bremen, Hannover, Göttingen, Kassel, Bonn, Frankfurt und Darmstadt nach Tübingen überführen. Und auch nicht seinem Wunsch, man möge Helmut Schmidts Buch "Als Christ in der politischen Entscheidung" auf seinen Sarg nageln. Jedenfalls nicht im Detail. Einer der insgesamt 1000 Trauergäste legte jedoch das angekohlte Exemplar, das Gründler bei seiner Selbstverbrennung bei sich trug, auf seinen Sarg.

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Applaus für Willy Brandt auf dem Bundesparteitag der SPD in Hamburg am 16. November 1977, bei dem Gründler mit seiner Selbstverbrennung für Aufsehen hatte sorgen wollen. Als Erhard Eppler, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, über Gründlers Tat informierte, bügelte ihn Schmidt ab: Er lasse sich seine Politik nicht von einem "wohlmeinenden Idealisten" kaputtmachen.

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Hans Matthöfer in seinem privaten Arbeitszimmer - unter Schmidt war er von 1974 bis 1978 Forschungsminister. Gleich zum Beginn der Amtszeit reichte Gründler gegen Matthöfer beim Generalbundesanwalt Strafanzeige wegen drohenden "Völkermordes" ein, scheiterte damit aber.

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Plenum der Jahrestagung des "Club of Rome": Die Vereinigung wurde 1968 gegründet und veröffentlichte vier Jahre später die Studie "Die Grenzen des Wachstums". Darin heißt es: "Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht."

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Wasserwerfer der Polizei richteten sich am 20. Februar 1975 auf friedlich protestierende Demonstranten in Wyhl. Die zahlreichen Proteste der seit 1974 zu einem Internationalen Komitee zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen markierten einen Wendepunkt der Anti-AKW-Bewegung.

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Das geplante Kraftwerk wurde nicht gebaut und in einer Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Freiburg 1977 als "zurzeit politisch nicht umsetzbar" bezeichnet - einer der größten Erfolge der Anti-Atomkraft-Bewegung. Das Foto zeigt den besetzten Bauplatz im März 1975, vier Monate später Schauplatz des ersten Hungerstreiks von Hartmut Gründler.

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Wie in Wyhl kam es auch im schleswig-holsteinischen Brokdorf zu wütenden Demonstrationen gegen ein geplantes Atomkraftwerk. 1975 begannen dort die Bauarbeiten, 1976 wurde durch die Proteste ein Baustopp erzwungen.

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Nach der Baustopp-Aufhebung in Brokdorf erließ der Landrat von Itzehoe ein Demonstrationsverbot - und die Situation eskalierte am 28. Februar 1981. Bei der bis dahin größten Anti-AKW-Demo protestierten 100.000 Menschen, mehr als 250 wurden bei Auseinandersetzungen mit der Polizei verletzt. Im Brokdorf-Beschluss bewertete das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Demonstrationen anschließend als verfassungswidrig.

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Die Atomenergie-Debatte spaltete Ende der Siebziger das Land: Unterstützt von der Atom-Lobby kamen am 10. November 1977 rund 50.000 Teilnehmer zu einer Kundgebung von fünf DGB-Gewerkschaften in die Dortmunder Westfalenhalle, um sich dort pro Atomkraft auszusprechen.

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Noch alles friedlich auf der Baustelle des AKW in Grohnde bei Hameln. Doch als am 19. März 1977 Demonstranten einen Bauzaun niederrissen, reagierte die Polizei mit Gewalt. Der Zusammenstoß ging als "Schlacht von Grohnde" in die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung ein.

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Baby an Bord bei der Versammlung der GLW, einem Zusammenschluss aus Anhängern der Grüne Liste Umweltschutz und der Wählerinitiative für Umweltschutz und Demokratie am 22. Juli 1978. Bei der niedersächsischen Landtagswahl im Juni 1978 hatte die Grüne Liste Umweltschutz mit dem Gorlebener Spitzenkandidaten Martin Mombaur auf Anhieb 3,86 Prozent erzielt und war damit viertstärkste Partei geworden.

