
Architekt Walter Gropius: Der talentierte Mister Bauhaus
Architekt Walter Gropius Der talentierte Mister Bauhaus
Der hochrangige Vertreter aus dem Reichsamt des Inneren war sehr erstaunt, als er am Sonntag, den 18. Mai 1924 das Bauhaus in Weimar besuchte. Staatssekretär Schultz hatte eine Gemeinschaft in gedrückter Stimmung erwartet, denn die Existenz der Kunstschule stand auf dem Spiel. Die vom Staat Thüringen finanzierte Bildungsstätte, an der ein neuer Typ von Gestalter heranwachsen sollte, war Angriffen unterschiedlicher konservativer politischer und kultureller Kreise ausgesetzt. Als Schultz in den Saal eintrat, sah er, wie der Direktor Walter Gropius von der Gemeinschaft der Bauhausmeister und Studierenden und begleitet von der Bauhaus-Kapelle "unter ohrenbetäubenden Hochrufen durch den Saal getragen" wurde, wie die Gattin des Bauhausdirektors nach dem Ereignis notierte. Gropius feierte seinen einundvierzigsten Geburtstag, und wie in den Jahren davor machte er daraus ein Fest für alle Bauhäusler. Hier zeigte sich das einzigartige Talent von Gropius, mit Diplomatie und Charisma Menschen von seiner Vision einer neuen Gestaltung, vor allem aber von seiner Vision einer neuen Arbeits- und Lebensgemeinschaft begeistern zu können - gerade in schwierigen Zeiten.
Doch nicht nur intern brillierte Gropius mit kommunikativen und diplomatischen Fähigkeiten. Auch in der Öffentlichkeit wusste er bravourös und ebenso erfolgreich auf der Klaviatur der medialen Möglichkeiten zu spielen: Mit Vorträgen und Pressearbeit über die Herausgabe eigener Publikationen bis zum Erstellen von Filmen. Oft geschah das als Reaktion auf äußeren Druck, denn der Bauhausdirektor musste buchstäblich täglich um Anerkennung, ja die Verteidigung der Institution kämpfen.
In jenem Mai 1924 sah es für das 1919 gegründete Bauhaus besonders schlecht aus. Dabei hatte die Schule im Vorjahr weltweite Aufmerksamkeit erzielt, als Lehrende und Studierende ihr erstes gemeinsam entworfenes und komplett eingerichtetes modernes Gebäude präsentierten: das Haus Am Horn. Im Hauptgebäude zeigte selbst das Direktorenzimmer die neue Orientierung: "Kunst und Technik" sollten eine "neue Einheit" bilden. Der Ausstellungsteil "Internationale Architektur", der neben den Arbeiten der Architekten am Bauhaus auch Projekte der europäischen Avantgarde von Ludwig Mies van der Rohe bis Le Corbusier präsentierte, machte das Bauhaus in den Augen der Öffentlichkeit zu einem Zentrum des Neuen Bauens. Doch nun drohte das Aus.
"Mister Bauhaus"
Im Frühjahr 1925 trat der Meisterrat die Flucht nach vorn an und löste das aus, was Bauhausmeister Oskar Schlemmer den "Tanz der deutschen Städte um das Goldene Kalb Bauhaus" nannte. Dessau machte das Rennen. Auch das war ganz wesentlich ein Erfolg der Gropiusschen Diplomatie.
Dass Gropius so überaus erfolgreich Menschen für sich und die Projekte des Bauhauses begeistern und auch intern für die individuellen Künstler- und Gestalterpersönlichkeiten eine anregende Atmosphäre bereiten konnte, steht heute außer Zweifel, ja wird als seine eigentliche Leistung angesehen. In der Tat hat Gropius entscheidenden Anteil daran, dass er nach seinem Weggang vom Bauhaus im Jahre 1928 und vor allem, nachdem er in die USA gegangen war, zum "Mister Bauhaus" wurde. Mit der Bauhausausstellung, die er mit ehemaligen Bauhausmeistern 1938 im Museum of Modern Art einrichtete, begann eine einzigartige Serie von Publikationen und Ausstellungen, die das Bauhaus zum geradezu mythischen Zentrum der klassischen Moderne werden ließen. Noch die für viele Jahre umfangreichste Bauhausausstellung von 1968 in Stuttgart wurde maßgeblich von Gropius und seinen ehemaligen Mitstreitern bestimmt.
Der Architekt und Gestalter Walter Gropius wird seit einigen Jahren eher zurückhaltend wahrgenommen. Ganz im Gegensatz zu Ludwig Mies van der Rohe gab es keine großen Werkausstellungen. Woran liegt das?
Vorwurf: "Funktionalist"
Es liegt an Gropius' besonderem Arbeitsstil. Stärker als andere Architekten setzte er auf die Mitarbeit anderer - da er kein guter Zeichner war. Bis 1925 war Adolf Meyer sein wichtigster Partner, nach 1925 wurde Gropius' privates Baubüro von Richard Paulick geleitet. In den 1930er Jahren gab es Partnerschaften mit englischen Architekten. Als Gropius 1938 in den USA der erste ausländische Leiter der Architekturabteilung an der Harvard-Universität wurde, kooperierte er mit Konrad Wachsmann und mit dem ehemaligen Bauhauskollegen Marcel Breuer. Mitte der 1940er Jahre gründete Gropius TAC: The Architects Collaborative. Es entstanden interessante Bauten, doch das architektonische Werk von Gropius erreichte nach seiner Bauhauszeit nicht mehr diese Stringenz und Bedeutung wie Projekte von Ludwig Mies van der Rohe oder Le Corbusier.
