
Audrey Hepburn: Vom Gänseblümchen zum Engel
Audrey Hepburn Heilige in Babylon
Wie soll man sie denn noch beschreiben? Soll man noch einmal von ihrem Rehaugenaufschlag schwärmen? Von ihrer Grazie, ihrer Güte, ihrem Einfluss als Stilikone, ihrer Hingabe als Mutter, ihrer Zerbrechlichkeit? Oder soll man zu noch einmal Billy Wilder zitieren, der nach dem Dreh des Films "Sabrina" scherzte, sie werde am Ende noch den Busen aus der Mode bringen?
Als Hepburn 1953 mit ihrem US-Filmdebüt "Ein Herz und eine Krone" mit nur einem Film ganz Hollywood das Herz und die Show stahl, war sie das Gänseblümchen unter Sexbomben. Damals gehörte die Welt den Kurvenreichen. Marilyn Monroe, Jayne Mansfield und Sophia Loren waren Weibsbilder zwischen üppig und unglaublich, zwischen billig und brilliant.
Schon vier Jahre zuvor, als Audrey, der Hungerhaken mit den großen braunen Augen, noch irgendein Londoner Revuegirl war, gelang ihr dieses Kunststück. Aud Johanssen, die damals neben ihr in der Show "Sauce Tartare" tanzte, stänkerte fassungslos: "Ich weiß, dass ich die besten Titten auf der Bühne habe, und trotzdem starren alle ein Mädchen an, das gar keine hat."
Unsinnig ehrlich, widerlich bescheiden
Doch während Marilyn und Co. ihren Bewunderern nur vor Erstaunen die Münder offenstehen ließen, schien die asthmatische Audrey einen Schlüssel bei sich zu tragen, der Herzen öffnete. 1950 schlug sie die französische Schriftstellerin Colette sofort in den Bann. "Das ist meine Gigi!", rief diese beim Anblick der schmächtigen Kindfrau quer durch den Eingangsbereich des edlen Hotel de Paris in Monte Carlo.

Audrey Hepburn: Vom Gänseblümchen zum Engel
Colette wollte unbedingt, dass die schöne Unbekannte die Titelrolle der Broadway-Inszenierung nach ihrem Erfolgsroman "Gigi" bekam - und hatte ihre Rechnung doch nicht mit Audrey Hepburn gemacht. "Es tut mir leid, Madame", sagte diese höflich, "aber das ist unmöglich. Ich wäre nicht dazu in der Lage, weil ich nicht schauspielern kann." Jedes andere Geschöpf, das so unsinnig offen, so unfassbar bescheiden wäre, würde man unverhohlen als dumm bezeichnen - oder eine hinterlistige Marketing-Masche wittern. Bei Audrey war das etwas anderes. Und natürlich bekam sie die Rolle trotzdem.
Kurz vor dem Beginn der Proben zu "Gigi" besuchte sie noch schnell einen Vorsprechtermin für "Ein Herz und eine Krone". Aus purer Neugier, so die Überlieferung. Der Rest ist Filmgeschichte. Dem Gänseblümchen lag nach kürzester Zeit ganz Hollywood zu Füßen. Zwischen 1953 und 1967 drehte sie 16 Filme. Sie spielte an der Seite von Cary Grant, William Holden, Gary Cooper, Humphrey Bogart, Gregory Peck und Fred Astaire und drehte mit den ganz großen Regisseuren der Traumfabrik, darunter George Cukor, Billy Wilder und Blake Edwards. Und in der ganzen Zeit gab es keine Skandale, keine fiesen Schlagzeilen, nicht mal Party-Exzesse. Audrey war die Heilige im Hollywood Babylon.
Zwei Filme für die Söhne
Und dann ... war sie plötzlich weg. Als sie einer der Top-Stars der Traumfabrik war. Als sie mit den Thriller "Warte, bis es dunkel wird" gerade ihre reifste schauspielerische Leistung abgeliefert und dafür ihre fünfte Oscar-Nominierung erhalten hatte. Als sie eine Million Dollar pro Film verdiente - zu dieser Zeit eine absolute Spitzengage. Als sie mehr erreicht hatte, als sich eine kleine Revuetänzerin jemals hätte träumen dürfen.
Preisabfragezeitpunkt
24.03.2023 05.39 Uhr
Keine Gewähr
Was war passiert? Die Frau, die sich nichts mehr wünschte als Kinder und durch ihre zerbrechliche Physis drei Fehlgeburten erlitten hatte, wollte sich endlich nur noch um ihren Sohn Sean kümmern. So etwas war noch nie zuvor passiert. Zwar gab es vor ihr Hollywood-Göttinnen wie Marlene Dietrich die sich aus dem Rampenlicht und dem Filmgeschäft zurückzogen, als die Gazefilter vor der Kameralinse die Krähenfüße nicht mehr verschleiern konnten. Doch im Gegensatz zu der Dietrich, folgten auf Audreys große Filmkarriere nicht Alkoholrausch, Rückzug und Depressionen, sondern ein zweites Leben.
Noch einmal einen Film zu drehen, noch einmal vor den Augen der ganzen Welt ihren Zauber zu entfalten, diese Versuchung scheint es für sie nie gegeben zu haben. Die zwei großen Filmrollen, die sie noch spielte, nahm sie wegen ihrer Söhne an. In "Robin und Marian" glänzte sie nur an der Seite von Sean Connery, weil ihre Kinder sie gedrängt hatten - sie wollten unbedingt James Bond kennenlernen. Und der Regisseur Peter Bogdanovich konnte sie nur für die Hauptrolle in "Sie haben alle gelacht" gewinnen, weil er versprach, ihren Sohn Sean, der ins Filmgeschäft einsteigen wollte, als seinen Assistenten einzustellen.
All die verlorenen Filme
Am 20. Januar 1993 starb Audrey Hepburn im Alter von 63 Jahren nach einer erfolglosen Operation und kurzer Krankheit an Darmkrebs. In einem Nachruf im amerikanischen Filmmagazin "Premiere" erinnerte sich der Regisseur Bogdanovich an die Hochzeit ihres Sohnes Sean. Bei der war auch James Stewart anwesend. Und als Audrey sich beim Hochzeitswalzer zu ihrem Sohn und dessen Frau gesellte, tanzte sie mit Stewart. "Hepburn", schreibt er, "hatte nie mit Stewart gearbeitet, aber sie waren alte Freunde. Dieses Bild war für mich ein Symbol für all die Audrey-Hepburn-Filme, die verloren sind, weil sie sich dazu entschieden hatte, sie nicht zu drehen - und dann war es zu spät."
Audrey war das vermutlich herzlich egal. Sie schien nie daran interessiert gewesen zu sein, als die große Schauspielerin, die Elfe, die Lichtgestalt gesehen zu werden. In Interviews gab sie sich stets bodenständig und selbstironisch. Sie war nicht süchtig nach dem Rampenlicht, nicht besorgt um ihren Nachruhm als Schauspielerin. Stattdessen fühlte sie sich in ihrer Rolle als Mutter und später als Botschafterin von Unicef wohl. Da wollte sie noch einmal etwas von dem großen Glück, das sie im Leben gehabt hatte, weitergeben. So verblasst Audrey Hepburns Schauspielkarriere hinter ihrer Karriere als Mensch.
Ihren letzten Auftritt auf der Leinwand hatte sie 1989 in Stephen Spielbergs "Always". Ihre Rolle ist fast schon lächerlich schön, fast ein bisschen zu viel für eine Biografie wie diese: Audrey spielte einen Engel.