
Der Anti-Held: Scheitern mit Al Bundy
Al Bundy in Deutschland Die Hand in der Hose
Niemand scheiterte je so erfolgreich wie dieser Mann. Zur Aufgabe seiner Football-Karriere gezwungen, bevor sie richtig begonnen hatte. In die Ehe gestolpert, weil das Kondom platzte. Zum Verkauf von Damenschuhen verdammt, weil die polygame Tochter und der peinliche Sohn irgendwie ernährt werden müssen.
Im Leben von Al Bundy aus Chicago lief so ziemlich alles schief, was schieflaufen konnte - und dafür liebten ihn Millionen TV-Zuschauer. Als RTL, damals noch mit dem Namenszusatz "Plus", 1992 die ersten Folgen von "Eine schrecklich nette Familie" ausstrahlte, erschloss sich den Deutschen eine Gegenwelt zu den Alles-ist-gut-Sitcoms. Denn "Bill Cosby Show" und die anderen Gute-Laune-Serien waren vor allem eins: schrecklich nett.
Jetzt konnten die Deutschen Al Bundy dabei zusehen, wie er seine Hand in die Hose steckte, wie er sich seinen Traum vom eigenen Klo verwirklichte, seinem einzigen Rückzugsraum (neben der Nacktbar und seinem Dodge). Sie sahen ihn flüchten vor seinen ehelichen Pflichten, wenn er seine Lieblingsserie "Psycho Dad" einschaltete oder in sein liebstes "Tittenmagazin" gaffte. Sie sahen ihn Bier trinken und Bowling spielen mit seinen Kumpels von "No Ma'am", der "National Organisation of Men against Amazonian Masterhood". Sie hörten ihn dicke und flachbrüstige Frauen beleidigen, am liebsten Marcy, die Feministin von nebenan, die er "Hühnchen" nannte. Von "Meilensteinen des Vulgären", schrieb die "New York Times".
Der deutsche Al Bundy
Was eine ganze Generation an diesem Mann faszinierte, der sich den Dreck zwischen den Zehen hervorpulte, kann vielleicht Schauspieler Lutz Reichert beantworten. Niemand hat sich in Deutschland so sehr in den desillusionierten White-Trash-Patriarchen hineingefühlt wie er - denn RTL wollte ihn zum deutschen Pendant von Al Bundy machen.
Der Sender ließ einen Bundy-Abklatsch produzieren, mit Reichert als Familienvater Jupp Strunck - auch, weil er dem US-Vorbild ziemlich ähnlich sah. Für "Hilfe, meine Familie spinnt" wurden die Drehbücher allerdings kaum umgeschrieben. "Wir durften nicht mal anders spielen als die Originale", sagt Reichert, selbst Mimik und Gestik mussten er und seine Kollegen damals kopieren.
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Die Serie floppte: Al lief täglich im Nachmittagsprogramm, Jupp nur einmal die Woche am Abend. Al fuhr Dodge, Jupp fuhr Käfer. Al trauerte seinen Tagen als Highschool-Footballstar nach ("Vier Touchdowns in einem Spiel"), Jupp hatte eine Dauerkarte für Fortuna. Als Köter hieß "Buck", Jupps Hund hörte auf den Namen "Cobold". Und statt Frank Sinatra sang Marianne Rosenberg die Titelmelodie. Es konnte nicht funktionieren. "Strunklangweilig", schrieb die "taz".
Elf Staffeln wurden von "Eine schrecklich nette Familie" gedreht - so viele schaffen nur wenige TV-Serien. "Hilfe, meine Familie spinnt" wurde 1993 nach 26 Folgen eingestampft.
Was andere nicht zu sagen wagen
Jetzt hat sich Reichert auf einen kleinen Versuch eingelassen. Der Mann, der als deutscher Al Bundy scheiterte, guckt zum ersten Mal seit 20 Jahren alte Originalepisoden an, um die Frage zu beantworten: Was macht das Bundy-Prinzip aus? Und warum musste der deutsche Abklatsch misslingen?

Der Anti-Held: Scheitern mit Al Bundy
Reichert, geboren 1951, gehörte zum Ensemble des Grips-Theaters, spielte an renommierten Bühnen, verdiente Geld bei der Verbrauchersendung "Wie bitte?" und gab als "Meier 2" den Assistenten der Kommissare Stoever und Brockmöller im Hamburger Tatort.
