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Kult-Festival: Matsch, Musik und LSD

Foto: Collection Rolf Heyne

Hippie-Sause 1969 Der Mann, der Woodstock möglich machte

Ohne ihn hätten die Blumenkinder nie ihre legendärste Spielwiese bekommen: 1969 organisierte Elliot Tiber das Gelände für das Woodstock-Festival - zum Campen, Kiffen, Liebe machen. Ein Lazarett für schlechte LSD-Trips inklusive. Dann geriet der 34-Jährige in Vergessenheit - bis jetzt.

Bethel - Das legendäre Feld ist viel kleiner als erwartet. Ein sanfter Hügel nur, voller Löwenzahn und Gänseblümchen. Die Wiese senkt sich zu einem natürlichen Amphitheater, eine Schotterfläche markiert, wo die Festivalbühne stand. Am Gatter hängt ein Verbotsschild: "Keine öffentliche Trunkenheit. Kein Camping". Und: "Keine laute Musik".

Auf dem Hügel befindet sich jetzt ein Museum, gepaart mit einem "Center for the Arts" samt Open-Air-Konzertmuschel, auf dem Programm steht das artige Boston Pops Orchestra mit Gershwins "American in Paris". Schwerhörige können sich Hörgeräte leihen, das Mitbringen eigener Liegestühle ist jedoch nicht gestattet.

Jahrzehnte später: Woodstock, das Fanal der Hippie-Ära, ist nur noch ein Schlagwort. Der Schauplatz jener drei wilden Augusttage 1969, dieses Feld gut drei Autostunden nördlich von Manhattan, auf dem das größte Open-Air-Konzert der Geschichte stattfand und wo die Blumenkinder zur Volksbewegung wurden, dient Touristen in Batik-Shirts heute als Zwischenstopp. Doch es gibt sie noch, die Hippies von einst - und sie träumen weiter.

"Woodstock riss mich aus dem Versteck"

"Es waren die aufregendsten Tage meines Lebens", sagt Elliot Tiber, 74. Seine Geschichte wurde gerade von Starregisseur Ang Lee ("Brokeback Mountain") verfilmt. Bis dahin war Tibers Rolle weitgehend unbekannt - dabei wäre Woodstock ohne ihn nie passiert.

Fast eine halbe Million Kids kamen zu dieser Mega-Show vom 15. bis 18. August 1969. Sie sahen Joan Baez, Santana, Grateful Dead, Janis Joplin, The Who, Jimi Hendrix und Dutzende andere. Abertausende sahen sie nicht - weil sie im Stau steckengeblieben waren, die Hälfte des Spektakels versank im Regen- und Schlammchaos. Es sind diese Bilder, die sich eingeprägt haben - Szenen aus dem Dokumentarfilms "Woodstock", der 1970 einen Oscar gewann.

Dabei lässt sich die Story von Woodstock kaum besser erzählen als die des Elliot Tiber. Tiber ist heute ein Bär mit weißem Stoppelbart, er wirkt grimmig, verbittert, resigniert. Redet er aber von Woodstock, hellt sich seine Miene auf. Damals erlebte er nicht nur sein Coming-out als Schwuler, sondern als Mensch überhaupt. "Woodstock befreite mich", sagt er SPIEGEL ONLINE. "Es riss mich aus dem Versteck."

Doppelleben

"Woodstock bedeutete Freiheit", sagt Tiber. "Freedom" - das war auch einer der ersten Songs, die der schwarze Folk-Star Richie Havens zur Eröffnung spielte: "Sometimes I feel like a motherless child."

Tiber selbst war damals kaum frei, zumindest nicht "in der Seele", wie er sagt. Wochentags wohnte der Maler und Innendekorateur in Manhattan, wo er wilde Abenteuer in der Schwulenszene erlebte und Ende Juni 1969 aktiv an den Stonewall-Unruhen im Greenwich Village teilnahm. Am Wochenende fuhr er nach Bethel, wo er das heruntergekommene "El Monaco Motel" der Eltern managte, die keine Ahnung hatten von seinem Doppelleben.

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Kult-Festival: Matsch, Musik und LSD

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Ende Juli 1969 hörte er von diesem Freiluftspektakel, das im Ort Woodstock steigen sollte, nach Anwohnerprotesten aber ins nahe Wallkill verlegt und schließlich auch von dort vertrieben wurde. Tiber dachte sich wenig, als er die Organisatoren zu sich einlud.

Im Zeitalter des Wassermanns

Er konnte nicht ahnen, worauf er sich einließ. "An Aquarian Exposition - 3 Days of Peace & Music", so hieß das Festival eigentlich. Der Titel beschwor das esoterische Zeitalter des Wassermanns, im Jahr zuvor durch "Hair" weltweit zum Begriff geworden.

Tiber bewegte einen Freund, den Milchbauern Max Yasgur, sein Land für diese Veranstaltung zur Verfügung zu stellen, gegen 50.000 Dollar. Das "El Monaco" wurde zur Schaltzentrale und, wie Tiber sich heute erinnert, zur "Notaufnahme für schlechte Acid-Trips".

Binnen Stunden kamen die ersten Fans angerückt, mit Autos, Motorrädern, bemalten Schulbussen, Traktoren, Fahrrädern, zu Fuß, "wie Moses in der Wüste", stotterte ein TV-Lokalreporter in die Kamera. Sie waren müde, aber höflich. "Die jungen Leute", staunte eine Frau in der "Woodstock"-Dokumentation, "waren alle sehr nett."

