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Sadat in Israel: "Wie eine biblische Vision"

Foto: David Hume Kennerly/ Getty Images

Sadats Reise nach Jerusalem "Unternehmen Zauberteppich"

Ägyptens Präsident startete vor 40 Jahren eine überraschende Friedensmission in Israel. Eine Phase der Entspannung zwischen den Erzfeinden begann - am Ende zahlte Anwar al-Sadat mit seinem Leben.

Lauerte da eine militärische Falle? Die Spannung auf dem Flughafen von Tel Aviv war extrem, als die Maschine mit Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat und Gefolge am Sabbat um acht Uhr abends landete. Denn am 19. November 1977 befanden sich Ägypten und Israel offiziell noch im Kriegszustand. Was viele Israelis erwarteten, beschrieb Harry Hurwitz, Mitarbeiter des israelischen Premiers Menachem Begin: "ein aus dem Flugzeug stürmendes Kommando-Unternehmen. Auf der anderen Seite schlossen Mitglieder der ägyptischen Delegation nicht aus, dass sie auf der Landebahn in einen Kugelhagel geraten würden."

An Bord war auch Sadats Minister Boutros Boutros-Ghali, der spätere Uno-Generalsekretär. "Geh nicht, das Flugzeug wird nie ankommen", hatten Freunde ihn gewarnt. Es kam an, der weitgereiste Diplomat betrat "zum ersten Mal israelischen Boden, ein Land, das mir fremder vorkam als ein Planet im All".

Dieses fremde Land empfing Sadat mit allen Ehren. Unter den Fahnen Israels und Ägyptens spielte eine Militärkapelle die Hymnen. "Sadat strahlte eine fast unwirkliche Ruhe aus, seine Erscheinung wirkte wie eine biblische Vision", schrieb Boutros-Ghali. Der israelische Friedensaktivist Abbie Nathan wollte in Sadat gar "die Reinkarnation von Moses, Christus und Mohammed" erkennen.

"Die Mauer des Hasses durchbrechen"

Die überschäumende Begeisterung und die fantastischen religiösen Vergleiche wurzeln in der Verblüffung über die Visite. Der Jom-Kippur-Krieg lag erst vier Jahre zurück, der Sechstagekrieg zehn Jahre; unversöhnlich schienen die Positionen im Nahostkonflikt. "Jahrzehntelang war Israel unser Erzfeind gewesen, das Krebsgeschwür am Körper der arabischen Welt, und unser Ziel war es bisher, alles in unserer Macht Stehende zu tun, es zu zerstören", fasste Boutros-Ghali die Sicht der Araber zusammen.

Auf der Gegenseite baute Israel auf seine militärische Stärke - aus der Überzeugung, dass nur überlegene Waffengewalt die Araber daran hindern könne, die Einwohner des Judenstaats ins Meer zu treiben. Verhandlungen hatten die arabischen Führer stets verworfen. Den Israelis erschien Sadats Ankunft daher surreal. "Unternehmen Zauberteppich" lautete das israelische Codewort für seinen Besuch.

Mit einer Reise nach Amerika hatte der sowjetische Staatschef Chruschtschow 1959 den Kalten Krieg vorübergehend entspannt, wie US-Präsident Nixon die Beziehungen zu Maos China, als er 1972 nach Peking flog. Nun also unternahm Sadat eine Friedensmission, die niemand für möglich hielt.

Vom Flughafen fuhr er nach Jerusalem, wo Premier Begin ihn begrüßte. Sadat bezog die Präsidenten-Suite im König-David-Hotel. Er hatte einen eigenen Koch mitgebracht - Misstrauen unter Erzfeinden? Sadat probierte und lobte eine Marzipantorte aus der Hotelkonditorei, in Form zweier Pyramiden mit der Aufschrift "Schalom - Salam". In seiner Autobiografie "Auf der Suche nach Gerechtigkeit" nannte er den Grund für seine Reise: Er wollte "die gewaltige Mauer des Argwohns, der Angst, des Hasses und der Missverständnisse durchbrechen".

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Sadat in Israel: "Wie eine biblische Vision"

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Für die PLO war er ein Verräter

Am nächsten Morgen betete er in der Aksa-Moschee auf dem Tempelberg, besuchte dann die Grabeskirche und die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Als Meister symbolischer Gesten ehrte Sadat so die drei nahöstlichen Weltreligionen. Am Nachmittag folgte sein Auftritt im Parlament. "Ein muslimischer Staatschef mit der Sabiba auf der Stirn - dem Mal vom Berühren des Bodens bei unzähligen Gebeten in Richtung Mekka - vor einem Großbild des Zionismus-Propheten Theodor Herzl in Israels Knesset", beschrieb der SPIEGEL  die bis dahin unvorstellbare Szene.

In seiner weltweit übertragenen Rede erklärte Sadat:

"Ich bin nicht gekommen, um eine separate Vereinbarung mit Israel zu unterschreiben, das ist nicht meine Politik. Es geht nicht nur um unsere beiden Länder. Ein Friede wird nur dann gerecht sein und Bestand haben, wenn er für alle gilt, für alle Nachbarn Israels und für das palästinensische Volk."

Wie sein Vorgänger Nasser betrachtete sich Sadat als ein Sachwalter der palästinensischen Interessen. Seit der Gründung Israels 1948 war Ägypten gegen einen jüdischen Staat auf Kosten der Palästinenser. Die aber betrachteten die Ächtung Israels als den Zement, der die Araber zusammenhält.

