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Von der Reichs- zur D-Mark: Neues Geld neues Glück

Währungsreform Der Teuro von 1948

Sie hatten jede Menge Geld und trotzdem Hunger: Nach dem verlorenen Krieg fanden sich die Deutschen im Wirtschaftschaos wieder. Bis die D-Mark kam. Die neue Währung sorgte im Juni 1948 von heute auf morgen für volle Läden - aber auch für einen Showdown mit den Sowjets.
Von Michael Heim

Keiner durfte es wissen. Unter den Planen der amerikanischen Militärlaster, die vor dem Gebäude in der Frankfurter Taunusanlage hielten, kamen nur unbeschriftete Stahlkisten hervor. Hunderte von Angestellten arbeiteten in dem Gebäude, in dem die Boxen verschwanden, doch nur sechs Personen wussten, was sich dort im Keller, streng abgeschottet, zu stapeln begann. Aus den USA waren die gewichtigen Kisten im Frühjahr 1948 per Schiff in Bremerhaven eingetroffen, mit Ziel Barcelona - das jedenfalls hatte in den Frachtpapieren gestanden. Doch dann war die Ladung umdirigiert worden. Monatelang brachten Lkw-Konvois die geheime Fracht von Bremerhaven nach Frankfurt am Main zu dem Gebäude mit dem großen Keller - und nicht einmal die Wachen am Ziel ahnten, welcher besondere Stoff in den 23.000 Kisten lagerte.

Der Krieg war vorbei, das Land lag am Boden; besetzt und aufgeteilt von den vier Siegermächten. Auf deutsche Tische kamen Steckrüben und dünne Suppe, der Kohlenklau war fester Bestandteil der Wintervorsorge, die Städte boten ein Bild der Verwüstung. Und doch lag weit weniger in Trümmern, als es zunächst den Anschein hatte.

Die Schäden seien schnell zu beheben, Maschinen und Hallen überwiegend intakt, die Arbeiter am Platz, berichtete etwa ein Gutachter, der für die US-Militärregierung die Bedingungen für den Wiederaufbau im fränkischen Fürth untersuchen sollte. Der Experte, ein Ökonomieprofessor namens Ludwig Erhard, sah für einen raschen Wiederaufbau daher kein Hindernis. Auch beim Stahlgiganten Krupp beurteilte man die Lage durchaus optimistisch. Je nach Sparte glaubte man, zwischen 20 und 40 Prozent der Höchstproduktion erreichen zu können - aus dem Stand.

Schwimmen im Geld

Ein Wunder war das durchaus nicht. In vielen Unternehmen hatte man der NS-Propaganda vom "Endsieg" angesichts der näher rückenden Fronten keinen Glauben mehr geschenkt und sich nach Kräften bemüht, die Belegschaft zusammenzuhalten und Rohstoffe zu bunkern. Auch waren Deutschlands Industrieanlagen 1945 besser ausgebaut als vor dem Krieg. Die alliierten Bomber hatten vor allem die Wohngebiete der Arbeiter ins Visier genommen, und so waren im Krieg lange Zeit Kapazitäten schneller entstanden, als sie zerstört wurden. Das Potential für ein Wirtschaftswunder war also da. Das Problem lag an einer ganz anderen Stelle: Die Deutschen hatten zu viel Geld.

Die Nazis nämlich hatten 1936 per Dekret die Preise eingefroren und seitdem nach Bedarf neues Geld für Aufrüstung und Krieg gedruckt. Der Preisstopp verhinderte, dass die Lebenshaltung teurer wurde und in der Bevölkerung für schlechte Stimmung sorgte. Doch änderte er nichts daran, dass der tatsächliche Wert der Reichsmark immer mehr verfiel, je mehr Geld in Umlauf gelangte. Ohne Gegenmaßnahmen wären mit der Geldflut die Regale leergekauft worden. Deshalb musste man beim Einkauf bald Scheine aus dem Portemonnaie ziehen, die es weniger reichlich gab als die Reichsmark: Lebensmittelmarken, Kleiderkarten und andere Bezugsscheine rationierten das Angebot.

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Von der Reichs- zur D-Mark: Neues Geld neues Glück

Nach Kriegsende verschärfte sich die Situation. Die alliierten Besatzer ließen die Reichsmark als Zahlungsmittel im Umlauf und druckten für den eigenen Bedarf noch reichlich "Militärmark" nach. Dermaßen im Geld zu schwimmen, lähmte den Wiederaufbau. Unternehmen konnten keine Gewinne machen, die auch etwas wert gewesen wären - also produzierten sie wenig und horteten lieber. Arbeiter verdienten mehr, als sie angesichts der Rationierung ausgeben konnten, also machten sie auf lau, jedenfalls nach den Maßstäben der Zeit. "Anstatt 48 werden meist nur 40 Stunden gearbeitet", monierte im Mai 1948 der SPIEGEL, eine "erhebliche Leistungssteigerung" sei möglich.

Zahlbar in Rauch

Die meisten Geschäfte wurden bald bargeldlos abgewickelt - nicht per Kreditkarte, sondern durch den Tausch von Naturalien. Städter brachen zu Hamsterfahrten ins Umland auf und tauschten den Familienschmuck gegen Lebensmittel, was so manchem Bauern zu unverhofftem Wohlstand verhalf. Der Schwarzmarkt florierte, und an den Straßenecken setzte sich schnell ein halboffizielles Zahlungsmittel durch: Man rechnete in Zigaretten ab.

