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Währungsunion: Popstar D-Mark

Foto: RAINER KLOSTERMEIER/ AP

Währungsunion Popstar D-Mark

Hupkonzerte, Autokorsos, Feuerwerke: Die DDR-Bürger feierten 1990 die Einführung der D-Mark wie den Gewinn der Fußball-WM. Auf Währungspartys hauten sie die letzten Alumünzen auf den Kopf und stürmten dann die Bankfilialen. Doch der erwartete Kaufrausch blieb aus - und das alte Ostgeld lebte weiter.

Als sich Hans-Joachim Corsalli an jenem lauen Samstag vor die Filiale der Deutschen Bank auf dem Alexanderplatz stellte, ahnte er nicht, dass er kurz darauf weltberühmt werden würde. Denn der Kohlefahrer aus Hellersdorf tat nichts anderes als das, was er 40 Jahre lang in der DDR getan hatte: Er stand Schlange. Und weil er so zeitig dran war, führte er die Schlange sogar an. "Geh nicht hin, die trampeln dich tot", hatte ihn seine Frau Dagmar gewarnt.

Doch Corsalli ging trotzdem, ausgerüstet mit Thermoskanne, Pass und Pullover. Um 17.15 Uhr war der Kohlefahrer da, bis Mitternacht harrte er aus, ohne Klappstuhl. Dann, um Schlag null Uhr öffnete die Deutsche Bank ihre gläserne Doppeltür. Corsalli trat ein, die Kameras blitzten auf - und schon ging das Konterfei des Kohlenträgers in die Geschichtsbücher ein, gleich neben Michail Gorbatschow, Helmut Kohl und Lothar Matthäus.

Ein schnauzbärtiger Ostdeutscher, der gutgelaunt ein Bündel druckfrischer Hundert-Mark-Scheine in die Kameras hält: Das Foto von Hans-Joachim Corsalli, der als erster DDR-Bürger in der Nacht zum 1. Juli 1990 seine Ostmark in D-Mark umtauschte, ging um die Welt. Und verkörperte ein historisch einmaliges Experiment. Über Nacht wurde in der DDR nicht nur eine neue Währung eingeführt, sondern den dort lebenden Menschen auch das komplette westdeutsche Wirtschaftssystem übergestülpt.

Menschen wurden ohnmächtig, Scheiben zerklirrten

Ein solches Mammutprojekt konnte einfach nicht reibungslos über die Bühne gehen - wie schon in der Nacht am Alex klar wurde: Als allererste, so der PR-Gag der Deutschen Bank, wollte sie ab Mitternacht das Westgeld ausgeben und damit den DM-Day wirkungsvoll inszenieren, während alle anderen Geldinstitute erst am Sonntagmorgen ihre Pforten öffnen sollten.

Doch die Werbeaktion endete im Fiasko: Je weiter der Uhrzeiger Richtung Mitternacht vorrückte, desto hysterischer wurde die Menschenmenge. Zu Tausenden drängten sie sich vor der Filiale, einige saßen auf Laternenmasten, manche krallten sich an die Fassade der Bank. Menschen fielen zu Boden, wurden ohnmächtig, Scheiben zerklirrten.

Während Rot-Kreuz-Helfer die Verletzten auf Bahren abtransportierten, versicherte Hellmut Hartmann, Pressesprecher der Deutschen Bank den Anwesenden von einem Streifenwagen aus: "Wir haben genügend Geld für jeden da." Doch die Menschen glaubten ihm einfach nicht und drängelten weiter. Ein Aufgebot von 120 Polizisten brauchte zwei Stunden, um dem Ansturm Herr zu werden.

"Silvesterstimmung mitten im Jahr"

Andernorts, wo noch keine D-Mark ausgehändigt wurden, ging es sehr viel fröhlicher zu. Mit Hupkonzerten, Autokorsos, Feuerwerk und Rotkäppchen-Sekt begrüßten die Ostdeutschen in der Nacht zum 1. Juli die Ankunft der 25 Milliarden Westmark: jener 6000 Tonnen Scheine und 500 Tonnen Münzen, die in den Tagen zuvor in gepanzerten Fahrzeugen herangekarrt worden waren, um den ersten Hunger nach Westgeld zu stillen.

Bevor die Alu-Chips genannten DDR-Pfennige am anderen Tag nur noch ihren Materialwert haben sollten, hauten die Bürger in der Nacht zum Sonntag all ihre restlichen Ostmünzen auf den Kopf. Besonders beliebt: die zahlreichen Währungspartys, zu denen landauf, landab die Discotheken und Jugendclubs einluden. Unter dem Motto "12. Parteitag", Devise "Schluckt runter", feierten die Jugendlichen im legendären Franzclub in Prenzlauer Berg den Abschied von ihrem alten Geld; im Magdeburger "Pferdestall" tranken sich die Menschen getreu der Losung "Alu-Chips versaufen" den Hereinbruch der sozialen Marktwirtschaft schön.

Endlich nicht mehr im Ausland als "Deutsche zweiter Klasse" gedemütigt werden, weil man kein Westgeld besaß, endlich teilhaben am Wohlstandskuchen - die Hoffnung darauf, dass die D-Mark es schon richten werde, war immens. "Silvesterstimmung mitten im Jahr", jubelte die "Süddeutsche Zeitung" anderntags, "Tag der Hoffnung" schrieb "Die Welt". Hoffnung darauf, dass mit der neuen Währung alles anders und besser würde als zu DDR-Zeiten.

