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Lada-Gründung: Als Russland mobil machte

Foto: ? Handout . / Reuters/ REUTERS

Lada-Gründung Als Russland mobil machte

Um ihren Bürgern Autos zu verschaffen, fädelte die Sowjetregierung in den Sechzigern einen beispiellosen Deal ein: Im Tausch gegen Tausende Tonnen Stahl lieferte Fiat das Know-how zum Wagenbau. Der Russen-Fiat wurde als Lada zum Welterfolg. Doch für die Italiener endete das Geschäft im Desaster.

Der Sehnsuchtsort vieler Sowjetbürger Mitte der sechziger Jahre liegt an einer Schleife des Wolgastroms. Es ist eine staubige Großbaustelle mit dem Namen: Toljatti. Nahe der sanften Höhen der Schiguli-Berge stampft Moskau damals auf einem Areal von sechs Quadratkilometern ein Autowerk aus dem Boden, nebst Werksiedlung für eine halbe Million Einwohner. Die Maschinen dafür musste die Sowjetführung in Italien kaufen, die Arbeiter strömen freiwillig aus allen Regionen des Riesenreichs. Sie hoffen auf größere Wohnungen und "ein Auto auf Raten", wie einer damals schreibt. Ein anderer kabelt: "Habe Haus verkauft. Treffe morgen mit dem Motorschiff ein."

Nach dem Zweiten Weltkrieg holt die Sowjetunion gegenüber dem Westen in manchen Bereichen mächtig auf: In Sachen Lebenserwartung ziehen die Russen 1965 fast mit den USA gleich. Männer werden damals im Schnitt 65 Jahre alt, Frauen 73,6 Jahre und leben damit fast so lange wie in Amerika (66,8 Jahre beziehungsweise 73,7 Jahre). Die Sowjets haben den ersten Satelliten ins All geschossen und den ersten Menschen.

Am Boden aber kommt der Fortschritt nicht recht voran. 1965 liegt die Pkw-Produktion bei 200.000 Stück, in Westdeutschland sind es schon drei Millionen. Toljatti soll die UdSSR mit 600.000 Autos Jahresproduktion mit einem Schlag ins Automobilzeitalter katapultieren. Das Know-how dafür müssen die Sowjets allerdings teuer in Italien beschaffen. Zwischen Ost und West herrscht Kalter Krieg, das Verhältnis zwischen Rom und Moskau aber ist fast freundschaftlich. Die Kommunistische Partei Italiens ist die einflussreichste in Westeuropa, Stalin hat sie mit Geld aufgepeppelt. Palmiro Togliatti, 1964 verstorbener Chef der Partito Comunista Italiano, war vor Mussolinis Faschisten in die Sowjetunion geflohen. Er verbrachte Jahre im Moskauer Exilanten-Hotel Lux.

Zins-Poker mit Spionageeinsatz

Zu Ehren des Italieners tauft der Kreml die Stadt am Ufer der Wolga Toljatti. In Rom regiert damals Aldo Moro, ein Christdemokrat. Der Ministerpräsident führt aber eine Mitte-links-Koalition, die Sozialisten sitzen am Kabinettstisch, sie unterstützen Kontakte mit der Sowjetunion. Doch der "Jahrhundert-Deal" stockt: Rom fordert acht Prozent Zinsen für einen Kredit, die Sowjetunion will aber nur fünf Prozent zahlen.

Moskau greift zu einer List, bei der ein Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB eine Rolle spielt - und ein Jagdgewehr. Der Journalist Leonid Kolosow ist für die Moskauer Tageszeitung "Iswestija" in Rom akkreditiert. Er berichtet allerdings nicht nur seiner Redaktion in der sowjetischen Hauptstadt, sondern als Hauptmann auch an die Auslandsaufklärung in Moskau. Kolosow beschafft Dokumente der italienischen Regierung, in denen sie vorab ihren Verhandlungsspielraum festgelegt hatte: Daraus geht hervor, dass die Italiener zur Not auch fünf Prozent Zinsen akzeptieren würden. Rom blufft in den Verhandlungen um lohnende Kreditbedingungen, in Wahrheit ist die Furcht aber groß, dass Fiat den Poker noch verliert.

