Ein Bild und seine Geschichte Ist das Kunst oder läuft das weg?

Eine Frau malt weiße Streifen auf eine Kuh. Gibt es in England keine Zebras? einestages lüftet das Geheimnis eines nur auf den ersten Blick aberwitzigen Bildes.
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Der fragende Blick dieser Kuh scheint völlig berechtigt: Was, bitte, soll denn das jetzt?

Die Dame mit dem Pinsel lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie scheint sich, den Farbeimer am Arm, ihrer Sache völlig sicher. Konzentriert malert sie dem Rindvieh auf einem Bauernhof in der englischen Grafschaft Essex weiße Streifen aufs Fell.

Nun ja. Andere streichen Zäune. Warum nicht auch mal eine Kuh, oder ein Pferd - wobei man das auch schon sehr viel eleganter gesehen hat. Etwa auf diesem Bild von einer englischen Pferdekutsche aus der benachbarten Grafschaft Hertfordshire.

Foto: Alamy

Moment... das sind gar keine Pferde. Die Kutsche gehörte Lord Lionel Walter Rothschild, Spross einer wohlhabenden Bankerdynastie. Dieser Mann war auch aus Sicht seiner Familie ein bisschen speziell, eher schüchtern und menschenscheu, dafür mit einer großen Liebe zu Tieren. Schon als Siebenjähriger hatte er seinen Eltern verkündet, er werde eines Tages ein zoologisches Museum eröffnen.

Anfangs entwickelte er eine Leidenschaft für Käfer und Schmetterlinge. Als der Junge größer wurde, wurden es auch seine Mitbewohner: Kängurus, Emus und Riesenschildkröten bevölkerten das Familienanwesen in Tring. 1892 gründete der Naturforscher im Alter von 24 Jahren dort tatsächlich die weltweit größte private naturhistorische Sammlung.

Ene mene muh, Zebrakuh

Bald darauf erwarb Walter Rothschild vier Zebras, die er darauf trainierte, es Pferden gleichzutun - und eine Kutsche zu ziehen. Das aber war, ebenso wie sein Reiten auf einer Riesenschildkröte, wohl nur ein spleeniges Hobby und konnte kaum der Grund dafür sein, dass man 1939, zwei Jahre nach Rothschilds Tod, in der Nachbarschaft begann, Kühe zu Zebras umzulackieren.

Was aber dann - war es ein frühes Bodypainting-Experiment oder vielleicht ein politisches Statement? Die demonstrative Abgrenzung zu den in Deutschland beliebten schwarzbunt gescheckten Holstein-Rindern? Lieber weiße Streifen als weiße Flecken? Oder waren Holsteiner gerade nicht zu bekommen?

In der Tat hatte die Rinder-Maskerade zu Beginn des Zweiten Weltkriegs etwas mit Mangel zu tun - allerdings nicht mit einem Mangel an Zäunen, Zebras oder schwarzbunten Rindern.

Vielmehr mit der Abwesenheit von Licht. Jeglichen Lichts.

Fotostrecke

Augenblick mal!: Briten im Blackout

Foto: IWM

Angesichts der massiven deutschen Aufrüstung hatte sich Großbritannien früh auf den Kriegsausbruch vorbereitet und im Zivilschutz zum Beispiel mit Minibunkern für den Vorgarten, mit Wellblechhütten zum Selberbauen, gegen drohende deutsche Luftangriffe gewappnet. Am 1. September 1939 versank Großbritannien zudem in völliger Finsternis. Bereits zwei Tage vor der offiziellen Kriegserklärung an Deutschland traten Verdunkelungsvorschriften in Kraft.

Düsternis in Stadt und Land

Um feindlichen Fliegern die Orientierung zu erschweren, war die Bevölkerung aufgefordert, täglich mit Eintritt der Dämmerung Fenster und Türen lichtdicht abzudecken. Ebenso waren Außenleuchten und Straßenlaternen auszuschalten sowie Ampeln und Fahrzeugscheinwerfer mit geschlitzten Abdeckungen zu versehen, um Lichtstrahlen auf den Boden statt nach oben zu lenken (siehe Fotostrecke). Die korrekte Einhaltung der Vorschriften wurde von zivilen Luftschutzhelfern überwacht, bei Missachtung drohten hohe Geldstrafen.

Die Maßnahme hatte eine unerwünschte Schattenseite. Wilfred Trotter, Mediziner und früherer Ehrenchirurg des britischen Königshauses, brachte das Problem in einem Brief an das "British Medical Journal" 1939 sarkastisch auf den Punkt: dass nämlich "die Regierung ihrer Majestät" durch die Verdunkelungsvorschriften für die eigene Bevölkerung die deutsche "Luftwaffe in die Lage versetzt, jeden Monat 600 Briten zu töten, ohne auch nur in die Luft zu gehen und ohne jede Kosten". Was er meinte: Die Zahl von Unfällen war dramatisch gestiegen.

Es drohten auch Zusammenstöße mit Vieh, das nach Einbruch der Dämmerung frei auf der Straße lief. Und so kam ein Bauer in Essex auf die Idee, seinen Kühen einen warnbaken-ähnlichen Anstrich zu verleihen - auf dem Foto des Imperial War Museums erledigt die Bauersfrau den Job.

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