
Peace-Zeichen-Jubiläum O | ^ - so simpel ist Frieden

Das Wetter in London war lausig an jenem Osterwochenende im April 1958. Gebremst hat es die Kernwaffengegner nicht. Zu Tausenden zogen sie vom Trafalgar Square im Herzen Londons zum britischen Atomforschungszentrum Aldermaston, "Ban the Bomb"-Rufe schallten durch die regennassen Straßen. Mit im Schlepptau bei diesem ersten, rund 80 Kilometer langen Ostermarsch der Geschichte: 500 gigantische Lollipops von etwa einem Meter Durchmesser, die die Menschen vor sich hertrugen. Drei nach unten weisende Striche in einem Kreis verzierten die Plakate - das Friedenszeichen war geboren.
An jenem Osterfest feierte das heute weltberühmte Symbol seine erste öffentliche Premiere. Die britischen Journalisten zerbrachen sich die Köpfe über das ominöse Signum. Hier seien die griechischen Anfangsbuchstaben Christi zu sehen, mutmaßten die einen, für ein satanistisches Symbol hielten es die anderen, während dritte es glatt als Hühnerspur abtaten. Worum es dem Erfinder der drei umrundeten Striche wirklich ging - nämlich um Abrüstung - erkannten nur die wenigsten auf Anhieb.
Ausgedacht hatte sich das Zeichen der britische Designer Gerald Holtom. Im Auftrag des Philosophen Bertrand Russell, Anführer der Campain for Atomic Disarmament (CND), entwarf der Absolvent des Londoner Royal College of Arts das berühmte Symbol am 21. Februar 1958. Für das Peace-Zeichen, das Menschenliebe und Versöhnung demonstrieren sollte, griff Holtom ausgerechnet auf eine vor allem von Militärs benutzte Zeichensprache zurück - das Winkeralphabet.
Um das N (für Nuclear) und das D (für Disarmament) darzustellen, bediente sich der Friedensaktivist, der während des Zweiten Weltkrieges auf einer Farm an der Küste von Norfolk gearbeitet hatte, des hier erlernten Flaggenalphabets: Beim D zeigt je eine Flagge nach oben und nach unten, das N bilden zwei schräg nach unten gekippte Fähnchen.
Die Kernwaffengegner hat's nicht gestört - zumal sich Holtom später eine andere Entstehungsversion zurechtlegte. Stark deprimiert sei er gewesen, schrieb er einem Bekannten, als er das Bild eines verzweifelten Menschen gezeichnet habe. Nach außen und unten hätten die Hände dieses Unglücklichen gezeigt - so wie bei dem berühmten Bild von Goyas Bauer, der vor dem Erschießungskommando steht. Später habe er die Zeichnung auf ihr Wesentliches reduziert und einen Kreis darum gezeichnet.
Wie dem auch sei: Dankbar griffen die britischen Kernwaffengegner zu dem Signum - ein Zeichen musste her gegen die immer realer werdende nukleare Bedrohung: 1952 war Großbritannien neben der USA und der Sowjetunion zur dritten Nuklearmacht aufgestiegen, fünf Jahre später zündete England auf Christmas Islands im Pazifik seine erste Wasserstoffbombe. Mit dem viertägigen Ostermarsch nach Aldermaston wollten die CND-Aktivisten um Russell endlich ein Zeichen setzen - mit Erfolg. In Windeseile schwoll die ursprünglich kleine Schar von Kernwaffengegnern zu einer Massenbewegung an, ihr kreisrundes Symbol verbreitete sich um die ganze Welt.
Ein Mitstreiter Martin Luther Kings, der auf dem britischen Ostermarsch dabei war, exportierte das Peace-Zeichen in die USA, bald pinselten kriegsmüde Vietnam-Soldaten sich das Zeichen auf den Helm, schmückten Woodstock-Fans ihre VW-Busse mit den umrundeten Strichen und malten es Kalte-Kriegs-Gegner in Prag und Berlin an die Häuserwände. Homosexuelle, Umweltschützer und Feministinnen okkupierten das Peace-Zeichen genauso wie Anti-Apartheid-Aktivisten, Tierschützer und 68er.
