Atombombe auf Hiroshima Als die Sonne vom Himmel fiel
Der 6. August 1945 war ein sonniger Montagmorgen in der Hafenstadt Hiroshima, mit ihren ungefähr 350.000 Einwohnern. Alle hatten zu tun. Zuhause, in der Schule, bei der Arbeit oder auf dem Weg dorthin. Kriegsalltag, doch scheinbar ruhig. Hiroshima war bisher von Bombardierungen verschont geblieben.
Saturo Arai, Atombombenopfer:
"Plötzlich hörte ich ein Flugzeuggeräusch. Eine B-29 näherte sich. Dann schaute ich in den Himmel und sah das Flugzeug."
Der damals zehn Jahre alte Saturo sah die Enola Gay, einen amerikanischen B-29-Bomber, dessen Besatzung im Anflug auf das Ziel Hiroshima war. An Bord der Enola Gay eine einzige Bombe: die Atombombe mit dem zynischen Spitznamen "Little Boy". 3,05 Meter lang, 71 Zentimeter Durchmesser, 4,4 Tonnen schwer, davon 60 Kilogramm Uran, mit einer Sprengkraft von 15 Kilotonnen TNT.
Bei dem streng geheimen Projekt der US-Armee lief fast alles nach Plan. In 9450 Metern Höhe wurde die Bombe ausgeklinkt. Ziel war die Aioi-Brücke in der Innenstadt. Die Atombombe explodierte nach 43 Sekunden in rund 580 Metern Höhe über der Stadt.
Saturo Arai, Atombombenopfer:
"Und plötzlich der Blitz, dieser gewaltige Blitz. Dann habe ich nur meine Augen und Ohren bedeckt. Danach drehte ich mich um, weil ich Angst hatte. Etwas passierte. Dann hörte ich hinter mir ein lautes Geräusch. Und ich verlor das Bewusstsein. Ich war bewusstlos - ich weiß nicht, zwei Minuten oder so. Als ich aufwachte, war es stockdunkel und es war viel Staub in der Luft. Das erste, an das ich mich erinnere, war die rote Sonne, als wir in den Himmel guckten."
Little Boy explodiert um 8.16 Uhr. Über Hiroshima steigt rasend schnell eine pilzförmige Wolke auf. Bei der Explosion entsteht ein Feuerball mit einer Kerntemperatur von 3900 Grad Celsius, was deutlich mehr als der Hälfte der Temperatur an der Oberfläche der Sonne entspricht - Die Druckwelle der Atombombe fegt über die Stadt. Mehr als 70.000 Menschen sind sofort tot.
Die damals elfjährige Emiko war 1400 Meter vom Punkt unterhalb der Explosion, dem Hypozentrum, entfernt.
Emiko Yamanaka, Atombombenopfer:
"Auf einmal war da dieser Lichtblitz. Es war so ein Licht, dass man dachte, die Sonne ist einem auf den Kopf gefallen oder ein Feuerball ist heruntergefallen. Ich konnte nichts mehr sehen. Im nächsten Moment kam ein Luftstoß von unglaublicher Kraft. Das war die Explosion. Der Luftstoß kam mit unglaublicher Kraft und ich konnte nicht ausatmen. Ich konnte nicht atmen. Dann habe ich das Bewusstsein verloren. Das alles passierte in nur einem einzigen Moment."
Der Moment in dem Hiroshima die Apokalypse erlebte. Die Druckwelle und der anschließende Feuersturm machten 80 Prozent der Innenstadt dem Erdboden gleich. Es gab keinen Schutz vor der unvorstellbaren Zerstörungsgewalt. Ein von Menschen gemachtes Inferno. Christoph Reiners ist Nuklearmediziner. Er forscht seit vielen Jahren mit seinen Kollegen aus Nagasaki über die Folgen von Strahlung für den menschlichen Körper.
Christoph Reiners, Nuklearmediziner, Universitätsklinikum Würzburg:
"Vor allem auch wegen der Wirkung der ionisierenden Strahlung, speziell der Gammastrahlung, die zu großen Teilen freigesetzt wurde. Da ist es eben so, dass in einem Umkreis von 500 Metern ohne irgendeinen Schutz durch ein Haus, ein Gebäude, ein Baum ausgereicht, die Menschen praktisch zu 100 Prozent verstorben sind. Wenn aber ein solcher Schutz da war, dann konnten 50 Prozent etwa 1000 Meter, waren es noch 90 Prozent, die verstorben sind, ohne Schutz in 1500 Meter 50% und dann in zwei Kilometer Entfernung waren es eigentlich weniger als zehn Prozent, die jetzt in diesem Falle der massiven Strahlung verstorben sind."
