
Attentat in Bonn: Als Gaddafis Killer in Deutschland mordeten
Attentat in Bonn Als Gaddafis Killer in Deutschland mordeten
Der Anruf kam aus heiterem Himmel. "Hier ist Fathallah B.", sagte ein Mann am anderen Ende der Leitung. Obwohl wir uns jahrelang nicht gesprochen hatten, wusste ich sofort, wer er war. Ich kannte ihn noch aus Studententagen. "Es geht um den Mord an dem libyschen Regimegegner Dschibril al-Dinali", sagte er. Mord? Erst jetzt erfuhr ich, dass Dinali, ein erklärter Gaddafi-Gegner, vier Tage zuvor, am 6. April 1985, auf offener Straße erschossen worden war. "Du arbeitest doch bei der Zeitung, kannst du darüber berichten?", fragte er mich.
Wie sich schnell herausstellte kannte ich den Ermordeten. Er war Mitglied einer Bonner Eine-Welt-Gruppe, der auch ich von 1982 bis 1986 angehörte. Trotzdem zögerte ich. Ich arbeitete damals für das Feuilleton des "Bonner General-Anzeigers" und wollte eigentlich nur über Kunst schreiben. Schließlich ließ ich mich aber doch auf die Sache ein. Denn ich hatte das Gefühl, etwas wiedergutmachen zu müssen.
Das letzte Mal war ich Dinali wenige Monate zuvor in dem kleinen Laden begegnet, den die Eine-Welt-Gruppe in der Bonner Nordstadt angemietet hatte, um darin ein kleines Café zur internationalen Verständigung zu betreiben. Wie alle Vereinsmitglieder machte ich dort gelegentlich Café-Dienst. An jenem Tag war auch Dinali da. Ich wusste, dass er früher einmal bei der libyschen Botschaft gearbeitet hatte. Er machte auf mich einen reichlich wirren Eindruck. Aufgeregt berichtete er davon, wie er in den Räumen der libyschen Botschaft in Bonn gefoltert worden war - nachdem er seinen Dienst dort quittiert hatte. Und er erzählte von Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Libyen und von Israel an Iran. Was er sagte, kam mir verrückt vor. Das konnte nicht sein! Doch jetzt wurde mir klar: Möglicherweise hatte ich ihm unrecht getan.
Auftragskiller im Dauereinsatz
Wenige Monate nach seinem aufgeregten Café-Besuch war Dinali tot. Erschossen, direkt vor dem Bonner Münster. Der "General-Anzeiger" hatte ein paar Wochen zuvor ein Interview abgedruckt, in dem Dinali erzählte, wie Muammar al-Gaddafi Regimegegner im Exil gezielt ausschaltete. Er berichtete auch von seiner Foltererfahrung in der libyschen Botschaft und dass er sich persönlich bedroht fühlte. War er deshalb ermordet worden? Der junge Journalist Thomas Wittke, der ihn interviewt hatte, machte sich entsetzliche Vorwürfe. Wie unbegründet sie waren, stellte sich im Laufe der Recherchen heraus, die ich nun anstellte und über die ich Wittke informiert hielt, damit er darüber schreiben konnte.
Fathallah versorgte mich mit präzisen Informationen. Regelmäßig waren in den vergangenen Jahren europaweit um den 7. April herum Regimegegner Gaddafis hingerichtet worden - in Athen, Rom, Bonn, Wien. Das Datum hatte Symbolcharakter, denn am 7. April 1976 hatte Gaddafi in Bengasi einen von der Generalunion Libyscher Studenten organisierten Aufstand gegen seine Terrorherrschaft brutal niedergeschlagen. Fathallah meinte, dass er sich mit den Hinrichtungen an den Aufständischen von damals rächen wollte. Als Touristen getarnt schleuste der selbsternannte "Revolutionsführer" seine Todesschwadronen nach Europa ein und ließ sie dann auf offener Straße öffentlichkeitswirksam zuschlagen - wie am 6. April 1985 in Bonn.

Attentat in Bonn: Als Gaddafis Killer in Deutschland mordeten
Um seine Thesen zu untermauern, stellte Fathallah mir den Telefonkontakt zu einem im Köln lebenden libyschen Arzt her, der mir einige Schlüsselstellen aus libyschen Zeitungen, die ihm im Original vorlagen, übersetzte. Seinen Namen und seine Telefonnummer erfuhr ich aus Sicherheitsgründen nicht. Laut den Zeitungsberichten hatte sich Gaddafi 1984 vom Rat der Volksbeauftragten in Tripolis die Vollmacht erteilen lassen, Oppositionelle im Ausland bis zum Tod zu verfolgen. Kurz zuvor hatte die "Nationale Front zur Rettung Libyens" versucht, das Hauptquartier des Revolutionsführers in Tripolis zu stürmen. Gaddafi tobte öffentlich: alle Konterrevolutionäre und "heimatlosen Hunde" müssten zu Tode gehetzt werden. Im März 1985 bekräftigte er noch einmal sein Vorhaben. In der libyschen Zeitung "Al Zahas-Al Khadar" versicherte Gaddafi am 4.März 1985, er setze sich für die Liquidierung der Oppositionsführer im In- und Ausland ein. Redakteur Wittke stellte all diese Zusammenhänge schließlich am 13. April 1985 im "General-Anzeiger" dar.
