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Eve Babitz: "Alles wird Sünde" - vom It-Girl zur Autorin

Foto: Julian Wasser

Hollywood-Autorin Eve Babitz Im feuchten Dschungel von L.A.

Mit Marcel Duchamp spielte sie nackt Schach, hatte Affären mit Jim Morrison und Harrison Ford. Dann brillierte Partygirl Eve Babitz als Schriftstellerin. Ihre grandiosen Los-Angeles-Erinnerungen liegen nun auf Deutsch vor.

Heute setzt sie kaum noch einen Fuß vor die Tür. Denn seit ihrem Unfall 1997, als sie sich schwere Verbrennungen zuzog, lebt sie im Verborgenen.

Inzwischen ist Eve Babitz 76 Jahre alt - und Hüterin einer Legende, die sie vor aufdringlichen Blicken schützt: die des einst strahlend schönen It-Girls von Los Angeles. Vor Verehrern konnte sie sich kaum retten. Größen wie Jim Morrison, Harrison Ford oder Steve Martin wickelte sie mit einem Lächeln oder einem ihnen zugestandenen Blick in ihr atemberaubendes Dekolleté um den kleinen Finger. Musikproduzent Earl McGrath sagte über sie: "Im Leben eines jeden jungen Mannes gibt es eine Eve Babitz. Meistens ist es Eve Babitz."

"Ich mochte gutaussehende, leichte verrückte Künstler", erklärte sie später einmal. "Bei Musikern hielt ich mich aber zurück, denn die meisten sind verrückt." Mit Jim Morrison verband sie trotzdem eine wilde Affäre. Frühe Fotos zeigen sie mit dem Doors-Sänger in inniger Umarmung. Im Bett erinnerte Morrison sie an Michelangelos David - "nur dass er blaue Augen hatte", schrieb Eve Babitz 1991 in einem "Esquire"-Beitrag. Die letzten Aufnahmen von ihr stammen aus den späten Neunzigern. Darauf sind ihre Haare bereits platingrau und zu einer Art Bob gestutzt, doch ihre Augen leuchten unverändert Babitz-hell.

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Eve Babitz: "Alles wird Sünde" - vom It-Girl zur Autorin

Foto: Julian Wasser

Die Doors besangen sie im Song "L.A. Woman" (YouTube-Video ). Im Los Angeles der Sechzigerjahre war Eve Babitz zunächst vor allem ein Partygirl von enormer Ausdauer, ihre Begabungen entfaltete sie nach und nach als Autorin und Grafikerin. Schlagartig bekannt machte sie 1963 ein Bild des Fotografen Julian Wasser: Die Aufnahme zeigt sie splitternackt beim Schachspiel mit dem Konzeptkünstler Marcel Duchamp in den Räumen des Pasadena Art Museum.

"Eve war nicht wie die anderen Groupies"

Museumsdirektor Walter Hopps hatte eine große Duchamp-Retrospektive mit einer Party eröffnet. Zu den Gästen zählten Fotograf Man Ray, Bildhauer Claes Oldenburg und Schauspieler Dennis Hopper, ebenso die Pop-Art-Künstler Andy Warhol und Richard Hamilton. Unter den Groupies waren auch Eve und ihre Schwester Mirandi - allerdings ohne Einladung.

Zum Ausstellungsbeginn spielten Hopps und Duchamp Schach auf einem kleinen Podest. Spontan fasste Julian Wasser, der oft für das "Time Magazine" fotografierte und zu Babitz' engsten Freunden zählte, den Plan, sie nackt beim Schach mit Duchamp zu fotografieren. Er konnte Duchamp für seine Idee begeistern - zwei Tage später entstand das Bild. "Eve war nicht wie die anderen Groupies", kommentierte Wasser das Happening, "sie war etwas Besonderes. Außerdem sah sie fantastisch aus, ich wusste, dass sie Marcel den Kopf verdrehen würde. Und genau das tat sie!"

1974 erschien ihr gefeierter Erstling "Eve's Hollywood", war lange vergriffen und wurde 2015 in den USA erneut veröffentlicht. Inzwischen liegt er endlich auch auf Deutsch vor und zeigt, über welche Qualitäten Eve Babitz neben ihrer Schönheit und ihren Verführungskünsten schon damals verfügte.

Sie präsentiert sich in ihren Erinnerungen als launige, ins Episodische vernarrte L.A.-Chronistin jener wilden Jahre. Die Fantasie macht unweigerlich einen Sprung zurück, man meint, sie an einem warmen Frühsommertag 1965 über den Sunset Boulevard Richtung Roxy Theater schlendern zu sehen: Eve ist gerade 22, ein menschgewordener Cherub in der Stadt der Engel. Vielleicht ist sie auf dem Weg ins "Luau", das polynesische Lieblingsrestaurant ihres Patenonkels Igor Strawinsky, um mit ihm zu speisen und ihn in seinen frühen Los-Angeles-Erinnerungen schwelgen zu hören. Mit Vorliebe erzählt der russische Komponist von spontanen Straßenrand-Champagner-Picknicks mit seiner Frau Vera, den Schauspielern Greta Garbo und Charlie Chaplin, mit Philosoph Bertrand Russell und Schriftsteller Aldous Huxley.

