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August-Putsch 1991: Sterbehilfe für die Sowjetunion

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Augustputsch 1991 Zitterpartie in Moskau

Nostalgische Funktionäre versuchten vor 30 Jahren, Gorbatschow zu stürzen. Sie wollten das alte Sowjetimperium retten – und trieben es in den Untergang.

Die zitternden Hände von Gennadij Janajew, 53, waren für Millionen Fernsehzuschauer am 19. August 1991 ein russisches Rätsel. Als Wortführer eines »Staatskomitees für den Ausnahmezustand« behauptete der Vizepräsident, Michail Gorbatschow könne »wegen seines Gesundheitszustandes« das Präsidentenamt nicht länger wahrnehmen. Daher sei jetzt er, Janajew, Staatschef der Sowjetunion.

Warum seine Hände bei der Moskauer Pressekonferenz zitterten, das wussten alle, die ihn schon länger kannten: Er galt als schlimmer Trunkenbold, hilflos gegen seine Alkoholsucht. Dieser Funktionär versprach nun, »Staat und Gesellschaft schnellstmöglich aus der Krise zu führen«. Er werde die »Propaganda von Sex und Gewalt« stoppen, dabei stets im Blick »die Gesundheit und das Leben künftiger Generationen«, so Janajew, der Trinker mit traurigen Augen.

Die selbst ernannte neue Führung verkündete, sie werde »die Straßen unserer Städte von kriminellen Elementen säubern« und »den Stolz und die Ehre des sowjetischen Menschen in vollem Umfang wiederherstellen«. Die in Radio und Fernsehen verlesene Proklamation war von Pathos und Nostalgie durchdrungen – vom Sozialismus aber war schon nicht mehr die Rede.

Dem Notstandskomitee gehörte ein beträchtlicher Teil der sowjetischen Führungsmannschaft an, darunter der Premierminister, die Minister für Inneres und Verteidigung, der Chef des Geheimdienstes KGB und ein leitendes Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU.

Massendemo gegen die »Junta«

»Ordnung« hatten seit 1990 vor allem sowjetische Militärs gefordert. In der Armee war die Verunsicherung und Frustration besonders groß, nachdem die Sowjetunion den Afghanistankrieg verloren und ab 1989 sämtliche osteuropäischen Verbündeten eingebüßt hatte. Verloren ging auch die Kontrolle über mehrere Republiken wie Litauen, Lettland und Estland; in Georgien war ein Nationalist an die Macht gekommen.

Die sowjetische Führung hatte vollmundig »Reformen« gelobt. Doch die Regale in den Geschäften waren leer, die Inflation fraß bescheidene Ersparnisse auf. So sehr Präsident Michail Gorbatschow indes auch Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt hatte: Den neuen Machthabern glaubte das Volk kein Wort.

Auftritt als Volkstribun: Boris Jelzin hielt eine Ansprache von einem Panzer

Auftritt als Volkstribun: Boris Jelzin hielt eine Ansprache von einem Panzer

Foto: ITAR-TASS / imago images

Der Notstandsaufruf wirkte mobilisierend – auf die Gegner des Staatsstreiches. In Sankt Petersburg demonstrierten Zehntausende, in Moskau am 20. August bis zu 200.000 Menschen gegen die »Junta« und für Boris Jelzin, den zwei Monate zuvor demokratisch gewählten Präsidenten der Russischen Föderation. Ihn unterstützten auch die neuen Stadtverwaltungen der beiden größten russischen Städte.

Die Putschisten hatten nach Moskau Soldaten mit Panzern beordert, bald umringt von Demonstranten, mit denen Militärs sich verbrüderten. Denn auch in der Armee hatte das Notstandskomitee keine Basis.

Schwanengesang des Sowjetstaates

Vor allem bei jungen Russen avancierte Jelzin binnen Stunden zum Volkshelden – mit einem Meisterwerk der Inszenierung vor laufenden Kameras: Er stieg auf einen Panzer vor dem heutigen Regierungsgebäude, dem »Weißen Haus« am Moskwa-Fluss. Jelzin rief die Bevölkerung auf, den »Putschisten eine würdige Antwort« zu geben, und die Soldaten, »nicht teilzunehmen an einem reaktionären Umsturz«.

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Nach diesem Auftritt als Volkstribun stieg Jelzins Zustimmungsrate auf rund 80 Prozent. Das Staatsstreich-Komitee wirkte hilflos und ließ im Staatsfernsehen das Ballett »Schwanensee« senden. Es war der Schwanengesang des Sowjetstaates.

Putschartig hatten einst auch Lenin und die Bolschewiki die Macht erobert, sich bei der Oktoberrevolution 1917 jedoch auf Massen bewaffneter Arbeiter und Soldaten gestützt. Und ihre Botschaften hatten die Welt elektrisiert. Davon konnte 1991 keine Rede sein. An die Stelle blitzgescheiter Bolschewiki waren Langweiler mit Leberschaden getreten.

