
"Perry Rhodan" Opa from Outer Space
Hat er sie wirklich alle gelesen? "Ja, schon", sagt Peter Duelp. Dabei zuckt der Münchner mit den Schultern, als ob das keine besondere Leistung wäre. Ist es aber. Perry Rhodan, der längste Fortsetzungsroman aller Zeiten, besteht nämlich aus 2600 Heften. Sci-Fi-Fan Duelp hat also 156.000 Seiten verschlungen - mehr, als manch einer im ganzen Leben liest.
Jede Woche kommt ein weiteres Heft mit 60 Seiten hinzu, quantitativ gibt es kaum etwas Vergleichbares. "Höchstens die 'Menschliche Komödie'", sagt Perry-Chefredakteur Klaus Frick. Das ist freilich Understatement, denn Honoré de Balzacs Weltepos kommt nur auf klägliche 15.000 Seiten.
Erdacht wurde die Serie von den deutschen Science-Fiction-Autoren Walter Ernsting (Künstlername Clark Darlton) und Karl-Herbert Scheer. In oberbayerischen Irschenberg saßen die beiden 1961 zusammen. "Zuerst wurde 'ne Flasche Whisky auf den Tisch gestellt. Man muss was trinken.", erinnerte sich Ernsting später. "Und dann kommen die Ideen."
Was, wenn die Astronauten auf Aliens stießen?
US-Präsident John F. Kennedy hatte gerade das Apollo-Programm ins Leben gerufen, und eine Frage ließ die beiden Autoren seitdem nicht mehr los: Was wäre, wenn amerikanische Astronauten auf dem Mond landeten - und dort auf Aliens stießen? Wie würde die weitere Geschichte der Menschheit dann verlaufen?
Scheer und Ernsting schrieben es auf. Bereits am 8. September 1961 erschien das erste Heft "Unternehmen Stardust". Die Handlung im Schnelldurchlauf: Der deutschstämmige US-Astronaut Perry Rhodan landet mit seiner Crew 1971 als erster Mensch auf dem Mond. Dort hängen bereits ein paar mächtige, aber auch ziemlich degenerierte Außerirdische mit ihrem havarierten Raumschiff herum.
Der nassforsche Rhodan luchst den sogenannten Arkoniden ihre überlegene Technik ab, verhindert damit auf der Erde den Dritten Weltkrieg und führt die Menschheit danach im Schweinsgalopp zu den Sternen. Zwischendurch bekommt er von der Superintelligenz ES praktischerweise einen Apparat namens Zellaktivator umgehängt und ist fürderhin unsterblich.
3000 Jahre Menschheitsgeschichte im Groschenromanformat
All das erzählten Scheer und Ernsting nicht bruchstückhaft, sondern fortlaufend. Nach ihnen schrieben andere die Story fort. Aktuell ist die Serie im Jahr 5050 angekommen und liefert somit 3000 Jahre Menschheitsgeschichte. Das entspräche der Zeit von König Salomo bis heute. "Diese Kontinuität ist das Packende", sagt Rhodan-Fan Duelp. "Deshalb kann man niemals aufhören, auch wenn zwischendrin ein paar Hefte schwächer sind."
Literarisch oszillieren die beim Pabel-Moewig-Verlag in Rastatt wöchentlich erscheinenden Heftromane zwischen erstklassiger Sci-Fi und mittelschwerer Körperverletzung. Das liegt daran, dass die gigantische Textmenge von 3000 Seiten pro Jahr nur von einem Autorenteam unter der Führung eines so genannten Exposé-Autors (Expokrat) bewältigt werden kann.
Chefredakteur Frick geht zu dem Regal hinter seinem Schreibtisch. Hier stehen nicht nur Kopien aller schon erschienenen Romane, sondern auch die dazugehörigen Exposés. Er holt eines der vergilbten Manuskripte hervor. Es datiert von 1980, darüber steht "Exposé für den 1000. Band". Jeder Autor bekommt solch ein Briefing ausgehändigt, bevor er ein Heft schreiben darf.
