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"Space Invaders": Angriff der Aliens

Foto: vgmuseum.com

"Space Invaders" Angriff der Aliens

Es gab kein Entrinnen: 1978 eroberten Außerirdische den Planeten Erde - mit einem Videospiel. "Space Invaders" wurde zum weltweiten Megaseller, rettete den angeschlagenen Konsolenhersteller Atari und ist heute längst Popkultur. Dabei hätte es das Spiel so eigentlich nie geben sollen.

Der Laptop vibriert auf dem Schreibtisch. Ein unheilvolles Dröhnen aus den Lautsprechern lässt die Tasten erzittern. Aliens greifen an! Auf dem Bildschirm nähert sich eine Phalanx von Außerirdischen einer einsamen Laserkanone. Sie ist die letzte Verteidigungslinie zwischen den furchterregenden Monstern und der Erde. Angriffswelle um Angriffswelle kommt aus den Tiefen des Alls. Erst langsam, dann immer schneller nähern sich die Aliens. Dabei steigert sich eine simple Folge von Basstönen zu diesem furchteinflößenden Grollen, das jeden Horrorfilm-Soundtrack wie ein Kinderlied klingen lässt.

Eine Partie "Space Invaders" ist noch immer eine unheimlich gute Begegnung der Dritten Art - obwohl das Videospiel mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel hat.

Vor allem ist "Space Invaders" heute viel mehr als einfach nur ein Videospiel: Der Weltraum-Shooter und seine Ästhetik ist fest im popkulturellen Kanon verankert. Zwar spielt den Arcade-Klassiker heute kaum noch jemand in seiner natürlichen Umgebung - der Spielhalle - per störrischem Steuerknüppel und rotem Feuerknopf. Dafür läuft "Space Invaders" überall sonst: auf Computern, Spielkonsolen, Handys und sogar PDAs.

"Star Wars" auf Computerchips

Selbst Menschen, die noch nie in ihrem Leben ein Videospiel in den Fingern hatten, erkennen die pixeligen Alien-Ikonen auf Anhieb. Zum Beispiel wenn sie auf H&M-Shirts zitiert werden oder in Serien wie "Scrubs" oder "Die Simpsons" auftauchen. Manchmal dringen die Space Invaders sogar in den öffentlichen Raum ein: als kleine Klebekunstwerke des Street-Art-Künstlers Invader . Der bringt die Aliens aus dem Spiel seit dem Jahr 2000 in Metropolen rund um den Globus an Gebäuden, Brückenpfeilern und Denkmälern an. Unter anderem in Hong Kong, New York, Katmandu und Berlin zieren seine Eindringlinge das Stadtbild.

Die Liste derer, die sich vom Weltraum-Shooter haben inspirieren lassen, ist lang - und führt auch ganz große Namen: Vor kurzem sagte Shigeru Miyamoto, Vater von Super Mario und Donkey Kong, und immer noch Mastermind der Videospielindustrie, in einem Interview mit dem Time Magazine, er habe sich vor "Space Invaders" nie für Videospiele interessiert - geschweige denn darüber nachgedacht, selbst welche zu entwickeln.

Dabei hätten die Aliens beinahe gar nicht angegriffen. Der junge Ingenieur und Videospielentwickler Tomohiro Nishikado plante 1977 eigentlich ein Spiel, bei dem man Flugzeuge vom virtuellen Himmel holen sollte. Doch er war mit den Flugbewegungen der Jets so unzufrieden, dass er die Idee verwarf. Als er fieberhaft nach einem anderen Setting für sein Spiel suchte, fiel ihm ein "Star Wars"-Prospekt in die Hände. Der Film lief zwar noch nicht in Japan, hatte in den USA aber gerade alle Rekorde an den Kinokassen gebrochen. Deswegen verlegte Nishikado die Spielhandlung kurzerhand ins All.

Auch beim Design der angreifenden Alien-Horden ließ er sich von einem Science-Fiction-Klassiker inspirieren. In einem SPIEGEL-Artikel von 1980 bemerkte der Autor, die Außerirdischen in "Space Invaders" seien "einzelligen Tümpelbewohnern nicht unähnlich" - er entwarf sie nach den meerestierhaften Invasoren aus H.G. Wells' "Krieg der Welten".