Von einigen Opfern blieb nur ein Schatten zurück. Die Körper verglühten vollständig. So wird angenommen, dass auf dieser Treppe zum Eingang einer Bankfiliale ein Mensch saß. Der gleißende Lichtblitz und die unfassbare Hitze der Atombombenexplosion hatten die Umrisse in den Stein gebrannt.
Und das Massensterben ging weiter. Zu den geschätzt 70.000 Bewohnern, die sofort tot waren, kamen bis Ende des Jahres 1945 weitere 70.000. Fünf Jahre später sollten es 200.000 werden. Die Strahlung tötete auch mit Zeitverzögerung. Und niemand kannte bisher die schrecklichen Folgen einer Atombombe. Die Menschen wussten nicht, was mit ihnen geschah. Verstümmelt, verbrannt, dem Tode nah, versuchten sie irgendwie zu entkommen. Die damals achtjährige Keiko war 2400 Meter vom Hypozentrum entfernt.
Keiko Ogura, Atombombenopfer:
"Ich traf auf ziemlich lange Menschenschlangen, die aus der Stadt flohen. Zuerst vernahm ich einen Geruch von verbranntem Haar. Ein schlechter Geruch. Was ist das? Dachte ich zuerst. Und dann habe ich es herausgefunden. Das leise Marschieren. Sie streckten ihre Arme aus. Zuerst dachte ich, sie tragen lange Ärmel an ihrer Kleidung. Aber das waren keine Kleider. Es war ihre Haut, die herunterhing."
Das erste Foto, dass wenige Stunden nach der Atombombenexplosion in Hiroshima gemacht wurde, zeigt verzweifelte Schwerverletzte und Sterbende an der Miyuki-bashi-Brücke. Der Fotograf einer Lokalzeitung schaffte es erst nach 20 Minuten, auf den Auslöser zu drücken. Zu schockierend war die Situation.
Heute weiß man, dass die Chance zu überleben davon abhing, wo man zufällig gerade war. Die Entfernung vom Hypozentrum beeinflusste die Strahlendosis. Auch, ob es irgendeinen Schutz vor der Strahlung gab, in einem der wenigen Betongebäude, hinter einer Mauer oder in einem Keller. Welche Kleidung man trug. Jedes Stück Haut, das nicht bedeckt war, verbrannte. Satoru Arai hatte an dem Morgen ein weißes Hemd angezogen, er sagt, es hätte die Strahlung reflektiert. Bei der Detonation war er 1700 Meter vom Hypozentrum entfernt und hat trotz schwerer Verbrennungen den Weg nach Hause geschafft.
Saturo Arai, Atombombenopfer:
"Das erste, als ich nach Hause kam, war, dass meine Mutter mich anstarrte. Sie sah mich an, hatte Angst. Was passiert sei? Ich sagte ihr, dass ich gerade überhaupt nichts fühle. Die Hälfte meines Gesichts, meiner Arme und meiner Waden war verbrannt. Das waren Verbrennungen dritten Grades, was bedeutet, dass sich die Haut gelöst hatte. Ich denke, das sah schrecklich aus."
Eine medizinische Erstversorgung der Überlebenden war so gut wie nicht existent. Die meisten Krankenhäuser wurden zerstört, Ärzte und Krankenschwestern selbst meist getötet oder schwer verletzt. Es war die Hölle für die, die starben. Aber es war auch die Hölle für diejenigen, die überlebten. Zu den unmittelbaren Verletzungen und Verbrennungen kamen die ersten Symptome der Strahlenkrankheit.
Keijiro Matsushima, Atombombenopfer:
"Am nächsten Tag bekam ich hohes Fieber und Durchfall. Vermutlich die Auswirkungen der Strahlung. Vermutlich, weil ich auf der Fläche rund um das Hypozentrum viel Radioaktivität ausgesetzt war. Aber zum Glück habe ich die Stadt sehr bald danach verlassen und war nicht so stark betroffen."
Der 16-jährige Keijiro war 2 Kilometer vom Hypozentrum entfernt. Für die meisten Überlebenden, die der Strahlung intensiver ausgesetzt waren, bedeuteten die Strahlenschäden unvorstellbares Leid, akute Lebensgefahr und häufig den baldigen Tod.