Campen, kiffen, lieben

Schnell waren die Zäune durchbrochen, Hunderttausende trampelten über Yasurs Wiesen. "Wir hatten 18.000 Gäste allein im Motel", sagt Tiber. Sie campierte, sie badeten nackt im White Lake, sie kifften und nahmen LSD, sie praktizierten freie Liebe auf freiem Feld.

Tibers Eltern waren, wie die meisten in Bethel, zunächst geschockt - nicht zuletzt, als seine Mutter zufällig sah, wie er in dem ganzen Trubel einen Mann küsste. "Wer war dieses neue Ich?", schrieb Tiber später in seiner Autobiografie "Taking Woodstock", die die Grundlage bildet für Ang Lees gleichnamigen Film. "Das alte Ich zerfloss vor meinen Augen."

Auch auf der Bühne ging alles drunter und drüber. Musiker blieben im Stau stecken, andere mussten eingeflogen werden. Richie Havens sprang kurzfristig als Auftakt-Gig ein, während hinter ihm noch gehämmert wurde.

Ein Baby, zwei Tote

Dann ging es Schlag auf Schlag. Arlo Guthrie, noch fast ein Kind. Joan Baez, hochschwanger. The Who, die ihr Set um 4 Uhr früh begannen und erst verstummten, als die Sonne aufging. Sly & the Family Stone. Joe Cocker. Blood, Sweat & Tears. Neil Young.

Ein Gewitter verwandelte die Szene in eine Schlammlandschaft. Die Logistik brach zusammen, das Essen ging aus, Dorfbewohner schmierten Brote. Zwei Konzertgänger starben, einer an einer Überdosis, ein anderer wurde im Schlafsack von einem Trecker überrollt. Mindestens ein Baby wurde geboren.

Doch über all die schlagzeilenträchtigen Äußerlichkeiten hinaus waren es mehr die inneren Bewegungen, denen die Teilnehmer noch sentimental nachhängen. "Das Festival endete am Sonntag", sagt Tiber. "Am selben Tag war mein altes Leben vorbei."

Aus den Blumenträumen gerissen

Was für Tiber eine sexuelle Befreiung war, war für andere eine gesellschaftliche. Sie erkannten auf einmal, dass sie mehr waren als nur "ein paar verstreute Hippies", wie David Crosby später sagte, dessen Kultband Crosby, Stills & Nash bei Woodstock erst ihren zweiten Live-Auftritt überhaupt hatte.

Viele Musiker wurden durch Woodstock zu Weltstars. Die Organisatoren aber verloren viel Geld, und die Hippies sahen sich bald aus ihren Blumenträumen gerissen - von einer brutalen Realität, die schon in der Woche vor Woodstock begann, mit den Charles-Manson-Morden. Mit Ende des Vietnam-Kriegs 1975 verkümmerte die Bewegung zur Folklore.

Tiber zog ganz nach Manhattan, wanderte dann mit seinem neuen Freund, dem Regisseur André Ernotte, nach Belgien aus, wo sie bis zu Ernottes Tod 1999 lebten. Es war, wie er es darstellt, eine Zeit, in der er viele Rückschläge einstecken und Illusionen begraben musste.

Hippie-Mythos als Plastik-Kitsch

Woodstock ließ ihn dabei nie los. Jahrelang hoffte Tiber, für seine Schlüsselrolle anerkannt zu werden. Doch die Chronisten tilgten seinen Namen, er vermutet "Schwulenfeindlichkeit". In Lees Komödie kommt das nicht vor, denn die endet mit dem 18. August 1969 - voller Hoffnung und mit dem Wort "beautiful".

Manchmal möchte man eben nicht wissen, wie die Geschichte wirklich endet, sondern lieber in verklärter Vergangenheit verharren. So erklärt sich auch das Woodstock-Museum bei Bethel: Es ist modern, klimatisiert, technologisch hochgerüstet - eine disneyfizierte Multimedia-Zeitmaschine, die einem Woodstock als psychedelisches Pop-Art-Paradies präsentiert. Elliot Tiber wird mit keinem Wort erwähnt.

Zum Abschied muss jeder durch den Souvenir-Shop. Dort wird der Hippie-Mythos als Plastik-Kitsch vermarktet: CDs, Bücher, Poster, Kühlschrankmagneten, Duftkerzen, Aufkleber, Sonnenbrillen, T-Shirts, Modeschmuck.

Späte Wiedergutmachung

Tiber wohnt heute in einem winzigen, verstaubten Apartment an Manhattans West 42nd Street, kettenrauchend, umgeben von Woodstock-Postern und seinem Yorkshire-Terrier Molly. Von Ang Lees "Taking Woodstock" erhofft er sich nun eine Art späte Wiedergutmachung, denn immer noch kommen ihm die Tränen, wenn er von früher redet und davon, wie einsam er heute ist.

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Bethel versank wieder im Dornröschenschlaf. Das "El Monaco" wurde 2004 abgerissen, an seiner Stelle gähnt ein leerer, überwucherter Bauplatz. Ringsum verfallen die Holzhäuser.

"Woodstock?", fragt der indische Kassierer an der Tankstelle. "Keine Ahnung." Aus dem Radio dröhnt Lady Gagas Hit "Poker Face": "Mum-mum-mum-mah, mum-mum-mum-mah."

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