Satanische Botschaften Rock'n'Roll im Rückwärtsgang

Mit einem toten Paul McCartney fing alles an, seitdem frönen Musikfans weltweit einem irren Hobby: Sie spielen ihre Lieblingsmusik rückwärts ab - und hören plötzlich Aufforderungen zum Sex, alberne Scherze und satanische Botschaften. Die teuflischste stammt dabei ausgerechnet von Dieter Bohlen.
Ist Paul McCartney wirklich noch am Leben?

Ist Paul McCartney wirklich noch am Leben?

Foto: Paul Berriff

Russ Gibb traute seinen Ohren nicht! Am 27. Oktober 1969 rief ein Hörer den Radio-DJ des Senders WKNR-FM in Dearborn, Michigan an und erzählte eine unglaubliche Story: Paul McCartney sei tot. Und das bereits seit 1966. Ein Autounfall soll den Beatle dahingerafft haben, die Öffentlichkeit wisse nur nichts davon, weil McCartney durch einen Doppelgänger ersetzt worden sei. Der Anrufer, der sich als Tom vorstellte, hatte auch einen Beweis für seine absurde Theorie: Er forderte Russ Gibb auf "Revolution 9" vom "White Album" zu spielen - und zwar rückwärts.

Gibb machte den makabren Scherz mit. Er legte das Stück auf, an dessen Anfang sich die Worte "Number nine" mehrfach wiederholen. Dann ließ er die Schallplatte gegen die Spielrichtung laufen. Ein weiteres Mal an diesem Abend konnte der DJ nicht glauben, was er da hörte. Er verstand die Rückwärtsbotschaft ganz deutlich: "Turn me on, dead man".

Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer, erst in den USA und dann in der ganzen Welt und wird bis heute weitergesponnen. Immer wieder meinen Witzbolde, genau wie leidenschaftliche Verschwörungstheoretiker, neue Hinweise auf McCartneys Ableben zu finden. Vor allem aber wurde an diesem Abend eine Disziplin für überambitionierte Musikkenner geboren: die Suche nach versteckten Botschaften in Rocksongs.

"Herzlichen Glückwunsch. Sie haben soeben die geheime Botschaft entdeckt."

Befeuert von Schatzgräber-Enthusiasmus und bewusstseinserweiternden Drogen legten Fans fortan beim Rock'n'Roll gerne mal den Rückwärtsgang ein. Auf der ganzen Welt forschten Schallplattenhörer seit diesem Tag in den Rillen ihres Vinyls nach geheimen Botschaften.

Dabei war die erste Rückwärtsbotschaft eigentlich nur durch einen Fehler entstanden. 1966 hatte John Lennon bei der Produktion des Albums "Revolver" offensichtlich einige Joints geraucht und wollte sich gerade das Tonband von "Rain" anhören, als er es aus Versehen rückwärts laufen ließ. Der Klang gefiel ihm so gut, dass auf dem Album bei "Tomorrow Never Knows" und "I'm Only Sleeping" rückwärts abgespielte Instrumente zu hören sind.

"Rain", das als B-Seite auf der "Paperback Writer"-Single erschien, geht noch einen Schritt weiter. Am Ende des Songs läuft Lennons Stimme rückwarts. Was sich für Laien anhört wie ein nölendes Kauderwelsch, ist in Wahrheit die erste Rückwärtsbotschaft der Rockgeschichte. Der bewusste Einbau solchen Tonmaterials in einen Song wird "Backmasking" genannt.

Für Verschwörungstheoretiker bot diese erste verdrehte Nachricht allerdings deutlich weniger Stoff als die ersten Takte von "Revolution 9". Es war lediglich die erste Strophe von "Rain" - nur umgedreht.

Doch spätestens seit der legendären Radioübertragung war das Phänomen Backmasking unweigerlich mit dem Rock'n'Roll verbunden. Vielen Bands bereitete das Versteckspiel offensichtlich einen Höllenspaß: Sie nutzten die Möglichkeiten des Bandaufnahmegerätes, um geheime Messages per Platte an Fans und Freaks zu senden. So leisteten sich Pink Floyd auf ihrem Album "The Wall" (1979) in dem Song "Empty Spaces" einen humorigen Kommentar auf die Jagd nach dem bedeutungsvollen Soundschnipsel: "Hello hunters", begrüßen sie den glücklichen Finder, "congratulations. You've just discovered the secret message."