Christoph Reiners, Nuklearmediziner, Universitätsklinikum Würzburg:
"Die zweite, dann längerfristig wirkende Strahlenfolge - auch als Spätwirkung bezeichnet - ist die akute Strahlenkrankheit, die nach einigen Tagen oder Wochen auftritt. Die dadurch bedingt ist, dass die Strahlung im Körper das Gewebe stört oder zerstört. Die Strahlung tötet auch in erster Linie die weißen Blutkörperchen als die Immunabwehr, die wir im Körper haben, so dass man absolut anfällig gegen Infektionen jeder Art wird. Sie zerstört aber vor allem auch das Gewebe im Darm, so dass der Darm auf diese Art undicht wird. Des Weiteren ist auch das Gehirn besonders strahlensensibel und so führen die Folgen zu massiven Durchfällen, zu Infektionsanfälligkeit, unter Umständen zu starken Kopfschmerzen und Erbrechen. Diese Folgen treten dann innerhalb der nächsten Tage bis Wochen nach Exposition mit diesen hohen Strahlendosen auf."
Drei Tage nach der Auslöschung Hiroshimas fliegt erneut ein amerikanischer B-29-Bomber, diesmal über Nagasaki im Süden Japans. Am 9. August um 11.02 Uhr fällt die zweite Atombombe - eine Plutoniumbombe namens "Fat Man". Auch in Nagasaki waren die Auswirkungen katastrophal: verheerende Zerstörung, unermessliches Leid, 70.000 Tote bis Ende des Jahres. Erst sechs Tage später verkündet Kaiser Hirohito die Kapitulation Japans. Der Zweite Weltkrieg war nun endgültig vorbei. Aber die Qualen der Atombombenopfer in Nagasaki und Hiroshima gingen weiter.
Keijiro Matsushima, Atombombenopfer:
"Die Leute hatten eine sehr schwere Zeit, auch weil es sehr heiß war. Die Wunden oder Verbrennungen eiterten sehr bald, sie wurden von Maden befallen. Die Menschen hatten es sehr schwer, sie starben, einer nach dem anderen, unter Schmerzen. Und selbst einige gesunde Menschen, die augenscheinlich keine Verletzung hatten, wurden ganz plötzlich krank. Das ist die Auswirkung der Strahlung. Noch viele Jahre später haben die Menschen sehr gelitten. Leukämie oder Krebs traten auf. Selbst viele Jahre nach dem Bombenangriff starben immer noch Menschen, die plötzlich an vielen seltsamen Symptomen erkrankten. Das war wirklich eine schreckliche Waffe."
Und niemand übernahm Verantwortung. Die USA, nach der Kapitulation Japans Besatzungsmacht, rechtfertigten sich mit dem durch die Atombomben erzwungenen schnelleren Kriegsende. Eine Entschuldigung gibt es bis heute nicht.
Ab September 1945 machten Kameraleute und Wissenschaftler des US Strategic Bombing Surveys Filmaufnahmen, um die Folgen der Explosionen zu erforschen und zu dokumentieren. Hiroshima als Versuchslabor.
Originalkommentar:
"Dieses kleine vierjährige Mädchen war 500 Meter vom Epizentrum entfernt. Ungefähr vierzehn Tage lang war sie äußerst lebendig. Aber nach und nach verlor sie an Vitalität und bekam Ödeme."
Und auch in ihrer Heimat Japan ließ man die Opfer allein. Die japanische Gesellschaft tabuisierte ihre Leiden. Man nennt die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki Hibakushas, wörtlich übersetzt: "Die von der Bombe Betroffenen". Und die Hibakushas wurden in ihrem eigenen Land jahrzehntelang diskriminiert.
Christoph Reiners, Nuklearmediziner, Universitätsklinikum Würzburg:
"Aufgrund der Tatsache, dass viele von ihnen an wirklich entstellenden Narben litten. Aufgrund der Tatsache, dass man glaubte, dass die Strahlung, die freigesetzt wurde, irgendwie infektiös sei, hat man die Hibakushas von Seiten der Bevölkerung massiv ausgegrenzt. Dazu kam noch, dass man glaubte, dass auch deren Nachkommen sozusagen genetisch minderwertig wären. Dies wiederum hat dazu geführt, dass die Nachkommen Schwierigkeiten hatten, normale Ehen einzugehen, weil die Bereitschaft, einen Partner zu finden, der mit einem solchen Menschen Kontakt haben wollte, die war zumindest in den ersten Jahren nach dem Ereignis gering."
Erst später wurden sie als Opfer respektiert und erhielten freie medizinische Versorgung. Langzeitstudien wurden etabliert. Die Radiation Effects Research Foundation untersucht die Überlebenden im Rahmen einer lebenslangen Studie bis heute - mitfinanziert von den USA, immerhin. Nach wie vor ist für Hibakushas das Krebsrisiko sehr hoch. Ein lebenslanges Leiden.
Katsuhiko Watanabe, Atombombenopfer:
"Die Atombombe hat alle meine inneren Organe und meinen Darm betroffen. Ich leide immer noch sehr. Ich frage mich sogar, ob ich nicht damals hätte sterben sollen. Manchmal fühle ich das wirklich."