Fotostrecke

Kunstmaler, Antisemit, Kanzler: Als aus Hitler der "Führer" wurde

"Machtergreifung" Als Hitler Kanzler wurde

Es war der Startschuss für die größte Katastrophe der Geschichte: 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler. Seine Gegenspieler legten ihm die Macht leichtfertig vor die Füße - eigentlich stand die NSDAP nach Wahlniederlagen, Parteiaustritten und Flügelkämpfen am Abgrund.

Wie es zu Hitlers Triumph im Januar 1933 kam

Adolf Hitler war ein leidenschaftlicher Verehrer von Richard Wagner. Am Neujahrsabend des Jahres 1933 hörte er in München eine Aufführung der "Meistersinger von Nürnberg", jener Oper, die später den Reichsparteitagen der NSDAP in Nürnberg festlichen Glanz verlieh. Auch der amtierende Reichskanzler Kurt von Schleicher widmete sich am Neujahrsabend dem Musiktheater. Er hörte in Berlin Jacques Offenbachs Operette "Die Prinzessin von Trapezunt". An einer Stelle rief einer der Mitwirkenden: "Was machen wir nun?" Abweichend vom Libretto gab ein anderer zur Antwort: "Wir bilden eine neue Regierung und lösen den Reichstag auf."

Diese kecke Improvisation wurde vom Publikum mit schallendem Gelächter quittiert. Schleicher grinste süßsäuerlich angesichts des gelungenen Scherzes. Er war erst am 3. Dezember zum Reichskanzler ernannt worden und es war ihm bewusst, dass er auf schwankendem Boden agierte. Schleicher war parteilos und im Reichstag gab es außer den Deutschnationalen keine Kraft, die ihn vorbehaltlos unterstützte. Der Kanzler stand an der Spitze eines sogenannten Präsidialkabinetts, einer Regierung, deren Schicksal ganz vom Wohlwollen des Reichspräsidenten Hindenburg abhing.

Pechsträhne für die Nazis

Nach einer langen Zeit wachsender Erfolge war das abgelaufene Jahr für die Nationalsozialisten ausgesprochenen enttäuschend verlaufen. "Das Jahr 1932 ist eine einzige Pechsträhne", schrieb Joseph Goebbels in sein Tagebuch und der liberale Publizist Gustav Stolper notierte: "Das Jahr 1932 hat Hitlers Glück und Ende gebracht."

Am 31. Juli hatten die Nazis ihren größten Wahlsieg errungen. Sie waren auf 37,3 Prozent der Stimmen gekommen und stellten nun die mit weitem Abstand stärkste Fraktion im Deutschen Reichstag. Doch als am 6. November erneut gewählt wurde, erlitten sie eine herbe Niederlage. Die NSDAP verlor zwei Millionen Stimmen und 34 ihrer 230 Mandate. Noch massiver waren die Verluste bei den folgenden Kommunalwahlen in verschiedenen Ländern, in Thüringen waren es fast 40 Prozent der Stimmen, die die Partei bei den Reichstagswahlen im Juli erreicht hatte.

Nach dem Wahlerfolg im Sommer hatte man versucht, Adolf Hitler als Vizekanzler gemeinsam mit dem katholischen Zentrum und der deutschnationalen DNVP in eine Regierung der "nationalen Konzentration" einzubinden. Doch Hitler setzte nach wie vor auf eine Strategie des Alles oder Nichts und war nur bereit, als Kanzler in eine Regierung einzutreten, was aber an Feldmarschall Hindenburg scheiterte, der den "böhmischen Gefreiten" nicht ernennen wollte.

Atemlose Jagd nach der Macht

Das Ergebnis dieser starren Haltung war, dass die Nazis trotz aller Erfolge am Ende mit leeren Händen da standen. Der populäre Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser trat aus Protest gegen Hitlers Kompromisslosigkeit am 8. Dezember von allen Ämtern zurück. In manchen Gauen kam es zu massenhaften Parteiaustritten. Die Partei, die sich in zahllosen Wahlkämpfen finanziell und physisch verausgabt hatte, stand hart am Rand des Abgrunds. Die atemlose Jagd nach der Macht drohte, ins Leere zu laufen, zumal der Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise überwunden war und die Lage sich zu stabilisieren begann. Im Januar 1933 gab es fast eine Million Arbeitslose weniger als ein Jahr zuvor und die Aktienkurse an der Frankfurter Börse hatten ihren Tiefpunkt hinter sich gelassen und waren im Durchschnitt wieder um 30 Prozent gestiegen.

Fotostrecke

Kunstmaler, Antisemit, Kanzler: Als aus Hitler der "Führer" wurde

In dieser Situation kam Hitler am meisten der Umstand zu Hilfe, dass seine Gegner ihn sträflich unterschätzten. Die antidemokratischen Kräfte auf der Rechten glaubten, ihn für ihre Zwecke instrumentalisieren zu können, und die beiden großen demokratischen Parteien, SPD und Zentrum, bekämpften alle Überlegungen, den Reichstag aufzulösen und die dann fälligen Neuwahlen unter Umgehung der Verfassung auf den Herbst 1933 zu verschieben. Sie agierten gegen einen solchen "Reichsnotstand", als ob die Republik mehr von dem amtierenden Reichskanzler Schleicher als von Hitler bedroht werde.

Nur der ehemalige sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske, der "Bluthund" vom November 1918, erkannte klar die Alternative: "Wenn ihr Hitler nicht wollt, so müsst ihr Schleicher unterstützen. Wenn er stürzt, haben wir die Nazi-Diktatur." So sollte es kommen, doch Noskes Stimme hatte damals kein Gewicht mehr.