Über den deutschen Bundy-Klonversuch sagt er selbst: "Das hätte man sich sparen können, da wurde Geld verbrannt." Doch er blickt nicht im Zorn zurück, sondern lacht laut auf, wenn Al auf dem Bildschirm sagt, mit der Hochzeit sei das Leben vorbei. "Er spricht aus, was andere vielleicht denken, aber nicht zu sagen wagen." Solche Wahrheiten habe es vorher kaum gegeben im deutschen Fernsehen.
Al Bundy, der Held aller Versager, sei jemand, der sich zwar beschwert, aber nie aufgibt. "Ein absoluter Loser, der denkt, er sei der Größte", der aber seinen ungeheuren Stolz nicht verliere. Er leide zwar an seiner Familie, aber zugleich stehe er zu ihr. So lässt er jeden Freund, den die Dumpfbacken-Tochter Kelly mit nach Hause bringt, so lange gegen Wände laufen, bis der junge Mann abhaut oder K.o. geht. "Man muss nicht Psychologie studiert haben, um das zu verstehen", sagt Reichert.
Auf dem Bildschirm läuft jetzt eine Episode, in der sich Peg Bundy und ihre Freundinnen im Stripclub vergnügen. Es ist eine von Reicherts Lieblingsfolgen, auch die Dreharbeiten zur deutschen Version haben ihm Spaß gemacht. Damals tourte gerade die Stripper-Truppe "California Dream Men" durch Deutschland, die Männer traten als Gast-Stars auf. Weil einer der Tänzer ein deutsch-englisches Kauderwelsch sprach, sei so etwas wie Situationskomik entstanden, die sich aufs Publikum übertragen habe. "You can say you to me", begrüßte Reichert alias Jupp damals den Stripper.
Einer der größten Monologe der TV-Geschichte
Doch das große Problem von "Hilfe, meine Familie spinnt" konnte auch dieser Lacher nicht verdecken: Nichts war neu. Die Stripclub-Episode kannten alle Bundy-Fans bereits aus dem Original, warum sollten sie die gleichen Gags noch einmal von anderen Schauspielern serviert bekommen? Das ganze Konzept sei nicht stimmig gewesen, so Reichert. "Ein deutscher Schuhverkäufer wohnt nicht in einem Haus mit amerikanischer Einrichtung."
Darsteller Ed O'Neill hat es zudem geschafft, Al Bundy schnell zu einem einzigartigen und unverwechselbaren Charakter zu machen. "Er ist einfach eine geile Figur", sagt Reichert.
Wahrscheinlich kann deshalb niemand das Bundy-Prinzip besser erklären als Al Bundy selbst. In einer legendären Folge trifft er auf den Alptraum seiner Kindheit: die Schulbibliothekarin. Sie hatte ihm prophezeit, er werde als Versager enden. Al setzt an zu einem der größten Monologe der Fernsehgeschichte, zur Verteidigungsrede aller Gescheiterten:
"Sie glauben ich bin ein Verlierer? Nur weil ich einen Scheißjob habe, den ich hasse? Eine Familie, die mich nicht respektiert? Eine Stadt, die den Tag verflucht, an dem ich geboren wurde? Gut, das ist vielleicht für Sie ein Verlierer, aber ich will Ihnen mal was sagen: Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, weiß ich, es kann gar nicht besser werden, bis ich mich wieder schlafen lege. [ ] Aber ich bin kein Verlierer. Weil ich trotz alledem, genau wie jeder andere, der nie sein wird, was er mal sein wollte, mich doch da draußen rumtreibe und das bin, was ich nicht sein wollte, vierzig Stunden pro Woche, lebenslang. Und die Tatsache, dass ich mir keine Kanone in den Mund stecke, Sie Pudding von einer Frau, macht mich zum Sieger!
Doch Al Bundy wäre nicht Al Bundy, wenn er im Moment seiner Niederlage nicht noch einen kleinen, boshaften Sieg erringen würde, der ihn erhobenen Hauptes davongehen lässt: Bundy stiehlt der Frau ihre Zuckerdose und löst damit ein Versprechen ein, das er sich selbst als kleiner Junge gegeben hatte.
O'Neill schickte Reichert zum Serienstart der deutschen Version ein Autogramm. Der US-Star schrieb: "Für Lutz, viel Erfolg mit 'Jupp'. Ich hoffe, er ist für dich genauso so ein Glücksfall wie 'Al' es für mich war."
Doch erfolgreich scheitern kann eben nur Al Bundy.