Mit diesem Chaos musste Schluss sein - darin waren sich die Alliierten offiziell einig. Hinter den Kulissen jedoch regierte das Misstrauen. Pläne für eine Währungsreform lagen schon seit 1946 in der Schublade, doch im Alliierten Kontrollrat kamen die Gespräche nicht voran. Der sowjetische Vertreter verschleppte die Beratungen; in der amerikanischen Militärregierung nahm man an, die Sowjets hätten kein echtes Interesse an der Schaffung funktionierender Märkte und wären vor allem an der Ausbeutung Deutschlands und der Demontage der industriellen Anlagen interessiert.

Am Poker um das neue Geld waren bald auch die Geheimdienste beteiligt. Sowjetische Agenten versuchten dringend in Erfahrung zu bringen, ob Amerikaner und Briten einen Überraschungscoup vorbereiteten und im Alleingang eine neue Währung in ihren Zonen einführen wollten. Im Gegenzug interessierte sich der US-Geheimdienst intensiv für eine Druckerei in Leipzig, die im Osten für den Notendruck in Frage kam. Der Grund für das Gezerre war naheliegend: Wenn es einer Seite gelingen sollte, die andere mit einer Währungsreform zu überrumpeln, würde eine Flut von Altgeld in die Besatzungszone des Nachzüglers schwappen und die Reichsmark dort endgültig wertlos machen. Wer so überrascht wurde, konnte sich der Währungsreform der anderen Seite nur noch anschließen - oder musste sofort seine eigene Währung aus dem Hut zaubern. Wohl dem also, der vorbereitet war.

Wettrüsten mit Papier

Und so kam es, dass seit Februar 1948 in großer Heimlichkeit amerikanische Militärlaster durch Deutschland rollten und Kisten voller frischgedruckter D-Mark-Scheine im Keller des Frankfurter Reichsbankgebäudes verschwanden. Die Banknoten waren in den USA hergestellt worden und sahen aus wie Dollar auf Deutsch - unter anderem hatten sich Figuren von amerikanischen Eisenbahnaktien auf die Scheine verirrt.

Auch den Ausgabeort hatte man vorsichtshalber weggelassen - die Tür für eine Einigung mit den Sowjets war damit noch nicht ganz geschlossen. Die hatten ihrerseits nicht genug geeignetes Papier, um sich mit eigenen Scheinen zu wappnen. So rüsteten sie stattdessen mit Aufklebern auf, mit denen sie im Bedarfsfall gebrauchte Reichsmark in eine neue Währung umetikettieren konnten.

Im Frühjahr 1948 machten mehr und mehr Gerüchte über die Einführung einer neuen Währung die Runde. Im Juni, als sich die Hinweise weiter verdichteten, war die Anspannung mit Händen zu greifen. Selbst der Schwarzmarkt kam zum Erliegen - die einen hielten nervös das Geld, die anderen die Waren fest. Am Freitag, dem 18. Juni 1948, hatte das Warten ein Ende: Per Rundfunk erfuhren die Bewohner der Westzonen, dass sie am Sonntag die neue Deutsche Mark an den Ausgabestellen für Lebensmittelkarten erhalten würden.

40 Mark sofort, 20 später

Der Schnitt war radikal, und nur eine Militärregierung konnte eine derart drastische Maßnahme durchsetzen. Pro Kopf durften lediglich 60 Reichsmark eins zu eins in die neue Währung umgetauscht werden - 40 Mark sofort, 20 Mark nach zwei Monaten. Zum zweiten Mal innerhalb einer Generation, gerade einmal 25 Jahre nach der Hyperinflation von 1923, verloren deutsche Sparer fast ihr gesamtes Vermögen. Wer 1000 Reichsmark auf der hohen Kante hatte, sah sein Erspartes durch den Währungsschnitt auf überschaubare 26 D-Mark geschrumpft; wer nur 500 Reichsmark hatte sparen können, behielt davon gar nichts übrig.

Ohne Verluste blieb allein, wer Sachwerte besaß. Die zu horten, gab es nun keinen Grund mehr, denn Geld war wieder knapp - und also etwas wert. Buchstäblich über Nacht kamen die zurückgehaltenen Waren aus den Kellern. Ebenso rasant stiegen aber auch die Preise. Der "Teuro" von 1948 brachte die Bürger, gerade erst ihrer Ersparnisse beraubt, erst einmal auf die Barrikaden. Mehrfach versuchte die SPD in der Opposition, Erhard aus seinem Amt als Wirtschaftsdirektor - dem Vorläufer des Wirtschaftsministers - zu entfernen. An einem Generalstreik im November beteiligten sich neun Millionen Menschen.

Der Blick in den Osten trug jedoch dazu bei, dass Erhards Marktwirtschaft nicht dauerhaft in Misskredit geriet. Schon vier Tage nach der West-Reform brachten die Sowjets in ihrer Zone ihre Aufkleber zum Einsatz. Doch die getunten Reichsmarkscheine - genannt "Tapetenmark" - waren auf dem freien Markt gerade mal ein Viertel der Westmark wert, und da Preiskontrollen und Planwirtschaft östlich der Elbe weitergalten, blieb das Wunder der gefüllten Schaufenster im Osten aus. Der Systembruch war vollzogen, die Einheit Deutschlands passé: Am Morgen des 24. Juni 1948 hatte Deutschland zwei Währungen.

Am Abend schlossen die Sowjets alle Zugänge nach Berlin.

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