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Musiker Andy Scott: "In England hat man Sweet vergessen"

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Sweet-Musiker Andy Scott "Brexit? Mich soll bitte schnell jemand aus Europa adoptieren"

Als Könige des Glamrock hauten The Sweet in den Siebzigerjahren Hit um Hit raus. Gitarrist und Songwriter Andy Scott ist jetzt 70. Hier spricht er über Kaugummipop und Glitzerklamotten, zu viel Alkohol und ewigen Dank der Scorpions.
Zur Person
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Andy Scott wurde am 30. Juni 1949 in Nordwales geboren und stieß als Gitarrist 1970 in London zu The Sweet. Der Glamrock-Band gelangen viele Hits wie "Teenage Rampage", "Blockbuster", "Ballroom Blitz" oder "Fox on the Run"; in Deutschland war die Fangemeinde besonders treu. 1979 musste Sänger Brian Connolly die Band alkoholbedingt verlassen, er starb 1997. Drummer Mick Tucker erlag 2002 einem Krebsleiden, Bassist Steve Priest zog in die USA. Andy Scott ist mit neuen Musikern immer noch als The Sweet auf Tour, auch in Deutschland.
Tourdaten: 31.7.2019 Wacken + 2.8. Chemnitz + 3.8. Eberswalde + 17.8. Biberach + 7.9. Kelbra/Kyffhäuser + 14.11.Remchingen + 22.11. Meiningen + 23.11. Osnabrück. Mehr Informationen und Termine gibt es hier. 

einestages: Mister Scott, in Ihrem Hit "Teenage Rampage" gehen überall die Kids auf die Straße, machen Lärm und werden bald das Kommando übernehmen. Das war vor 45 Jahren.

Scott: Und der Text trifft noch immer zu: Greta Thunberg, "Fridays for Future", die Klimadebatte. Aber dass ein 16-jähriges Mädchen aus Schweden die ganze Welt retten soll? (schüttelt den Kopf). Die Idee hat natürlich was, es geht ja an sich um eine gute Sache.

einestages: Machen Ihnen Themen wie Brexit und Klimawandel Sorgen?

Scott: Hören Sie auf mit diesem fucking Brexit thing, ganz großer Mist. Wie konnten wir da nur hineingeraten? Ich will, dass mich bitte schnell jemand aus Europa adoptiert. Ich bin Europäer. Und zum Klimawandel macht sich jeder halbwegs vernünftige Mensch Gedanken, wie wir aus diesem Schlamassel wieder rauskommen. Es wird aber nicht jeder Vegetarier werden, Busse und Bahnen fahren nicht mit Luft und Wasser, und auch China und der ferne Osten müssen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wir befinden uns in einer verfahrenen Situation.

einestages: Stimmt es, dass "Teenage Rampage" damals zensiert werden sollte?

Scott: Eine Politikerin forderte von der BBC, die Nummer nicht mehr zu spielen, da sie die Jugend zur Rebellion verleite. Der BBC-Verantwortliche sagte nur: "Don't be silly", machen Sie sich nicht lächerlich (lacht). Aber unsere nächste Single "Turn It down" wurde boykottiert: wegen der Worte "for God's sake". Darin hört ein Junge laute Musik, wird von seinem Vater Penner genannt und soll leiser drehen - "um Gottes willen". Das war zu viel.

einestages: Lebten Sie mit The Sweet den Rock'n'Roll-Lifestyle radikal aus, so wie Mötley Crüe, deren große Vorbilder Sie waren?

Scott: Nein. Wir waren sicher keine Chorknaben, haben aber keine Nacktpartys in unserem Haus gefeiert. Eigentlich waren wir ganz brav - bis wir Mitte der Siebziger nach Amerika gingen. Da wurden wir richtig versaut, vorher tranken wir nur Bier, Wein und Whisky. Einer in der Band wusste meist, wann es genug war: ich! Die Musik stand für mich immer im Mittelpunkt, nie das Partymachen. Nur Brian Connolly war nicht zu kontrollieren. Zu viele Drinks haben ihn letztlich umgebracht.

einestages: Wieso landeten zwei Sweet-Mitglieder einmal im Knast?

Scott: Bei einem Konzert nahe Lüttich holten wir Fans auf die Bühne. Zwei Mädchen in ziemlich kurzen Röcken sollten mitsingen, Steve kitzelte sie mit einem Staubwedel. Eigentlich völlig harmlos, nur lag das Mindestalter in diesem belgischen Klub bei 21. Aber die meisten Fans waren 16 oder 17 und tranken kräftig Alkohol, was wir ja nicht beeinflussen konnten. Die Polizei rückte an, drohte dem Klubbesitzer mit Schließung und verhaftete Brian und Steve in der Garderobe. Mick und ich waren gerade woanders.