Mit dem Irak-Krieg erlebte die visuelle Ikone eine gloriose Renaissance: Kriegsgegner in aller Welt formten seit Beginn der Irak-Offensive 2003 menschliche Peace-Zeichen auf großen Plätzen, der Musiksender Viva ersetzte sein Logo eine Zeit lang durch das Friedenssymbol, und Prominente hefteten sich das Zeichen publicity-wirksam bei Filmpremieren auf ihre Abendroben.
Seine Schlichtheit sowie sein Anpassungsvermögen begründen laut Ken Kolsbun, dem Co-Autor des neuen Buches "Peace: The Biography of a Symbol" dessen Aufstieg zum piktographischen Superstar. Doch verdankt es seinen unvergleichlichen Erfolg auch der Tatsache, dass Designer Holtom sich die Erfindung nie patentieren ließ. Als Symbol für Frieden, Frohsinn und Freiheit müsse es frei sein für alle, so seine Begründung.
Frei auch für die Geschäftsmänner in aller Welt, die das Zeichen als Modeaccessoire vermarkten - und so ihres Sinnes zu entleeren versuchen. Zudem schläft die Konkurrenz nicht, ungeachtet der Popularität des Peace-Kreises: Pace-Fahnen, Friedenstauben, das Victory-Zeichen, der Regenbogen - alle buhlen sie um die Gunst der Friedensaktivisten und versuchen dem in die Jahre gekommenen Kreissymbol das Wasser abzugraben.
Derzeit sind andere Zeichen angesagter, um die eigene Gesinnung zu Markte zu tragen: Filmstars schmücken sich lieber mit gelben Bändern und roten Aids-Schleifen, Teenager können Totenköpfen und dem Konterfei von Che Guevara mehr Sexappeal abgewinnen. Schade, dass die Kriege auf der Welt zeigen müssen, dass das gute, alte Peace-Zeichen doch unsterblich ist.
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Politisches Graffiti: Schwer bewaffnete Soldaten malen das Peace-Zeichen auf eine Hauswand. Die Wandmalerei des britischen Graffiti-Künstlers Banksy wurde als Plakat in einer Ausstellung von Friedensbotschaften gezeigt.
Geburt des Peace-Zeichens: Britische Atomrüstungsprogramm-Gegner, Anhänger der CND (Campaign for Nuclear Disarmament), starten ihre Demonstration gegen Atomwaffen-Rüstungsprogramme am 6. April 1958 in Maidenhead bei London. Der Protestmarsch ist Teil einer viertägigen, 80 Kilometer langen Osterdemonstration bei der sie nach Berkshire bei Aldermaston marschieren werden - dort erreichen sie das Atomforschungszentrum.
Flower-Power-Bulli: "Flower Power" und "Love and Peace" - das von dem britschen Designer Gerald Holtom entworfene Peace-Zeichen schmückt auch gerne mal einen Hippie-VW-Bulli
Peace-Zeichen bei Ostermarsch: Die rund 3000 Teilnehmer des Ostermarschs in der Ruppiner Heide bei Fretzdorf (Brandenburg) stellen sich am 12. April 1998 zu einem Peace-Zeichen mit einem Durchmesser von 65 Metern auf. Um den 14.000 Hektar großen früheren Bombenabwurfplatz der sowjetischen Armee wird seit Jahren vor Gericht gestritten. Anwohner und Teilnehmer der jährlichen Protestwanderungen sprechen sich gegen eine weitere militärische Nutzung des Geländes durch die Bundeswehr aus.
