
Anfänge der Schönheitschirurgie: Nase gut, alles gut
Anfänge der Schönheitschirurgie Nase gut, alles gut
Der 28-jährige Gutsbesitzer hatte die Nase gestrichen voll. Ständig wurde sein großes, auffällig geformtes Riechorgan zur Zielscheibe für Spott. Die Leute starrten ihn an. Gesellschaften mied er. Schwermut beherrschte sein Leben. Die letzte Hoffnung: ein Chirurg in Berlin. Dieser soll einem Jungen die abstehenden Ohren angelegt haben, nur weil er unter den Hänseleien der anderen Kinder litt. Warum also nicht eine Korrektur der Nase?
Das dachte sich wohl auch Jacques Joseph, der Chirurg. Die Operation des Jungen mit den Segelohren hatte ihn seinen Job an der Universitätspoliklinik gekostet, weil sein Vorgesetzter keine medizinische Notwendigkeit in dem Eingriff sah. In seiner Privatpraxis allerdings konnte ihm keiner etwas verbieten. So nahm sich Joseph 1898 des Gutsbesitzers an, auch wenn der auf Orthopädie spezialisierte Arzt mit Nasen bislang nichts am Hut hatte. Er verkleinerte das Objekt des Spotts - und in das Leben des ansonsten kerngesunden Mannes kehrte die Fröhlichkeit zurück.
Jacques Joseph tat etwas bis dahin ganz und gar Undenkbares. Zwar waren Eingriffe zur Verbesserung des Erscheinungsbilds nicht neu, aber bislang waren die Patienten stark verstümmelt. So formte der indische Heiler Sushruta im siebten Jahrhundert aus Stirnhaut neue Nasen. Seine Patienten: Diebe und Ehebrecher, denen zur Strafe der Riecher abgeschnitten worden war. In Italien rekonstruierte Gaspare Tagliacozzi im Renaissance-Geist des 16. Jahrhunderts Nasen, die nach der Syphilis eingefallen waren, mit Haut aus dem Oberarm. Schönheitsoperationen als Heilmittel für die Psyche gab es bislang nicht. Dass sich daraus ab dem 20. Jahrhundert ein Massenphänomen entwickelte, liegt, so der US-Kulturhistoriker Sander L. Gilman, an zwei Entdeckungen - und einer neuen Geisteshaltung.
Schön sein, nicht nur ganz
Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der Anästhesie, wurden auch schmerzhaftere Eingriffe möglich. Fast zeitgleich stellten Ärzte fest, wie wichtig das Gebot der Reinheit bei der Arbeit mit offenen Wunden ist. Einer der bekanntesten Chirurgen damals war der Berliner Johann Friedrich Dieffenbach. Er operierte Gaumenspalten, Klumpfüße und versuchte sich an der Beseitigung des Schielens. Als er ein Mädchen, das seine durch ein Geschwür verunstaltete Nase hinter einem Goldgesicht versteckte, erfolgreich verarztet hatte, reimte der Berliner Volksmund: "Wer kennt nicht Doktor Dieffenbach, den Doktor der Doktoren, er schneidet Arm und Beine ab, macht neue Nas' und Ohren."
Voraussetzungen für die Arbeit von Jacques Joseph und seiner Nachfolger war aber auch das Gedankengut der Aufklärung. Dazu gehören das individuelle Streben nach Glück, Selbstbestimmung und die Fähigkeit, sich selbst neu zu erfinden. Schön sein, nicht nur ganz und gesund, lautete künftig das Credo.
Jacques Joseph bewies den richtigen Riecher. 1904 entwickelte er ein Verfahren, das es ihm ermöglichte, ohne äußere Narben durch die Nasenlöcher zu operieren. Dafür entwickelte er spezielle Instrumente, kleine Skalpelle und Sägen. Einige lassen sich auch heute noch täglich in Operationssälen finden. Besonders bekannt: der Joseph, ein Schabinstrument, das verwendet wird, um die Knochenhaut anzuheben.
Elfenbein als Knochenersatz
Doch der Nasen-Joseph, wie er zur Unterscheidung von anderen Berliner Ärzten mit dem Nachnamen Joseph genannt wurde, wendete sich auch anderen Körperteilen zu. Im Zuge des Ersten Weltkriegs richtete er ganze Gesichter von ehemaligen Soldaten, deren Köpfe auf den Schlachtfeldern bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden waren, wieder her. Zudem straffte er Haut, korrigierte hängende Brüste und nutzte Elfenbein des Klavierbauers Bechstein als Knochenersatz.
Seine Hauptaufgabe blieben aber Nasen. Er verkleinerte und vergrößerte, begradigte und normierte. 1922 besuchte der Reporter Egon Erwin Kisch das Wartezimmer und berichtete unter dem Titel "Das Haus zu den veränderten Nasen" von kuriosen Praktiken. Wichtig war dem Arzt die Persönlichkeit seiner Patienten. "Wünschen Sie eine kecke Nase oder eine intelligente, eine kokette oder eine energische?", soll Joseph gefragt haben. In einem Album konnte sich jeder unter Hunderten von Vorher-nachher-Fotografien das passende Näschen aussuchen. Ein, zwei Tage nach dem Besuch in der Praxis am Kurfürstendamm kamen die an Eitelkeit krankenden Patienten in Josephs Privatklinik in der Bülowstraße 22 unters Messer. Aus ganz Europa, den USA und Indien reisten sie dafür an.