In Janajews Notstandskomitee sammelten sich Männer, die mehr dem Alkohol als dem Sozialismus ergeben waren. Was als Umsturzversuch begonnen hatte, ging bei Komiteesitzungen über in einen Umtrunk mit Hochprozentigem. Der sowjetische Premierminister Walentin Pawlow erinnerte sich später, »dass die Genossen, die für meine Sicherheit verantwortlich waren, mich davontrugen«.

Der Geheimdienst wechselte die Seiten

Auch die Häscher des KGB standen in den Putschtagen mit leeren Händen da. KGB-Chef Wladimir Krjutschkow ließ Jelzins Fahrzeugkolonne aus dem Umland nach Moskau fahren und strebte einen Kompromiss mit Jelzin an, so die Erinnerung von Generalleutnant Nikolai Leonow, damals Leiter der KGB-Analyseabteilung.

Je mehr das Ansehen der KPdSU schwand, desto stärker entfernten sich Geheimdienstler von ihrer Rolle als »Schwert und Schild der Partei«. Bereits am 5. Mai 1991 hatten Gorbatschow, Jelzin und Krjutschkow die Bildung eines KGB der Russischen Föderation vereinbart. Damit begann ein Transfer geheimdienstlicher Macht vom alten sowjetischen ins neue russische Machtzentrum.

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August-Putsch 1991: Sterbehilfe für die Sowjetunion

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KGB-Generäle, am Puls der Zeit, plädierten im Sommer 1991 für einen »Rechtsstaat«. War der Wandel unvermeidlich, so ihre Logik, galt es ihn zu beeinflussen. Jelzin brauchte die KGB-Leute – und sie brauchten ihn.

Hochmut kommt vor dem Haftbefehl

Ein Schlüsseldokument veröffentlichte Andrej Pschesdomski, damals Berater des KGB-Chefs, in seinem nur auf Russisch erschienenen Buch »Hinter den Kulissen des Putsches«: Am 19. August 1991 schrieb Wiktor Iwanenko, KGB-Chef der Russischen Föderation, ein Geheimtelegramm an die Dienststellen in ganz Russland. Zustimmend zitierte der Generalmajor Jelzins Einschätzung vom »reaktionären verfassungsfeindlichen Umsturz«. Und wies die Untergebenen an, »die Anwendung militärischer Gewalt und ein mögliches Blutvergießen zu verhindern«.

Der russische KGB schickte in Moskau Männer in zivil unter die Demonstranten, um einen »Puffer« zwischen Soldaten und Putschgegnern zu bilden. Dennoch starben drei Demonstranten: Zwei junge Männer wurden von Panzern erfasst, einen dritten traf der Querschläger eines Warnschusses. Es war die Folge eines Befehls des Notstandskomitees, in der Nacht vom 20. auf den 21. August Schützenpanzer in der Innenstadt patrouillieren zu lassen.

Dass sie gescheitert waren, dämmerte den Putschisten am frühen Morgen. Um drei Uhr forderte der Vize-Verteidigungsminister und Luftwaffenchef Jewgenij Schaposchnikow das Notstandskomitee auf, die Truppen aus Moskau abzuziehen und sich aufzulösen.

Ebenfalls am 21. August verweigerte Gorbatschow einer zu ihm auf die Krim entsandten Delegation, das Staatsstreich-Komitee zu legitimieren. Am späten Nachmittag unterzeichnete Janajew den Befehl zur Auflösung des Komitees und legte seine »Vollmachten« nieder, die Truppen zogen aus Moskau ab.

Der Untergang der »ruhmreichen Sowjetunion«

Boris Jelzin ließ die Teilnehmer des Putsches festnehmen, bis auf Innenminister Boris Pugo, der sich selbst erschoss. Die Verhafteten kamen ins Traditionsgefängnis »Matrosenstille«.

Im Januar 1993 ließ die Justiz die Beschuldigten frei. Ein Prozess gegen die Putschisten endete im Mai 1994 mit einer Amnestie. Die russische Elite strebte unter Jelzin zu Kompromissen von Altkadern, Wendehälsen, jungen Liberalen und labilen Karrieristen. Ein Gerichtsspektakel störte da nur.

Zu dieser Zeit war Michail Gorbatschow längst nicht mehr an der Macht. Nach dem Zusammenbruch des Putsches war er als ein Geschlagener von der Krim zurückgekehrt und gezwungen, einer Weisung Jelzins zur Auflösung der KPdSU zuzustimmen. Der sowjetische Präsident übergab dem russischen Präsidenten den KGB. Jetzt war Gorbatschow nur noch, was man in Russland einen »Hochzeitsgeneral« nennt. Am 25. Dezember 1991 trat er als Präsident zurück und löste die Sowjetunion auf – das einstige rote Weltreich zerfiel im Chaos.

Dass dies die Folge eines in Teilen parodiehaften Putsches war, räumte ein leitender Funktionär des Zentralkomitees der KPdSU später ein. Oleg Baklanow sagte 25 Jahre darauf im russischen Fernsehen: »Wir sind schuld, dass die Sowjetunion unterging. Wir hatten keinen Führer.«

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