Kontakte mit dem Judenstaat waren deshalb tabu, Sadats Reise verdammten sie. "Der Verräter hat seinen Hals in die Schlinge gesteckt", erklärte ein PLO-Sprecher nach Sadats Ankunft in Jerusalem, "Sadat kann dem Henker nicht entkommen." Die Mehrheit der Menschen indes bewunderte seinen Mut; 1978 erhielten Sadat und Begin zusammen den Friedensnobelpreis.

"Bis ans Ende der Welt, sogar in die Knesset"

Sadats Reise nach Jerusalem war ein politisches Abenteuer, das aufgrund eines "unerhörten militärischen Abenteuers" (Ghali) möglich wurde. Am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Jom-Kippur-Feiertag, hatten ägyptische und syrische Truppen auf Sadats Befehl Israels als unannehmbar geltende Verteidigungslinie am Ostufer des Suezkanals überrannt. Am Ende des folgenden Oktoberkriegs gewannen die Israelis, hatten aber den Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit verloren. Und die Araber hatten nach der Schmach des Sechstagekriegs von 1967 ihre Ehre zurück.

Israels Sechstagekrieg: Die Schlacht, die alles veränderte
Foto: David Rubinger / AFP

Sadat fühlte sich nun auf Augenhöhe und erwog Verhandlungen mit Israel.

Vor dem Parlament in Kairo erklärte er am 9. November 1977, er sei bereit, "bis ans Ende der Welt..., sogar in die Knesset zu gehen, wenn ich damit den Tod eines einzigen ägyptischen Soldaten verhindern kann". Überraschend wandte sich Israels Begin schon zwei Tage darauf per Radio an das ägyptische Volk: "Es wird mir eine Ehre sein, Ihren Präsidenten willkommen zu heißen mit der traditionellen Gastfreundschaft, die wir von unserem gemeinsamen Stammvater Abraham geerbt haben."

Ein Ergebnis der Annäherung in Jerusalem waren die Verhandlungen in Camp David, der Erholungsanlage der US-Präsidenten nahe Washington. Teams aus Israel und Ägypten trafen sich im September 1978 auf Einladung von Jimmy Carter. Die Ergebnisse nach zwölf Tagen: Der Gazastreifen und das Westjordanland sollten einen fünfjährigen Autonomiestatus bekommen. Israel verpflichtete sich, "die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes" anzuerkennen - eine Leerformel. Doch letztlich, so Boutros-Ghali, "ging das ägyptische Interesse für Sadat vor. Er wollte den (im Krieg von 1967 verlorenen) Sinai zurück, jeden Quadratmeter ägyptischen Bodens".

Das erreichte Sadat durch den Friedensvertrag vom März 1979: Ägypten und Israel erkannten sich gegenseitig an, errichteten diplomatische Vertretungen, nahmen Wirtschaftsbeziehungen auf. Aber innerhalb der arabischen Welt geriet Ägypten durch den Separatfrieden in die Isolation.

"Ich habe den Pharao getötet!"

Ihre Nachbarvölker verdammten Sadats Reise, während die ägyptischen Massen ihn bei der Rückkehr jubelnd empfingen. Sie feierten Sadat auch Jahr für Jahr am 6. Oktober, dem Tag der Kanalüberquerung im Jom-Kippur-Krieg. Hunderttausende strömten zu den Militärparaden.

1981 endete das Volksfest tragisch, als vor der Ehrentribüne plötzlich Soldaten aus vorbeifahrenden Militärfahrzeugen sprangen. Sie warfen Handgranaten und feuerten aus Maschinengewehren auf Sadat, der den Vorbeimarsch inmitten der militärischen und politischen Prominenz beobachtete. "Das ist unvorstellbar", soll Sadat gesagt haben, als Angehörige seiner Armee auf ihn schossen. Panik brach aus.

Den Tod des Präsidenten verkündete am Abend sein Nachfolger Hosni Mubarak. "Allah hat bestimmt, dass Sadat an einem Tag starb, der selbst symbolisch für ihn stand", sagte Mubarak, "er war umgeben von seinen Soldaten, von Kriegshelden und Menschen, die alle die Wiederkehr des Tages feierten, an dem die arabische Nation ihre Würde zurückgewann."

"Ich habe den Pharao getötet!", rief der Anführer der ägyptischen Attentäter. Die Offiziere und Unteroffiziere waren radikale Muslime, hassten den religiös toleranten Sadat und wollten ihn für seinen Friedensschluss mit Israel strafen. In Palästinensergebieten wurde die Nachricht von Sadats Tod bejubelt.

Sadats Witwe Jehan hatte das Attentat miterlebt und schrieb später in ihrer Autobiografie:

"Manchmal gehe ich in sein Schlafzimmer und öffne den Schrank, um mir die Uniform anzusehen, die er am letzten Tag seines Lebens trug. Sie hängt noch da mit den Einschusslöchern an der Schulter. Der rechte Ärmel ist hoch aufgeschlitzt, wo die Ärzte die Bluttransfusionen gegeben haben. Sein blutgetränktes Hemd ist inzwischen steif und braun geworden. Selbst das bewahre ich für den Tag, da Ägypten bereit ist, meinen Mann zu ehren."

Der traurige, letzte Satz spiegelt wider, wie umstritten der im Westen bewunderte Sadat im eigenen Volk war, wie verhasst in arabischen Ländern. Seine Initiative beendete die israelisch-ägyptische Konfrontation - aber im Palästinakonflikt bewegte sie nichts. Heute haben die Ägypter ihre Sinai-Wüste zurück, derweil besiedeln Israelis immer mehr palästinensischen Boden. So bleibt Sadats Reise nach Jerusalem eine Episode enttäuschter Hoffnungen.

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