Der KGB erhöht den Druck, forciert Gerüchte über Fortschritte in Gesprächen mit den Franzosen, die Rede ist von einem Abschluss mit dem Fiat-Rivalen Renault. Bei 5,6 Prozent Zinsen für einen 320-Millionen-Dollar-Kredit schlagen die Italiener ein. So spart Kolosow den Sowjets rund 38 Millionen Dollar Zinsen. Für seinen Einsatz bekommt er ein Jagdgewehr. Doch wie teuer der Deal Fiat tatsächlich zu stehen kommen wird, können die Italiener da noch nicht ahnen.

300 Kilometer Fließband

Vier Jahre nur brauchen die Arbeiterbrigaden, um das Wolga-Werk - auf russisch Wolschskij Awtomobilnij Sawod (WAS) genannt - fertigzustellen, drei weniger, als die Planer für den Aufbau des Autogiganten zunächst berechnet hatten. Die ersten Fahrzeuge laufen schon 1970 vom Band, die Gesamtlänge der Fließbänder summiert sich auf 300 Kilometer.

Plattenbauten schießen in der Nähe der Fabrikgelände in die Höhe. Die Wohnsilos sind schmucklos, die neuen, geräumigen Wohnungen aber begehrt. Denn in Metropolen wie Moskau und Sankt Petersburg leben Millionen Familien noch in den "Kommunalka" genannten Gemeinschaftswohnungen.

Nicht nur die Maschinen für Russlands Wolfsburg stammen aus Italien, sondern auch die Pläne für den ersten Wagen. Die Sowjets wollen schlichte Kleinwagen ohne Schnickschnack, tauglich für die Massen des Arbeiter- und Bauernstaats. Die Wahl fällt auf den kleinen Fiat 124.

Frost und Rost

Sowjetische Ingenieure passen den Wagen an für die Straßen im Riesenreich: Robuste Trommelbremsen ersetzen die italienischen Scheibenbremsen, weil die auf Russlands schlammigen Pisten schnell verdrecken würden. Der Frost setzt den Testfahrern zu, Heizung und Isolierung werden verstärkt und der Abstand von Fahrzeugboden zur Fahrbahn vergrößert, der vielen Schlaglöcher wegen.

Der Fiat-Klon geht 1970 als Schiguli 2101 in Serie. Für den internationalen Markt wird der einfachere Name Lada gewählt. Technisch ist das Auto schon damals veraltet, Millionen Bürgern im Riesenreich aber erfüllt es endlich den Wunsch nach den eigenen vier Rädern. 1976 nimmt die Fabrik an der Wolga die Fertigung eines Geländewagens auf. Das zähe Arbeitstier ist keine Schönheit, aber robust. Der Niva trotzt selbst der Witterung in der Antarktis, wo ihn von 1990 bis 2002 Forscher der russischen Station Bellinghausen einsetzen. Heute steht der Wagen im Automuseum Toljatti, etwas rostig zwar, aber "im Prinzip noch Einsatzbereit", wie die Museumsdirektorin sagt.

Das Jedermann-Mobil wird zu einer Art VW-Käfer des Ostens. Die russische Kopie des Fiat 124, "Europas Auto des Jahres 1967", läuft zuletzt 2012 vom Band, in mäßig modernisierter Form.

Für den Fiat-Konzern entwickelt sich das Geschäft schlechter. Ab 1971 beginnt die Sowjetunion zur Begleichung ihrer Schulden mit der Lieferung von Karosserieblechen an die Italiener. Der sowjetische Recyclingstahl ist allerdings so anfällig für Korrosion, dass den Italienern über Jahrzehnte der Ruf nachhängt, sie fertigten ausschließlich Rostlauben.

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