Die zurückhaltende Wertung des Architekten Gropius liegt aber auch daran, dass er aufgrund seiner theoretischen Texten als "Funktionalist" wahrgenommen wurde - sowohl von der wohlwollend als auch der kritisch eingestellten Fachwelt. Bauen war für Gropius eine eminent soziale Aufgabe. Es ging um bessere Lebensverhältnisse für alle. Gropius' Texte setzten unterschiedliche Schwerpunkte im Spannungsfeld zwischen "Wohnorganismus" und "Wohnmaschine". Er arbeitete mit den Begriffen "Funktion", "Zweck", "Wesen", auch mit "Vorgang" - und das sowohl, wenn er nach Lösungen für die wissenschaftliche Planbarkeit und Organisation des Baustellenbetriebs suchte, als auch, wenn er die Gebrauchsqualitäten des Wohnhauses analysierte, "die Funktionen des Wohnens, Schlafens, Badens, Kochens, Essens".
Nur, das ist eben nicht alles. Zwar gliederte Gropius das Haus als Organismus zunächst nach den Funktionen, die die inneren Vorgänge verdeutlichen. Ihre Abstimmung untereinander war aber nicht vorrangig von bautechnischen und -ökonomischen Fragen bestimmt: "Architektur", so Gropius 1930, "erschöpft sich nicht in Zweckerfüllung, es sei denn, dass wir unsere psychischen Bedürfnisse nach harmonischem Raum, nach Wohlklang und Maß der Glieder, die den Raum erst lebendig wahrnehmbar machen, als Zwecke höherer Ordnung betrachten."
Blick unter die Haube
Für Gropius war Bauen immer ein ästhetischer Vorgang. Noch 1964 warnte er vor einem einseitigen "Superfunktionalismus". Doch die Realität der gerade in jenen Jahren entstandenen Großsiedlungen - auch Gropius baute solche im Westen Berlins ab 1960 - rief die Kritiker auf den Plan. In der beginnenden postmodernen Diskussion wurden Gropius und das Bauhaus zu Stellvertretern einer zu bekämpfenden funktionalistischen Moderne. So warfen Robert Venturi und seine Partner in ihrem 1978 erschienenen Buch "Lernen von Las Vegas" gerade Gropius vor, die seit Vitruv tradierte Dreieinigkeit von firmitas, utilitas und venustas zur Gleichung "Solide Bauweise + Zweckdienlichkeit = Anmut" entstellt zu haben.
Im Mittelpunkt solcher Diskussionen stand immer wieder: das Dessauer Bauhausgebäude, 1926 fertig gestellt, seit 2006 abschließend restauriert. Wer genau hinsieht, entdeckt, dass seine Gestalt ganz und gar nicht nur aus der Konstruktion oder dem praktischen Gebrauch abgeleitet ist. Es gibt die geschlossene klare Gestalt, die sich beim Annähern dem Raum öffnet, es gibt ein Wechselspiel rauer und glatter Flächen und der große Glaskörper des Werkstatttrakts ist nicht in verkürztem Sinne nur durchsichtig, sondern changiert zwischen Reflektion und Durchsichtigkeit. Der geschulte Betrachter kann die Vorläufer für die serielle Gliederung der Fassade zurück bis auf Schinkels Bauakademie verfolgen. Es gibt sogar Bezüge zur vormodernen Tradition: Der Bau ist geradezu klassisch komponiert und nicht nur im Grundriss findet sich der Goldene Schnitt. Reste klassischer Ikonographie sind an den Dachabschlüssen und an den Treppenhausfenstern zu sehen, an mehreren Stellen zeigt der Bau die Rezeption ostasiatischer Einflüsse. Und es gibt eine aus den Formen und Prinzipien der Industrie schöpfende Poesie: Der Blick unter die Brücke kann wie ein Blick unter eine damalige Automobilkarosserie verstanden werden, wenn der Rahmen, das konstruktive Skelett, mit Gropius' Worten "nackt und strahlend klar" und "ohne Sentimentalitäten" gezeigt wird. Die vom Skelett abgesetzte weiße Wand wirkt wie das dünne Blech einer auf den Rahmen montierten Automobilkarosserie.
Wenn sich am 18. Mai der Geburtstag von Walter Gropius zum 125. Male jährt, sollte dies nicht nur mit der Erinnerung an den "ungeheuren Einfluss, den das Bauhaus auf jede fortschrittliche Schule in der Welt gehabt hat", so der Laudator Mies van der Rohe zum siebzigsten Geburtstag von Gropius im Jahre 1953, sondern auch mit einen frischen und unvoreingenommen auf das Werk des Architekten und Gestalter Walter Gropius verbunden sein.
Aus Anlass des 125. Geburtstages widmen die Stiftung Bauhaus Dessau, der Förderverein Meisterhäuser Dessau e. V. und die Stadt Dessau-Roßlau dem Gründer und langjährigen Direktor des Bauhauses eine Vortragsreihe. Diese und weitere Veranstaltungen finden Sie auf der Website des Bauhaus Dessau: www.bauhaus-dessau.de