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Musiker Andy Scott: "In England hat man Sweet vergessen"

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einestages: Steve Priest sorgte auch für Aufsehen, als er bei einem BBC-Auftritt ein Nazi-Outfit trug.

Scott: Das war nichts weiter als ein Witz. Vor der Show bediente Steve sich im BBC-Kostümfundus, er trug einen Helm aus dem Ersten Weltkrieg, eine Pickelhaube aus Kaiser Wilhelms Zeiten, dazu eine schwarze Uniformjacke mit Hakenkreuzbinde und grelles Make-up. Die Visagistin schminkte ihm mit Mascara dazu ein Hitler-Bärtchen auf die Oberlippe. Steve sah aus wie eine Dragqueen, nicht wie ein Nazi. Es war 1973, die Hochzeit des Glamrock und einfach ein Joke bei einer Weihnachtsshow.

einestages: Anfang der Siebzigerjahre kam der Erfolg mit sogenannten Bubblegum-Pophits wie "Wig-Wam Bam" oder "Co-Co". Waren Sie überzeugt von diesem simplen, eingängigen Sound?

Scott: Sweet ist wie eine Flasche: Du denkst, es sei Wasser drin, aber in Wahrheit ist es Wodka. Wir hatten immer zwei Seiten - Bubblegum und Hardrock. Für mich war das okay, ich musste ja meine Rechnungen bezahlen. Bis zum ersten Hit "Funny, Funny" 1971 war ich schon fünf Jahre lang Gitarrist in der anspruchsvolleren Elastic Band, mit meinem Bruder Mike am Bass. Wir schafften aber nie den Durchbruch, verdienten kaum Geld und wurden dann Begleitmusiker von Mike McCartney, Pauls Bruder, in der Band The Scaffold.

einestages: Bis Sie auf eine Anzeige im Musikmagazin "Melody Maker" stießen...

Scott: Produzent Mike Chapman suchte in London einen Gitarristen für The Sweet. Ich brauchte einen bezahlten Job und ging zum Vorspielen. Chapman und die Sweet-Jungs kannte ich schon von einem Festival. Bei Sweet steuerte ich dann Gitarrenriffs, Keyboards, Background-Vocals bei und wurde etwas später Songwriter.

einestages: Aufgewachsen sind Sie in Wrexham. Wie war das Leben in Nordwales?

Scott: Mein Vater Harry leitete einen Klamottenladen und war oft unterwegs auf Modemessen. Als Mike und ich in Bands zu spielen anfingen, besorgte er uns Jacken, wie sie die Beatles und Cliff Richard trugen. Beim ersten Konzert mit The Rasjaks 1963 in Wrexham war ich 14. Mittendrin kam ein Typ an die Bühne: Er wollte uns Geld zahlen, damit wir aufhören (lacht).

einestages: Nach der Schule begannen Sie eine Banklehre. Klingt nicht nach Rock'n'Roll.

Scott: Das ging nicht lange gut. Ich konfrontierte meinen Dad damit, dass ich lieber in einer Band spielen wollte. Schon in der Schule hatte ich nur Musik im Kopf und nahm nicht so rege am Unterricht teil.

einestages: Wie kam es zu einem frühen Auftritt mit Jimi Hendrix?

Scott: Ich spielte im Vorprogramm, 1967 in Manchester. Unsere Band Silverstones hatte einen Talentwettbewerb gewonnen und durfte in der New Century Hall auftreten, wo immer Soulnächte liefen mit Bands wie The Temptations, The Drifters oder den Four Tops. Hendrix wurde gebucht, weil er eben schwarz war. Keiner kannte seine Musik. Große Überraschung: Als er loslegte, war das Publikum total geschockt, einige verließen empört den Saal - so etwas hatten sie weder erwartet noch je gesehen. Einfach unglaublich, ich verfolgte es vom seitlichen Bühnenrand aus. Jimi hatte damals mit "Hey Joe" gerade seinen ersten Hit. Er war fantastisch.

einestages: Hatten Sie Kontakt zu ihm?

Scott: Nach unserem Gig sah ich durch eine Glastür, dass Jimi und seine Jungs uns entgegenkamen. Da habe ich ihnen die Tür aufgehalten, Hendrix sagte "Thanks, man". Sie hatten ihren Jaguar vor der Halle mitten auf dem Bürgersteig geparkt.

einestages: 1974 spielte The Sweet härteren Rock auf den Alben "Sweet Fanny Adams" und "Desolation Boulevard".