Aufwertung um 340 Prozent

"Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr", hatten die DDR-Bürger auf den auch nach der Wende fortgesetzten Demonstrationen skandiert: Nachdem sie die Mauer zum Einsturz gebracht hatten, forderten sie nun den jahrzehntelang ersehnten Wohlstand ein.

Allein im Januar 1990 verließen 60.000 Ostdeutsche ihre Heimat in Richtung BRD. Selbst die ersten freien Wahlen am 18. März hielten die Menschen nicht im Land - sie bevorzugten die Abstimmung mit den Füßen. So unter Zeitdruck schlug Bundeskanzler Helmut Kohl die Warnungen zahlreicher Experten einschließlich der Bundesbank sowie der fünf Wirtschaftsweisen in den Wind und peitschte die Währungsunion durch.

Am 18. Mai 1990 per Staatsvertrag zwischen BRD und DDR beschlossen, trat sie sechs Wochen später zeitgleich mit der Wirtschaft- und Sozialunion in Kraft. Und das zu scheinbar traumhaften Konditionen für die Ostdeutschen. Je nach Alter durften sie bis zu 6000 Ostmark im Verhältnis 1:1 gegen die begehrte Westmark tauschen, was einer faktischen Aufwertung um 340 Prozent gleichkam. Für alles Vermögen, was darüber lag, galt der Wechselkurs von 2:1. So viel waren die Scheine der Ostdeutschen noch nie wert gewesen.

Katerstimmung statt Kaufrausch

Doch auf dem Geldsegen lag ein bis heute nicht überwundener Fluch: Die DDR wurde von Westprodukten nur so überschwemmt, während niemand mehr die eigenen Erzeugnisse zu den neuen D-Mark-Preisen kaufen wollte. Die Folge: Quasi über Nacht wurde die DDR-Wirtschaft konkurrenzunfähig, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nahmen rasant zu. Ein Unternehmen nach dem anderen musste aufgeben, schließlich konnte fast kein Betrieb von einem auf den anderen Tag die Löhne in D-Mark auszahlen.

Statt des prognostizierten Kaufrauschs setzte Katerstimmung ein. Verwundert rieben sich die DDR-Bürger die Augen, als sie am Montag nach der Währungsumstellung die prall bestückten Supermärkte betraten und feststellten, dass fünf Kilo Kartoffeln nun nicht mehr eine, sondern fünf Mark kosten sollten. Denn mit der Währungsunion entfiel die Subvention auf Grundnahrungsmittel.

Und in den Kneipen kostete das Bier plötzlich nicht mehr 90 Pfennige, sondern rund das Dreifache. Wo in der Nacht zum 1. Juli noch gefeiert worden war, herrschte nun Totentanz. Zum einen, weil die Speisen und Getränke viel zu teuer waren, zum andern, weil sich keiner so recht traute, das wertvolle Geld für so profane Dinge wie Kaffee und Rührei auszugeben. Denn das Westgeld war stets eine Art Heiligtum gewesen, mit dem man sich im Intershop etwas ganz Besonderes leistete.

Goethe und Marx auf dem Komposthaufen der Geschichte

Der Mythos von dem Allheilmittel D-Mark sackte in dem Moment in sich zusammen, als die Ostdeutschen die Scheine mit den seltsamen Konterfeis in ihren Portemonnaies herumtrugen. Plötzlich zierten lauter Unbekannte das Geld: archaisch anmutende Porträts von Männern mit wallenden Locken und schrägen Hüten, die der DDR nicht nur blühende Landschaften brachten, sondern erst einmal zum Kollaps der ohnehin schon maroden Wirtschaft führten.

Die vertrauten Persönlichkeiten auf den Ostscheinen hingegen, die Frauenrechtlerin Clara Zetkin auf dem Zehner etwa, Johann Wolfgang von Goethe auf dem Zwanziger und Karl Marx auf dem Hunderter, hatten ausgedient und landeten auf dem Komposthaufen der Geschichte. Die Alu-Chips endeten im Schmelzofen, um als Kronkorken oder Colabüchsen wiedergeboren zu werden.

Die rund 30.000 Säcke voller Ost-Banknoten karrte man in einen der nicht mehr benutzten Stollen bei Halberstadt, kippte Wasser und Sand auf das Geld und baute darauf, dass die Natur die sterblichen Überreste der Planwirtschaft zersetzen werde. Da das Ostgeld jedoch partout nicht verrotten wollte und immer wieder Banknoten gestohlen wurden, entschied man sich im Jahr 2002 dafür, die Scheine zu verbrennen.

Sozialhilfe und Sternburg Export

Und was wurde aus Hans-Joachim Corsalli, dem Gewinner im Run auf die D-Mark? Von dem Geld, das der Kohlenträger damals am Alex getauscht hatte, fuhr er mit seiner Frau für ein paar Tage an den Rhein zur Loreley, es war seine erste Reise in den Westen.

Ein paar Monate später wurde der Ostberliner arbeitslos, das Unternehmen sattelte von Kohlelieferung auf Getränke um. Heute lebt der 61-Jährige von Sozialhilfe und Sternburg Exportbier. Seine Frau Dagmar, die ihn damals vor dem DM-Wettlauf am Alex gewarnt hatte, ist längst ausgezogen.

Anm. d. Red: In einer früheren Version des Artikels hieß es irrtümlicherweise, Clara Zetkin lächelte vom Fünf-Mark-Schein, tatsächlich tat sie es vom Zehner.
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