Im Operationssaal wurden die Nasen ausgeschneuzt und lokal betäubt. Danach ging Jacques Joseph ans Werk. Er schnitt den Nasenknochen durch, nahm ein Stück weg oder fügte - je nach Wunsch - ein bisschen Ohrknorpel hinzu, modellierte ein wenig, pflanzte nach Bedarf noch ein Stück Haut aus der Schulter ein - und fertig. Drei Tage lang mussten die Patienten ein Kreuz aus gelbem Leukoplast über dem Gesicht tragen, das sogar die Augen verdeckte. "Alle sehen sie abscheulich aus. Aber morgen oder übermorgen werden sie schön sein, so schön wie noch nie", schreibt der Chronist Kisch.
Reiche zahlen mehr
Heute hat Professor Hans Behrbohm seine Praxis in dem Haus am Kurfürstendamm, wo einst Jacques Josephs Nasenalbum die Runde machte. Behrbohm, selbst Schönheitschirurg mit den Schwerpunkten Nase und Gesicht, hat zusammen mit Kollegen das lange als verschollen geglaubte Grab von Joseph wieder herrichten lassen. Für ihn ist er "einer der ganz wichtigen Protagonisten" in der Geschichte der Schönheitsoperationen. Ein Pionier und Wegbereiter. Neben den von Joseph entwickelten Techniken, die Behrbohm immer noch für elementar hält, sei auch sein Geschäftssinn bemerkenswert gewesen. Der Chirurg hatte nämlich ganz eigene Honorarbedingungen.
Wer eine Nase auf Bestellung verpasst bekam, bezahlte nach Einkommen. So berichtet Kisch von einer reichen Fabrikantin aus Prag, die der Eingriff 15.000 tschechoslowakische Kronen kostete - heute wären das über 6000 Euro. Wenn jemand wenig Geld oder einen guten Grund hatte, behandelte der Chirurg aber auch mal umsonst, beispielsweise bei ethnischen Motiven. So operierte Joseph, selbst Jude, zahlreichen seiner Glaubensbrüder und -schwestern die stigmatisierenden Höcker- und Hakennasen weg - vor allem in dem Jahr zwischen der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und seinem Tod durch Herzinfarkt im Februar 1934.
Ähnliche Eingriffe sorgten in jener Zeit auch in den USA für Aufsehen. Dort ließ sich die jüdisch-amerikanische Komikerin und Sängerin Fanny Brice eine neue Nase verpassen. Der 1923 vorgenommene "Nose job" brachte ihr viele Schlagzeilen ein. So berichtete die "New York Times" bereits im Vorfeld über den Eingriff, und am Tag selbst titelte sie: "Fanny Brice unterm Messer: Sie machte Witze während Chirurgen ihre Nase auf Normalgröße trimmten". Die "Los Angeles Times" fragte: "Werden ihre Freunde sie wiedererkennen?" Die Operation sorgte zwar für viel mediale Aufmerksamkeit, doch der erwünschte Erfolg als ernsthafte Schauspielerin blieb trotzdem aus. 1968 wurde ihre Lebensgeschichte unter dem Titel "Funny Girl" als Musical verfilmt. In der Hauptrolle ausgerechnet Barbra Streisand. Bis heute steht die Sängerin und Schauspielerin zu ihrem auffälligen Zinken.
Weg mit den Zähnen
Anders als viele ihrer Kolleginnen in Hollywood. Mit den Close-ups kamen die Schönheitskorrekturen in Mode, oft machten auch die Studiobosse Druck. Marlene Dietrich opferte Backenzähne, um ihre hohlen Wangen zu betonen. Rita Hayworth ließ sich auf den Rat ihres ersten Ehemanns hin den Haaransatz in einer sechs Monate dauernden, qualvollen Prozedur per Elektrolyse nach hinten verschieben. Bei Marilyn Monroe entfernten die Ärzte ein Knöllchen auf der Nasenspitze und behoben einen kleinen Fehler an der Kinnpartie mit Knorpel, verriet Norman Mailer in seiner Biografie.
Von Deutschland aus breitete sich die Schönheitschirurgie in alle Welt aus. Auch daran hatte Jacques Joseph seinen Anteil. Als eine Art Lehrstunde ließ er andere Ärzte und Chirurgen seine Eingriffe verfolgen - natürlich gegen Geld. Erklärungen gab es keine, Fragen waren verboten. Trotzdem scharten sich bis zu sechs medizinische Zuschauer um den Berliner Operationstisch. Viele seiner Schüler kamen aus Übersee oder gingen später dorthin - und verbreiteten so seine Techniken.
In den USA fand auch der nächste Quantensprung in Sachen Schönheitsoperationen statt - dank eines Zufalls. Bei seiner täglichen Arbeit sah der Chirurg Frank Gerow aus Houston, Texas, Anfang der Sechziger einen Kunststoffbeutel mit Blut für eine Transplantation. Die Form des Beutels erinnerte ihn an eine weibliche Brust. Mit seinem Kollegen Thomas Cronin entwickelte er daraufhin ein mit Kochsalzlösung gefülltes Implantat. Der erste Versuch ging schief: Das Kissen ging im Körper auf, die Kochsalzlösung lief aus. Doch die beiden Chirurgen gaben nicht klein bei. Schon eine Woche später setzten sie einer Patientin ein mit Silikongel gefülltes Implantat ein. Der zweite Versuch war erfolgreich, die Frau glücklich.
Das hätte sicher auch Nasen-Joseph, dem ersten Beauty-Chirurgen der Welt, gefallen.