Der erste Videospiel-Blockbuster

Damit hatte er ein völlig neues Spielgenre erschaffen: den Weltraum-Shooter. Denn bis dato spielte man vor allem Autorennen, Baseball oder auch schon mal einen Feuerwehrmann an den Automaten. Nun wurde der Spieler auf einmal zum Retter der Menschheit. "Space Invaders" war der Konkurrenz jedoch nicht nur in Sachen frischer Ideen, sondern auch in technischer Hinsicht voraus. Der Ingenieur Nishikado hatte für sein Baby auch gleich eine ganz neue, leistungsfähigere Hardware entwickelt. Schwarzweiß und pixelig war die Grafik zwar trotz State-Of-The-Art-Technologie, wurde aber mit grünen und orangefarbenen Plastikfolien hinter dem Schirm bunter geschummelt.

Was dann geschah, hätte niemand erwartet. "Space Invaders" eroberte Japan im Sturm. Kinder, Teenager und Erwachsene standen ganze Häuserblocks lang Schlange, um sich eine Runde mit den Außerirdischen zu messen. In Japan wurden die 100-Yen-Münzen knapp, weil in ganz Nippon mit eben diesen Geldstücken die "Space Invaders"-Automaten gefüttert wurden. Unbestätigten Gerüchten zufolge musste die Regierung aktiv werden und die Menge der Münzen im Umlauf verdreifachen.

Ein Jahr später ging die Erfolgsstory in den USA weiter: Mit dem Siegeszug der Invasoren aus dem All tauchten die zuvor in verrauchten Kneipen versteckten Arcade-Automaten auf einmal auch in Restaurants, Kaufhäusern und Friseursalons auf. Sogar Gemüsehändler räumten ihre Läden leer, um Platz für die extrem rentablen Automaten zu schaffen. Mit Spielen wie "Pong" oder "Breakout" hatte die Videospielbranche zwar schon vorher kleinere Erfolge gefeiert. Doch erst "Space Invaders" machte Spielen gesellschaftsfähig. Insgesamt verkaufte der Hersteller Bally Midway allein auf dem japanischen Markt rund 100.000 Automaten und machte einen weltweiten Gewinn von 500 Millionen Dollar.


Lust bekommen, ein paar alte Videospielklassiker zu spielen? Hier können Sie direkt loslegen:

"Space Invaders": Beschützen Sie die Erde vor außerirdischen Invasoren.

"Frogger": Helfen sie dem Frosch über die Straße und zurück in seinen Sumpf.

"Snake": Sammeln Sie mit der Schlange alle Gegenstände ein - ohne sich dabei selbst in den Schwanz zu beißen.

"Asteroids": Fliegen Sie durch die Weiten des Weltalls und zerschießen Sie dabei alle Asteroiden.


38 Stunden Dauerballern

Doch nicht nur Spielhallen eroberten die Space Invaders im Sturm, auch in den Wohnzimmer dieser Welt gab es kein Entrinnen. Der US-Konsolenhersteller Atari hatte sich - zu diesem Zeitpunkt finanziell schwer angeschlagen und kurz vor dem Kollaps - als letzten rettenden Strohhalm die "Space Invaders"-Lizenz gesichert. Praktisch über Nacht vervierfachten sich die Verkaufszahlen der Atari-2600-Konsole. "Space Invaders" machte Atari auf einen Schlag zum Big Player im Videospielgeschäft - und die Atari-2600-Konsole zu einem der erfolgreichsten Videospiel-Systeme aller Zeiten.

Die Automaten in den Spielhallen blieben trotzdem ein Publikumsmagnet. Denn Nishikado hatte noch eine weitere Revolution in sein Spiel eingebaut: die erste High-Score-Liste der Videospielgeschichte. Man konnte den Kampf gegen die Aliens zwar nicht gewinnen (auf jede Welle von Gegnern folgte unweigerlich eine noch bedrohlichere Phalanx) aber man kassierte Punkte für jeden Abschuss. Es ging also nicht mehr nur darum, für sein Geld möglichst lange zu spielen. Wer genug Punkte erzielte, konnte sich mit drei Buchstaben in der Bestenliste verewigen.

Dieses Konzept wurde danach zum Standard für Arcade-Maschinen - und rief eine ganz neue Kultur des Videospielens hervor. Auf einmal machten weltvergessene Teenager mit Akne und Nickelbrillen mit Highscores Schlagzeilen und traten in nationalen und internationalen Wettbewerben gegeneinander an. Weil viele der Arcade-Games kein richtiges Ende hatten, spielten die Kontrahenten manches Mal bis zum Umfallen. Eric Furrer, der Rekordhalter von "Space Invaders", etwa machte 1.114.000 Punkte in 38 Stunden und 37 Minuten Dauerballern - ohne Unterbrechung durch ein Nickerchen oder einen Gang zur Toilette.

Der "Space Invaders"-Erfinder Tomohiro Nishikado kann über so viel Enthusiasmus nur staunen: "Ich bin nie weiter als Level 3 gekommen."

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