
Wannsee-Konferenz: Die Gesichter hinter dem Hass
Wannsee-Konferenz Die kalten Bürokraten des Genozids
Die Todesanzeige, die am 2. Februar 1987 in der Ulmer "Südwest Presse" erschien, war knapp gehalten. "Wir trauern um Dr. jur. Gerhard Klopfer, Rechtsanwalt", stand dort, "nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich standen." Es verabschiedeten sich die Ehefrau des Verstorbenen, dessen Schwester und die Töchter. Klopfers Beerdigung, so hieß es am Ende, habe bereits im engsten Familienkreis stattgefunden.
Der Tote, der zuletzt zurückgezogen in einem Haus in Ulm gelebt hatte, war vier Tage zuvor mit 81 Jahren gestorben. Und vielleicht hätte niemand von seinem Tod Notiz genommen, wäre da nicht diese Sterbeanzeige gewesen und dieser Satz - "zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich standen". So aber empörten sich erst die Leser der Zeitungen und dann die Zeitungen selbst. Es empörte sich der Zentralrat der Juden und schließlich ermittelte der Staatsanwalt, ob die Todesanzeige möglicherweise einen strafbaren Inhalt hatte.
Denn Doktor Klopfer, den Ulmer Bekannte später als freundlichen, aber farblosen Biedermann beschrieben, war nicht irgendwer: Der Jurist hatte im "Dritten Reich" steile Karriere gemacht und es bis zum Staatssekretär unter Hitlers Stellvertreter Martin Bormann gebracht. Und er hatte in dieser Position an der berüchtigten Wannsee-Konferenz teilgenommen, wo am 20. Januar 1942 15 Männer mit bürokratischer Kälte die "Endlösung der Judenfrage" berieten.
"Ein Wohltäter?"
Gerhard Klopfer, der Mann mit dem "Einflussbereich zum Wohle aller", hatte damit in Wahrheit Einfluss auf den Tod von Millionen genommen. Die Anzeige klang deshalb wie ein grausamer Scherz.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, war fassungslos. "Ein Wohltäter?", fragte die "Zeit" ironisch-verbittert. Der Historiker Markus Heckmann zeigt in seiner 2006 eingereichten Magisterarbeit aber auch, wie sich die Witwe des Verstorbenen bemühte, die Kritiker zu beschwichtigen. Gemeint seien doch "in erster Linie die Bekannten und Klienten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg" gewesen.
Gleichwohl habe der Text aber auch denen gegolten, "die uns so oft erklärt haben, wie anständig er sich stets verhalten hat" - ausdrücklich meinte sie damit sein Wirken im Nazi-Staat. Schließlich habe Klopfer dort gegenüber oberen Stellen Bedenken gegen Dinge angemeldet, "die unanständig waren und für die er anständige Lösungen suchte." War Klopfer ein Kämpfer gegen das Unrecht? Ein aufrichtiger Mann, der sich am Ende nichts hatte zuschulden kommen lassen?
In den folgenden Tagen puzzelten die Zeitungen die Biografie eines Muster-Nazis zusammen. Die "Südwest Presse" veröffentlichte am 4. Februar ein Porträt, in dem sie Klopfers bemerkenswerten Aufstieg im "Dritten Reich" rekonstruierte. Neben den Stationen des Juristen ("durchläuft alle Beförderungsstufen vom SS-Untersturmführer bis zum SS-Gruppenführer") fand auch seine Teilnahme an der Wannsee-Konferenz Erwähnung. Über die sollte der Angeklagte Adolf Eichmann später vor dem Gericht in Israel zu Protokoll geben: Als es bei Cognac um die Vernichtung der Juden ging, habe jedermann "fröhlich seine Zustimmung" gegeben.
Und es war vor allem Klopfers Teilnahme an dieser berüchtigten Konferenz, die die Empörung in Deutschland so groß machte. Denn die 90-minütige Sitzung in der Villa am Großen Wannsee wurde nach dem Krieg zu dem Symbol für die Detailplanung des fabrikmäßigen Massenmordes an den Juden - und die Entmenschlichung der Bürokratie.
Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Bedeutung der Wannsee-Konferenz nie so groß war wie behauptet: Hier wurde nichts entschieden, was nicht schon entschieden war - am Wannsee ging es um die Koordination der verschiedenen Behörden beim Genozid. Am 31. Juli hatte Reichsmarschall Hermann Göring den Chef der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich mit den "Vorbereitungen für eine Gesamtlösung der Judenfrage in Europa" beauftragt, die ersten Deportationen aus dem Reichsgebiet gab es am 15. Oktober 1941. Der Massenmord war bereits seit dem deutschen Überfall auf Polen und die Sowjetunion in vollem Gange. Lange vor der Konferenz.
Klopfers Tod brachte dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte noch einmal mit ganzer Wucht an die Öffentlichkeit. Und plötzlich gab es auch ein Bild zu einem Namen, den bis dahin allenfalls Historiker gekannt hatten. Heydrich, Eichmann oder Roland Freisler, der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofs - das waren die Männer, mit denen man ein Gesicht verbinden konnte. Jetzt also Klopfer, Gerhard, ein Bild zeigt ihn als Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, strenger Seitenscheitel, weicher Blick, ein junger Mann von 36 Jahren. 1942 war er im Zentrum der Macht angekommen. Martin Bormann machte ihn zum Staatssekretär in der "Parteikanzlei des Führers".
Bei Kriegsende flüchtete Klopfer, 1946 wurde er aufgegriffen und verhört. Als Zeuge im Wilhelmstraßen-Prozess, dem vorletzten der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, wollte er sich nicht mehr an die Inhalte der Wannsee-Konferenz erinnern. Er sei immer davon ausgegangen, dass die Juden "nur umgesiedelt" werden sollten. 1949 wurde er in Nürnberg als "minderbelastet" eingestuft, auch der Einspruch des Generalanklägers scheiterte. Klopfers ruhiges Leben in Ulm begann.

Wannsee-Konferenz: Die Gesichter hinter dem Hass
Als er 1987 starb, war er der letzte der 15 unmittelbar an der Wannsee-Konferenz Beteiligten. Aber er war nicht der Einzige, der nach dem Krieg ein relativ unbehelligtes Leben führen konnte. Auch der in Innsbruck geborene Weinhändler Otto Hofmann, zur Zeit der Konferenz SS-Gruppenführer aus dem Rasse- und Siedlungshauptamt, ließ es entspannt angehen. Aus ihm wurde ein unauffälliger kaufmännischer Angestellter im württembergischen Künzelsau.
"Mischlingsproblem endgültig bereinigen"
Während der Besprechung in der Villa Wannsee hatte sich Hofmann weit weniger unauffällig verhalten: So forderte er etwa, dass im Fall der "Mischlinge", also Nachkommen aus deutsch-jüdischen Verbindungen, von der "Sterilisierung weitgehend Gebrauch gemacht werden muss".
Mit dieser Zwangsmaßnahme planten die NS-Bürokraten das "Mischlingsproblem endgültig zu bereinigen", wie es an anderer Stelle hieß, schließlich stellte es sie vor komplexe Probleme: Denn nach ihrer Definition gab es "Mischlinge" ersten und zweiten Grades. Je nachdem, ob sie untereinander heirateten, Kinder hatten oder eine Ehe mit "reinrassigen" Deutschen eingingen, sollten sie unterschiedlich behandelt werden - ein großer Teil des Protokolls widmete sich allein solchen Fragen.
Vielsagend fügte Hofmann in dieser Diskussion hinzu, dass "der Mischling, vor die Wahl gestellt, ob er evakuiert oder sterilisiert werden soll, sich lieber der Sterilisierung unterziehen würde". Es war ein typischer Satz aus dem Wannsee-Protokoll, bei dem sich die mörderische Logik erst beim zweiten Lesen erschließt: Denn das Wort "Evakuierung", so glauben Zeithistoriker, war ein Tarnwort für "Deportation" oder "Ermordung". Dieser Meinung waren 1948 auch die Richter im Wilhelmstraßen-Prozess: "Soviel steht aber fest," urteilten sie über Hofmanns Einwendung zur Sterilisierung, "dass niemand die Unfruchtbarmachung als das kleinere Übel vorgeschlagen hätte, wenn er nicht vollständig überzeugt gewesen wäre, dass die Deportation das größere Übel gewesen wäre und den Tod bedeutet hätte."
