

Von allein wäre Antoine de Saint-Exupéry nie auf die Idee gekommen, ein Kinderbuch zu schreiben. Es war sein New Yorker Verleger Curtice Hitchcock, der den entscheidenden Impuls gab. Die beiden hatten sich im Frühjahr 1942 in einem New Yorker Restaurant zum Mittagessen getroffen. Wie so oft kritzelte Saint-Exupéry während des Gesprächs auf seiner Serviette herum. Neugierig beobachtete Hitchcock wie die Zeichnung Strich für Strich Gestalt annahm und ein kleiner Junge zum Vorschein kam. Er war so entzückt von der kleinen Figur, dass er Saint-Exupéry spontan vorschlug, daraus eine Märchengeschichte zu machen.
So wird die Entstehungsgeschichte des kleinen Prinzen immer wieder gern erzählt. In einer anderen Version war es die Ehefrau von Hitchcocks Partner Eugene Reynal, die sich für den kleinen Jungen begeisterte, den Saint-Exupery gern als kleinen "Kumpel, den ich in meinem Herzen mit mir herumtrage" bezeichnete und bei unterschiedlichsten Gelegenheiten auf Briefränder, Servietten oder Schmierzettel kritzelte.
Egal von wem die Idee kam: Saint-Exupéry machte sich kurz darauf an die Arbeit. Ein Jahr später, am 6. April 1943 erschien in New York unter dem Titel "Der kleine Prinz" die eigenwillige Geschichte von dem kleinen, blonden Lockenkopf, der wegen eines Streits mit einer Blume seine Heimat verlässt, um die Welt zu erkunden. Und es wurde weit mehr als eine weitere Märchengeschichte. Saint-Exupéry hatte ein Jahrhundertwerk geschrieben, das inzwischen über 80 Millionen Mal verkauft worden ist. Doch das ahnte 1943 niemand. Im Gegenteil: Für einen Bestsellerautor wie Saint-Exupéry lief der Verkauf eher schleppend.
Zu erwachsen für Kinder
Im Herbst 1943 waren gerade einmal 30.000 Exemplare über den Ladentisch gegangen. Mit Mühe hielt sich der Titel eine Woche auf der Bestsellerliste der "New York Times" und zwei Wochen auf der der "Herald Tribune". Ende 1943 schien es, als würde "Der kleine Prinz" bald in Vergessenheit geraten und mit ihm heute so berühmte Zitate wie: "Wörter sind die Quelle aller Missverständnisse" oder "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."
Dass das Buch nur begrenzt Anklang fand, hatte seinen Grund. Es passte so gar nicht zum Image des raubeinigen, tiefsinnigen Piloten, der auch schreiben konnte. Saint-Exupéry, der 1940 in den USA Zuflucht vor den deutschen Besatzern in Frankreich gesucht hatte, war für seine philosophischen Abenteuerberichte berühmt, in denen er seine Erlebnisse als Berufspilot in Afrika, Europa und Südamerika verarbeitete und über das menschliche Dasein sinnierte. Reynal & Hitchcock hatte 1942 seinen letzten Bericht "Flug nach Arras" mit großem Erfolg in den USA herausgebracht und hunderttausendfach verkauft. Und nun ein Märchen?
Der Verlag Reynals & Hitchcock hatte bereits geahnt, dass das Publikum sich damit schwer tun würde und steuerte mit Humor gegen. In der Werbung zum Buch hieß es: "Die Kritiker werden einen Heidenspaß haben, Ihnen zu erklären, was für ein Buch das ist. Was uns angeht: Es ist das neue Buch von Antoine Saint-Exupéry." Doch selbst die Kritiker fanden nicht heraus, was genau sie da gelesen hatten. Sie lobten den Text und die Sprache. Für ein Erwachsenenbuch war es ihnen aber zu kindlich. Für ein Kinderbuch zu erwachsen. "Werden Saint-Exupérys philosophische Passagen Kinder in ihren Bann schlagen? Ich glaube eher sie werden auf blankes Unverständnis stoßen", kritisierte zum Beispiel die "New York Times". Wer also sollte es lesen?