Peace-Kuss: Zwei Demonstranten küssen sich am 29. März 2003 vor der US-Airbase in Frankfurt/Main. Etwa 2500 Menschen nahmen an einer Sitzblockade teil, um gegen den Krieg im Irak zu protestieren.
Peace und Pop: Der Sänger der türkischen Band "Athena" singt am 14. Mai 2004 während einer Probe zum Eurovision Song Contest in Istanbul. Auf der Innenseite seiner Jacke sind zwei Peace-Zeichen zu erkennen.
Peace-Frisur: Der deutsche Fußball-Nationalspieler Kevin Kuranyi lacht am 26.03.2003 in Herzogenaurach bei einer Presse-Konferenz mit seinem zum Peace-Zeichen rasierten Bart in die Kameras
Gegen Atomwaffen: Demonstranten mit Peace-Transparenten bei einer Kundgebung gegen Atomwaffen in Großbritannien. Trotz Regens marschieren die Protestierenden im April 1958 durch die Straßen von Aldermaston.
CND-Sonnenbrille: Ein junger Demonstrant hat für die von britischen Atomprogramm-Gegnern organisierte Kundgebung am 11. April 1966 seine Sonnenbrille mit Peace-Zeichen bemalt
Protest gegen Irak-Krieg: Ein Kind mit geschminktem Gesicht läuft am 20. März 2003 in einem Demonstrationszug in Berlin. Nach dem Beginn des Irak-Krieges versammelten sich tausende Berliner, um gegen den Angriff auf den Irak zu protestieren.
Dahab nach den Anschlägen: Nach einem terroristischen Anschlag in Dahab (Ägypten) steht am 26. April 2006 eine Tafel mit dem Peace-Zeichen vor einem Restaurant - das Wort "Frieden" ist auf englisch, arabisch und häbräisch darunter zu lesen. Bei dem Anschlag wurden 23 Menschen getötet.
Renaissance des Peace-Zeichens: Während einer Anti-Kriegs-Demo in Washington 2003 hält der Demonstrant Paul Collins, ein aus Holz gezimmertes Peace-Zeichen hoch. Bei den weltweiten Demonstrationen gegen den Irak-Krieg sind Friedenssymbole wie das Peace-Zeichen und die Friedenstaube allgegenwärtig. Auch Geschäftsleute haben ihre Chance erkannt und bieten passende Accessoires an.
Victory: Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann (r.), scherzt vor Prozessbeginn im Landgericht in Düsseldorf und macht ein Victory-Zeichen. Bei dem Mannesmann-Prozess ging es um umstrittene Prämien und Pensionsabfindungen von 57 Millionen Euro.
Winston Churchill: Der britische Premierminister Winston Churchill zeigt am 25. Juni 1954 das "V"-Zeichen für Victory nach seiner Ankunft am National Airport in Washington
Vesper beißt in "friedlichen Amerikaner": Hochkonjunktur hat das Peace-Zeichen vor allem in Kriegszeiten - wie etwa hier nach Beginn der Irak-Offensive 2003. Beherzt biss der damalige nordrhein-westfälische Kultur- und Sportminister Michael Vesper (Die Grünen) in einen "Amerikaner" mit den umrundeten Strichen. Ausgedacht hatte sich das essbare Friedenssymbol eine Solinger Konditorei, die mit dem Verkauf der süßen Peace-Botschafter Geld für humanitäre Hilfe im Irak sammeln wollte.
Bunt für den Frieden: Attac-Aktivisten haben sich für eine Protest-Veranstaltung in Rostock die Gesichter bunt bemalt - für eine bessere Welt
Ostermarschierer in der Provinz 1967: Friedlich verlief der Ostermarsch im holsteinischen Neumünster im März 1967. Die Teilnehmer des Marsches und der anschließenden Kundgebung forderten die Schaffung von atomwaffenfreien Zonen, ein Ende des nuklearen Wettrüstens und eine Verständigung der Machtblöcke um die Gefahr eines Krieges zu verringern.
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