So wurde Hofmann indirekt der Mitwisserschaft an dem Mordplan überführt - und kam trotzdem glimpflich davon: 1948 wurde er zwar zu 25 Jahren Haft verurteilt, bereits 1954 aber wieder begnadigt und aus dem Zuchthaus Landsberg entlassen. Bis zu seinem Tod 1982 warteten noch 28 Jahre Freiheit auf ihn.
"Es war eine übliche Besprechung"
Noch unbegreiflicher ist der Fall des Diplomaten und Russlandexperten Georg Leibbrandt, auch er wie Klopfer und Hofmann ein gebildeter Mann mit Doktortitel, der vor dem Krieg Theologie und Philosophie studiert hatte. Dr. phil. Leibbrandt war zwar als Ministerialdirektor für die besetzten Ostgebiete sogar schon vor der Wannsee-Konferenz bei einer Besprechung mit Heydrich über den geplanten Massenmord an den Juden eingeweiht worden, doch nach dem Krieg wurde er im Wilhelmstraßen-Prozess - für viele völlig unverständlich - lediglich als Zeuge befragt. Und dabei prompt von Ankläger Robert Kempner der Lüge überführt.
Der Dialog zwischen Leibbrandt und Kempner beweist, wie hohe NS-Bürokraten später unter plötzlichen Erinnerungslücken litten. Kempner ahnte das und begann seine Befragung betont harmlos.
Kempner: Waren Sie am Wannsee? Da hatte das Reichssicherheitshauptamt eine Sitzung?
Leibbrandt: Ja, da war mal eine Besprechung, ein Mittagessen. Heydrich hatte wohl dazu eingeladen, soviel ich weiß.
Kempner: Was wurde da besprochen?
Leibbrandt: Meines Wissens alles Mögliche ... Über den ganzen Kampf im Osten wurde gesprochen.
Kempner: Was hatte Heydrich damit zu tun?
Leibbrandt: (schweigt)
Kempner: Hatte das auch mit Juden zu tun?
Leibbrandt: Das ist wohl auch zur Debatte gekommen.
Jetzt zog Kempner seinen Joker. Denn inzwischen hatte der unermüdliche Ankläger eine Kopie des Wannsee-Protokolls aufgetrieben. In den Hauptkriegsverbrecher-Prozessen war das Dokument noch unbekannt gewesen. Auch Leibbrandt wusste nichts von dem Fund - und lief in die Falle:
Kempner: Da hat der Herr Leibbrandt an einer entscheidenden Sitzung über die Endlösung der Judenfrage teilgenommen? Das Protokoll habe ich.
Leibbrandt: Über die Endlösung der Judenfrage?
Kempner: Ja, lesen Sie aus dem Dokument die zweite Zeile. Was steht da?
Leibbrandt: Mein Name ... Es war eine übliche Besprechung, ohne genau zu wissen, was los ist, und dann wird ein Protokoll aufgesetzt.
Kempner: Läuft Ihnen nicht noch ein kalter Schauer herunter, wenn Sie an die Sitzung denken? Waren Sie erschüttert damals oder nicht?
Leibbrandt: Das kann man wohl sagen.
Binnen weniger Minuten hatte der Zeuge seine Taktik geändert, die Erinnerungslücken waren wie weggeblasen. Jetzt mimte er lieber den Betroffenen. Nicht gerade glaubwürdig, zumal Leibbrandt schon zwei Tage nach der Wannsee-Konferenz eifrig zu einer Dienstbesprechung lud. Das Thema: Die Definition des "Juden" in den Ostgebieten.
Doch die peinliche Befragung schadete nicht. Leibbrandt wurde 1949 aus der Internierung entlassen und nie als Beschuldigter vor ein Gericht gestellt. In bemerkenswerter Geschwindigkeit hatte das Landgericht Nürnberg-Fürth seine Voruntersuchungen 1950 innerhalb von sieben Monaten abgeschlossen.
Bis zu seinem Tod 1982 wurde Leibbrandt nicht mehr strafrechtlich verfolgt - und gelangte, wie in der NS-Zeit, schnell in eine Führungsposition: diesmal wurde er Leiter des Bonner Büros der damals bundeseigenen Salzgitter AG.