Treppe zur Hölle

Unterdessen hatte die räucherstäbchenbeschwingte Rückwärtsrockgemeinde in den Siebzigern weit mehr Begeisterung bei der Suche nach der Sorte Botschaft, die Radiomoderator Gibb in "Revolution 9" vorfand. Sie wurden zu Anhängern jener Technik, bei der ein Song so getextet wird, dass er auch Rückwärts abgespielt einen Sinn ergibt - Phonetic Reversal, sinngemäß: Rückwärtssprechen. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass die Beatles nie über den Umkehrsinn der Worte "Number Nine" nachgedacht hatten, genau wie viele andere Bands, in deren Songs ambitionierte Musikversteher ebenfalls Nachrichten heraushörten.

Der aufklärerische Eifer mancher Hörer konnte dabei für die Bands durchaus gefährlich werden. So stand Freddie Mercury plötzlich im Verdacht, seine Hörer in "Another One Bites the Dust" zum Drogenkonsum animieren zu wollen. Spielt man die Titelzeile nämlich andersherum, klingt sie wie: "It's fun to smoke marijuana." Weit härter geriet Led Zeppelin unter Beschuss: Sie waren 1981 ins Fadenkreuz des christlichen DJ Michael Mills geraten. Es wollte die populäre Rockband als Satanisten enttarnen - und schuf dabei wohl die berühmteste Backmasking-Legende der Welt.

In Led Zeppelins "Stairway to Heaven" wurde in den Ohren des phantasievollen DJs aus den unverdächtigen Zeilen ...

"If there's a bustle in your hedgerow,
don't be alarmed now
It's just a spring clean for the may queen
Yes, there are two paths you can go by,
but in the long run
There's still time to change the road you're on"

... im Rückwärtsgang auf einmal ...
"Here's to my sweet satan
The one whose little path would make me sad,
whose power is satan
He will give those with him 666
There was a little toolshed
where he made us suffer, sad satan"

Gesetze gegen Rückwärtsrock

Ein Sprecher des Led-Zep-Labels Swan Song Records kommentierte diese angebliche Entdeckung trocken mit: "Unsere Plattenspieler laufen nur in eine Richtung - vorwärts." Robert Plant, der Sänger der Band, war jedoch regelrecht betroffen von diesem Vorwurf. "Das ist sehr traurig für mich", sagte er 1983 in einem Interview mit dem US-Musikmagazin "Musician", "denn 'Stairway to Heaven' wurde mit den besten Absichten geschrieben." Und das Rückwärtslaufenlassen von Bändern zum Verstecken von Botschaften sei ohnehin nicht seine Vorstellung vom Musikmachen.

Für viele christliche Gemeinden in den USA standen von nun an viele bekannte Gitarrenbands trotzdem unter generellem Rückwärtsrockverdacht, darunter auch Electric Light Orchestra, Styx oder The Eagles mit ihrem Song "Hotel California". Die Theorie der Rockmusikkritiker: Die versteckten Botschaften beeinflussen das Unterbewusstsein der Kinder, um sie zu Drogenkonsum, wildem Sex und Satanismus zu verführen.

Erstaunlicherweise hatten diese Ansichten eine starke Lobby in den USA. Sogar einige Psychologen schlossen sich der Theorie an. Und in den Staaten Kalifornien und Arkansas versuchten Politiker, Gesetze gegen Backmasking durchzusetzen. In Arkansas sollten die betroffenen Alben mit einem Sticker gekennzeichnet werden: "Warnung: Diese Schallplatte enthält rückwärts gespielte Botschaften, diese könnten möglicherweise unterbewusst wahrgenommen werden, wenn die Platte vorwärts gespielt wird."

Kalifornische Politiker gingen noch einen Schritt weiter. Sie wollten Backmasking gleich ganz verbieten. Die Begründung: Es könne "unser Benehmen ohne unser Wissen oder unsere Zustimmung manipulieren und uns in Jünger des Satans verwandeln." Am Ende wurden beide Anträge abgewiesen. Doch die Jagd war eröffnet. Auf einmal hörten die Kritiker genauer hin als die Fans. Das Backmasking und die Suche danach hatte seine Unschuld verloren.