Parteitag der Perry-Autoren
Seit Jahrzehnten gibt es jährlich eine Art Perry-Parteitag mit allen Autoren, auf dem die übergreifende Handlung und der langfristige Metaplot festgelegt werden. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, und so kann es schon passieren, dass sich die Fans mal durch ein paar Hundert Seiten galaktischer Grütze kämpfen müssen. Sie tragen es mit Fassung, denn es ist ja die große Linie, die zählt - jene epischen Kämpfe der Terraner mit den Meistern der Insel oder den Chaotarchen, die sich über hundert oder mehr Hefte hinziehen können.
Weil die Serie bereits seit dem Bau der Berliner Mauer am Kiosk liegt, ist sie ein Stück Zeitgeschichte. Auch wenn das nie geplant war, kann man die großen Entwicklungen der westdeutschen Republik im Perryversum wiederentdecken.
In der Anfangsphase etwa war der Alien oft synonym mit dem bösen Russen und wurde durch beherzte Präventivschläge atomar eingeäschert. "Der Kommandant ist klug", heißt es in einem frühen Heft, "er schießt erst, ehe er fragt." Die schneidige, kriegerische Version von Rhodan entstammte vor allem der Feder des langjährigen Exposé-Autors Karl-Herbert Scheer. Der war zwar ein ideenreicher Schreiber, litt jedoch an einem schlimmen Militärfetisch. "Kanonen-Herbert", wie ihn die Fans nannten, erging sich gerne in seitenlangen Beschreibungen immer größerer Kriegsgeräte, nebst Angabe ihrer Megatonnen-Sprengkraft.
Als ein Journalist den Perry-Miterfinder einst fragte, ob dem blonden und blauäugigen Rhodan denn auf Terra alle zu Befehl und Gehorsam verpflichtet seien, antwortete Scheer ohne ein Lächeln: "Ja. Und das muss sein. Denn Perry Rhodan ist der Großadministrator des Solaren Imperiums."
Der intergalaktische Ersatzhitler
Die ARD-Sendung "Monitor" sah in den Groschenheftchen 1969 denn auch ein "Zeichen für mentale Rückständigkeit". Perry Rhodan predige Kriegstreiberei und sei eine Art "Ersatzhitler". In den linken Siebzigern standen die Leser der Serie deshalb unter dem Generalverdacht, faschistoide Rassisten zu sein. Dass bei Scheer zum engsten Führungskreis des Großadministrators von Anfang an Schwarze, Aliens und Juden gehörten, fiel keinem auf.
Dennoch war spätestens Anfang der siebziger Jahre klar, dass die Serie eine neue, zum Zeitgeist passende Ausrichtung brauchte. Unter Chefautor William Voltz musste Rhodan mit den Aliens ab 1975 intensive Gruppendiskussion führen. Intergalaktische Völkerverständigung war das Gebot der Stunde.
Diese friedensbewegte Ausrichtung führte freilich dazu, dass die Serie irgendwann an Alienversteherei und kosmisch-metaphysischen Blabla zu ersticken drohte. In der 1986 erschienenen Rhodan-Satire "Die Galaktische Gurke" werden die Protagonisten als frustrierte Space-Softies karikiert, die gerne mal wieder zünftig ein paar Planeten verdampfen würden. Das war von der Realität der Serie gar nicht so weit entfernt.
Endlich wieder ballern
Erst in den Neunzigern durfte wieder mehr geballert werden. Hoffnungsträger und Gutmensch Rhodan wandelte sich nun zu einem eher postmodernen Helden. Der Großadministrator-Job nervte ihn nach über tausend Jahren, er rang mit Identitätsproblemen.
Die Serie versuchte ferner, etwas von ihrer Verklemmtheit loszuwerden. Neuerdings hat der Weltraum-Opa sogar eine Freundin, mit der er vermutlich auch schläft. Schon früher durfte Rhodan zwar Kinder haben - wo die herkamen, wurde freilich nie thematisiert; die meistenteils männliche, technikaffine Leserschaft hatte wenig Sinn für Space-Romantik.