Scott: "Sweet Fuck All" sollte der Originaltitel lauten und all unseren Kritikern gewidmet sein. Was unsere Plattenfirma natürlich nicht durchgehen ließ. "Fox on the Run" war 1975 der erste Nummer-eins-Hit, den ich komponiert hatte.

einestages: Die Scorpions nahmen als The Hunters eine deutsche Version auf - kennen Sie "Fuchs geh voran" ?

Scott: Haha, ja klar. Sie haben uns damals auf zwei großen Europatourneen begleitet. Ich bin mit Scorpions-Sänger Klaus Meine und mit Rudi Schenker befreundet. Noch heute bedankt sich Klaus, dass sie dabei sein durften.

einestages: Bereiten Ihnen die Hit-Tantiemen ein sorgenfreies Leben?

Scott: Natürlich verdient man Geld, wenn man erfolgreiche Songs geschrieben hat, noch dazu wenn sie in Kino-Blockbustern zu hören sind, wie "Fox on the Run" in "Guardians of the Galaxy Vol. 2". Aber das spielt keine primäre Rolle. Wäre auch traurig, wenn ich es in meinem Alter noch für Geld machen müsste.

einestages: Haben Sie je unter schlechten Kritiken oder mangelndem Respekt der Musikpresse gelitten?

Scott: Ein bisschen. Aber in Deutschland gab es einen schönen Moment, als The Sweet bei Leserumfragen vor Bands wie Pink Floyd und Led Zeppelin landete. Wir waren damals die einzige Band, die sowohl im "Musikexpress" als auch in "Bravo" stattfand.

einestages: Trugen Sie die schrillen Glitzeroutfits in der Hochphase des Glamrock gern?

Scott: In bunten Glitzerklamotten und Make-up standen wir nur auf der Bühne. Status Quo traten in ihren Straßenklamotten auf, das hat für sie funktioniert. Und Suzi Quatro, mit der ich bis heute befreundet bin, war damals die einzige Frau in der Rockszene. Auch sie wurde in die Glamrock-Schublade gesteckt, obwohl sie sich da nie sah. Vielen ist gar nicht klar, dass die Glamrock-Szene nur knapp zwei Jahre existierte - Anfang 1974 war schon Schluss.

einestages: Sänger Brian Connolly war der Star bei Sweet. Seine Alkoholsucht kostete ihn das Leben. Erinnern Sie sich an das fatale Konzert 1978 in Birmingham, Alabama?

Scott: Es war ein Desaster. Wir waren als Vorgruppe von Bob Seger unterwegs, im Publikum 20.000 Fans und auch wichtige Manager unserer Plattenfirma Capitol. Den ganzen Tag hatten wir Brian nicht gesehen, er tauchte erst kurz vor Showtime auf - total betrunken. Wir mussten das Konzert nach unserem Hit "Love Is Like Oxygen" abbrechen und später Brian bitten, die Band zu verlassen. 1979 ging es nicht mehr. Nach außen hin nannten wir als Grund "musikalische Differenzen", Brian gab bekannt, dass er eh vorhatte, eine Solokarriere zu starten, was er auch tat. Ein trauriges Ende.

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einestages: 1997 starb Connolly mit erst 51 Jahren. Hatten Sie noch Kontakt?

Scott: Ja. Er war gesundheitlich schwer angeschlagen, obwohl er mit dem Trinken längst aufgehört hatte. Der Alkohol hatte seine Spuren hinterlassen. Dabei zog ich in den Neunzigern eine Sweet-Reunion mit ihm als Sänger ernsthaft in Erwägung, aber daran war nicht mehr zu denken. Alternativ wollte ich ihn wenigstens bei einigen Weihnachtsshows als Überraschungsgast auf die Bühne holen. Doch auch das hätte Brian nicht mehr gepackt. Am Ende hat ihn auch noch seine eigene Soloband verraten: Die traten einfach ohne ihn auf und spielten all die Sweet-Hits. Fand ich kriminell. Wenige Monate später war er tot. Ich wünschte, er wäre noch hier.

einestages: Sie sind gerade 70 geworden. Wie blicken Sie auf Ihre lange Karriere zurück?

Scott: Mit der Erkenntnis, dass man im Nachhinein nichts mehr ändern kann. Daher gibt es keinen Grund, unglücklich zu sein. Das Leben ist nun mal kein Marvel-Film. "You cannot unscramble the egg" sagen wir Briten - aus Rührei wird nie wieder ein rohes Ei.

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