Botschaft von Britney Spears

Die meisten Bands zeigten sich von der absurden Hysterie dagegen unbeeindruckt, wie zwei Statements besonders gut belegten. 1988 erklärte der Serienkiller und Satanist Richard Ramirez, er sei vom AC/DC-Album "Highway to Hell" zum Morden inspiriert worden. Ramirez terrorisierte in den achtziger Jahren Los Angeles und tötete insgesamt 14 Menschen, bevor er gefasst werden konnte.

Sofort nach Ramirez Verhaftung und dessen Erklärung wurde AC/DC beschuldigt, satanische Rückwärtsbotschaften auf "Highway to Hell" zu verstecken. Angus Young, der Gitarrist der Band, ist auch 20 Jahre später noch immer fassungslos über diese Vorwürfe. "Die hätten das Album nicht rückwärts spielen müssen", erklärte er 2004 in einem Interview mit dem Musikmagazin "Mojo", "wir haben die Nachrichten ja nie versteckt. Wir nannten das Album 'Highway to Hell'. Da war unsere Botschaft, direkt vor ihrer Nase."

Der Heavy-Metal-Band Judas Priest erging es noch schlechter - sie wurden 1990 in Nevada von den Eltern zweier Söhne verklagt, die einen Todespakt geschlossen hatten. Einer der Jugendlichen starb, nachdem er sich mit einem Gewehr in den Kopf geschossen hatte. Danach richtete der andere Junge die Waffe auf sich, überlebte aber seinen Selbstmordversuch mit einem stark verstümmelten Gesicht. Die verzweifelten Kläger behaupteten, dass verschiedene unterschwellige Botschaften in dem Priest-Song "Better By You, Better Than Me" ihre Kinder in den Freitod getrieben hätten. Die Bandmitglieder verteidigten sich mit einem einleuchtenden Argument: Es sei nicht gerade geschäftsfördernd, die eigenen Fans zum Selbstmord zu animieren. Wenn schon unterschwellige Nachrichten, würden sie ihren Hörern doch lieber befehlen: "Kauft mehr von unseren Platten." Die Anklage wurde wegen unzureichender Beweise abgewiesen.

Mit dem Siegeszug der CD ebbte die Diskussion ab. Das neue Medium ließ sich nicht so leicht rückwärts abspielen wie eine Schallplatte. Zudem klärten inzwischen immer mehr Studien darüber auf, dass unterschwellige Botschaften in Liedern nicht funktionieren könnten. Eine der Studien stammt von der christlichen Forschungsgruppe Watchman Fellowship. Ihr Leiter James K. Walker zog einen ernüchternden Schluss aus den Ergebnissen: "Man kann ein christliches Loblied nehmen, und wenn man es nur lange genug in unterschiedlichen Geschwindigkeiten rückwärts abspielt, kann man selbst aus diesem Kirchenlied heraushören, was immer man will."

Im digitalen Zeitalter macht eine kleine Gemeinde von Backmasking-Fans genau das. Heute hat noch die simpelste Software zur Musikbearbeitung ein Knöpfchen, mit dem man Songs verkehrt herumlaufen lassen kann. So machen sie sich auf die Suche nach den geheimen Offenbarungen in den Songs von Nirvana, Britney Spears oder auch Madonna. Dabei treffen sie mitunter auf erstaunliche Funde: So machte ein Backward-Schatzjäger in dem frühen Britney-Spears-Hit "... Baby One More Time" folgende irre Entdeckung: Zu einer Zeit, als ihre Jungfräulichkeit noch fest zum Image der lolitahaften Blondine gehörte, wurde aus den Zeilenfetzen "loose my mind / give me a sign" im Rückwärtsgang "Sleep with me, I'm not too young".

Verstecke Botschaften
Foto: AP

Manchmal war es ein Versehen, oft aber Absicht. Viele Rock'n'Roll-Klassiker ergeben auch rückwärts Sinn. Hören Sie selbst!

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten