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68er Plakate: Politik, Pop und Afri-Cola

Foto: Deutsches Plakat Museum

68er Plakate Politik, Pop und Afri-Cola

Plakatkunst zwischen Agitprop und Pop-Art: Eine große Plakat-Schau in Essen spürte dem Geist von 68 in der Welt der Grafik nach - einestages zeigt die wildestens, wichtigsten, wegweisenden Motive aus einem Jahr, das Geschichte schrieb.

Das Jahr 1968 gilt längst als Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. "68" demokratisierte breite Bereiche der Gesellschaft und veränderte nachhaltig das Rollenverständnis der Geschlechter. In den Siebzigern und Achtzigern knüpften die Anti-Atomkraft-, Dritte Welt- und Umweltbewegungen an 1968 an, und auch vierzig Jahre später ist das Interesse immer noch groß. Buchverlage und Zeitschriftenredaktionen, Radiostationen und Fernsehsender überbieten sich nicht erst sei Anbruch des Jubiläumsjahres mit kritischen Betrachtungen oder nostalgischen Hommagen an "68".

Doch die Auseinandersetzung über 1968 findet längst unter anderen Voraussetzungen statt als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Inzwischen gehört die Mehrheit der Autoren, die sich dem Phänomen "68" Beiträge widmen, einer Generation an, die die grundstürzenden Ereignisse von damals selbst nicht miterlebt hat. Sie betrachtet die sechziger Jahre stattdessen aus der historischen Distanz und steht den damals ausgelösten Veränderungen oft kritisch gegenüber. Kurz: 68 beginnt, selbst Geschichte zu werden.

Mit authentischen Bildern aus jener wilden Zeit konfrontiert die Ausstellung "68er Plakate. Politik, Pop und Afri-Cola", die noch bis zum 16. März im Essener Museum Folkwang  zu sehen ist, Nostalgiker wie Nachgeborene - vom legendären, knallroten Marx-Engels-Lenin-Plakat des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS ("Alle reden vom Wetter - wir nicht"), das einen Werbespruch der Deutschen Bundesbahn aufgriff und persiflierte (natürlich ebenfalls zu sehen), über Comic-Werbung bis hin zu einem Jimmy-Hendrix-Plakat, bei dem bunte Gitarrenkabel wie Haare den Kopf des genialen Gitarristen bedecken oder einer wilden Schrift-Bild-Collage als Konzertplakat für die 68er-Tournee von Diana Ross und den Supremes. 120 Exponate bieten einen Überblick über alle wichtigen Tendenzen in der Plakatgestaltung der sechziger Jahre.

Aus dem Strom der Historie

Das Jahr 1968 ist Chiffre für ein ganzes Bündel von Entwicklungen, die in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichten. In vielen Staaten und Städten auf der ganzen Welt kam es damals zu Studentenprotesten, keineswegs nur in Westdeutschland. In Mexiko-Stadt wurden zehn Tage vor Beginn der olympischen Sommerspiele von 1968 mehr als 500 protestierende Studenten von Regierungssoldaten getötet. In Prag beendeten Truppen des Warschauer Paktes im August den so genannten "Prager Frühling". Ereignisse wie die Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King und das Attentat auf den Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy heben das Jahr 1968 aus dem Strom der Historie heraus. Paris erlebte im Mai 1968 schwerste Studentenunruhen und einen Generalstreik solidarischer Arbeiter, der wochenlang das gesamte Land lahm legte.

Allerdings war 1968 auch das Jahr der Wende. In Frankreich ebbten die Proteste ab, nachdem die Regierung unter Staatspräsident Charles DeGaulle besetzte Universitäten und Betriebe geräumt und seine Partei die Parlamentswahlen Ende Juni gewonnen hatte. In Westdeutschland zeichnete sich schon bald nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze durch den Bundestag am 30. Mai 1968 das Ende der spontanen Massenproteste und eine Aufsplitterung der politischen Linken in sektiererische Kaderparteien ab. Zwei Kaufhausbrandstiftungen im April 1968 ließen erahnen, dass der Protest gegen den als totalitär empfundenen Staat in eine neue Phase eingetreten war - wenige Jahre später sollte sie in den Terrorismus der RAF münden.

Dabei hatte die Jugend der Sechziger zunächst vor allem gegen Eltern und Lehrer rebelliert. Erst gegen Mitte des Jahrzehnts rückte die gesellschaftliches und politisches Aufbegehren in das Zentrum, vor allem unter Studenten. Bald forderten die Jugendlichen größere Mitbestimmungsrechte an Universitäten und in Betrieben, prangerten autoritäre Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft an, forderten das Ende des Krieges in Vietnam. Nicht zuletzt ging die Politisierung einher mit der Forderung nach Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Eltern.

Plakat als einziges Medium

Es waren oft Plakate, die den 68ern dazu dienten, politische Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen - andere Medien der Außerparlamentarischen Opposition auch kaum zur Verfügung. Seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wurden Plakate aber auch gesammelt und in Jugendzimmern, Wohngemeinschaften und Clubs als Wanddekoration verwendet. Politische Plakate ebenso wie Werbeplakate für Musikveranstaltungen oder Produkte wurden zum Spiegel von Überzeugungen und Vorstellungen, die viele Jugendliche damals bewegten und die den entstehenden jugendlichen Gegenkulturen Ende der sechziger Jahre ihr Profil und ihren Zusammenhalt gaben - Zeitgenossen sprachen von einem regelrechten "Plakatfieber".

Mehr noch als in den fünfziger Jahren äußerte sich Ende der Sechziger der Protest der Jugend in der Musik. Rock und Folk lieferten den Sound der Revolte, in dem politische Forderungen, individuelles Aufbegehren und - nicht zuletzt - die sexuellen Bedürfnisse der Jugendlichen Ausdruck fanden. Neben der politischen Druckgrafik jener Jahre räumt die Essener Schau daher Werbeplakaten für Konzerte und Festivals sowie der Imagewerbung für Musiker breiten Raum ein - darunter Klassiker wie Günther Kiesers elegantes Pop-Art-Plakat "An Evening with Ella" für ein Deutschland-Konzert der Jazz-Sängerin Ella Fitzgerald.

Es ist das öffentliche Erscheinungsbild eines Schlüsseljahres der deutschen Nachkriegsgeschichte, das die Schau im Museum Folkwang rekonstruiert: So sah die Republik Anno 68 aus - zumindest an Plakatwänden und Litfasssäulen.

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