Das Lebensgefühl des Saint-Exupéry
Der Durchbruch kam erst Jahre später und hing eng mit Saint-Exupérys tragischem Tod zusammen. Noch bevor "Der kleine Prinz" erschien, hatte Saint-Exupery die USA verlassen, ließ sich in Algerien nieder und machte von hier aus noch einige Aufklärungsflüge für die französische Luftwaffe. Von einem dieser Flüge am 31. Juli 1944 kehrte er nicht wieder zurück. "Der kleine Prinz" ist sein letztes vollendetes Werk - und sollte bald als Plädoyer für Freundschaft und Menschlichkeit in Erinnerung bleiben.
Zwei Jahre später veröffentlichte Saint-Exupérys Pariser Verlag Gallimard eine leicht abgeänderte Fassung des kleinen Prinzen. Angesichts Saint-Exupérys Schicksals war es auf einmal nicht mehr dasselbe Buch. Plötzlich haftete ihm etwas Mystisches an, weil es schien, als habe es den Tod Saint-Exupérys vorweg genommen. Den Lesern wurden nun bewusst, dass die Geschichte nur allzu deutlich widerspiegelte, wie einsam, krank und traurig Saint-Exupéry im amerikanischen Exil gewesen sein musste und wie sehr er an den von Macht, Habgier und Bosheit geblendeten Menschen, die der kleine Prinz mit seinen Weisheiten kritisiert, verzweifelte. Über Jahrzehnte hielt sich das Gerücht, er sei freiwillig in den Tod geflogen. Bis heute ist die Absturzursache nicht abschließend geklärt.
Wie sehr dieses wunderbar seltsame Märchen die Menschen damals berührte, brachte die Buchhändlerin, Verlegerin und Journalistin Adrienne Monnier zum Ausdruck. Sie hatte als erste das schriftstellerische Talent Saint-Exupérys erkannt und 1926 seine erste Geschichte in ihrem Magazin "Navire dArgent" veröffentlicht und berichtete später, sie habe sich durch das Buch geweint. Nicht weil die Geschichte so traurig war, sondern weil Saint-Exupéry so viel von sich selbst hinein gelegt habe. Sie weinte um ihn. Monnier steht, wie die Saint-Exupéry-Biografin Stacy Schiff es formulierte, für Hunderttausende, denen es genauso erging. Bis heute schlägt das Lebensgefühl des Saint-Exupéry die Menschen in seinen Bann. "Der kleine Prinz" zählt noch immer zu den 20 meistgelesenen Büchern der Welt.
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Im Sturm erobert: 1929 war Saint-Exupéry ein erfolgreicher Pilot und ging nach Argentinien, um dort Flugpost- und Luftfrachtlinien aufzuziehen. 1930 lernte er dann in Buenos Aires die junge Salvadorianerin Consuelo Suncín Sandoval kennen, die er ein Jahr später in Südfrankreich heiratete.
Hier ist Antoine de Saint-Exupéry (rechts) 1930 mit Freunden auf einem Jahrmarkt in Buenos Aires zu sehen.
Universelle Wahrheiten: "Der kleine Prinz" wurde Saint-Exupérys letztes vollendetes Werk und ist heute eines der meistverkauften Bücher überhaupt.
Es verkaufte sich mehr als 100 Millionen Mal und wurde in 250 Sprachen übersetzt. Darunter etwa Bretonisch,...
...Oberöstereichisch,...
Hindi
...oder Galicisch.
Trauriger Exilant: Antoine de Saint-Exupéry floh 1940 aus Frankreich vor den deutschen Besatzern in die USA. Erst nach seinem Tod und durch den kleinen Prinzen wurde vielen Menschen klar, wie einsam, krank und traurig er in seinem Exil gewesen sein musste.