Fata Morgana eines Anti-Hitler-Bündnisses

Am 4. Januar 1933 kam es im Privathaus des Kölner Bankiers Kurt von Schröder zu einer folgenschweren Begegnung. Adolf Hitler traf dort mit Franz von Papen zusammen, jenem Mann, den Schleicher erst zum Reichskanzler gemacht und dann im Bündnis mit Hindenburg wieder gestürzt hatte. Die Freundschaft zwischen Schleicher und Papen war über diesem Manöver zerbrochen. In der Vergangenheit hatten die Nazis Papen massiv attackiert, doch nun sah Hitler die Möglichkeit, mit Hilfe des ehemaligen Zentrumspolitikers der Isolation zu entkommen, in die er geraten war.

Anzeige
Piper, Ernst

Kurze Geschichte des Nationalsozialismus von 1919 bis heute (Zeitgeschichte)

Verlag: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH
Seitenzahl: 352
Für 24,95 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

28.05.2023 05.23 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Papen wiederum witterte die Chance eines politischen Comeback. Er spielte in jenen schicksalsschweren Wochen eine zentrale Rolle, weil er als ehemaliger "Lieblingskanzler" eine ausgesprochene Vertrauensstellung bei Hindenburg hatte, während Schleicher vielfach glücklos agierte und stetig an Einfluss verlor. Seine Idee eines korporativ organisierten, vorkonstitutionell verfassten Staates, der sich auf ein breites Bündnis von den sozialdemokratischen Gewerkschaften bis zu den gemäßigten Nationalsozialisten des Strasser-Flügels stützen sollte, das blieb eine Fata Morgana.

Alle Ideen, zur Stabilisierung der Regierung die Verfassung zum umgehen, wies Hindenburg brüsk zurück. Er verweigerte Schleicher auch, anders als dessen Vorgängern, die Auflösung des Reichstages, so dass der jederzeit ein Misstrauensvotum gewärtigen musste und angesichts dieser aussichtlosen Lage am 28. Januar 1933, nach gerade 57 Tagen im Amt, zurücktrat. Zuletzt hatte er noch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für 500 Millionen Reichsmark durchgesetzt. Die zwei Millionen Arbeitsplätze, die dadurch entstanden, wurden dann seinem Nachfolger gutgeschrieben.

Gaukeleien für Hindenburg

Mit Schleichers Rücktritt war Papen noch nicht am Ziel. Hindenburg sperrte sich nach wie vor gegen ein Präsidialkabinett unter Hitlers Leitung, am liebsten hätte er Papen noch einmal zum Reichskanzler ernannt. Dem alten Herrn musste deshalb vorgegaukelt werden, dass ein Kanzler Hitler sich auf eine breite parlamentarische Basis stütze. Zunächst verhandelte Papen mit Alfred Hugenberg, dem engstirnigen und reaktionären Vorsitzenden der DNVP. Hugenberg brannte darauf, Minister zu werden, lehnte aber zugleich kategorisch die von Hitler geforderten Neuwahlen ab: Zu Recht befürchtete er, dass seine rückwärtsgewandte Partei in Konkurrenz mit der dynamischen NSDAP weitere Verluste erleiden würde.

Es folgten hektische Gespräche, ohne dass die Frage der Neuwahlen abschließend geklärt wurde. Gleichzeitig verhandelte Papen mit dem "Stahlhelm", einer nationalistischen Organisation ehemaliger Weltkriegsteilnehmer, die erhebliches politisches Gewicht hatte. Der "Stahlhelm"-Führer Franz Seldte wurde unter Hitler Arbeitsminister. Am Abend berichtete Papen Hindenburg, dass er außerdem auch in Verhandlungen mit dem Zentrum stehe, was nach Lage der Dinge gelogen war.

Die Vereidigung des neuen Kabinetts war für den 30. Januar um 11 Uhr vormittags vorgesehen. Die DNVP sollte fünf Minister stellen, von denen mehrere bereits unter Schleicher amtiert hatten. Auch der parteilose und im Ausland sehr angesehene Außenminister Konstantin von Neurath signalisierte Kontinuität. Parteilos war auch der neue Reichswehrminister General Werner von Blomberg. Für die NSDAP waren nur zwei Ministerposten vorgesehen: Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich. Das sollte Hitlers bürgerlich-konservative Einrahmung deutlich machen, getreu Papens Motto "Wir haben ihn uns engagiert."

Der Präsident muss warten

Doch als die Uhr elf schlug, wurde noch immer über die Frage der Neuwahlen gestritten. Das war auch noch so, als der Staatssekretär im Reichspräsidialamt Otto Meißner um 11 Uhr 15 darauf hinwies, dass Hindenburg es nicht gewohnt sei, dass man ihn warten lasse, und damit zu rechnen sei, dass er die Vereidigung absage. Schließlich überrumpelte Hitler Hugenberg mit dem Versprechen, er werde unabhängig vom Ausgang der nächsten Reichstagswahlen im Amt bleiben. Hugenberg gab nach, und um 11 Uhr 20 war Hitler Reichskanzler.

Am Schluss des Ernennungskommuniqués hieß es: "Die Besetzung des Reichsjustizministeriums bleibt vorbehalten. Der Reichskanzler wird noch heute Verhandlungen mit dem Zentrum und der Bayerischen Volkspartei aufnehmen." Diese Verhandlungen, die in Wirklichkeit nie stattgefunden hatten, wurden am 31. Januar für gescheitert erklärt, und am 1. Februar 1933 löste Hindenburg den Reichstag auf.

Hitler, der beinahe Gescheiterte, war am Ziel.


Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren