
Horst Fascher: Cluberöffnung mit den Newcomern aus Liverpool
Legendärer Star-Club Rockfürst der Reeperbahn
Auf der Bühne im Hamburger Musikclub Indra standen hagere Männer in violetten Jacketts und spielten ungewohnt harte Melodien. Unter den Gästen war an diesem Mittwochabend auch der vorbestrafte Ex-Boxmeister und Musikmanager Horst Fascher. Keine halbe Stunde lang ertrug der 24-Jährige die Musik der unbekannten Truppe aus England, dann ging er genervt in einen anderen Club. "Die Schrammeln mir zu viel", sagte er dort zu Freunden, "die kannst du vergessen."
Die Band, die an diesem 17. August 1960 das Indra rockte und Horst Fascher so nervte, nannte sich "The Silver Beatles". Eineinhalb Jahre später starteten die vier jungen Männer hier auf dem Hamburger Kiez die beeindruckendste Karriere der Musikgeschichte – im Star-Club. Und dieser Laden gehörte ausgerechnet dem Mann, der die Musik der Beatles zuvor noch als "schrammeligen Schrott" bezeichnet hatte: Horst Fascher.
In dem Rockschuppen auf Hamburgs großer Feiermeile traten die Beatles am 13. April 1962 bei der Cluberöffnung zum ersten Mal auf, das Datum wurde zum Urknall des Pop. Eng verknüpft damit war eben jener Fascher, der den Star-Club mitgegründet und die Beatles engagiert hatte. Doch während die Jungs aus Liverpool in den Sechzigern Weltstars wurden, saß Fascher auf Anklagebänken und in Gefängniszellen, stieg immer weiter ab - und mit ihm der legendäre Musikclub an der Großen Freiheit 39.
Dabei war der Andrang beim ersten Gig im Star-Club vielversprechend. Fascher und sein Mitstreiter Manfred Weissleder hatten in den Wochen zuvor das ehemalige Stern-Kino umgebaut und Plakate gedruckt: "Die Not hat ein Ende!", stand darauf, und: "Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!" Fascher war eigens nach Liverpool gereist, um "The Silver Beatles" zu engagieren. Der Club-Manager war nach wie vor nicht wirklich von der Gruppe überzeugt, die ihn knapp zwei Jahre zuvor überhaupt nicht gefallen hatte und vor allem Hits amerikanischer Rockbands coverte. Doch Fascher hatte auch registriert, dass Mädchen auf die jungen Musiker flogen.
Karriere mit Schlagring und Boxhandschuhen
An sechs Abenden in der Woche spielten die Liverpooler im Frühjahr 1962 im Star-Club, für 500 Mark Gage pro Mann und Woche. Inhaber Weissleder und Geschäftsführer Fascher ahnten nicht, dass in ihrem Musikclub gerade eine Jahrhundert-Band heranreifte. Dabei hätte die Polizei den Aufstieg der Beatles in Deutschland beinahe beendet, lange bevor es den Star-Club gab.
Am 1. November 1960 hatten die Briten, damals noch zu fünft, bei ihrem ersten Aufenthalt in Hamburg einen Blauen Brief von der Polizei erhalten: Binnen 30 Tagen mussten sie ausreisen, weil George Harrison erst 17 war – zu jung, um in Nachtclubs zu spielen. Es hätte das vorzeitige Ende der Beatles sein können, womöglich wären die Briten nie wieder nach Deutschland gekommen. Die Rettung brachte ebenfalls Horst Fascher, der mehrfach vorbestrafte Sohn einer Putzfrau und eines Heizers. Er engagierte die Jungs ein halbes Jahr später, ließ sie zwischen April und Juli 1961 im Club "Top Ten" auftreten und holte sie wenige Monate später in den Star-Club.
Es war die goldene Zeit des Kiezes – und der Höhepunkt der Freundschaft zwischen Fascher und den Beatles. Gemeinsam zogen sie über die Reeperbahn, sexuelle Eskapaden, Alkohol und Amphetamine inklusive. Abends ließ Fascher die Beatles sieben Stunden lang spielen. Regelmäßig musste er John Lennon vor Schlägern schützen, wenn der mal wieder jemanden als "Nazi-Bastard" beschimpft oder auf der Bühne "Sieg Heil" gebrüllt hatte. Fascher war Manager und Bodyguard der Band - bis der Erfolg kam.

Horst Fascher: Cluberöffnung mit den Newcomern aus Liverpool
Während die Briten immer berühmter wurden, machte der Ex-Boxer sich einen Namen als Schläger auf dem Kiez – mit Schlagring und Boxhandschuhen: Mal zertrümmerte er einem Gastwirt die Auslagen oder verprügelte mit seinen Kumpeln eine halbe Fußballmannschaft. Im September 1963 schlug Fascher den Geschäftsführer eines konkurrierenden Lokals nieder, Die "Schwarze Gang", der er angehörte, hielt St. Pauli in Atem, regelmäßig landeten die Opfer der wilden Kiez-Nächte im Krankenhaus. Fascher erarbeitete sich mit Kieferbrüchen und ausgeschlagenen Zähnen Respekt – und haufenweise Anzeigen bei der Polizei.
"Fascher schlug sofort los"
Die Beatles hingegen stiegen kometenhaft auf. Schon am 9. Mai 1962 hatten sie ein Telegramm ihres Managers Brian Epstein aus Liverpool erhalten: "Glückwunsch, Jungs. EMI bittet um Aufnahmesession. Probt neues Material." Lennon und Paul McCartney komponierten los, bauten in das neue Stück eine Mundharmonika-Passage ein, die sie den "Fuhlsbüttel-Blues" nannten - fertig war "Love Me Do", die erste Single der Beatles. Als McCartney seinen Mentor Fascher nach seiner Meinung fragte, gab der dem Song eine klare Absage: "Vergiss es", sagte er. "Das wird nichts, bleibt mal lieber beim Rock'n'Roll." Sie hörten nicht auf ihn - und wurden weltbekannt.