Inspirationsquelle: 1939 veröffentlichte Antoine de Saint-Exupéry seinen Roman "Terre des Hommes", der auf Deutsch unter dem Titel "Wind, Sand und Sterne" erschien. Darin schrieb er über seine Erlebnisse als Postflieger und Kurier im spanischen Bürgerkrieg. An einer Stelle schildert er einen Absturz über der Wüste, den er zwar unverletzt überstand, jedoch fast anschließend verdurstet wäre, wenn er nicht von Beduinen gerettet worden wäre.
Männerfreundschaft: In den dreißiger Jahren arbeitete Saint-Exupéry abwechselnd als Flieger, Werbebeauftragter, Journalist und Autor auf der ganzen Welt. Seine Leidenschaft blieb jedoch das Fliegen. Hier steht er um 1938 mit seinem Mechaniker und Navigator André Prévot auf einem Flugplatz in Frankreich. Prévot war dabei, als Saint-Exupéry einmal über einer Wüste abstürzte und fast verdurstet wäre.
Raubein in der Wüste: Eigentlich war Saint-Exupéry bekannt für seine Abenteuerromane, in denen er über seine Arbeit als Pilot in Afrika, Europa und Südamerika schrieb. Bereits 1928 veröffentlichte er "Courrier Sud", zu Deutsch "Südkurier". Die Geschichte hatte er während seiner Zeit als Pilot in der Kolonie Spanisch-Marokko geschrieben.
Auf Korsika: Im Mai 1943 verließ Saint-Exupéry die USA und ging nach Algerien, um wieder als Pilot zu arbeiten. Da er jedoch inzwischen etwas aus der Übung und eigentlich zu alt war, wurde er ausgemustert. Er schaffte es jedoch, auf Sardinien und Korsika für Aufklärungsflüge eingesetzt zu werden.
Kritzelei als Inspiration: Angeblich soll alles mit der Zeichnung eines kleinen Jungen angefangen haben, die Saint-Exupéry beiläufig auf eine Serviette kritzelte. In einer Version der Geschichte war es sein Verleger Curtice Hitchcock, in einer anderen die Ehefrau von dessen Partner, die dem Autor spontan vorschlug, eine Geschichte um den kleinen Jungen zu verfassen.
Und auch wenn Saint-Exupéry seinen kleinen Prinzen immer gern zeichnete - dieses Bild stammt von Consuelo de Saint-Exupéry, seiner Frau.
Die Grande Dame: 1923 verlobte sich Saint-Exupéry mit der Schwester eines Klassenkameraden, Louise de Vilmorin. Für sie gab er seine Pläne Militärpilot zu werden auf, da ihre adlige Familie das nicht tolerieren wollte. Trotzdem löste sie die Verbindung und heiratete 1925 Henry Leigh Hunt, einen reichen amerikanischen Immobilienmakler.
Im Alter (hier 1968) wurde Louise Levesque, wie sie eigentlich hieß, dann zur Königin des literarischen Paris.
Der letzte Einsatz: Am 31. Juli 1944 startete Saint-Exupéry zu einem Flug nach Grenoble, von dem er nie wieder zurückkehrte. Erst 1998 fand ein Fischer ein graviertes Armband des Autors und im Jahr 2000 konnte das Flugzeugwrack im Mittelmeer geortet werden.
Ein Jahrhundertwerk: "Der kleine Prinz" ist heute ein Klassiker, der mehr als 100 Millionen Mal verkauft wurde. Einzelne Manuskriptseiten wurden für Zehntausende Euro versteigert. Als es jedoch im April 1943 erschien,...
...sah es zuerst gar nicht nach einem Erfolg aus. Das seltsame Märchen passte überhaupt nicht zum Image des Abenteurers Saint-Exupéry und überhaupt schien es für Kinder viel zu kompliziert.
Der kleinste Prinz: Am 4. September 2000 präsentierte der taiwanische Künstler Chen Frong Shean eine besondere Ausgabe des kleinen Prinzen. Das damals kleinste Buch der Welt hatte eine Seitenlänge von 2 Millimetern, wog 0,02 Gramm und passte auf die Spitze eines Kugelschreibers.
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