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Gesichter der Protestbewegung im Wendland: Marianne Fritzen von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg war Gründungsmitglied der Grünen Liste Umweltschutz. Hier mustert sie am 19. März 1979 Polizisten vor dem geplanten Atommülllager Gorleben. Fritzen erhielt später den Beinamen "Großmutter der Bewegung". Sie starb am 6. März 2016.

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Ende März 1979 kam es im Wendland zum "Gorleben-Treck" mit 100.000 Atomkraft-Gegnern. Drei Tage zuvor hatte sich im Kernkraftwerk Three Mile Island im Nordosten der USA ein Kernschmelzunfall ereignet. Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht, dem das Motto des Trecks gegolten hatte ("Albrecht wir kommen!") verkündete Wochen nach der Demonstration, das Atommülllager sei politisch nicht durchsetzbar. 1995 ging das Zwischenlager in Betrieb.

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Robert Jungk auf dem Rednerpult bei einer Kundgebung am 24. Juni 1979 in Gundelfingen gegen den Weiterbau des AKW Grundremmingen. Jungk war einer der ersten Zukunftsforscher und prominentes Gesicht der Protestbewegung; in seinem Buch "Atomstaat" kritisierte er 1977 die Atompolitik scharf. Bei der Gedenkveranstaltung nach der Beerdigung von Hartmut Gründler trat Jungk als einer der Redner im Audimax der Universität Tübingen auf. Bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl 1992 erhielt Jungk als Kandidat der Grünen Alternative 5,7 Prozent der Stimmen; er starb zwei Jahre später in Salzburg.

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Reaktion auf den Nato-Doppelbeschluss von 1979: In Krefeld verkündeten Mitglieder der deutschen Friedensbewegung am 16. November 1980 den "Krefelder Appell", einen Aufruf an die Bundesregierung Schmidt, die Zustimmung zur Stationierung der atomaren Mittelstreckenraketen zurückzunehmen. Im Bild SPD-Mitglied und Physiker Prof. Dr. Karl Bechert (links) und Friedensaktivist Josef Weber, ehemals Oberst der deutschen Wehrmacht.

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Eine der spektakulärsten Figuren der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung war der 2016 verstorbene Klaus Traube, ein ehemaliger Spitzenmanager der Atomindustrie, der zu einem erbitterten Gegner der Atompolitik wurde. Weil ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz verdächtigte, Kontakte zu RAF-Mitgliedern zu pflegen, wurde Traube ab Dezember 1975 abgehört - den nicht gedeckten Lauschangriff machte schließlich der SPIEGEL öffentlich,  als Folge der "Lauschaffäre Traube" erklärte Innenminister Werner Maihofer (FDP) am 28. Februar 1977 seinen Rücktritt. Auf diesem Bild spricht Traube auf einem Sonderparteitag der hessischen SPD 1981.

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Den "Helden von Kalkar" nannte der SPIEGEL den Landwirt Josef Maas. "Bauer Maas" setzte sich bereits seit den späten Sechzigerjahren gegen den Bau des AKW Kalkar ein. 1972 begann sein Rechtsstreit gegen das Projekt, der 14 Jahre andauerte und Maas 1,5 Millionen Mark kostete. Verschuldet und zermürbt verkaufte er seinen Hof 1985 an die AKW-Planer; das Kernkraftwerk selbst wurde zwar gebaut, aber nie in Betrieb genommen. Das Foto zeigt Maas 1987 vor einem Wandgemälde, das an die Proteste gegen das AKW Kalkar erinnert.

Foto: imago/ Sven Simon
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Und Hartmut Gründler? Der geriet nach seinem Tod nahezu in Vergessenheit. Noch im Juli 1975 eröffnete der SPIEGEL seine Titelgeschichte (SPIEGEL 30/1975) mit dem Satz "Der arbeitslose Lehrer Hartmut Gründler aus Tübingen fastet seit drei Wochen, weil er will, dass der Bonner Forschungsminister die volle Wahrheit über Atomkraftwerke in einer Wanderschau unters Volk bringt." Über Gründlers Tod berichtete der SPIEGEL jedoch nicht. Seit 2015 erinnert eine kleine Gedenktafel vor der Hamburger Petri-Kirche an den Aktivisten.

Foto: DER SPIEGEL
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