Ein Jahr später veröffentlichten die Beatles ihr erstes Studioalbum und landeten ihren ersten großen Hit: "I Want To Hold Your Hand" erschien im November 1963, der erste Millionenseller. Währenddessen baute Fascher seinen Ruf als Schläger aus, der Star-Club wurde zum Schauplatz ausufernder Prügeleien: Innerhalb von vier Jahren wurden dort 23 Menschen brutal misshandelt - so ermittelten es die Behörden. Am 8. Januar 1964 stand die Polizei vor Faschers Tür.
Dreieinhalb Monate später saß der Ex-Boxer auf der Anklagebank, ihm wurde im ersten "St.-Pauli-Prozess" gefährliche Körperverletzung in acht Fällen vorgeworfen. Seine Taktik war kühn: Laut "Hamburger Abendblatt" nannte er die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft "Erfindungen der Polizei" und behauptete, sich nicht an alles zu erinnern. Zu seinem Pech erinnerten sich andere. "Fascher schlug sofort los", sagte ein Zeuge vor Gericht: "Als der Wirt hinfiel und besinnungslos dalag, traktierte er den ohnmächtigen Mann mit Fußtritten." Fascher, erst 28 Jahre alt, wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Es sollte nicht sein letzter Auftritt vor Gericht sein.
Im selben Jahr kam nach drei erfolgreichen Alben der erste Beatles-Film in die Kinos: "A Hard Days Night". Nur ein Jahr später erschien bereits der Nachfolge-Streifen "Help!". Als erste Musikgruppe füllten die Beatles nun ganze Stadien, jede Auskopplung wurde ein Nummer-eins-Hit. Die Band konnte es sich sogar erlauben, Konzerte nach nur einer halben Stunde zu beenden. Es war der Beginn eines weltweiten Hypes: der "Beatlemania".
Die Beatles im Höhenflug, ihr Entdecker im Krieg
Fascher hatte währenddessen mal wieder Besuch von der Polizei bekommen. Am 22. April 1965 saß er kleinlaut in Saal 378 des Hamburger Landgerichts, ihm gegenüber die Ankläger der Großen Strafkammer 12. Noch in seiner Bewährungszeit hatte er wieder zugeschlagen, die Richter stuften ihn in ihrem Urteil deshalb als "Gewohnheitsschläger" ein: drei Jahre Haft, keine Bewährung.
Die Beatles brachten 1965 ihr sechstes Studioalbum heraus, erhielten gleich zwei Grammys und im Oktober sogar den Ritterschlag von der Queen.
Als Fascher im Sommer 1967 wieder auf freien Fuß kam, war seine frühere Welt zerstört: Die Polizei hatte ihm eine Karte mitgegeben, auf der St. Pauli schraffiert war: Der Kiez, seine Heimat, war für Fascher Sperrgebiet. Heimlich schlich er sich trotzdem noch einmal in den Star-Club, verkleidet mit Hut und Brille, und war entsetzt: "Die Leute sahen blöd aus und genauso klang ihre Musik", schrieb er später in seinen Memoiren. Es war sein letzter Besuch.
Fascher wollte weg. Er ließ seine Kontakte spielen, heuerte als Manager in Vietnam an. Dort sollte er zwei Monate lang mit Schauspieler Bob Hope die stationierten US-Soldaten belustigen. Er blieb zwei Jahre: Der ehemalige St.-Pauli-Schläger organisierte Konzerte, tourte durch das vom Krieg gebeutelte Land, sah Menschen direkt neben sich sterben. Als Fascher 1969 wiederkehrte, war er ein anderer Mensch – und St. Pauli ein anderer Kiez.
Ihr letztes Konzert verfolgte er aus dem Knast
Die Beatles hatten mittlerweile alle Rekorde gebrochen und nahezu jeden wichtigen Preis gewonnen. Ihr Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" sollte sich als Meilenstein in der Popmusikgeschichte erweisen, die Band hatte sich vom Rock'n'Roll entfernt und war experimenteller geworden. Obwohl ein Welterfolg auf den nächsten folgte, war der Wegbereiter der Beatles von ihrer Musik immer noch nicht sonderlich begeistert: "Was sie später selbst so geschrieben haben", sagte Horst Fascher Jahre später in einem Interview, "gefiel mir nicht so."
Indessen war der Star-Club am Ende: Seit Jahren hatte der Rockschuppen Verluste gemacht und Schulden aufgehäuft, Ende 1969 musste Inhaber Manfred Weissleder den legendären Club schließen. Seine große Zeit war da aber schon lange vorbei: An Silvester 1962 hatten die Beatles ihren letzten Song im Star-Club gespielt. Am Ende des Abends schnappte sich John Lennon das Mikrofon: "Wenn wir das nächste Mal kommen, werdet ihr den roten Teppich für uns ausrollen." Er sollte recht behalten.
Ihr letztes Konzert in Hamburg gaben die Beatles am 26. Juni 1966. Horst Fascher erlebte den Auftritt von der anderen Straßenseite der Konzerthalle aus, im vierten Stock eines ummauerten Klotzes: dem Gefängnis. Um die Musik besser hören zu können, sprang er immer wieder hoch zum vergitterten Fenster seiner schmalen Zelle. Zum letzten Mal lauschte er jener Jahrhundert-Band, der er den Weg zum Ruhm bereitet hatte.
Auf der Bühne widmete McCartney einen Song seinem Freund "Horstie".