Sie erklärt ihr eigenes Leben zur Kunst

Eve, Tochter des Studiomusikers Sol und der Künstlerin Mae Babitz, sammelt erste künstlerische Meriten, als sie Cover für Platten der Doors, Linda Ronstadt oder der Byrds gestaltet. Für sie ist die Stadt von Anfang an "ein feuchter Dschungel, in dem es von siedenden L.A.-Projekten nur so wimmelt". Ein Ort für Seelenwanderer, Verrückte und Glückssucher, die ihren Traum leben wollen. Leute wie sie selbst: ein Multitalent, das zeichnet und schreibt und immerzu auf dem Sprung ist, in diesen Klub oder zu jener Party.

Warum auch nicht? Sie liebt die Künste und ihre Macher, ist wild entschlossen, eine von ihnen zu sein. Denn wer es hier schafft, schafft es überall. Eve Babitz hält Ausschau nach ihrem Platz auf der Bühne der Traumfabrik - getreu ihrem Motto: "Ich lebe und segle dahin, bereit für die Faust, die durch die Windschutzscheibe knallt. Oder das ganz große Ding!"

Armeen von Statisten, Drehbuchschreibern und anderem Hollywood-Gelichter tun es ihr in diesen Tagen gleich. Eve vertraut auf ihren Charme und ihr Talent. Kurzerhand erklärt sie ihr eigenes Leben zur Kunst. Mit 31 erzählt sie in "Eve's Hollywood" auf faszinierende Weise an den Rückseiten ihrer Biografie entlang. Dabei gelingen ihr hinreißende L.A.-Geschichten in mal ironisch-lässigem, mal mokant-poetischem Tonfall. Babitz inszeniert sie als Schaulaufen einer Horde charismatischer bis größenwahnsinniger Exoten, ein launiges Blättern im Familienalbum Hollywoods mit all den Stars und Sternchen.

Zu den Porträtierten zählen LSD-Papst Timothy Leary und Frank Zappa, der im Affenfellmantel in einer der In-Locations regelmäßig Hof hält. Über sich selbst schreibt die Autorin einmal: "Ich sah aus wie Brigitte Bardot, war hübsch und klug und voller Ungeduld. Ich war eine Spionin im Land der Privilegierten." Blick- und anekdotenhungrig zieht Babitz mit Freunden durch die Klubs der Stadt - immer auf der Suche nach Erzählbarem.

"In L.A. ist die Luft immer heiß, und der Sex so billig wie der Tod", heißt es in Jörg Fausers L.A.-Meditation "American Highballs", "und der ist billiger als eine Busfahrt nach Beverly Hills in die Viertel der Reichen". Den Tod hat Eve Babitz mehr als einmal in den Gossen zwischen Sunset Boulevard und Ivar Avenue haltmachen sehen. Auch davon erzählt ihr "Bekenntnisroman", eine Autobiografie ihrer frühen Jahre.

Das Feuer lässt sie verstummen

Eve ist ein Kind des "New American Cinema", aufgewachsen mit den ersten Filmen von John Cassavetes, Shirley Clarke und Robert Frank. Genau wie die Protagonisten dieser Filme glaubt sie an ihre Chance. Und beginnt zu schreiben. Formlos - und scheinbar einfach drauflos. Die angesagten Magazine drucken ihre Artikel: der "Rolling Stone", "The Village Voice", die "Vogue".

Die Magazinmacher spüren, dass hier eine unverstellt aus dem exklusiven Innern der L.A.-Blase berichtet, direkt, poetisch und unverkitscht. So schreibt sie einmal über Stones-Gitarrist Keith Richards und Countryrocker Gram Parsons, Freunde mit Hang zu harten Drogen: "Sie reduzierten einander, als würden sich Picasso und Strawinsky eine Wohnung teilen. Sie waren wunderschön, aber man durfte nicht zu lange hinsehen. Alles konnte jeden Moment zerbrechen, vor unseren Augen verglühen."

Eve Babitz weiß, dass Glück und Unglück in den Straßen Hollywoods so dicht beieinander liegen wie die Sterne auf dem Walk of Fame. "Ich habe festgestellt", bekennt sie einmal, "dass sich alles, wonach das Herz sich sehnt, früher oder später in Sünde verwandelt. Und wenn du Glück hast, kriegst du gerade so die Hälfte. Das ist der Weg des Lebens." Noch jahrzehntelang geht sie in ihrer Stadt herum und sammelt literarisch verwertbare Augenblicke wie Entomologen funkelnde Insekten. Darüber entstehen autobiografisch grundierte Story-Sammlungen, in denen sie ihr bewegtes Leben auf bisweilen grandiose Weise fortschreibt und überhöht.

Doch dann kommt das Jahr 1997: Beim Versuch, sich eine Zigarette anzuzünden, fängt ihr Kleid Feuer. Eve Babitz erleidet großflächig Verbrennungen dritten Grades. Das Feuer raubt ihr die Schönheit, auch die Lust am Schreiben. Sie verstummt. Die Autorin lebt noch immer in L.A., seitdem zurückgezogen hinter dicken Mauern, selbst in ihren raren E-Mail-Interviews äußert sie sich nur karg und vage.

"Wer hier nicht ankommt, kommt nirgends an. Wer hier verliert, hat ausgespielt. City of Angeles. Millionen von Lichtern. Such dir eins aus", heißt es bei Fauser. Das von Eve Babitz leuchtet unverändert hell. Und sei es auch nur in ihrer Erinnerung, die sie noch dann und wann beschleicht wie eine graue, alt und struppig gewordene Katze, die einen Platz zum Schlafen sucht nach dem letzten großen Fang.

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