Für sie steht der alternative Entwurf der Menscheitsgeschichte inklusive eigener Evolution im Vordergrund. Das bis ins kleinste Detail auserzählte Paralleluniversum macht die Faszination Perry Rhodans aus, stellt die Macher aber gleichzeitig vor ein Riesenproblem. Denn für Neuleser sind die Hefte in etwa so zugänglich wie die Strafprozessordnung für Nichtjuristen.
Angriff der Space-Fachbegriffe
Die Serie ist ein Dschungel aus Fachbegriffen: Hyperimpedanz, Báalol-700-Klone, VATROX-CUUR, Perianth-Schlüssel. Dazu kommen die kathedralenhaften Storybögen - einer, der berüchtigte Thoregon-Zyklus, erstreckt sich über 400 Hefte. In einem Einführungs-Flyer versucht der Verlag, neuen Lesern die bisherige Handlung in einer Zusammenfassung so zu erklären:
"Nachdem die Bewohner der Milchstraße das Entstehen einer Negasphäre in der Galaxis Hangay abgewendet und die Terminale Kolonne TRAITOR, den unendlich großen Heerwurm der Chaotarchen, somit zum Abzug veranlasst haben, konnten sich die Sternenreiche in den letzten 116 Jahren relativ friedlich entwickeln."
Aha. Angesichts dieser Detaildichte ist auch das Rekrutieren neuer Autoren schwierig. "Die meisten kommen aus der Fanszene", sagt Chefredakteur Frick. Er selbst ist das beste Beispiel: Schon in der Schulzeit gründete er einen Perry-Rhodan-Fanclub. Vorbildung muss sein, ein Frischling würde zu viele Fehler machen - da hilft auch das Wiki "Perrypedia" mit fast 25.000 Einträgen nichts.
Auflagen-Bruchlandung in den USA
Während Rhodan in seinen bisher 3114 Lebensjahren so ziemlich jede Ecke des Kosmos bereist hat, konnte er auf seinem Heimatplaneten nicht überall reüssieren. Obwohl er laut Perrypedia aus Manchester (Conneticut) kommt, haben sich die Amerikaner nie für die Kraut-Science-Fiction interessiert.
Dabei mangelte es nicht an prominenter Unterstützung. Forry Ackermann, der Grandseigneur der US-Sci-Fi-Szene, brachte die Groschenheftchen 1966 in die Staaten. Kaum jemand wollte sie lesen.
"Fortsetzungsromane sind eben ein mitteleuropäisches Phänomen", glaubt Frick. Entsprechend saust Rhodan in Französisch, Holländisch oder Tschechisch durchs All. Zudem erscheint die Serie derzeit noch in Japan und Brasilien.
Der Quastenflosser der Science Fiction
Die wöchentliche Auflage ist allerdings von fast einer Million (1969) auf 80.000 geschrumpft. Perry Rhodan ist damit aber noch immer einer der Topseller des Pabel-Moewig-Verlags, der ansonsten Titel wie "Riesen Rätsel Revue" oder "Coupé" im Sortiment hat.
Vor Wochen endete der aktuelle Heftzyklus von 2500 bis 2599, in dem Rhodan das Geheimnis der von den Halbspur-Changeuren betriebenen Polyport-Höfe lösen musste, die von der Frequenz-Monarchie angegriffen wurden. Aber mithilfe des Paralox-Arsenals hat er die Sache dann doch irgendwie gewuppt.
Danach wartet bestimmt die nächste intergalaktische Katastrophe, die Rhodan routiniert lösen wird. Wie lange der "Quastenflosser der Science Fiction" ("Die Welt") noch durchhält, weiß keiner. Für ein paar zehntausend weitere Seiten wird es bestimmt noch reichen. Einen Rekord könnte der deutsche Captain Kirk vielleicht noch brechen: Wenn Perry Rhodan, der die Marke von 1 Milliarde verkaufter Hefte längst geknackt hat, hierzulande irgendwann auf eine Gesamtauflage von mehr als 2,5 Milliarden käme, hätte der Heftroman sogar die Bibel überholt.