Mord mit Ansage
Dass Gaddafis Todesschwadronen auch um den 7. April 1985 zuschlagen würden, stand damit außer Zweifel. Die Ankündigung versetzte die Exillibyer reihenweise in Angst und Schrecken. Auch Dinali. Er muss geahnt haben, dass er auf Gaddafis Liste der Todeskandidaten relativ weit oben stand und nun die Reihe möglicherweise an ihm war.
Margret Wehning war dabei, als ihr Freund Dschibril al-Dinali kaltblütig nieder geschossen wurde. Ich beschloss, auch mit ihr zu sprechen. Weil wir uns über den Dritte-Welt-Verein kannten, vertraute sie mir. Die "Bild"-Zeitung hatte über den Vorfall bereits berichtet. Margret war sehr unzufrieden mit dem Artikel. Nun wollte sie, dass alles richtig dargestellt wird. Sie stand direkt neben Dinali, als der erste Schuss fiel. Nachdem er bereits getroffen am Boden lag, zielte der Mörder noch einmal auf ihn und versetzte ihm einen Genickschuss aus direkter Nähe. Noch am Tatort wurde der Schütze, Fatahi al-Tarhoni, festgenommen - von einem Polizisten, der zufällig in der Nähe stand.
Dinali sei in den letzten Wochen und Monaten vor seinem Tod sehr gehetzt gewesen, berichtete Margret weiter. Er rechnete offenbar jeden Augenblick, seinen Killern zu begegnen. Er hatte sogar die deutschen Behörden davon unterrichtet und um Schutz gebeten. Doch die winkten ab, aus Personalmangel. Schließlich versuchte er nach London zu fliehen - vergeblich. Großbritannien verweigerte ihm die Einreise. Vier Tage vor seinem Tod schickten ihn die britischen Behörden wieder zurück. Dinali, der 1981 in Deutschland Asyl beantragt hatte, lief wochenlang um sein Leben. Doch schützen konnte - oder wollte - ihn niemand.
Täter schützt Blutrache vor
Fathallah erwähnte auch, dass die Bundesrepublik möglicherweise Waffengeschäfte mit Libyen mache. Dinali war also nicht der einzige, der daran glaubte. Er berief sich auf ein Gespräch mit einem Angehörigen des libyschen Militärs, den er zufällig im Zug getroffen habe. Er sei auf dem Weg nach Kiel, hatte der Soldat Fathallah angeblich erzählt, um dort den Umgang mit Panzern zu üben, die von der Maschinenbau Kiel (MaK) hergestellt worden waren. Fathallah hielt es für möglich, dass die BRD solche Panzer an Libyen geliefert hatte. Natürlich wollte ich auch diese bruchstückhaften Informationen veröffentlichen. Ich sprach mit dem damaligen Chef der Politik-Redaktion, Bernd Leyendecker. Seine Antwort bestürzte mich: "Selbst wenn das stimmen sollte, können wir es uns als Zeitung der Bundeshauptstadt, die auf die Zusammenarbeit mit den Institutionen wie dem Auswärtigen Amt angewiesen ist, nicht leisten, darüber zu berichten. Außerdem sind wir auch für Ihre Sicherheit verantwortlich."
Am 11. November 1985 wurde Fatahi al-Tarhoni nach sieben Verhandlungstagen zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verteilt. Bei seiner Festnahme hatte Tarhoni noch angeben, er sei in der Bundesrepublik, um libysche Regimegegner zu töten. Im Prozess behauptete er dann, er habe Dinali aus Blutrache getötet. Der Richter vermutete zwar einen politischen Zusammenhang, konnte ihn aber nicht nachweisen.
Unsere Eine-Welt-Gruppe veranstaltete noch eine Mahnwache an dem Ort, an dem Dinali erschossen wurde. Was nun folgte, erinnert ein wenig an Emil und die Detektive. Bald bemerkten wir, dass ein arabisch gekleideter Vater mit Sohn an der Hand uns eifrig fotografierte. Wir vermuteten, dass es sich um einen libyschen Botschaftsangehörigen handelte. Der Vereinsvorstand und ich beschlossen, ihm zu folgen, um zu sehen, ob er in ein Diplomatenauto einstieg. Kreuz und quer ging es ohne Stopp durch die Bonner Fußgängerzone. Die beiden verschwanden im Parkkeller von Karstadt und rasten dann in einem silberfarbenen Mercedes mit diplomatischem Kennzeichen davon.