Augenblick mal! Kopf an Kopf

Die Aussicht war dramatisch - vor allem für Büffel: Von der Kuppe des Bergs bot sich ein Blick über die Weite der Prärie. Doch es war kein gewöhnlicher Hügel, auf dem der Amerikaner Stellung bezogen hatte. Jeden Monat präsentiert einestages ein verblüffendes Bild und erzählt die Geschichte dahinter.
Foto: Burton Historical Collection, Detroit Public Library

Was ist denn da passiert? In der Siegerpose erfolgreicher Jäger haben sich die beiden Männer für das Foto aufgestellt: Einer vor, der andere direkt auf dem Hügel. Beide haben ihre Hand auf den Oberschenkel gestemmt, den Fuß fest auf die Trophäe gesetzt: einen gehörnten Bisonschädel. Einen ganzen Berg gehörnter Bisonschädel. Doch etwas lässt am Jagderfolg zweifeln: Die Männer tragen keine Waffen. Und die Bisons sind nicht erst vor kurzem über die Prärie gehetzt - ihre Körper sind bereits verrottet.

Wer die beiden Männer sind, ist nicht überliefert. Die Aufnahme stammt aus der Privatsammlung von Clarence Monroe Burton (1853-1932), einem geschichtsinteressierten Anwalt aus Detroit. Der Lokalhistoriker hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Dokumente und Fotos über alle wichtigen Personen und Ereignisse seiner Heimat zu sammeln. Die Namen der beiden Herren hielt er offensichtlich nicht für so bedeutend, wohl aber den Knochenberg: "Ein Haufen amerikanischer Bisonschädel wartet darauf, zu Dünger vermahlen zu werden", hatte jemand zu dem Foto notiert, datiert auf "circa 1870".

Das Bild dokumentiert ein beispielloses Massaker: Innerhalb von nicht einmal zehn Jahren war die Bisonpopulation in den Great Plains um schätzungsweise 10 bis 15 Millionen Tiere auf ein paar wenige hundert dezimiert worden. Traditionell waren sie von den Indianern gejagt worden, die dabei nicht eben zimperlich mit den Wildrindern umgingen und mitunter ganze Herden über Felsklippen stürzen ließen. An den Rand der Ausrottung aber hatte die Bisons erst der Umstand gebracht, dass sich auch Weiße für sie interessierten, zumindest für deren Felle. Und deren Zunge, die als Delikatesse galt.

Als die Preise für Bisonhäute fielen, steigerten die Jäger ihre Abschusszahlen. Manche erlegten mehr als 100 Tiere am Tag. Von denen nahmen sie nur mit, was sie verkaufen konnten, den Rest ließen sie liegen. Nach dem Ende des Bürgerkriegs wurde die Bisonjagd sogar zum Freizeitvergnügen. Die staatliche Eisenbahn lud ein, vom fahrenden Zug aus auf die vorbeiziehenden Herden zu feuern. Ein zweifelhafter Spaß, der vor allem die Ureinwohner provozierte. Immer häufiger kam es zu Auseinandersetzungen mit den Indianern. Die US-Regierung bat die Armee um Hilfe. Die wiederum hegte einen perfiden Plan: Wenn erst ihre Lebensgrundlage verschwunden wäre, so das Kalkül, würden auch die Indianer verschwinden.

Als die weißen Siedler gen Westen vorstießen, um auf ihrem neuen Land Häuser und Farmen zu errichten, fanden sie Wiesen, Felder und Gärten übersät von Knochen. Sie sammelten sie ein und türmten sie zu großen Hügeln auf. Rasch sprach sich herum, dass sich damit Geld verdienen ließ: Fabriken im Osten zahlten einen guten Preis und bald schon rollten Hunderte Zugladungen Knochen nach Minneapolis, Chicago, St. Louis, Philadelphia - und Detroit.

Dort, in Michigan etwa, hatten die Unternehmer Deming Jarves und William D. Hooper 1873 mit der Herstellung von Tierkohle, Düngemitteln, Gelatine und Leim begonnen. Das Geschäft lief bestens. Nur zwanzig Jahre später waren die Michigan-Carbon-Werke das größte Unternehmen von Detroit. Lokalhistoriker Clarence Monroe Burton hatte somit allen Grund, die Knochenmühle in seine geschichtliche Sammlung aufzunehmen.

Augenblick mal!
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren